AW: Wie erzahlt man eine Geschichte "wie ein Rollenspiel"?
Antalas schrieb:
Ich möchte eine spannende Geschichte/Abenteuer erleben und daran aktiv mitwirken...
Das ist, die Eingangsfrage dieses
Themas "Wie erzählt man eine Geschichte 'wie ein Rollenspiel' ?" mal wieder berücksichtigend, ein wichtiger Beitrag. Ich möchte darauf mal ein wenig eingehen, nachdem ich eine - bei mir nicht unübliche - Runde gedreht habe...
Wie erzählt man eine Geschichte?
Wie geht das überhaupt, das Geschichtenerzählen?
Darüber sollte man sich eventuell Klarheit verschaffen, bevor man dann die zweite, einschränkendere Bedingung "wie im Rollenspiel" auf den Lösungsraum des ersten Teils der Frage anwendet.
Ich bin kein Profi in solchen Themen wie Märchenkunde, Geschichtenerzählen, "creative writing" oder was es da auch immer geben mag. Ich sage daher einfach mal meine rein subjektiven Eindrücke, was ich meine, wie man Geschichten erzählt.
Geschichten erzählt man mit Autorität. Die Autorität des Erzählers. Diese bestimmt, was den Charakteren in der Geschichte passiert. Der Erzähler entscheidet nicht nur über die Welt, die er präsentiert, nicht nur über die Neben-Charaktere, sondern auch über das GESAMTE Geschick der Hauptcharaktere und alle ihre Handlungen! Die Charaktere in einer Geschichte haben im Normalfalle ja keinen "Vertreter", der ihren Part erzählt, der ihre fiktiven Interessen vertritt, der ihre fiktiven Gefühle empfindet und sie handeln läßt. ALLES wird vom Erzähler präsentiert.
Der Erzähler erzählt seine Geschichte aber nicht aus Selbstzweck (meistens jedenfalls). Der Erzähler erzählt die Geschichte FÜR JEMANDEN. Das können die Kinder sein, denen man ein Märchen aus dem Kopf heraus vorerzählt. Das können die Leser eines Romans sein. Das kann ein Produzent sein, der ein Drehbuch liest und sich vorstellen soll, wie dazu wohl der Film aussehen wird und wieviel mehr Geld es ihm bringen wird, als dessen Produktion wohl kosten wird.
Eine Geschichte hat auch immer ein Ziel, einen Zweck. Die meisten Geschichten dienen der Unterhaltung der Zielgruppe. Es gibt aber auch ganz andere Geschichten. Diese sollen belehrend wirken, indem z.B. moralische Fragen aufgeworfen werden und eine Auseinandersetzung bei der Zielperson mit dem Stoff angestoßen wird. Oder sie sollen jemanden diskreditieren, wie Spottgedichte, George W. Bush Bashing, Satiren, ... Oder sie sollen eine politische Botschaft vermitteln, wie in dem Film Hero oder in der TV-Serie Shoah. Geschichten sind aber auch ein Mittel um etwas zu verkaufen. Wenn z.B. in einem Vertriebsvorhaben eine Präsentation vor potentiellen zukünftigen Kunden durchgeführt wird, so MUSS diese eine Geschichte erzählen. Eine Geschichte von Zuverlässigkeit, Kompetenz, Verständnis für die Sorgen und Probleme des Kunden, und vielen anderen verkaufsförderlichen Faktoren.
Daher werden ständig Geschichten erzählt. Überall auf der Welt, in den unterschiedlichsten Umfeldern.
Gemein ist diesen Geschichten stets, daß sie eine Einwegkommunikation sind. Es erzählt jemand jemand anderem etwas. Und dieser Erzähler verfolgt ein Ziel dabei. Der andere muß nicht unbedingt einer Geschichte lauschen mit einem bestimmten Ziel. Es mag auch einfache, ungerichtete Neugier im Spiel sein, oder Langeweile, oder was auch immer. In jedem Fall ist der "Konsument" einer Geschichte PASSIV.
