Lenore brachte den Van mit ausreichend Distanz zur Jacht zum stehen.
"Und sie wollen sich das wirklich antun, Frau Doktor?", fragte die Blutsklavin ihre Herrin voll ehrlichem Mitgefühl.
"Habe ich denn eine andere Wahl?", erwiderte diese kühl, aber doch mit allem Unmut den Ligeia im Stande war ihrer Stimme beizumengen. Das war zwar nicht sonderlich viel, aber doch noch genug der Färbung um ihrer langjährigen Dienerin zu verstehen zu geben wie ungern sich die Psychiaterin auf das anstehende Possenspiel einließ.
"Vermutlich nicht, nein...", gab Lenore mit einem belegten Seufzen zu. "Ich hoffe bloß es wird ihnen gelingen einen Nutzen aus diesem wenig angenehmen Szenario zu ziehen..."
"Das hoffe ich auch... Aber nun werde ich wohl oder übel dem Ruf der Pflicht Folge leisten müssen. Solltest du mich erreichen müssen, so sei versichert, dass ich mein mobiles Telefongerät mit mir trage. Deine Instruktionen für den heutigen Abend hast du erhalten und als dann du deine Arbeiten ausgeführt hast, ist es dir gestattet deine Zeit frei zu gestalten bis ich deiner Dienste erneut bedarf."
Lenore nickte ergeben. "Natürlich, Frau Doktor. Ich wünsche ihnen trotz der Umstände eine angenehme Nacht."
"Deine Wünsche sind so freundlich wie utopisch... Nun denn, wir sehen uns später. Ich hoffe du wirst den Genuss aus den kommenden Stunden ziehen, welcher mir verwehrt bleiben wird."
Damit kletterte die bleiche Malkavianerin aus dem Wagen und machte sich daran die letzten par Hundert Meter Distanz zur Jacht zu Fuß zurück zu legen. Gekleidet war sie in ein bodenlanges, eng anliegendes Abendkleid aus schwarzem Stoff, welches zwar mit einem tiefen, durchaus Einblicke gewährenden Ausschnitt aufwartete, dafür allerdings die Arme bis zum Handgelenk bedeckte und auch den Rücken unter Stoff verbarg. Die Haare hatte sie in Teilen hochgestochen, wobei einzelne Strähnen noch in Locken bis an die weißen Schultern fielen. Das Schmuckensemble war dasselbe, welches sie auch im Alltag stets trug und bestand aus Gemme, Halsband, Ohrhängern sowie einem Ring. Auffällig war indes, dass sie nun die silberne Taschenuhr mit dem Raben darauf, für welche das Kleid keine Aufbewahrungsstelle bot, an einer langen Kette um den Hals trug, sodass das silberne Kleinod nun unter der Kamée in ihrem Ausschnitt ruhte. Eine farblich zum Dress passende Clutch bildete eine handliche Aufbewahrungsstelle für das wichtigste Handwerkszeug einer Dame, namentlich Handy, Schminkzeug und was auch immer einer Malkavianerin sonst noch angemessen deuchen mochte.
Hohe Absätze schallten vom steinernen Untergrund wider als Raven, welche endlich das einstudierte, ihre Augen nicht erreichende, professionelle Lächeln wieder auflegte, das Schiff erreichte.
Die Vampirin verabscheute Taktlosigkeiten. Aber sie mochte auch Anlässe wie diesen nicht leiden. Dennoch war dergleichen Animosität kein ausreichend legitimer Grund die guten Manieren der eigenen Person zu vergessen. Das hieß, sie würde sich so vorzüglich und anständig geben, wie es einem Treffen dieser Art gebührte. Ein persönlicher Kodex, dem ein gewisser Ermessensspielraum durchaus nicht fremd war.
Doch wer wäre ein Rabe Plutos Gefilde unwürdig zu vertreten?
Ein Umstand, welcher doch bloß all zu verständlicher Weise alle potentiellen Ungenauigkeiten kompensierte und durch allumfassende Klarheit ersetzte. Bedauerlich... Aber Würde und Bürde trennte bekannter Maßen bloß ein einzelner Buchstabe und die Pflicht band jeden Träger der selbigen an beide gleichermaßen.