[18.5.2008] Freundinnen?

"Sicher!"

Schnell war eine der Akten aus der Schublade des Schreibtisches hervorgeholt und übergeben worden.

"Ist übrigens einer der Vorteile der Ventrue. Seit die Archonten hier gearbeitet haben ist alles wesentlich ordentlicher und besser organisiert als früher. Romero hatte zum Beispiel ein Ablagesystem das außer Oliver kein Mensch verstanden hat. Vollkommen ohne jeden logischen Zusammenhang. Dennoch fand er ebenfalls alles auf Anhieb wonach er gesucht hat. Ich habe nie verstanden wie er das gemacht hat. Das sind die strukturen der Archonten wesentlich leichter zu durchschauen und mindestens so effektiv. Du wirst sehen, es wird dir Spaß machen bei denen. Mit Ashton bist du doch auch immer sehr gut... ok nein... vielleicht auch eher nicht."

Lena grinste breit.

"So, Sarah! Ich will dich nicht rauswerfen, aber wir beide haben heute Nacht sehr viel zu tun. Es ist schön, dass du wieder da bist. Ich freue mich, ich hoffe das weißt du?"
 
"Bei wie vielen hättest du heute Nacht eine Umarmung zu gelassen, hmmh? Keine Sorge, ich zwing dir nicht noch eine auf für heute Nacht. Du behältst deine kostbare Würde und deinen Abstand." Melody zwinkerte zwar munter, wirkte dabei aber dennoch irgend wie etwas geknickt. "Und Ashton hatte mich in ein Blutsband gezwungen, Lena, vergiss das nicht. Bei aller Sympathie, die ich für ihn hatte...."

Nun ja, auf in die Nacht. Sie ist noch jung. "

Sarah kam um den Schreibtisch herum und grinste Lena frech an. Hatte sie etwa entgegen ihrer Worte doch noch mal vor sie zu umarmen? Nö... statt dessen öffnete sie eine und nur eine Schublade, holte ihre Waffen raus und steckte sie ein. Dann streckte sie Lena mit einem Zwinkern noch mal die Zunge aus und machte sich etwas albern kichernd dann lieber ganz schnell mit der Akte vom Acker. Etwas ganz einfaches hatte die Prinz sich da wohl nicht eingefangen.

Erst als Melody ihren Helm auf hatte, wurde ihr Blick ernster. Na, das konnte heiter werden. Sie würde an Lena als Freundin fest halten. So viel war sicher. Was nicht so sicher war, war, ob es letztendlich eine gespielte oder eine echte Freundschaft war. Das musste wohl erst die Zeit zeigen. Sie hoffte auf letzteres, gab sich aber keiner Illusion hin.

Ein paar Straßen weiter hielt sie unter ner Lampe an und las in der Akte. Dann wählte sie die Nummer ihres Lieblingsprimogens. Gleich ob die Mailbox ran ging oder Moishe selbst. Ihr Spruch bleib gleich, so fern wenigstens eines von beiden ran ging. Ihre Stimme war zuckersüß.

"Hallo Moishe. Hier ist Melody. Meine Prinz hat mich gebeten, mich noch einmal bei meinem geschätzten Primogen zu melden. Also dir, wie's scheint."
 
War es wirklich richtig sich auf eine andere Person einzulassen?
Sogar dann, wenn es eine der ältesten Weggefährtinnen war, die Lena hatte? Schon zu Lebzeiten, wie Judith. Wie oft waren die drei zusammen losgezogen, hatten gefeiert und die hiesigen Lokale unsicher gemacht. Das war zu Zeiten gewesen, als man das Black Hammer noch nicht kannte und sich das eigentliche Nachtleben eher um die Wiesn herum abgespielt hatte. Vor einer halben Ewigkeit.

Nun waren die drei Frauen tot. Sarah hatte als Opfer des Sabat eine harte Zeit hinter sich gebracht, voller Entbehrungen und Demütigungen, Judith war in einem schrecklichen Feuer umgekommen, schrecklich verbrannt und unter unbeschreiblichen Schmerzen. Gerettet wurde sie, soweit Lena wusste, durch Lord Johardo höchstselbst. Was dann aus ihr wurde, konnte die Toreador nicht sagen. Sie hatte sie schon vorher nicht mehr sprechen können und mit Ausnahme von einem kurzen Treffen, aus den Augen verloren. Sie selbst lieferte gerade ihren Gatten ans Messer und war durch Verrat zum Prinzen der Stadt Finstertal geworden. Oberster Vampir im Höllenloch, sozusagen.

Lena nickte, wie um sich selbst zu bestätigen, dass sie das richtige tat. Sie brauchte Freunde, wenn sie diesen Posten gesund überleben wollte. Wenn es ihr nicht gelang Freundschaften zu schließen und ein wenig das echte Leben zu genießen, würde sie am Ende genauso wahnsinnig werden wir ihr Mann. Einsam dazu, unfähig Gefühle zu empfinden.

Entschlossen erhob sie sich von ihrem Stuhl.
Es war soweit! Die Erkenntnis, nun tatsächlich Prinz dieser Stadt zu sein, war in ihrem Inneren angekommen. Lena erhob sich von ihrem Stuhl im Vorzimmer, ging den Flur entlang und betrat das Büro des Prinzen.

Dies ist jetzt mein Platz! Ich bin Prinz, ich habe die Macht! Und als allererste Handlung in diesem Amt, werde ich dieses fürchterliche, vollkommen überdimensionierte Portrati von Oliver abhängen. Ich habe es schon immer gehasst, soll es in irgendeinem feuchten Kellerloch verroten....

Sie schob den schweren Ledersessel an die Wand und kletterte ihn empor.
 
Ach ja.. Melody hatte ihre Freundin so lange nicht gesehen, da hatte sie einfach eine riesen große Sehnsucht nach ihr. Ein kurzes Treffen in der Nacht reichte einfach nicht aus.

