AW: Verbreitungsgrad von SL-Willkür
Hier hat Zornhau schon recht, ein so "unfaires" Abenteuer trennt Angeber von Könnern. Vor allem weil es oft nicht ein Save-or-Die, sondern ein Die-or-Die in einigen Situationen anbietet. Diese Situationen zu umgehen, das zeichnet den Könner aus.
Das ist ja gerade bei "Tomb of Horrors" der Punkt: es ist nicht einmal ein Dungeon in klassischer Manier, wo man sich durch Horden von Monstern kloppen muß und Fallen nur als "Würzmittel" eingesetzt sind, sondern es ist eine Ansammlung von vielen, oft SICHER tödlichen Fallen, die als RÄTSEL(!) an die Spieler gestellt sind.
Findige Spieler umgehen oder deaktivieren diese Fallen - das heißt, sie LÖSEN das Rätsel.
Daß auf einen Fehler beim Rätsellösen oft auch der Charaktertod folgen kann, macht die Bedrohlichkeit und die Spannung, die ja direkt vom Risiko abhängt, nur noch größer.
Wer sich durch den "Tomb of Horrors" getrickst hat, der hat sich als findiger Rollenspieler bewiesen, der mehr drauf hat als nur stupides durch die Gänge Latschen und Monster Plätten.
Das ist die eigentliche Herausforderung bei "Tomb of Horrors".
Falls ein Spielleiter (oder Rollenspiel-Abenteuer-Autor) eine Spielergruppe einfach nur umlegen wollte, falls also wirklich ein TPK das "Ziel" des Szenarios sein sollte, dann ginge das wesentlich einfacher und ohne viel Denkarbeit, sondern rein als Materialschlacht.
Ziel bei solchen großen Herausforderungen ist es, den Spielern eine wirklich schwere Aufgabe so zu präsentieren, daß sie möglichst viel Spannung, Bedrohlichkeit, Gefahr für ihren Charakter empfinden. Das macht ein solches Szenario dergestalt interessant, daß es auch nach 30 Jahren noch frisch genug ist, daß man es spielen möchte.
Das "Tomb of Horrors"-Modul hatte schon damals, als es erschienen ist, einen SONDERSTATUS. Es war außerordentlich schwer zu bestehen (= überleben). - Aber wie die Achttausender im Himalaya steht dieses Modul nun da und reizt einen allein durch seine Existenz, sich daran zu versuchen und zu denen zu gehören, die es geschafft haben, "Tomb of Horrors" ohne Sauerstoffgerät durchzuspielen.
Von einem "Geist der damaligen Zeit" kann hierbei aber weniger die Rede sein.
Immerhin sind die in dieser Zeit erschienenen weiteren Module weitaus weniger schwer zu bestehen gewesen. Selbst in der S-Reihe ist z.B. S2 bei uns im ersten Anlauf und ohne Charakterverlust durchgespielt worden.
Der "Geist der damaligen Zeit" ist NICHT, daß der Spielleiter einen TPK zum "Ziel" haben soll, sondern daß der Spielleiter den Spielern HERAUSFORDERUNGEN bieten soll, an denen die Spieler auch mal etwas zu Kauen haben sollen. - Weglaufen, um anderntags oder nächste Woche wiederzukommen und es erneut zu versuchen, das war (und IST) eine KLUGE Vorgehensweise im Rollenspiel. Bei Dungeon Crawls sogar ganz grundlegend für halbwegs überlebensfähige Gruppen.
Ich hatte eine interessante Erfahrung machen können, als ich meinen ersten Savage Worlds Dungeon Crawl (auf Basis der Savage Tale "Noble Deceit") mit meinen längere Zeit OHNE Dungeon Crawl klassischer Art (also längeres Verweilen unter der Erde, Fallen, Monster, Tricks, ...) im Spiel "eingerosteten" Spielern der alten AD&D-Gruppe gespielt hatte. Auf den ersten Räumen und Kreuzungen waren sie tatsächlich wie "eingerostet", vergaßen nach Fallen zu schauen, hatten nur simple, direkte und daher auch ungesunde Problemlösungsweisen drauf. Aber wie Fahrradfahren hatten sie das Dungeoneering nicht verlernt und kamen dann bald wieder in einen Spielmodus, der geprägt ist von höchster Achtsamkeit selbst auch auf kleinste Beschreibungsdetails (alles könnte ja für eine Problemlösung verwendet werden oder einen Hinweis auf eine Gefahr beinhalten), von einer konzentrierten Spielweise, wo jeder voll dabei ist, von Vorsicht abgewechselt mit kurzentschlossenem, konsequenten Handeln.
Diese Entwicklung der Spielatmosphäre während dieser Dungeon Crawl Spielrunde zu erleben, fand ich sehr erhellend. - Um bei Spielern ein ähnliches Konzentrationniveau im Spiel eines Nicht-Dungeon-Crawls zu erreichen, muß sich ein Spielleiter SEHR viel mehr anstrengen, als wenn er - ganz "old school" - einen Dungeon leitet, der NICHT das Etikett "Schaffbar für Charaktere von Level 4-6" draufstehen hat, sondern nur das Versprechen "Mach einen Fehler, und Du bist tot." am Eingang stehen hat.