Er "erleidet" die vom Erzähler gänzlich bestimmte Geschichte.
Diese kann dann gefallen, oder auch nicht. Es ist ein sehr weiter Bereich, in welchem Geschichten in dieser Art konsumiert werden. TV, Kino, Web, Musik, Bücher, Comics, ... Oft vermischen sich sogar die Medien, die zur Vermittlung der Geschichte eingesetzt werden.
Z.B. Pink Floyd "The Wall". Eine sehr persönliche Geschichte, die - ursprünglich - als Konzeptalbum veröffentlicht wurde. Schon da ist mehr in die Vermittlung eingeflossen. Da wurde das Cover optisch gestaltet, da wurden die Texte mitabgedruckt, da wurde die Musik mit gesprochenen Szenen und Geräuscheffekten vermengt. Das Album allein ist daher schon ein Misch-werk aus diversen Medien.
Nun gibt es aber auch einen Spielfilm dazu. Darin sind Realfilm-Elemente mit Trickfilm-Elementen vermengt, die zusätzlich zur graphischen Gestaltung, zusätzlich zu den Werkzeugen eines Drehbuchautors, eines Regisseurs, eines Kameramanns etc. die Geschichte transportieren.
Dann gibt es ja auch noch die Live-Inszenierung von The Wall (ich denke dabei an die zur Zonenöffnung erfolgte Aufführung in Berlin, die ich auch nur aus der Glotzkiste kenne). Da waren neben Spielszenen, der Musik vom Album und Trickfilmeinblendungen auch noch überdimensionale Figuren etc. beteiligt. Die Dramaturgie, mit der die Mauer aufgebaut und wieder eingerissen wurde, war ebenfalls wohlgeplantes Erzählmittel.
Man könnte jetzt die Geschichte von The Wall auch in einem Comic, einem Anime, einem Puppentrickfilm, einem Buch, einem Heftchen-Fortsetzungsroman, einem Ballet, etc. erzählen. Je nach Medium hat dabei der Erzähler (der ja nicht identisch mit dem Autor sein muß) unterschiedliche erzählerische/darstellerische Mittel zur Verfügung.
Man sieht also, daß eine Geschichte auf unterschiedliche Arten mit unterschiedlichen Mitteln erzählt werden kann.
Um auf das Besondere im Erzählen "wie im Rollenspiel" zu kommen, möchte ich hier nun ein Gedanken-Experiment durchführen.
The Wall - Das Rollenspiel um persönliche psychische Abkapselung
Wenn wir die Geschichte von The Wall als Rollenspiel erzählen wollten, dann gibt es hier ein paar Unterschiede zu den diversen anderen Darbietungsformen der The Wall Geschichte.
Der wesentlichste ist, daß es nicht mehr genau einen, allmächtigen Erzähler geben wird. Es wird einen Spielleiter und (mindestens, oder bei The Wall sogar genau) einen Spieler geben müssen.
Was wäre, wenn es nur einen Spieler gäbe?
Dann hätte der Spieler ALLE erzählerische Gewalt und es wäre nicht mehr sichergestellt, ob die Geschichte, die vom Spieler alleinbestimmt erzählt würde, überhaupt noch etwas mit The Wall zu tun hat.
Und würde der Spieler von seiner ihm nun zur Verfügung stehenden erzählerischen Gewalt freiwillig keinen Gebrauch machen, dann erzählt er eben KEINE Geschichte. Eine Geschichte gibt es nur, wenn sie auch jemand erzählt.
Und was, wenn der Spieler nun trotz seiner Uneingeschränktheit bewußt doch die ihm bekannte The Wall Geschichte (so ähnlich wie ein bekanntes vorgefertigtes Abenteuer) erzählen würde?
Dann wäre es immer noch keine Geschichte, da die Zielgruppe, der Zuhörer, der Zuschauer, der Konsument fehlt. Geschichten zu erzählen ist eine Form der Kommunikation. Ohne Empfänger macht das Senden keinen Sinn.