Ne, mal ehrlich. Sie kreuzte wieder bei der Akademie auf, weil ihre Akte ihr Sorgen bereitete. Wenigstens die offizielle Version. Wenn sie die Angelegenheit hier richtig schaukeln wollte, musste sie wissen, was sie erzählen konnte und wie sie ihre eigene Vergangenheit modifizieren musste. Sie brauchte schlichtweg die nüchternen Daten. War sie jetzt offiziell seid 2 oder 4 Jahren Vampir? Wie lang war ihre Lehrzeit bei Ashton? Moishe hatte Fragen gestellt und sie wollte ihm im Sinne einer guten Zusammenarbeit antworten. Für das erste hatte sie abgewiegelt und war sehr unpräzise geblieben. Es ging nicht anders, wenn sie mögliche Unstimmigkeiten vermeiden wollte. Das Treffen mit ihm hatte Melodys Laune etwas verbessert. Die Schießerei bei den Russen gefiel ihr immer noch nicht und sie wartete auf den Anruf von Hergül. Was diese Aktion anging, war sie stinkesauer. Wenn die sich nicht bald bei ihr meldeten, würde sie bei ihnen auf kreuzen und das wäre nicht ganz so erfreulich. Was hatten die sich dabei gedacht?

Aber anyway, das war etwas für eine andere Nacht... dachte Melody, als sie durch die offene Tür der Akademie eintrat und dabei munter mit den Knöcheln der Hand zwei Mal an die Tür klopfte. Sie hatte noch nicht mal vor, die Prinz mit dem Thema zu belasten. Als sie in den Spiegel sah, erwischte sie sich bei einem gutmütigen Grinsen. Das wischte sie sich aus dem Gesicht. Hey.. also.. nicht, dass Lena sie nicht so sehen durfte, ganz bestimmt nicht. Aber wenn so ne Tür offen war, wusste man nie, wer da unter Umständen noch so rum fleuchte und sie hatte Lena versprochen, sie prinzenartig zu behandeln.
 
Auf das Klopfen hin, bekam Melody keine Antwort.
Sie musste wohl oder übel irgendwann ohne Einladung ins Innere treten.

Nachdem sie dies getan hatte, fiel auf, dass Lena nicht hinter dem Schreibtisch saß. Das Büro des Sekretärs/Seneshalls war leer. Mit Ausnahme einer kleinen Schirmlampe auf dem Büromöbel, lag der gesamte Raum im Dunkeln. Sarah fiel jedoch auf, dass die Tür zum Flur und damit in die Gemächer des Prinzen offen stand. Auch hier war es dunkel, allerdings war zu erkennen, dass ein riesiges Gemälde an die Wand gelehnt war. Leider so, dass man nur einen Blick auf die Rückseite der Leinwand erhaschen konnte.
 
Als Sarah in das Büro des Prinzen linste, bekam sie so eine Idee, was das wohl für ein Bild sein könnte. Hey.. nicht grinsen jetzt... Ihre Mundwinkel zuckten verdächtig. "Mein Prinz?" Sie hätte auch einfach Lena rufen können. Oder Prinzlein. Aber noch war sie brav. Sie wusste nicht, wer zu hörte.
 
"Hier!"

Erklang es aus dem Büro des Prinzen. Den Worten folgte ein dumpfes Scharren, fast so als würde ein schweres Möbelstück bewegt.
Als Melody den Raum betrat, fiel ihr auf, dass Lena das Büro komplett umgeräumt hatte. Einige Möbel waren komplett verschwunden (wie etwa das große magische Portrait Oliver Buchets), andere umgestellt oder auf geschmackvolle Weise umarrangiert worden. Alles in allem hatte sich die Ausstrahlung des Zimmers bereits weitgehend verbessert. Aus einer drückenden Atmosphäre war ein freundliches, wenn auch dunkel anmutendes Ambiente geworden.

Die Prinz war fertig und presste zufrieden ihre Fäuste gegen die Taille.

"Besser!", sagte sie mehr zu sich selbst bevor sie ihre Aufmerksamkeit Melody zuwandte.

"Was vergessen?"
 
Ok, ey.. sie konnte nicht mehr anders, Beherrschung hin oder her. Sie grinste fett. Bevor sie aber irgend etwas sprach, bekam Lena die Verbeugung, die ihr als Prinz zu kam. eine übertriebene Verbeugung, aber immerhin.

"Hmmh, offensichtlich. Wenn du nicht mal deine starke Freundin nutzt, wenn du schwere Möbel bewegen willst, habe ich vergessen, dich daran zu erinnern, dass eine Prinz nicht mehr den kleinen Finger rühren darf um irgend etwas selbst zu machen. Sie gefälligst nur hoch herrschaftlich da zu sitzen, mit den Händen zu winken und ihre Untergebenen an zu weisen, alles so zu arrangieren, wie sie es will. Echt mal, warum haste nix gesagt? Mir wär's leicht gefallen." Sie zuckte mit einer Schulter.

Ooooooouuuuuuuuuuiiiiiiii! Nein! NeinNEINNEIN! Das durfte sie nicht tun. Die Toreador konnte sicher sehen, wie die Augen der Ventrue Feuer fingen um kurz darauf eine Schnute zu ziehen. Nein, sie durfte Lena nicht in der Körpermitte packen, umdrehen, hängen lassen und durch kitzeln. Sie durfte nicht. Aber es juckte ihr in den Fingern... so wahnsinnig. Lena war noch zu frisch im Amt und sie hatten sich zu lang nicht gesehen. Sie musste der älteren etwas Zeit geben. Aber aufgeschoben war ja nicht aufgehoben, hmmh? Ein Glitzern blieb in ihren Augen zurück. Zieh dich war an, Lena. Ich mach schon mal die Schneebälle Ja ja, es war erst Frühling. aber der Winter kam! bestimmt!

Der Gedanke wurde mal nach hinten geschoben. Es passte jetzt einfach nicht und die Kleine war nicht mehr nur klein sondern inzwischen den Kinderschuhen entwachsen. Manchmal.

"Hab aber noch was anderes vergessen. Ist mir beim Pläuschchen mit Moishe aufgefallen. Wenn man lieb zu ihm ist, ist er sogar ganz umgänglich. Macht Spaß ihn ein bisschen zu schocken." Da war es wieder, das Grinsen der Ventruegangrel, was sie einfach nicht unterdrücken wollte. Hatte Lena sich wirklich gut überlegt, was sie sich da ins Haus geholt hatte?

"Der hat mich nach meiner Vergangenheit gefragt und durchaus zu recht. Ich bin vage geblieben wird ihm aber noch n paar mehr Antworten geben müssen mit der Zeit. Mein Problem: ich hab keine Ahnung was du in meine neue Akte geschrieben hast. Ich muss da mal rein luschern oder wenigstens n paar Daten von dir kriegen, damit ich nicht irgend n Scheiss erzähl oder mich verhaspel. Bin ich zwei oder vier? Hatte Ash mich zwei Jahre oder zwei Monate, bevor er mich frei sprach. Wo war ich von 2006 bis 2008? Gibt's da einfach keine Aufzeichnung, war ich Kind, einfach noch Ghul oder gar verschleppt/vermisst?

