Unknown Armies ist schlecht gealtert. Primär ist es eine prä-Internet-, prä-Mobilkommuniktion-Pop-Culture, die dort zelebriert wird.
Die Grundsicht auf die Welt ist folgende: ALLE "urban legends" sind WAHR.
Darauf baut sich ein eigentlich sehr klassisches Fantasy-Magie-System mit sehr eng definierten Zaubern und deren Effekten auf, das weder Ars-Magica-ähnliche Vielseitigkeit und Flexibilität mitbringt, noch wirklich herausragend andere Wirkungen erlaubt. Das ist auch der Punkt, bei dem ich finde, daß enorm viel Potential bei UA verschenkt wurde.
Die "Magie-Punkte", Charges, generieren die jeweiligen Mages auf sehr spezielle Art - je nach ihrer thematischen Ausrichtung. Auf niedriger Ebene - so meine Spielerfahrung - nimmt das Generieren der Charges im Spiel ENORM VIEL Raum ein, weil ja die Motivation für die Spieler klar ist: Jeder will mehr Charges haben, um als Mage was reißen zu können. Daher wird das Ausspielen der Charge-Generierung so dermaßen prominent, daß dabei oft das eigentliche Problem, das eigentliche Szenario in den Hintergrund tritt. - Die gängige Lösung vieler Gruppen ist, die Charge-Generierung dann im "Off" zu erlauben, womit natürlich das besondere Flair der einzelnen Mages nur "hinter dem Vorhang" stattfindet, somit unsichtbar bleibt. Dafür kann man dann aber ohne die ständigen Unterbrechungen, wo wirklich nur genau EIN Charakter - oft für längere Zeit - im Rampenlicht steht, nur um seine Magie aufzuladen, endlich mal an den vielfältigen Problemen, Konflikten und Politikquerelen der diversen Gruppierungen im Setting spielen.
Die Magie ist in Mage (egal welche Version) sicher interessanter umgesetzt. UA erreicht meinem Eindruck nach leider nicht die stimmungsvolle Integration von Magie und Moderne, wie man sie aus Witchcraft kennt.
UA hat seine Stärke eben in der Grundeinstellung: ALLE "urban legends" sind WAHR. Und wer sich das als Kampagnenbasis für z.B. D20 Modern, Witchcraft, usw. vornimmt, der spielt effektiv auch UA.
Das Regelsystem ist ein "One-Roll"-System, welches noch SEHR VIELE Macken gerade bei physischen Konflikten hat. Die späteren Entwicklungen, die zur One-Roll-Engine (ORE) führten, sind da deutlich solider als das UA W%-Roll-under-System, welches ernom hohen "Whiff-Faktor" aufweist. Selbst kompetentere Charaktere reißen nichts - damit ist UA ein wenig wie Warhammer-Fantasy in der Moderne angesiedelt.
Ein paar Regelgimmicks wie Cherrys usw. sind nett, aber reißen es nicht raus.
Bei Kult habe ich den Eindruck, daß es einem als Spieler wirklich an die Nieren gehen kann, UA wirkt hingegen immer so "plastik", so "künstlich aromatisiert", halt so US-AMERIKANISCH. - Aber das ist natürlich auch gewollt.
UA ist eine Art übernatürliches Road-Movie-Rollenspiel für das Spiel in den USA der ausgehenden 90er-Jahre. - In einem anderen Settingumfeld KANN UA NICHT funktionieren.
UA ist Trailerpark, Drive-Thru, Motels. UA ist NICHT deutsche Schrebergärten, NICHT deutsche Parkhäuser, NICHT deutsche Fremdenzimmer.
Vor allem funktioniert in einem deutschen UA das Thema "urban legends" überhaupt nicht. Wir haben so etwas auch nur annähernd in Intensität und Verbreitung vergleichbares wie die US-"urban legends" einfach nicht.
UA funktioniert auch nur in einem Gesellschaftsumfeld, wo Verschwörungstheorien und extremstes Mißtrauen gegenüber "dem Staat" der Normalzustand sind. Daher auch diese ganzen Geheimgesellschaften in UA - die fügen sich nahtlos in die sonstigen US-Conspiracy-Lunacies ein, die man so kennt bzw. besser nicht kennen möchte.
Wie ich schon bei Erscheinen der deutschen Ausgabe von UA feststellte: In einem deutschen Setting passen UA-Charaktere in etwa so glaubwürdig rein, wie Howard the Duck und Invader Zim. - In einem US-Setting hingegen könnte JEDER Passant ein Avatar oder ein Mage sein. Da paßt es bestens.
Wie gesagt: Heutzutage gäbe es vollkommen ANDERE Obsessionen, denen UA-Charaktere folgen würden. Facebook, Internetporn, Hacking, Derivat-Geschäfte, Tele-Shopping, usw. - Moderne, d.h. aus dem Jahre 2012 stammende UA-Charaktere sind ständig online, ständig mobil (was der Road-Movie-Ausrichtung von UA zugute kommt) und eben MODERN!
Die alten UA-Bände, ich hatte vor einigen Monaten mal beim "Umstapeln" in meinen Regalen wieder ein paar in den Fingern, sind ausgesprochen SCHLECHT gealtert.
Wenn man sich allein die Szenario-/Kampagnenbände anschaut und überlegt, welchen Einfluß die heutige Allzeitverfügbarkeit von Internetkommunikation und Mobiltelefonen auf den Ablauf solcher, eher "untechnologischer" Szenarien hätte, dann sieht man, wie ALT das Spielweltgefühl von UA wirklich ist.
Damit haben sie aber dasselbe Problem, das JEDES moderne, d.h. zum Zeitpunkt seines Erscheinens die "zeitgenössischen Gegebenheiten" als Settinghintergrund verwendende Rollenspiel hat.
UA ist zwar erst 14 Jahre alt, aber 14 Jahr MASSIVSTE technikgetriebene Gesellschaftsstrukturänderungen - wie sie eben über Facebook, Mobil-Internet, usw. aufgekommen sind - machen das Lesen der alten Bände schon jetzt zu einer reinen "Nostalgie-Dampfeisenbahnfahrt" in die Vergangenheit.
Eine echte NEU-Ausgabe von UA 2012 wäre vielleicht noch interessant. Aber auch da: Natürlich NUR in den USA als Setting angesiedelt.