Ich hatte schon zu AD&D-1st-Ed.-Zeiten die Erfahrung gemacht, daß die Spieler, während ihre Charaktere in einem Dungeon herumkriechen, der eine rundum feindliche Atmosphäre ausstrahlt, selbst sehr viel vorsichtiger, mißtrauischer, wachsamer und mit allem rechnend sind, als in den Zeiten, während derer ihre Charaktere in einer halbwegs zivilisierten Stadt mit tausenden NSCs und ohne (offensichtliche) Monster unterwegs sind. - Diese ENTSPANNUNG, wenn man zurück in der Zivilisation ist, war interessant zu beobachten.
Ein ABENTEUER im eigentlichen Sinne empfindet man doch sowieso erst dann als solches, wenn man WIEDER ZURÜCKGEKEHRT ist und es überstanden ist. - Mittendrin frißt man Dreck und Blut und Stahl und es geht einem beschissen. Erst wenn man wieder da ist, wo man mal nicht ständig mit Todesgefahr rechnen muß, kann man sich entspannen und das Gefühl genießen ein echtes ABENTEUER überstanden zu haben.
Dieser Kontrast ist in alten D&D-like Fantasy-Settings GEWOLLT. Er gehört dazu. - Man kann natürlich auch in der "Heimatbasis", in der Festungs im Grenzland, Abenteuerliches erleben, doch kann man dort eines nicht: "Auf Abenteuer ausziehen".
Und darum geht es eigentlich immer bei der "alten Schule" des Rollenspiels. - Die Bewegung, das Road-Movie unter ständiger Todesgefahr, ist eines der Kernelemente "klassischer" Module. Ob über Land oder durch enge Katakomben: Stillstand bringt einen nicht weiter, läßt die Pein nie enden. - Daher: Steh auf und kämpfe!
Dungeons sind Örtlichkeiten, wo die GESAMTE UMGEBUNG hinter den SCs her ist und ihnen Übles will. - Das reicht von tiefen Schächten, die es unter Absturzgefahr zu umklettern gilt, über sich verschiebende Wände und andere "Kartographen-Alpträume", hin zu Fallen und anderen, direkt als Gefahr gewollte Mechanismen, bis zu den Bewohnern dieser Umgebung, die meist über das Auftauchen der SCs nicht so recht erfreut sind.
Die "gute alte Zeit" der Dungeons wurde ja gerade von den sehr erfolgreichen "Dungeon Crawl Classics" wieder aufleben gelassen. Den DCC gelingt es tatsächlich einiges vom Gefühl der alten Dungeons zu vermitteln. Dungeons, die allein durch ihre Existenz, ihre Architektur, ihre Räumlichkeiten und deren Inhalt schon eine (oder mehrere!) Geschichten zu erzählen wissen. - Das ist immer noch aktuell.
Aus diesen Zeiten und dieser Sicht eines Spielers rührt auch die ganz STRIKTE Ablehnung von Spielleiter-Willkür und BESCHEISSEN. - Die "Geschichte" ist das, was man hinterher, nach dem Abenteuer in der Kneipe den wie gebannt zuhörenden Schlaffis aus der sicheren Stadt erzählen kann. Wenn man mitten im Dungeon steckt, dann dreht sich der Kopf des Spielers nicht um so etwas Schwammiges wie eine "Geschichte", wenn selbst die Wände oder der Boden es auf einen abgesehen haben!
Wenn nun unter dieser Hoch-Adrenalin-Stimmung ein Spielleiter BESCHEISST oder Willkür walten läßt, wo man klare, verläßliche Regeln für das ÜBERLEBEN der SCs als Basis des gemeinsamen Spiels ausgemacht hat, dann ist der Ärger nur umso größer. Hier greift der Spielleiter nicht mehr mit einer glaubwürdigen Neutralität als Schiedsrichter ein, sondern er manipuliert an den vorliegenden (auch den noch nicht von den Spielern entdeckten!) Fakten herum. Das ENTWERTET jeden Sieg der Spieler, das ENTWERTET jede noch so trickreiche, findige Problemlösung der Spieler, das MINDERT die gesamte Spannungsgrundlage im Abenteuer.
Durch BESCHEISSEN und Willkür-Entscheidungen gelangt man so nicht etwa zu einer "besseren Geschichte", sondern zu KEINER Geschichte. Man bekommt so nur einen Haufen unzufriedener Spieler, die NULL SPANNUNG und damit auch KEINERLEI INTERESSE am dargebotenen Szenario mehr empfinden können, weil ihr VERMITTLER der Spielwelt keine Glaubwürdigkeit mehr hat.
Trotzdem gab und gibt es diese Spielleiter-Willkür immer noch - und in so gut wie jedem Rollenspiel (ganz wenige reglementieren den Spielleiter so krass, daß für Willkür wirklich kein Platz mehr ist; BESCHEISSEN geht aber immer noch).
Warum es immer noch und nicht einmal selten diese Spielleiter-Willkür gibt, ist mir auch ein Rätsel. - Ich weiß nicht, warum man das nötig hat, auch wenn ich selbst GARANTIERT früher auch Willkür-Entscheidungen getroffen habe. (Ich habe, zu unterschiedlichen Zeiten, so ziemlich jede Todsünde der Spielleitung selbst ausgeübt. Mangels Bewußtsein dessen, was ich tat. Aus Überzeugung, daß nur so "gutes Rollenspiel" geht. Aus dem Willen mir meinen "tollen Plot" nicht von den fiesen Spielern zerlegen zu lassen. Usw. - Irgendwann hat man mal soviel Scheiße als Spielleiter gebaut, daß man wie auf einem Hügel darauf stehen kann und einen Überblick bekommt. Und dann kann man aufhören sich als Arsch gegenüber seinen Spielern aufzuspielen. Das geht. Einfach so.)