Und dann haben wir zwei noch was vergessen. Ich habe nicht eine von den verfickten Fähigkeiten der Ventrue. Bisher war ich auch in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend und hab ihm nur gesagt, dass mein Schwerpunkt wegen meiner kurzen Lehrzeit bei Ash eher dem Clan der Gelehrten entspricht. auch an den Haaren herbei gezogen, ich weiss, aber immer noch besser als in die andere Richtung zu gehen. Kannst und wirst du mir n Teil von dem Zeug bei bringen oder soll ich echt versuchen, mir alles von Moishe zu holen und hoffen, dass er nicht klug genug ist um das alles sehr seltsam zu finden?"
 
"Untersteh dich!", das Funkeln in den Augen der anderen war Lena durchaus aufgefallen. Ihr eigener Blick zog diesbezüglich eine deutliche Grenze. Sie war nun Prinz, Prinzen wurden nicht gekitzelt. Hieß es...

"Das mit den Möbel war eine spontane Eingebung. Eigentlich wollte ich nur dieses scheußliche Gemälde abhängen. Aber dann fehlte etwas an der Wand, das gesamte Arrangement passte nicht mehr und so kam eines zum anderen. Die Prinz warf einen Blick durch das Zimmer, schnaufte unnötiger Weise und wischte sich ebenso grundlos über die Stirn. Andenken an ein Leben, dass erst so kurz verloren war und doch in so weiter Ferne schien.

"Ich darf dich die Akten nicht durchsehen lassen, nicht einmal wenn ich wollte. Wir können die wichtigsten Eckdaten gleich gemeinsam durchsprechen, wenn du möchtest? Ich habe deine Unterlagen in der rechten oberen Schublade meines Schreibtisches liegen, weil ich dort vorhin bereits alle besprochenen Änderungen vorgenommen habe. Warte doch bitte vorne im Sekretariat, ich bin in genau zehn Minuten bei dir und dann schauen wir mal. Lass mich das hier nur eben fertig machen."

Der Blick der Toreador war vielsagend, gefolgt von einem schnellen Zwinken.
Blieb zu hoffen, dass Melody verstand...
 
Ja, es gab eben Prinzen und Prinzen und diese Prinz stand auf einem anderen Blatt als alle anderen Prinzen, die Melody je kennen gelernt hatte. Womit der Ehemann von Lena gemeint war. Die Toreador verstand aber echt nicht viel von Menschenführung. Oder anders betrachtet hatte sie genügend gesundes Misstrauen, dass Melody so einen Unsinn wirklich umsetzen würde. Es war ein Fehler, dieses 'Untersteh dich.' Na ja... wenigstens wenn Frau wirklich keine Attacke wollte. Die Toreador konnte ein Versprechen in den Augen ihrer Ventrue aufflammen sehen. Diese Sache war noch nicht vorbei. Melody würde Lena erwischen. Sie wusste noch nicht wann und nicht wie, aber sie würde es tun. Lena brauchte das schlicht um nicht ab zu heben, um sich ein wenig normalität bewahren zu können. Ja klar, Melody wollte Lena nicht ernsthaft verletzen oder ihrer Würde zu rauben... Es war irgend wie so, wie einem sehr gestanden Mann mit einer Abneigung gegen angeblich weibliche Farben irgend was rosanes oder pinkes zu schenken. Nicht, dass Melody ohne weiteres etwas in dieser Farbe besaß. Für Lena musste das eh etwas anderes sein. Für den Moment durfte sie jedoch all ihre Würde behalten und wurde nicht angegriffen. Melody würde ihr nichts ernsthaft boshaftes tun oder sie schädigen. Das lag nicht in ihrem Interesse. Aber sie würde ihr eine Pause von dieser schrecklichen Steifheit verpassen. Das hielt ja niemand auf Dauer aus oder konnte ernsthaft damit glücklich sein.

So so. Lena brauchte also kurz zehn Minuten... für was? Für weiter Möbel rücken? Am Arsch! Wahrscheinlich für die Änderungen, die sie erst jetzt noch machen wollte. Von wegen schon erledigt. Aber hey, natürlich würde sie Lena die Zeit geben.

„Ja ja, schon gut.“, sagte Melody lachend. „Lass dir Zeit.“ auch sie zwinkerte der Toreador zu und ging in den Vorraum.

In dem ein Schreibtisch stand.

Melody legte ihren Kopf schräg und sah zurück zum Prinzenbüro. Nee, oder?

Süße, das hier ist doch aber nicht dein Schreibtisch. Dein Schreibtisch steht da hinten in dem Büro, in dem du jetzt gerade drin bist.

Es war die Formulierung mit den exakt zehn Minuten, die Melody zwar einen kleinen Tick spät den richtigen Groschen fallen ließ aber... Lena war ihr vorhin schon nicht böse gewesen, als sie mal ungefragt an den Schreibtisch im Vorraum gegangen war. Selbst wenn sie die Prinz falsch verstanden hatte, gab es wohl nicht all zu viel bös auf die Finger, oder? Wo waren eigentlich in diesem Raum die Kameras unter gebracht? Mit einem kleinen Kopfschütteln und grinsend setzte sie sich erst gar nicht auf die falsche Seite des Schreibtisches. Sie vergewisserte sich noch mal, dass die Tür zu diesem Büro war, für den Fall, dass ein Besucher durch die offene Eingangstür kam. Ohne Zweifel gab es dafür einen Mechanismus zum Öffnen, den Lena betätigte, wenn jemand kam. Sie würde Zeit haben, unschuldig zu wirken, bevor jemand rein spazierte.

Die junge Ventrue machte sich mal an der oberen rechten Schublade des Schreibtisches zu schaffen. Wenn ihre Akte nicht drin war, konnte sie sie – vielleicht – einfach wieder zumachen, wenn auch nix anderes interessantes drin war.
 
Tatsächlich befand sich die Akte an dem beschriebenen Ort. Zusammen mit einigen anderen Dossiers war sie fein säuberlich in der Schublade gestapelt. Melody fand einige eher dünne Akten, wie zum Beispiel die eines Rosselini oder einer Frau Raven. Ihre eigene war im Gegensatz dazu äußerst umfangreich, nichts jedoch im Vergleich zu der ganz unten liegenden Akte. Einem beeindruckenden Wälzer, der den Namen Färber trug.