Aber der Spieler könnte sich diese Geschichte doch selbst erzählen?
Stimmt! Das machen Kinder z.B. durchaus. Und das ist auch eine schöne Sache. Es ist eine Kommunikation mit sich selbst, aber eine, die ich ohne irgendwelche unverdaute pseudo-kommunikationswissenschaftliche Bildung einfach mal nicht als Geschichten Erzählen im eigentlichen Sinne empfinde.
(Exkurs: Interessanterweise ist das obige Sich-selbst-Erzählen aber ein Randbereich des Geschichten Erzählens, der im Rollenspiel-Umfeld durchaus seine Berechtigung hat: im Vorbereiten von Abenteuern erzähle ich als zukünftiger Spielleiter des Abenteuers mir selbst unterschiedliche Varianten der vorbereiteten Geschichte, um teils die Handlungen der Spielercharaktere vorweg zu ahnen (ja, ich weiß, das funktioniert eh nie
), um teils das Gefühl einer Szene zu testen, um teils die NSCs mal in Aktion zu erleben und zu erfahren, wie sie wohl sind, wie sie sich wohl spielen, ... Als Spielleiter bin ich hier in der Autorenrolle, selbst wenn man ein Kauf-Abenteuer vorbereitet, da ich dadurch ein Gefühl für das Abenteuer bekommen kann und meine eigenen Ideen und Änderungen - zuzüglich zu den ohnehin spontan am Spielabend erfolgenden Änderungen - ausprobieren und sie einarbeiten kann.)
Nun ist zwar klar, daß ein einsamer Rollenspieler allein für sich keine Geschichte erzählen kann, was ist aber mit einem Spielleiter alleine?
Ein Spielleiter kann ein Erzähler sein, der sich des Mediums Rollenspiel bedient, um seine Geschichte zu erzählen. Aber ohne Spieler ist es kein Rollenspiel. Ein Spielleiter leitet ein Szenario. Das ist eine sehr flüchtige Art des Erzählens, so wie das Märchenerzählen. Würde er seine Geschichte aufschreiben oder auf Video aufzeichnen, so daß das Konsumieren zeitlich entkoppelt erfolgen könnte, dann wäre er ein Geschichtenerzähler. Ein Spielleiter, der aber eine Spielwelt schildert, eine Umgebung darstellt, ein paar NSCs handeln läßt, der erzählt sich selbst eine Geschichte - und nach meiner Empfindung somit nicht wirklich eine, da er mit niemandem außer sich selbst kommuniziert.
Es fehlt aber einem Spielleiter eines Rollenspiels anders als einem Märchenerzähler mit Videokamera etwas Wichtiges: Das Medium Rollenspiel ist ein interaktives Medium. Geschichten Erzählen ist aber im Kern eine gerichtete, unidirektionale Tätigkeit (ja, der Protest ist erwartet).
Jetzt wird es nämlich kompliziert.
Dem Spielleiter fehlt ein Spieler. Und selbst wenn er eine Spieler hätte, so wäre es solange kein Rollenspiel, bis nicht der Spieler auf die Schilderungen des Spielleiters reagiert hat und eine wie auch immer geartete Rückmeldung gegeben hat.
Ja, auch professionelle Geschichtenerzähler erwarten sich, vor allem bei flüchtigen Darbietungen wie z.B. bei Comedy-Shows das Feedback der Zuschauer. Diese Art der Geschichtenerzähler nimmt die Reaktion des Publikums auf und reagiert darauf. Da macht auch der Geschichtenerzähler auf einem (natürlich von meiner Unkenntnis der historischen nahöstlichen Verhältnisse romantisierten) Basar, der die Geschichten so erzählt, daß sie die Zuhörer fesseln, sie ihm weiter Geld geben und auch morgen noch vorbeikommen um zu erfahren, wie es weitergeht. Dieser Geschichtenerzähler kann direkt mit der Zuhörerreaktion arbeiten.
