Im klassischen Rollenspiel ist die Abenteuerstruktur relativ klar: man hat ein konkretes Ziel, welches es zu erreichen gilt und umgibt dieses Ziel mit Herausforderungen, welche zu überwinden sind. Des Weiteren erschafft er eine Spielwelt mit NSC und spielt diese, welche anhand ihrer festgelegten Merkmale auf die SC reagieren. Es ist im Wesentlichen ein Ereignisprotokoll-Spiel „WENN SC A machen, DANN B(oder Y, oder A1 etc.)“ und linear aufgebaut.
Bei der hier angestrebten Variante fängt man bei der Erschaffung des Abenteuers mit der Spielwelt an. Hierbei ist es wichtig, dass diese Abenteuertauglich gestaltet wird, durch richtige Auswahl des Handlungsortes, der handelnden NSC etc. Zu leicht gerät der SL in dieser Phase in die Versuchung eine perfekt funktionierende Spielwelt zu erschaffen (viele DSA Regionalbeschreibungen folgen diesem Drall, was ja auch legitim ist, da es sich dabei ja um Regionalbeschreibungen und keine Abenteuer handelt).
Eine perfekt funktionierende Spielwelt mag durchaus für veinige Abende ihren Reiz haben, aber letztendlich sind es die Spielsitzungen in denen sich die Ereignisse überschlagen und die Charaktere mit Problemen konfrontiert werden, welche den Spielern am deutlichsten im Gedächtnis präsent bleiben. Deswegen sollte der SL bewusst „Sand im Getriebe“ in seine Spielwelt einarbeiten, wodurch die Ereignisse in Gang kommen.
Bsp.: Das Setting ist eine klassische Fantasywelt, in der Magie zwar existiert, aber sehr selten und geheimnisvoll ist. Da das Setting erst für dieses Beispiel erschaffen wurde, sind dies die einzigen grundlegenden Annahmen über das Setting und es gilt noch dieses mit NSC und Problemen zu bevölkern.
Schritt 1 ist also die Schaffung eines grundlegenden Problems oder eines grundlegenden Problembündels.
Bsp.: Der Baron des Landes hat vor kurzem seine Frau (viel zu früh) verloren. In seiner Trauer wäre er bereit alles zu tun, um noch etwas mehr Zeit mit ihr zu verbringen.
Schritt 2 wäre dann die Aufgabe weitere Parteien in das Geschehen zu involvieren und Konflikte zwischen deren Interessen herzustellen. Sind die wichtigen NSC durch das Setting vorgegeben und lässt sich für keinen von ihnen eine glaubwürdige Verbindung zum Kern des Problems herstellen, so muss (wenn der SL nicht den Hintergrund um weitere NSC bereichern möchte) eventuell noch einmal Schritt 1 überarbeitet werden.
Bsp.: Ein reisender Geisterbeschwörer hat von den Problemen des Barons erfahren und will seine Tricks benutzen, um ihn auszubeuten. Er bietet ihm an, mit seiner toten Frau zu sprechen und nimmt dafür Geld. Das geht eine Weile gut, dann allerdings geht dem Baron langsam das Geld aus.
Als sekundäres Problem hat der Geisterbeschwörer während seines Aufenthaltes bei Hofe ein Auge auf die hübsche Tochter des Barons geworfen und will diese für sich gewinnen (wenn er durch eine Heirat mit ihr zu Adelswürden gelangen könnte, so wäre das ein willkommener Bonus).
In Schritt 3 werden die Konsequenzen der Konflikte festgelegt.
Bsp.: Wegen seinem Geldmangel hat der Baron die Steuern in einem unverhältnismäßig hohem Maß erhöht und die Landbevölkerung leidet darunter. Einige von ihnen sind unzufrieden und zur Rebellion gegen den „ungerechten Herrscher“ bereit. Dem Dorfpriester ist nicht wohl bei der Anwesenheit des Geisterbeschwörers bei Hofe und hat diesem die Meinung gesagt, weswegen er jetzt in einem Kerker versauert. Da keine Nachricht von ihm kommt und Meldungen über Unruhen in der Gegend zunehmen, schickt sein Tempel ein Regiment Kirchensoldaten (allesamt Fanatiker) in die Gegend. Der Geisterbeschwörer sucht derweil- da der Priester der einzige in der Gegend ist- nach Druckmitteln gegen diesen, um ihn zu zwingen ihn und die Tochter des Barons zu verheiraten. Selbige fühlt sich derweil zunehmend unwohl und inszeniert ihre eigene Entführung…
Hat man diese grundlegende Struktur fertig, so kann man anfangen sich typische Szenen auszudenken, mit welchen die SC es unter Garantie zu tun bekommen (dass man hier keinen bestimmten Ausgang der Szenen festschreibt, ist eigentlich selbstverständlich, sollte aber noch einmal erwähnt werden):
Bsp.:
- sämtliche Bauern der Gegend sehen schäbig und übermüdet aus
- man sieht Leute, die in Schuldhaft abtransportiert werden
- ein Demagoge stachelt die Bevölkerung gegen den Herrscher auf
- Kirchensoldaten nehmen willkürlich Verhaftungen und „Verhöre“ vor
- Im örtlichen Tempel wurde eingebrochen
- Eine junge Frau sucht nach Möglichkeiten, ungesehen das Land zu verlassen und wendet sich an Fremde, von denen sie glaubt, dass sie „ein gutes Herz haben“ (naiv, aber wirkungsvoll).
Etc.
Durch die Zwiebelstruktur des Abenteuers ist praktisch sichergestellt, dass es die Charaktere mit wenigstens einer Manifestation der Geschehnisse des Abenteuers zu tun bekommen und die Chancen stehen gut, dass zumindest einer von ihnen eine der Zwiebelschalen ergreift und daran zieht…und dadurch eine ganz neue Ebene der Geschehnisse mit neuen Problemen freilegt.
Doch die Zwiebelschalen erfüllen noch eine weitere Funktion: sie sind die Ebenen auf denen wir unsere Schienen verlegen.
Wie bitte? Spricht der von Railroading?
Ja, allerdings nicht im klassischen Sinne des Wortes, denn nicht die SC werden gerailroadet, sondern die NSC. Selbige agieren aufgrund ihrer Motivationen und Möglichkeiten auf verschiedenen Schienen (mit Weichen), welche durch die einzelnen Ebenen der Zwiebel hindurchführen.
Innerhalb dieser Schienen jedoch können sie sich vollkommen frei bewegen und immer dort präsent sein, wo sie „gebraucht werden“. Die NSC passen also auch ihre Handlungen und Ziele an die Veränderung der Gesamtsituation an (idealerweise ohne dabei miteinander zu kollidieren oder von den Schienen zu springen und umzukippen) und machen aus dem ganzen Geschehen eine dynamische Situation.