Anscheinend hatte sich Lena etwas bei den zehn Minuten gedacht, denn dass war in etwa die Zeit die Sarah für die halbwegs genau Durchsicht ihrer eigenen Unterlagen benötigen würde. Besonders, wenn sie daran dachte sich die ein oder anderen Eckdaten zu notieren. Für einen Blick in die anderen Unterlagen war nicht genügend Zeit...
 
Rosselini und Färber waren die Akten, die die Ventrue neugierig machten. Die eine Akte war einfach wunderbar dick und der andere klang schlicht zu italienisch um sie nicht neugierig zu machen. Aber sie hatte nur zehn Minuten, inzwischen sogar nur noch neun. Nach wie vor ging sie auch davon aus, nicht ganz so unbeobachtet zu sein, wie es den Anschein hatte. Wenn sie wollte, dass Lena ihr noch mal Freiheiten gestattete, war sie lieber brav. So seufzte sie leicht, rollte mit ihren Augen und setzte sich auf den Platz, der nicht ihrer war. Auf dem Schreibtisch landete also nur ihre Akte so wie ein leeres Blatt Papier und ein Stift.

Die Daten, die Melody sich notierte, wurden ohne Bezug aufgeschrieben. So plietsch war sie noch, dass sie in der Reihenfolge das Datum ihres Einstiegs als Ghuls, ihre Umwandlung zum Vampir und ihre Freisprechung zu ordnen konnte ohne sich daneben zu schreiben, was es jeweils genau war. Mit den exkaten Daten verhielt es sich da anders. Es waren zwar nicht viele, aber sie wollte sich die Peinlichkeit ersparen, noch mal fragen zu müssen. Eine Augenbraue hob sich und sie lachte kurz lautlos auf. Es war mehr an dem Hüpfen ihres Burstkorbes und ihrer Schulter zu erkennen und an ihrer Mimik als irgend was anderem. Offiziell war sie also erst zwei und nicht vier. Und nach sieben Wochen war sie frei gesprochen worden, was laut Akte ihrer langen Zeit als Ghul zu geschrieben wurde. Dahin waren nämlich die zwei gepackt worden, die sie mit Wolf verbracht hatte. Hach, was für eine schöne Formulierung: 'In einer Vermittlung offener Gefälligkeiten wurde Frau Sarah Schmidt in die Verantwortung von Herrn Price überstellt.' Danach kam wurde noch erzählt, wann sie genau gewandelt wurde und so weiter. Tja. Musste Ashton nun bezahlen, in dem er sie bei sich auf nahm oder war er belohnt worden. So ganz klar schien da die Akte nicht sein zu wollen. Eine Woche nach ihrer Freisprechung war Ashton gestorben und ihre Lehrzeit damit komplett geendet. Na, das würde Moishe doch sicher freuen... und ihm sehr verständlich machen, warum sie damit gezögert hatte, offen mit der Sprache raus zu rücken. Nach Ventruekriterien hatte sie einen Hauch von Nichts an Ausbildung genossen. A pro pro Ventruekriterien: ihre angebliche Abstammung mir ihren 'Ahnen' fand ebenfalls Platz auf ihrem Zettel. Die musste sie auswendig lernen. So viel hatte sie bei Ashton sehr wohl gelernt. Da legten die wert drauf.

Nach weiteren acht Minuten legte sie ihre Akte wieder brav in die Schublade oben rechts, machte sie zu und verstaute auch den Stift wieder brav an seinem Platz. Das Papier wurde gefaltet und wanderte in ihre Hosentasche. Dann nahm die Ventruegangrel auf der anderen Seite des Schreibtisches Platz und wartete ganz brav auf ihre Prinz, wie es sich gehörte.
 
Wenige Augenblicke später, exakt nach zehn Minuten betrat Lena das Büro.
Es schien, als würde das Licht selbst ängstlich vor ihr zurückweichen. Der Effekt war nur sehr schwach zu erkennen, da das Büro lag sowieso in einer Art Halbdunkel, so dass die unnatürliche Verringerung der Helligkeit nicht sonderlich ins Gewicht fiel.

"Bevor wir deine Fragen erörtern, Sarah, habe ich ein dringendes Anliegen an dich um das du dich umgehend kümmern musst. Allem Anschein nach, ist es unter der verschiedenen Fraktionen des organsisierten Verbrechens zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Als ob dies nicht schon schlimm genug wäre, haben sich einige unvorsichtige Kainiten dieser Stadt in die Gefechte hineinziehen lassen. Leider auf sehr auffällige Art und Weise."

Lena hatte ihren Platz erreicht und setzte sich hin.

"Es hat Zeugen gegeben, die mitansehen mussten, dass einige der dortigen Kämpfer Opfer thaumaturgischer Magie wurden. Leider in erschreckend offensichttlicher Art und Weise."

In kurzen Worten gab die Prinz die Fakten aus den verschiedenen Zeugenaussagen weiter, die sie bisher hatte sammeln können.

"Du musst dich also zum einen um die Zeugen kümmern. So nachhaltig wie nur irgend möglich. Und zum anderen nachforschen, warum es überhaupt zu derartigen Streitereien gekommen ist. Ich nehme an, dass es letztlich etwas mit dem Verschwinden Zieges und dem hierdurch entstehenden Machtvakuum zu tun hat. Dies aber, ist nur eine Annahme! Wie dem auch sei, erst wenn wir wissen worin die Ursache liegt, können wir an einer Lösung arbeiten."
 
„Na Prost Mahlzeit.

Mich hat diese Schießerei eh schon geärgert, aber ich hab noch die Füße still gehalten. Was du da erzählst, bestätigt meinen Verdacht, dass die Italiener mal eben zum Erstschlag ausgeholt haben. Nach dem, was ich weiss, beschuldigen die Russen die Italiener eines Angriffes und die geben sich keiner Schuld bewusst. Mag sein, dass sie einfach mal zeigen wollten, wo der Hammer hängt. In anderen Städten wurden sie zu großen Teilen bereits übel durch den Osten vom Markt gedrängt. Dank Marty sah es hier anders aus. Derweil haben sie mich hübsch auf die Warteschleife gesetzt. Seid gestern warte ich auf einen Anruf von Hergül. Wahrscheinlich wollten sie noch mal eben Fakten schaffen, bevor ich mich mehr einmische.