Bei Spielfilmen und TV-Produktionen ist viel in die Analyse des Zuschauerverhaltens und der Zuschauererwartungen investiert worden, so daß derartige professionelle Geschichten ein Optimum an demographisch relevanter Konsumentengruppe für die Werbeeinblendungen erreichen. Und auch diese Geschichten sind mit Cliffhanger-Ende versehen, daß man auch nächste Woche wieder einschaltet. Alles alte Tricks aus der Trickkiste eines jeden Fortsetzungsgeschichten erzählenden Geschichtenerzählers.
Diese Art der Feedback-Aufnahme und Anpassung der Erzählung ist aber immer noch nicht wirklich bidirektional. Die Autorität über das, was passiert, hat stets der Erzähler. Und der gibt sie zu keinem Zeitpunkt auf. Egal was das Publikum an Feedback gibt, es erzählt kein Stück der Geschichte selbst!
Das ist im Rollenspiel nach meinem Empfinden anders.
Hier stellt der Spielleiter/Erzähler die Welt, die Situation, die NSCs dar, aber ich als Spieler habe die Autorität über die Reaktionen und Aktionen meines Charakters. Ich habe - egal, ob sich ein Rollenspiel als Storytelling, oder als numbercrunching-wargaming versteht - die Autorität über meinen Charakter.
Diese Autorität der Spieler über ihre SCs ist es, was den Autoren-Prozess und die Spielvorbereitung für einen Spielleiter so chaotisch, so unsicher macht, verglichen mit der Vorbereitung für eine Lesung aus einem Buch. Im Buch steht alles fest, ich muß es nur wiedergeben. Bei einem freien Erzählen, einem freien Spinnen einer Geschichte habe ich als Erzähler immer noch die Autorität über ALLES, was darin passiert.
Im Rollenspiel machen einem Spielleiter jedoch die teilweise SEHR überraschenden (z.T. überraschend genial konstruktiven, z.T. niederschmettern asozial-zerstörerischen) Ideen eine Strich durch die (vorbereitete) Rechnung. Hier kann man dann mit seinem Improvisationstalent glänzen.
Erzählt dann ein Spielleiter überhaupt noch wirklich eine Geschichte? Kann ein Spielleiter, der nicht die ABSOLUTE Autorität über ALLES in der Geschichte hat, überhaupt als Erzähler im eigentlichen Sinne des Geschichtenerzählens betrachtet werden?
Nein. Ähm, jein. Das hängt davon ab. (Hier wird es schwammig!)
Nach meinem Empfinden kann ein Spielleiter kein Geschichtenerzähler sein. Andererseits kann er es versuchen. Das nennt man dann "gamemaster railroading" als Fachbegriff. Er kann die Freiheitsgrade der Spieler in ihrer Autorität über ihre SCs so stark einschränken, daß sie KEINE freien Handlungsoptionen mehr haben. Wie sagt Teflon-Billy bei den KotDT dann immer: "Schreibs auf, ich lese es dann morgen, wie es ausging." Und meist geht er dann.
Das Einschränken der Freiheitsgrade der Spieler wird von den meisten Spielern als nicht gut für ihren Rollenspielgenuß empfunden. Es ist zwar dies die m.E. einzige Möglichkeit des Spielleiters/Erzählers wieder die für eine echte Erzählung notwendige VOLLKOMMENE Autorität zurückzuerlangen, aber dann ist es kein Rollenspiel mehr. Dann beschneidet der Spielleiter genau die kritischen Eigenschaften, die Rollenspiel ausmachen: das freie Bestimmungsrecht der Spieler. (An dieser, meiner Meinung kann man auch ableiten, warum ich z.B. Computer-"Rollenspiele" und reine Erzählspiele wie "Münchhausen" nicht für Rollenspiele halte. Dazu gibt es aber einen anderen Thread und ich kann und will ja nicht überall gleichzeitig sein. gez. Das Foren-Displacer-Beast.
