AW: [28.04.2008] Geheimes Suizidkommando
Eine Welle der Genugtuung schwappte in dem Nosferatu hin und her. Wogte auf und füllte mit ihrer köstlichen Wärme seine Eingeweide. Es funktionierte, er spürte das er das Unding, oder besser dessen Wahrnehmung, in den Griff bekam. Wäre er in der Stadt, in seiner gewohnten Umgebung, konnte er diese Monster sogar soweit täuschen, dass sie nur noch eine so leise Ahnung von ihm spüren würden, dass sie von einem Echo ausgehen mussten. Einer Spur vielleicht. Hier draußen aber, wo die Verbindung dieser Viecher zu ihrem Terrain, ihrem Territorium, ihrem Schrein oder um was auch immer diese Ausgeburten der Hölle tanzten, stark war, fiel es ihm schwer von sich abzulenken. Das Wesen ahnte das sie hier waren, wähnte sie wahrscheinlich in einem der Büsche.
Er würde nur abwarten müssen, bis es sich abwandte, oder in einen der Sträucher sprang in denen es sie vermutete, dann würde er sie hier herausbringen. Dem Untier würde nichts weiter bleiben als ein Wehklagendes Geheul über die dünner werdende Gegenwart der Beute.
Dann aber, sah er die Katastrophe. Er sah sie deutlich, wie ein Weltuntergangsprophet seine apokalyptische Vision, nach einem Schuss wunderbar reinem Heroins. Es begann mit dem Aufbau von Spannung unter ihm. Die Geduld seiner Tochter war aufgebraucht. Die ganze Zeit hatten sie am Rande des Abgrundes getanzt und nun war ihr Halteseil, das mehr und mehr in dünne Fasern geriffelt war, einfach gerissen.
Lurker spürte die entsetzliche Gewalt, die sich aus dem kleinem Körper Strays ihren Weg suchte.
Nein...nicht...
Selbst wenn ihn die Erkenntnis was sie nun tun würde nicht gelähmt hätte, er hätte keine Chance gehabt noch einzuschreiten. Die adoptiv Nosferatu explodierte mit einem Schrei in die Visage des riesigen Monsters, grub ihre Klauen tief in das schmatzende Fleisch, das mit einem reißendem Geräusch auseinanderstob. Lurker sah das weiß der Knochen schimmern und der Knall mit dem Stray traf, war so laut, das man dachte ein Güterzug wäre gegen einen Gleisabschluss gedonnert. Mit dieser Kraft, hätte Jenny ein Auto herumwerfen können, so schien es. Aber das entsetzliche Etwas grinste nur ein ramponiertes Grinsen, und sein Kopf bewegte sich gerademal eine Handbreit zur Seite. Es würde keinen Sekundenbruchteil brauchen um sich zu fassen und viel zu schnell bereit sein zum Gegenangriff. Das letzte was der Nosferatu sah, war das Wissen im Auge des Feindes, das er sie hatte.
Dann flog der Wald in einem dunkelgrünem Wirrwarr an ihm vorbei. Über sich sah er das Blätterdach, das einen Satz auf ihn zumachte, bevor es sich blitzschnell um die eigene Achse drehte und plötzlich seinen Platz mit dem moosbedecktem Waldboden wechselte und auf ihn zuschoss. Ein Bersten in der Nähe seiner Schulter ruckte durch seinen Kopf, als er aufschlug. Drei Meter rutschte er durch den Dreck, bevor er sich überschlug. Die Spitze seines abgebrochenen Schlüsselbeines piekte ihn in die Wange. Er rollte noch ein kurzes Stück, dann landete er tatsächlich in der Hocke. Fasziniert blickte er sich um. Es blieb ihm noch ein Lidschlag Zeit, dann kam der Schmerz. Mehrere Stellen in seinem verbogenem Skelett hatten der Wucht des Schlages nachgegeben und meldeten protestierend ihren beklagenswerten Zustand. Sein Innerstes siedete und kochte. Der Schmerz jagte wie ein irrsinniger Derwisch in ihm hinauf und hinab, spielte hier frech an einem offenem Bruch und biss dort neckisch in ein Gebiet das Anwärter auf den Titel 'größtes Hämatom aller Zeiten' werden wollte. Vorsichtig und interessiert zugleich, tastete er mit seiner Zunge das innere seiner Wange ab. Es fühlte sich zerbissen und zerfetzt an, wo sein Fleisch über seine schartigen, abgebrochenen Zähne gezogen worden war. Würde er mit den Fingern die Außenseite seines Kopfes abtasten, könnte er an der prächtigen Schürfwunde spielen, die er sich zugezogen hatte, als er mit dem Gesicht über den knorrigen Waldboden geschrammt war.