Und Süße.. red Tacheles mit mir: Was genau willst du von mir? Die Namen der Italiener, die das gemacht haben, muss ich erst ausfindig machen. Witzig find' ich das nicht. Also, nicht das heraus finden, sondern die Aktion, die die da vom Stapel gerissen haben. Meiner Meinung nach geht das nicht nur gegen die Russen sondern auch gegen meine Monopolstellung und es ist der erste Teil des Testes, dem die Herzchen mich da unterziehen wollen. Da darf ich mich wahrscheinlich noch ganz schön warm anziehen und jede Minute, in der sich Hergül nicht bei mir meldet, stimmt mich nicht gerade freundlicher. Vor allem, weil sie es vergeigt haben. Diesen Kameniev kenn' ich nicht. Aber er ist kein kleines Tier bei denen.

Wenn du davon redest, dass du alle drei tot sehen willst, wenn du von nachhaltig 'kümmern' sprichst, dann könnte das in Bezug auf die Italiener relativ einfach funktionieren, würde aber meine Position bei denen in kein gutes Licht rücken. Auch die können zwei und zwei zusammen zählen, falls die schon irgend was geredet haben. Hast du schon die Namen der drei toten Italiener? Dann kann ich mir vielleicht noch besser denken, wer die zwei überlebenden sind.

Was den Kameniev angeht.. wenn ich den um die Ecke bringe, falls ich an ihn heran komme in Anbetracht der neuen Lage...

Ich weiss nicht, ob es klug wäre ihn umzubringen. Das würde den Krieg höchstens verschärfen. Merkulenko und Fravlov sind dann immer noch da. Reden werden beide Parteien höchstens untereinander. Die lassen so was nicht so leicht nach aussen dringen. Ein wenig Grips haben die auch.

Also: Was genau meinst du mit nachhaltig kümmern?Wenn du wenigstens teilweise eine nicht letale Vorgehensweise vor ziehst: Kann Moishe das Gedächtnis von Leuten ausreichend beeinflussen? Falls nein, wen kannst du mir an die Hand geben?“

Melody schnaubte leicht. „Womit wir auch wieder bei dem Thema wären, dass mir ein paar Fähigkeiten der Ventrue fehlen.

Wer ist überhaupt der glückliche Tremere, der die Schweinerei angestellt hat und wer sind die anderen und was hatten die da zu tun?“

Out of Character
Hat Melody ne Idee, wer die Angreifer konkret waren und wo sie die finden könnte nach so einer Aktion oder muss sie in der Hafenkneipe anfangen?
 
Out of Character
Melody kennt die beiden bestimmt, wenn wohl auch nur flüchtig. Aber sie hat derzeit viel zu wenig Information um damit auf einen Namen zu kommen. Allerdings dürfte das im Nachgang kein Problem darstellen...


Bei dem Wort Süße wanderte für einen kleinen Augenblick die rechte Augenbraue der Prinz nach oben.

"Das solltest du bei den Tremere in Erfahrung bringen, es ist nicht an mir solche Daten weiter zu geben. Diskretion ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Oder eigentlich die meines Sekretärs... den ich noch nicht habe. Du weißt was ich sagen will...!?"

Ein Schulterzucken.

"Was ich will ist, dass der Krieg in der Mafia aufhört, bevor er noch höhere Wellen schlägt. Allein die Schießerei hatte bereits mindestens zwei Augenzeugen und einen Mitspieler aus unseren Reihen. Kainiten, besonders die hier ansässigen werden von Problemen angezogen wie Motten vom Licht. Das kann langfristig nicht gut gehen, also müssen wir das schnell beenden. Was ich also von dir erwarte ist, einen Weg zu finden der den Krieg beendet. Mir egal ob dafür jemand getötet, bestochen oder erstetzt werden muss. Hauptsache es kehrt Ruhe ein. Wenn du finanzielle oder behördliche Hilfe benötigst, kannst du diesbezüglich voll auf mich zählen. Das Gleiche gilt für die unfreiwilligen Augenzeugen, meines Wissen waren das nur ein oder zwei Kleingangster. Die musst du zum Schweigen bringen. Oder bringe mir wenigsten ihre Namen, damit sich jemand anderes den Problemen annimmt. Zeugen sind derzeit das Letzte was wir gebrauchen können. Besonders wenn sie Zeugen von Blutmagie wurden."
 
Was denn? Wollte die Prinz den etwa bestreiten, dass sie ne hübsche Frau war? So, wie Melody das Wort verwendete, war es aber auch nicht abwertend gemeint, es entsprach nur nicht der Etikette.

„Jau, du hast 'n Arsch voll Arbeit.

Und ich bin nicht mal eine Nacht offiziell wieder in den Reihen und darf sehr viel mehr Müll weg räumen, als ich eigentlich vor hatte. Ich kenn nur 'n Bruchteil der aktuellen Leute in der Stadt und mindestens die hälfte von denen wird mir wegen Marty erst mal nicht richtig über den Weg trauen. Sei's drum. Dein Wunsch ist mein Befehl. Ich werd' sehen was ich tun kann.

Gilt die alte Order noch, nach der man sich Ghule genehmigen lassen muss? Mal abgesehen davon, dass du selbst auf der suche bist, werde ich wohl auch daran denken müssen. Eigentlich wollte ich einen. Einen, der Ahnung vom Geschäft hat. Reicht dieser mündliche Antrag? Was die Zeugen angeht... wenn ich das als Option hätte, hätte ich etwas mehr Handlungsspielraum. Ob da dann tatsächlich bei einem was in die Richtung läuft, würde ich dir natürlich brühwarm erzählen. Wenn die Tremere so'n Mist gebaut haben, sollten die eigentlich auch jemanden stellen können, der für mich im Gedächtnis der Leute ausreichend rum pfuscht, wenn Moishe nicht kann.

