[6.5.08] frühabendliche Vorberitungen

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Und als ob das Eis nicht noch dünner werden könnte, auf dem Anna ohnehin schon stand, blieb Anna im Knicks und machte keine Anstalten aufzustehen. Sie redete jedoch nicht sofort und ihr Kopf blieb gesenkt.

Als sie jetzt ihren Kopf hob, wagte sie sich in vollem Bewusstsein auf die Stellen des Eises, unter denen eine starke Ströumung war. Ja, sie hätte zurück gehen sollen, vorsichtig, auf dem Bauch liegend um nicht weiter zu riskieren einzubrechen. Gesicht und Stimme blieben emotionslos, doch ihre Augen konnten nicht mehr völlig ihren inneren Aufruhr verbergen. Denn früher in einer solchen Situation hätte sie immer ausschließlich noch den gebührenden Respekt bezeugt und den Blick gesenkt gehalten.

"Mylady, ich muss sie eindringlich bitten, mir noch einige Worte zu gestatten. Nicht um meinetwillen, mit nichten. Doch wenn sie so handeln ist das Wohl Judiths in größerer Gefahr als sie ahnen." Schnell redete Anna weiter in der Hoffnung nicht unterbrochen zu werden und mit diesen Worten wenigstens noch die Aufmerksamkeit der Seneschall erreicht zu haben. Der Fluch unter dem sie litt: Sie musste ausholen. Doch sie hoffte und betete.

"Die Regentin richtete gestern trotz der knappen Zeit eine feierliche Zeremonie für die Aufnahme Judiths in den Clan aus. Diese Einführung fällt bei weitem nicht immer so freundlich aus und angesichts der Angst, die Judith hatte, können sie davon ausgehen: Auch sie hat es bereits anderes erlebt. Ich gehe also trotz meiner geringen Kenntnis von der Regentin aus, dass sie Judith wohlgesonnen ist, Mylady.

Dem Lord ist es offensichtlich aus mir unbekannten Gründen untersagt worden, Judith zu sich zu nehmen. Oder können sie mir einen anderen Grund nehmen, warum er seine langjährige Begleiterin so sehr schätzt, dass er sie vor einem Unfall schützt, sie dann aber kaum beachtet, wenn er eingetroffen ist? Ich weiss nicht, Mylady, wie es hier in Finstertal und in anderen Orten ist, denn dies ist mein erster Aufenthalt in einer neuen Stadt seid meinem Tod in Hamburg. Tiefe Freundschaften innerhalb meines Clans werden meiner Kenntnis nach eben so wenig gern gesehen wie Freundschaften zu Clanfremden. Mir selbst war es strengstens verboten. Tremere führen keine privaten Beziehungen, Mylady. Wenn Euch und Judith so etwas gestattet wurde, ist es etwas besonderes und seltenes. Wenn sie jetzt mit zu großem Nachdruck vorgehen, wird die Regentin dies vor Wien nicht verbergen können. Auch die Regentin ist an die Gesetze meines Hauses gebunden und kann nur mit Fingerspitzengefühl vorgehen.

Wenn sie ihr dies nicht ermöglichen, wird man Judith in eine andere Stadt abziehen, so bald man dieser Freundschaft gewahr wird und ich würde mein Leben darauf verwetten, das sie nicht nach Warschau dürfte.

Und dann gibt es noch einen Punkt, der völlig nebensächlich ist." Anna stockte kurz und nur ihre Augen offenbarten einen tiefen Schmerz, der vielleicht der Grund für diesen Ausbrauch war. Anders konnte man es kaum nennen, obwohl ihre Stimme ruhig blieb.. "Ihr habt Judiths Augen nicht gesehen, wie sie leuchteten während des Rituals, während ihres Schwurs. Trotz all dem Leid, das mit ihrer Wandlung einherging, empfindet sie Stolz darauf, jetzt vollständig dem Haus anzugehören. So, wie die Regentin Judith ihre Angst nahm und eine feierliche Erinnerung für sie schuf, haben auch sie die Möglichkeit, die Einführung in die kainitische Gesellschaft für Judith zu gestalten. Wenn sie mit Bedacht vorgehen, kann es für Judith ein einmaliges Erlebnis werden, an das sie sich noch lange mit Freuden erinnern wird, weil sie Eure Freundschaft nicht verloren hat. Während Eure Freundschaft mit ihr noch viele Jahre haben kann, ist dies eine einmalige Gelegenheit. Sie hat schon zu viel durchlitten in den letzten Tagen. Ich bitte sie inständig, ihr andere Erinnerungen an ihre erste Zeit als Kainitin zu schenken.