Bei dieser Begehung der Schmerzen und Schäden fiel ihm jedoch eines auf. Er hatte eine gemischte Palette an Verletzungen davongetragen. Allerdings für seinen Körper nur Kleinigkeiten. Er hatte die volle Wucht des Schlages mitbekommen, aber Strays Körper hatte ihn von den Krallen des Werwolfes abgeschirmt.
STRAY...
Der Gedanke an seine Tochter brüllte wie ein Orkan in seinem Schädel. Seine Augen rasten in der Dunkelheit hin und her. Hinter ihm mochte der geifernde Schatten der Bestie herankommen, er musste seine Tochter finden. Dann sah er sie. Ein blutiger, verborgener Haufen. Das Ding hatte sie beinahe in zwei Teile gespalten.
Der erste Impuls der in ihm aufwallte war sein guter Bekannter, der Durst. Beim betasten und anheben des kleinen geschundenen Körpers hatte sich eine klebrige Schicht gebildet. Sie duftete wie Verheißung und wie sie Fäden zog und zwischen seinen Fingern glitschte, ließ den Schatten der hinter seinen Augen lebte schnurren und sabbern. Das nächste Gefühl war Wut. Er hasste das Monster. Mehr als alles auf der Welt.
Eine bekannte Stimme holte ihn aus seinem Delirium. Geschockt sah er auf die schwarze Katze mit dem nässendem Ekzem hinab. Er kannte sie, nur woher ? Die kleine Rätsel Aufgabe veranlasste seinen Verstand dazu, angestrengt zurück an die Ufer der Vernunft zu rudern, um zu erkennen wen er da vor sich hatte. Sein Kopf klärte sich und er fand sich über Stray gebeugt wieder. Eine Hand mit ihrem Blut halb in seinem Mund vergraben, während seine Zungenspitze gierig in die Furchen seiner Finger grub.
Er wandte sich um und sah wie der Koloss mit dem Teppich aus kleinen Kreaturen rang. All seine Kraft verpuffte sinnlos, da er kein Ziel finden konnte. Sein Kopf ruckte zurück und aus verklärten Augen sah er die Herrscherin der Mülldeponie an. Daher kannte er sie.
Er hatte nicht bemerkt, das die meisten der Tiere die das Wolfding bestürmten Wucherungen hatten, und eigentlich in dieser Umgebung fremd waren. Das war auch unerheblich. Sein Verstand rastete ein, wie ein Mechanismus, als ihm klar wurde was zu tun war. Ein Gedanke wurde ausgesandt und er raste in einer Welle hinab in das Zentrum seines Körpers. Dort hing der verdorrte, schwarze Klumpen, der das Herz des Nosferatu war. Es zuckte wild und begann sich schmerzhaft zusammen zu ziehen, als der Wille des Untoten hinein drang und das Gewebe anregte sich auszudehnen und wieder zusammen zu ziehen. Nur widerstrebend blähte es sich auf und sog sich voll mit der kalten, dickflüssigen Suppe die in den Venen Lurkers zäh vor sich hinfloß. Dann stieß es mit einer eruptionsartigen Gewalt eine Lanze von gestohlenem Blut hinaus in die Adern des Vampirs. Prickelnd erwachten die feinsten Verästelungen des toten Blutgefäßsystems zu Unleben.
Es brauchte ein oder zwei dieser Stöße, dann spürte er wie der Saft des geraubten Lebens in ihm brodelte. Seine welken Musklen bäumten sich auf, als die Kraft die ihm inne wohnte sie durchtränkte. Sehnen knarrten wie alte Segel im Wind, als sie sich daran machten den Körper den sie trugen zu Höchstleistungen an zutreiben.
War er auch nicht so stark wie seine Tochter, stand dem ausgemergeltem und vom Fluch der Untoten geschlagenem Nosferatu dennoch mehr Stärke zur Verfügung als dies auf natürlichem Wege möglich gewesen wäre. Er klaubte das Häufchen das seine Tochter war vom Boden auf und warf es sich über die Schulter. Tief ging er in die Hocke, wie ein mutiertes Insekt, dann schnellte er auseinander und raste los. Völlig auf die Katze vor sich fixiert, folgte er ihr durch das Unterholtz. Er achtete nicht auf seine Richtung, oder Entfernungen. Es galt nur an seiner Lotsin dran zu bleiben und den Boden im Blick zu behalten. Sie durften nicht straucheln, oder fallen.
Mit einer Hand unterstütze er seinen Lauf, wie ein monströser Affe rauschte er durch die Nacht. Die Finger der anderen Hand eng um den Leib Strays geschlossen.