Weisst du was? Nimm dir einfach eiskalt 'ne Nacht frei. Maniküre, Pediküre oder so. Tu dir was Gutes. Oder erweise den Prinzen der umliegenden Domänen deine Referenz, wenn du unbedingt was tun musst. Oder räum' dein Haus genau so um wie dein Büro. Aber wenn du das machst, ruf mich an. Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt bin, dir deinen anderen Müll von der Tür weg zu kehren, helf' ich dir dabei. Mach hier einfach mal für ne Nacht dicht. Du hast genügend anderes an den Backen. Ich fand's so wie so heiß, dass dein Mann die Akademie fast grundsätzlich zu jeder Nachtzeit offen hielt. Warum sollen die Neulinge jederzeit hier antanzen können? Du solltest ernsthaft darüber nachdenken, offizielle Öffnungszeiten ein zu richten. Eine Stunde am frühen Abend und eine gegen Morgen oder so. Dann kann sich niemand beschweren und du hast noch Zeit für anderen Kram. Das sollte auch für deinen Sekretär gelten, wenn du dann einen hast. Für wirklich wichtiges können die Leute ja immer noch wagen dich oder ihn zu stören und dann ist es ganz in deinem Belieben, ob du die Störung für ausreichend gerechtfertigt hältst oder nicht.“



Tja.. scheinbar hatte sogar jemand wie Melody konkrete Vorschläge, wie man eine Regierung gestalten könnte. Aber echt mal. Es war doch 'ne Unart, wie jeder glaubte, hier zu jeder Zeit einfach eintrudeln zu können und bedient zu werden. Melodys Lippen zuckten. Sie war ja selbst nicht besser! Aber sie war ja auch kein ganz normaler Untertan.
 
"Die Akademie die ganze Nacht geöffnet zu lassen, war kein Akt der Nächstenliebe sondern ein Resultat der Notwendigkeit. In einer Stadt wie Finstertal ist eine verantwortliche Anlaufstelle für Probleme unverzichtbar. Ich habe damals aus erster Hand mitbekommen, wie sich aus festgelegten Öffnungszeiten diese noch immer geltende Regelung entwickelt hat. Und das war kurz nach dem Krieg, als Finstertal nicht einmal die Hälfte der heutigen Bewohner hatte. Abgesehen davon, dürfte es ein schlechtes Licht auf mich und meine Sorge um diese Stadt werfen, wenn ich plötzlich anfange sie sich selbst zu überlassen."

Melodys Vorschlag entbehrte jeder Grundlage und war wohl mehr aus dem Wunsch heraus geboren, Lena hin und wieder für sich allein zu beanspruchen und hatte aufgrund dessen nicht das geringste mit Vernunft zu tun.

"Ich habe große Ziele für diese Stadt und mir viel vorgenommen. Du wirst dich mit dem Gedanken abfinden müssen, Sarah, dass mein hauptsächliches Augenmerk zukünftig allein Finstertal gilt. Oliver hat die Stadt von einer Katastrophe in die nächste geführt und für viel Leid gesorgt. Es wird Zeit dass sich das ändert. Ich bin seine Frau und dadurch mitverantwortlich. Ich wurde gewählt und viele der Ahnen haben mit ihr Vertrauen ausgesprochen. Ich habe nicht vor, es zu enttäuschen."

Ihr Blick wurde ungewöhnlich hart.

"Das steht nicht zur Diskussion, also versuch gar nicht erst mir das auszureden. Versuch mir stattdessen zu helfen, dieses Ziel zu erreichen. Irgendwann, wenn alles wieder besser läuft, werde ich deinen Vorschlag vielleicht annehmen und ein paar Tage mit dir in den Urlaub fliegen. Ich könnte dir meine Heimat zeigen, den Ort in dem ich geboren und aufgewachsen bin."

Ein Seufzer kroch den Hals der Prinz hoch, gelangte dank ihrer Körperkontrolle jedoch nicht bis nach außen.

"Irgendwann....!"
 
Sarah kam sich vor wie ein gescholtenes Kind. Nicht zuletzt lag es daran, dass Lena sie wieder Sarah nannte und nicht Melody. Die Prinz konnte sehen, wo die Ventrue aufbegehren wollte, protestieren. Es war dieser Part mit dem 'du wirst dich mit dem Gedanken abfinden müssen...' Die Prinz sprach weiter und die Ventrue bekam die Chance nicht gleich auf zu brausen. Weiter zu denken. Etwas, was ihr alles andere als leicht fiel.

Die Sätze danach machten es ja auch nicht besser.

Statt dessen saß sie zurück gelehnt auf ihrem Stuhl und sah die Prinz an, wartete, bis sie fertig war. Nicht nur Lena konnte Sekunden verstreichen lassen. Die junge Prinz konnte beobachten, wie die Frau vor ihr nachdachte, bevor sie endlich sprach und ihr direkt in die Augen sah. Als erstes lehnte sie sich vor.

„Du musst bei mir nicht kämpfen, Lena.“

Der Satz stand erst mal im Raum und durfte wirken.

„Hör zu, ich kann nicht sagen, dass kein anderer als Prinz meine Mitarbeit bekommen hätte, schon allein aus einem Überlebensinstinkt heraus, aber keiner ausser dir hatte die Chance, mich so sehr hinter sich zu haben wie du. Nicht einmal dein Mann. Weil wir befreundet waren.

Wenn ich dir etwas sage, erwarte ich – als Freundin, nicht als deine Untergebene – dass du es hörst und nehm'' mir dabei ein paar mehr Freiheiten heraus als ich von meinem Status als Untergebene her dürfte. Wenn Moishe oder jemand anderes hier mit bei wäre, hätt' ich das so nicht gesagt. Ich bin noch keine dreisig. Menschen kommen in meinem Alter gerade eben erst aus ihrer Sturm und Drang Zeit heraus. Ich bin schon einmal fast in unserem System unter gegangen. Das wird mir nicht noch mal passieren.

Ich weiss viele Dinge nicht und hatte bei vielen anderen keine Gelegenheit sie bisher zu lernen. Ich wusste nicht, dass die Sprechzeiten einmal anders waren und es gnadenlos in die Hose gegangen ist. Ich habe dir die Idee in keiner bösen Absicht genannt. Ich bin dir dankbar, dass du mir deine Gründe genannt hast, warum du es für eine schlechte Idee hälst. So kann ich lernen und deine Beweggründe besser verstehen. Nicht mal das hätte es gebraucht. Ein schlichtes 'Nein' von dir, weil du nach deinem Abwägen zu einem anderen Ergebnis gekommen bist, hätte da gereicht.