Mein Leben liegt mit diesen Worten in Eurer Hand, Mylady. Ich hätte sie nicht sprechen dürfen und nicht nur, weil ich Euren Wunsch nach dem Ende des Gesprächs so schmählich mißachtet habe."

Ob sich die Seneschall überhaupt bewusst wurde, wie viel die junge Kainitin vor ihr so eben von sich selbst preis gegeben hatte? Anna machte sich keine Illusion. Sie selbst war der Seneschall herzlich egal und ihr Leben in diesen Sekunden nicht einen Pfifferling wert. Das Eis knackte laut und bedrohlich. Annas Kopf senkte sich wieder. Sie hatte alles gesagt, was es zu sagen gab in dieser Angelegenheit. Mehr konnte sie nicht für Judith tun. Sie war bereits über jegliches erträgliche Maß hinaus gegangen.
 
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"Geschwafel!"

Noir schüttelte unwillig den Kopf.

"Sie fragen mich allen ernstes nach den Gründen für die Kaltherzigkeit des Lords und führen nur zwei Augenblicke später an, wie stolz die Hexer darauf sind, ohne jegliche Bindungen durch ihr trostloses Leben zu schreiten. Aber da sie gefragt haben, will ich es Ihnen auch gerne in aller Deutlichkeit beantworten. Lord Johardo hat sich Judith gegenüber verweigert, weil er ein gefühlskalter Bastard ist. So wie anscheinend jeder Ihres Clans! Ich bin dies aber ganz gewiss nicht. Also, anscheinend verstehen Sie tatsächlich nicht was ich sage,... Also werden Sie Ihrer Regentin mitteilen, dass ich Judith alleine zu sprechen wünsche! Alles weitere wird sie mir dann schon selber sagen müssen, denn sprechen kann sie noch, dessen bin ich ganz sicher. Und jetzt meine liebe Frau Reeben verlassen Sie bitte umgehend mein Büro denn ich bin mit meiner Geduld absolut am Ende!"
 
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Nein, wenn er sich geweigert hat, dann hat er es getan, weil er die Gefahr für Judith erkannte, die ihr nicht sehen wollt. Oh mein Gott, Judith, du wirst zum Spielball und die, die dich beschützen wollen, schlagen zu kräftig auf um dich zu bewahren. Und sie sehen nicht, wie kurz sie davor sind, dich zu zerstören, nur weil sie nicht über den Tellerrand schauen wollen. Ich weiss nicht, wie ich dich noch beschützen soll. Warum versuche ich es überhaupt und bringe mich selbst dafür in Gefahr? Oh, wo sind meine Bücher. Gülden hat recht. Ich bin noch lange nicht so weit.

Anna stand sofort in einer flüssigen, fast lautlosen Bewegung auf. Ihr Kopf blieb gesenkt und sie ging ohne ein weiteres Wort rückwärts zur Tür um sich so leise und unauffällig wie noch irgend möglich war aus dem Büro der Seneschall zu entfernen. Mit dem leisen Schnappen der Tür fiel auch in ihrem Inneren eine Tür fest in ihr Schloß. Sie würde sich der Seneschall gegenüber nie wieder auf diese Art und Weise verhalten. Sie hatte versagt. Sie hätte auf ihren Erzeuger hören sollen und nicht sich einbilden es besser zu wissen als er.

Anna hielt in dem Flur nicht inne. Auch ihre Knie zitterten nicht. Das waren Dinge, die sie schon seid langer Zeit abgelegt hatte. So hatte sie nur die wenigen kurzen Schritte den Flur entlang um sich zu sammeln. Sie reichten um Laura jetzt mit einem vollkommen neutralen Gesicht zu begegnen. Auch ihre Augen sprachen von nichts mehr.

"Frau Raabe?", versicherte sie sich kurz der Aufmerksamkeit der Sekretärin. "Bitte setzen sie Herrn Steiner auf die Liste der Vermissten. Er ist nicht mehr in das Gildenhaus zurück gekehrt." Genau wie die Seneschall es erwartete, waren bei Anna kein Gefühle des Mitleids oder der Trauer zu erkennen. "Ich wünsche Ihnen einen guten Abend."
 
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Ghul der Seneshall, Laura Raabe:

"Jawohl Frau Reeben, es tut mir aufrichtig leid, dass zu hören."

Laura machte sich eine entsprechende Notiz und würde den Namen später dann in die offizielle Liste aufnehmen. Dann verließ die Tremere auch schon das Büro und verschwand nach draußen. Noch bevor sie die Tür endgültig hinter sich schließen konnte, verabschiedete sich auch die Ghul.

"Auf Wiedersehen, Frau Reeben. Passen Sie auf sich auf!"
 
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