)
Also benötigt das Geschichten Erzählen im Rollenspiel einen Spieler und einen Spielleiter um ein Rollenspiel zu sein, und kann andererseits aber kein wirkliches Geschichtenerzählen mehr sein.
Mist! (Quote: Bernd, das Brot - auch vom Tonfall her)
Nicht wirklich.
Es gibt immer noch Hoffnung (und Zwergenbrot).
Man muß ja eine Geschichte nicht nur erzählen. Man kann sie ja auch erleben!
DAS ist das eigentliche am Rollenspiel für mich. Das ERLEBEN von Geschichten, bei denen ich eine Verlängerung in der Spielwelt, meinen SC, habe und die Geschichte fast hautnah erleben kann. Und ich kann, da Erleben ja leben, ja lebendig, also dynamisch ist, sie auch BEEINFLUSSEN.
Das nicht passive, sondern aktive Erleben einer Geschichte mit der Möglichkeit sie zu beeinflussen, das ist für mich das Geschichtenerzählen "wie ein Rollenspiel". Kein Erzählen im Eigentlichen, wohlgemerkt!
Wer hat nicht schon auf Cons oder in Foren die coolen (oder weniger coolen) Geschichten von Spielern oder Spielleitern aus ihren diversen Abenteuern, Kampagnen etc. gelesen oder gehört? Die erlebten Geschichten sind es, die man nach dem eigentlichen Durchspielen dann (wieder-)erzählen kann. DAS ist das Geschichtenerzählen.
Oder, wie ich es lieber formulieren würde,
das Geschichten ERSPIELEN im Rollenspiel.
Kommen wir mal zum Gedankenexperiment The Wall, das Rollenspiel zurück. Wie würde das nun aussehen?
Ein Charakter wird erschaffen. In seiner Vorgeschichte könnte er diverse körperliche und seelische traumatische Erlebnisse haben, die entweder in einer Art Präludium ausgespielt werden, oder die als nur knapp verschüttet (hinter den ersten paar Reihen von The Wall) ihm nicht bewußt zugänglich sind, und daher vom Spielleiter vorab bestimmt, ausgewürfelt, was auch immer werden.
Der Charakter (er ist in The Wall ein verkrachter Rockstar mit mehr Problemen als die psychatrische Notaufnahme einer Großstadt) wird von seinem Spieler in der ersten Spielsitzung gespielt. Der Spielleiter schildert die Welt des Charakters, das Umfeld, die NSCs und so weiter. Wie man das so im Rollenspiel von der Aufgabe des Spielleiters her kennt. Dabei ist das Ziel dieses Rollenspiel im Titel ja auch schon vorgegeben: "Persönliche psychische Abkapselung". Eben The Wall, das Rollenspiel.
Somit wird der Spielleiter dem Spieler aus Sicht des SCs wahrgenommene Situationen mit Konfliktpotential, mit Potential zur psychischen Zerrüttung als Herausforderungen präsentieren. Der Charakter hat z.B. ein Problem mit Frauen ein echte, menschliche Beziehung einzugehen. Er nimmt alle Frauen als Objekte wahr, benutzt sie und läßt sie fallen. Seine letzte Freundin fing daraufhin an Drogen zu nehmen. Als sie von dem SC fallengelassen wird, setzt sie sich den Goldenen Schuß. Aus der Revolverpresse erfährt der SC, daß sie mit Zwillingen schwanger war. Seine Kinder. Wie geht der SC damit um?
Diese Entscheidung liegt beim Spieler!
Der Spieler entscheidet sich diesen Schicksalsschlag nicht voll hinzunehmen. Der SC geht auf einen Alkoholexzess, randaliert, schlägt einen Roadie zum Krüppel.