Und hör zu, hör genau hin, was ich dir gesagt hatte: Ich helfe dir bei deinem persönlichen Kram, wenn ich nicht mit deinem anderen Müll beschäftigt bin. Damit meinte ich die Stadt. Ich weiss dass die Stadt Vorrang vor allem hat und habe es schon längst akzeptiert. Und ich stehe hinter dir. Ich will nicht behaupten, deine zuverlässigste Verbündete zu sein. Das kann ich gar nicht, weil die anderen nicht kenn'. Was ich dir sagen kann, dass du in mir jemanden hast, den du getrost deinen Rücken decken lassen kannst und der dir keinen Dolch hinein jagen wird, ganz gleich in welche Richtung du marschierst, denn ich bin nicht nur bei dir, weil du die Prinz bist. Ich musste in den letzten Jahren auf die unangenehme Art erwachsener werden und es hat mich verändert. Es hat mich härter gemacht und ich brauche diese Härte auch dringend bei dem, was ich tun will und wozu ich mich entschieden habe. Mir ist auch klar, dass ich ein Werkzeug für dich bin. Ein Werkzeug, dass du einsetzt und gebrauchst wie es für dich von Nutzen ist. Und bei dir ist dieses Werkzeug willig und sträubt sich nicht.

Es bittet um die Erlaubnis, gleichzeitig der Pickel an deinem Arsch sein zu dürfen, der dich daran erinnert, dass es manchmal auch noch andere Dinge gibt. Man muss nicht immer darauf hören, vor allem, wenn es in seiner Eigenschaft als Pickel spricht und nicht als Werkzeug, aber wenn Zeit dafür da ist, kann man es ja vielleicht mal zwischendurch beachten. Aber das geschieht nur mit deiner Erlaubnis und deinem Einverständnis, Lena, denn eins bleibt Fakt: Du bist die Prinz und ich jemand, der in deinem Lehen lebt. Wenn das der richtige Ausdruck dafür ist. Ich brauche das mindestens so sehr wie du. Ich seh' mich sonst zu hart werden. Du bist die einzige, die mir als Freundin oder so geblieben ist und neue...“ Melody zuckte mit der Schulter. „Moishe ist netter als angenommen, aber jeden, den ich jetzt kennen lerne, lerne ich unter anderen Vorzeichen kennen als dich damals. Ist es wirklich so falsch zu versuchen sich ein klein wenig Menschlichkeit bewahren zu wollen bei aller Härte, die wir entwickeln müssen?

Ich bin da. Ich werde dir helfen.

Und manchmal mag ich dich ein wenig nerven dürfen.“

Na gut... auch ein wenig öfter.... aber das musste jetzt wohl gerade nicht laut ausgesprochen werden, oder? Melody war gespannt, ob die Prinz noch von selbst wieder auf die anderen Fragen zu sprechen kommen würde die Melody benannt hatte, oder ob sie sie geflissentlich ignorierte. Und wenn sie das tat – durfte sie es dann als stillschweigende Zustimmung interpretieren?
 
Einmal mehr reagierte Lena mit Schweigen.
Länger diesmal und mit versteinertem Gesicht. Besonders letzteres war für sie äußerst ungewöhnlich, denn bei ihrer ausgeprägten Körperbeherrschung bestand eigentlich überhaupt kein Grund dazu. Jeden noch so unbedeutenden Gesichtsmuskel hatte die Toreador mit Perfektion unter Kontrolle. Das sie sie ausnahmlos einfrieren ließ, war kein gutes Zeichen.

Sekunden verstrichen, wurden zu Minuten. Lena fasste sich an die Stirn und sah zu Boden.
Ein leiser Seufzer erklang, dem endlich Worte folgten.

"Danke Sarah!", im Gegensatz zur Ventrue empfand Lena das nennen des Vornamens als Akt der Zuneigung. Es schien ihr aufrechter als sich 'nur' mit einem Spitznamen zu begnügen. "Du darst immer offen und direkt mit mir sprechen. Alles andere aber, meine Abwehr gegen deine Annäherungsversuche und dein für mich so wichtiges Angebot einer aufrechten Freundschaft..."

Noch immer wusste Lena nicht, wie sie ihre Gefühle und Sorgen in Worte fassen sollte. Sie behalf sich stattdessen und ließ stumm ihre Kräfte walten. Die Dunkelheit um die Frauen herum verdichtete sich, schien ein Eigenleben zu entwickeln und sich lauernd überall in den Schatten um sie herum zu bewegen. Irgendetwas befand sich dort in der Dunkelheit, keine Wesenheit an sich, weder Spuk noch Dämon, sondern etwas wesentlich älteres. Nicht greifbar, nicht einmal wirklich präsent, weder gut noch böse oder überhaupt in irgendeiner Weise an der Welt der Lebenden interessiert. Es wirkte wie eine unbeschreibliche Wesenheit, ein Gigant des Nichts, die desinteressiert an dieser Form der Wirklichkeit vorbeischwamm. Wie die pervertierte Form eines Wals, der unbekümmert an einem kleinen Beiboot vorbeischwimmt, es aber nicht einmal wahrnimmt weil dieses kleine Boot für seine Existenz nicht im mindesten von Interesse sind. Kenner der Romane von H.P. Lovecraft würden sofort verstehen was Lena und Melody in dieser Sekunde empfinden mussten.

"Ich bin Prinz dieser Stadt! Ich bin ein guter Mensch, ja sogar aus Sicht eines Raubtiers und Vampirs habe ich stets versucht mir ein Maximum an Menschlichkeit und Güte zu bewahren. Mit Ausnahme der Zeit in der ich besessen war, habe ich stets mit Stolz und Freude auf mein bisheriges Leben zurückgeblickt. Trotz meiner Zeit als Ghul, in der ich an die Befehle meines Herren gebunden war. Trotz meiner Sklaverei! Nachdem mich aber dieses portugiesische Weib endlich aus ihren Klauen entließ und dann, wenig später, schlussendlich starb..."

Lena räusperte sich hilflos.

"Hat sie etwas in mir hinterlassen, dass ich nicht fassen kann. Es ist mehr als die Kunst den Schatten befehlen zu können. Ich... ein Teil von mir... nein... Nein, so stimmt das nicht... Ein Teil meines selbst, ein Teil meiner Seele ist zur Dunkelheit geworden. Vieles davon ist mir erst heute Nacht bewusst geworden. Nachdem die Last des Verrats und die Angst vor der Zukunft von mir abgefallen sind, konnte ich mich endlich mit mir selbst beschäftigen. Der Bruch mit Oliver, auch der leistete hierbei seinen Beitrag. Weißt du Sarah, ich habe keine Ahnung was das ist und was es aus mir machen wird. Vielleicht bin ich deswegen so bestrebt die Stadt zu einem besseren Ort zu machen? Vielleicht habe ich deswegen die Tür zur Akademie offen gehalten? Weil ich nach Antworten suchte... nach Erlösung?"