Jetzt kommt der Spielmechanismus für die Abkapselung zum Tragen. Jeder Charakter startet auf seinem Charakterbogen mit seinen Charakteristika und Fertigkeiten und einer anfänglichen Anzahl an "Ziegeln" - z.B. kleine Tonziegel aus dem Spielwaren- und Bastelladen - welche auf den konzentrisch angeordneten Fertigkeits- und Charakteristik-Listen von außen nach innen immer mehr angebaut werden müssen, sobald der SC einen weiteren Stein für seine Mauer bekommt. Außen sind sehr komplexe Fertigkeiten, Charakteristika für soziale Interaktion und extrovertiert-orientierte Eigenschaften angeordnet. In der Mitte sind nur noch Egoismus, eigene Verletzlichkeit, Schwächen, etc. angeordnet. - Bei jeder Herausforderung steht auf dem Spiel einen oder gar mehrere Steine an die Mauer anbauen zu müssen.
Der Alkoholexzess reduziert den Zuwachs um vier Steine durch den Tod der Freundin auf nur zwei. Diese baut der Spieler an, wo noch Platz ist, wobei er sich für Breite (also auf dem Umfang) oder Tiefe (nach innen auf das Zentrum zu) entscheiden muß. Je tiefer die Steinschicht zur Mitte ragt, desto mehr Abzüge bekommt er auf alle darunter liegenden Fähigkeiten. Je mehr er vom Umfang her abgedeckt hat, desto mehr unterschiedliche Fähigkeiten leiden an seiner Abkapselung. So wird der Charakter langsam aber sicher eingeschränkter und behinderter in seinen Fähigkeiten und kann sich gegen weitere Schicksalsschläge umso schlechter wehren. Das geht solange, bis er irgendwann einmal vollständig eingemauert ist. Dann ist er Fall für die Klapse.
Aber es wäre nicht The Wall, wenn dann nicht das Drama der "Gerichtsverhandlung" kommen würde: Der Spielleiter führt in einer im Inneren der Psyche des Charakters ausgeführten Gerichtsverhandlung die einzelnen Schlüssel-NSCs der jeweiligen Herausforderungen in den "Zeugenstand" hier hat der Charakter deren vernichtenden Aussagen hinzunehmen.
Aber was kann er tun?
Nichts.
Das ist ja das schlimme.
Er bleibt für immer isoliert mit seinen Ängsten und seinen Schwächen.
Allein.
Ohne Hoffnung.
Ohne JEGLICHE Hoffnung?
(Es wäre nicht MEIN Gedanken-Experiment, wenn das so wäre.
)
Doch. Es GIBT eine Hoffnung.
Das ist jedoch nicht Sache des Charakters, sondern des Spielers!
(Wer das Spiel
Vampires - a postmodern roleplaying game von Victor Gijbers noch nicht kennt - jetzt wäre es eine gute Gelegenheit darüber mal zu lesen, es sich
hier herunterzuladen und auch die "Erklärung" zu diesem Spiel, die
Designer-Notes zu lesen. Es lohnt sich wirklich. Nicht nur für WoD-Spieler, doch haben es die in meinem Empfinden besonders nötig das mal zu lesen.)
Auf jeden Fall möchte ich das Gedanken-Experiment damit beenden, daß es in der alleinigen Macht des Spielers liegen wird, seinen SC von der Mauer gänzlich zu befreien, oder ihn für immer eingemauert zu lassen.
Ende des Experiments. Reagenzgläser bitte abspülen. Danke.
Man sieht aus dem obigen Experiment (hoffentlich), daß dieselbe (oder bei aller Unwägbarkeit im Rollenspiel eine ziemlich ähnliche) Geschichte, wie in The Wall, dem Konzeptalbum ERSPIELT werden kann.
Was der Spieler nachher über die Spielrunde erzählen kann, das ist dann eine der Geschichten, die mittels Rollenspielen von The Wall, das Rollenspiel erlebt werden können.
Soviel zu meiner Meinung zu diesem, wie ich finde, hochinteressanten und provokanten Thema. Ich möchte an dieser Stelle einen Beitrag zitieren, der meiner Meinung zu diesem Thema deutlich Ausdruck verleiht:
Antalas schrieb:
Ich möchte eine spannende Geschichte/Abenteuer erleben und daran aktiv mitwirken...