Ein kaum spürbares zittern ihres Kinns war zu sehen, nur einen Augenblick lang.

"Die Dunkelheit bereitet mir keine Angst! Weder die undruchdringliche Schwärze um uns herum, noch die in meiner Seele. Dunkelheit ist hier nicht automatisch mit Worten wie Bosheit und Niedertracht gleichzuziehen. Diese Dunkelheit ist anders! Sie ist das Nichts, die Verkörperung der Unendlichkeit der Leere. Erschreckend und Fasziniernd zu gleich. Ich liebe es aus den tiefsten Tiefen meines Herzens heraus und fürchte es zugleich. Nicht wegen dem was es ist, sondern wegen dem was es aus mir machen könnte. Deshalb Sarah, bin ich reserviert. Ich bin deine Herrin! Dein Prinz! Ich bin die Macht in dieser Stadt! Gleichzeitig aber auch eine Frau die eine tiefgreifende Veränderung durchmacht. Eine Veränderung die aus meinem Innersten hervortritt und bei der mich niemand unterstützen kann. Ich muss das alleine durchstehen, weil es einzig und alleine mich betrifft."

Sie hatte sich wieder gefasst und schien so unnahbar wie zuvor.

"Deshalb Danke, Sarah! Ich danke dir für deine Freundschaft und deine Liebe. Nichts würde mich glücklicher machen, als dein Freund zu sein und Zeit mit dir zu verbringen. Aber... und das ist etwas mit dem du dich abfinden musst... es wird sich für alle Zeiten ein unüberwindlicher Graben zwischen uns befinden. Ich bin nicht mehr nur Mensch oder Vampir... ich bin anders... nicht mehr... nicht besser... nur anders..."

Kaum vernehmbar schlich sich ein Seufzer in die Stimme.

"Bitte verstehe mich! Ich grenze dich nicht aus, ich muss nur selbst erst einmal verstehen wer und was ich bin. Wie kann ich einem anderen gestatten mein Innerstes kennenzulernen, wenn ich genau das selbst nicht kenne..."
 
In Sarah kroch Angst hoch.

War sie dieses Mal zu weit gegangen? Sie konnte, durfte, wollte Lena nicht verlieren. Im Stillen begann sie schon damit, sich für ihre unbedachte Art zu verfluchen, als die Dunkelheit aufwallte.

Keiner, der nicht Teil dieser speziellen Dunkelheit war, fühlte sie je richtig wohl in ihr. Es sprach irgend welche Urininstinkte an, sorgte dafür, dass die Nackenhaare sich auf stellten. Und Sarah war kein Teil dieser Dunkelheit, war es nie gewesen.

Aber sie war auch nicht Camarilla. Sie hatte zwei Jahre mit dem Sabbat verbracht und ja, selbstverständlich hatte sie auch den Schatten kennen gelernt. Sie waren im Sabbat gar nicht so viel anders als in der Camarilla, wie alle immer sagen mochten. Manche Sitten waren rauer aber hier wie da konnte man schnell sterben, wenn man die falschen Dinge tat. Hier wie da war Arschkriecherei gang und gebe, etwas, worüber Sarah am liebsten die Nase rümpfte

Die Dunkelheit machte ihr eine Gänsehaut. Der maßlose Schrecken blieb aus. Er hätte auch gar keine Chance mehr gehabt, nach dem Felsen, der ihr gerade vom Herzen weg geplumst war, als Lena endlich zu reden begonnen hatte. Zum Glück hatte ihr Fuß nicht im Weg gestanden.

„Ich weiss.“, sagte sie schlicht. Sie hatte ihre Worte zuvor mit Bedacht gewählt. Ob Lena es gehört hatte? Sie würde es nicht noch einmal sagen und nicht deutlicher machen, als sie es bereits getan hatte. Die Stadt, die Camarilla... das waren für Sarah höchstens Wege zum Ziel, so, wie es wohl für viele Vampire war. Ihre Loyalität hatte sie gerade der Frau vor sich geschenkt. Sie hatte zwar den Begriff 'Prinz' verwendet, aber ihre Loyalität ging über die Sekte hinaus.

Löste Lena eigentlich nur in ihr das Bedürfnis aus sie in den Arm zu nehmen und in Watte zu packen? Dieses Mal unterdrückte Melody das schelmische Lächeln auf ihren Lippen und in ihren Augen. Sie war darin besser, als man vermuten mochte, wenn man sie normaler Weise sah. Ein Schelm, wer Absicht dahinter vermutet. Sie traute Lena durchaus zu, auch das zu benutzen - Beschützerinstinkte zu wecken. Man merke: ein vier Jahre alter Vampir, der einen zwar noch jüngeren, aber sehr viel mächtigeren beschützen will. Es war schon ein klein wenig zum schießen. Bei anderen, wichtigeren und mächtigeren als ihr selbst mochte es genau so funktionieren.

Und es war egal. Es war einfach nicht wichtig.

Es änderte nicht das geringste an der Einstellung der Frau vor Lena, deren Stimmung sich drehen konnte wie ein Fähnchen im Wind, fluchs und gewandt. Allerdings nur ihre Stimmung.

Hmmmh... vielleicht...

Sarah musste ein etwas seltsames Bild für die Prinz abgeben. Ihre Beine hatten sich nach oben mit auf den Stuhl geschummelt und sie hielt ihre Knie umfasst. Sie wirkte sehr klein, abgeschottet. Ihre Augen waren eher groß und traurig und... legte ihr Kopf, ihre Wange sich gerade wirklich an einen der Schatten, die um sie herum aufwallten? Trotz dieser Schutz suchenden Position, die sie gerade eingenommen hatte?

Es klang kleinlaut, als Sarah weitere Worte fand.

„Könntest du mich vielleicht einfach nur für einen Augenblick in den Arm nehmen?“ Sarah lächelte traurig und in dem Lächeln lag die Einsamkeit, die sie selbst empfand. Die Kälte, in der sie die letzte Zeit hatte leben müssen, trat darin deutlich zu Tage. „Obwohl du Prinz bist. Als mein Prinz?“, fügte sie noch leise hinzu. Es war unschwer zu erkennen, dass Sarah wohl traurig wäre, wenn die Prinz sich gezwungen sah ab zu lehnen, aber sie war weit entfernt davon zu fordern. Wenn es zu viel war, zu dicht, dann war es in Ordnung und nichts, was Sarah Lena auch nur im geringsten ankreiden würden.
 
Zurück
Oben Unten