AW: The Riddle of Steel
Aus dem Thread Rollenspieltheorie richtig verstehen und anwenden als Antwort auf diesen Beitrag ausgegliedert:
@Maniac:
Das Setting ist in der Tat größtenteils Standardfantasy, wobei es auch ein paar Twists hat: Elfen und Zwerge orientieren sich hier mehr an der germanischen/keltischen Mythologie als an Tolkien, und die Hauptreligionen sind an Christentum, Judaismus und Islam orientiert.
Letztlich ist das Setting aber nicht das was ich als das PLUS an TRoS betrachten würde.
Die Innovation steckt vor allem im System.
Damit meine ich nicht das Kampfsystem: Es hat eine coole Idee zur Initiative, das Verwundungssystem unterscheidet sich deutlich von dem was man aus anderen Rollenspielen kennt, und der Autor seine Erfahrungen in WMA eingebaut um so nahe an der Realität wie möglich zu sein, aber das sind gegenüber anderen Rollenspielen letztlich nur Feinheiten.
Es ist auch nicht das Magiesystem: Es ist flexibel, aber kein Quantensprung gegenüber Mage, GURPS Voodoo oder was es noch so an flexiblen Magiesystemen gibt.
Der große Punkt an TRoS sind die Spiritual Attributes. Schmeiß das Setting weg und ersetze es durch Aventurien, schmeiß die Kampfregeln weg und ersetze sie durch BRP, schmeiß die Magieregeln weg und ersetze sie durch Mage: Das alles kannst du machen ohne das Spiel ernsthaft zu verändern, aber solange du die SAs behältst behältst du das was TRoS ausmacht. Die SAs wirken klein und unscheinbar, aber sie verändern das ganze Spiel in eine ungewöhnliche Richtung wie man sie nicht in anderen Fantasyrollenspielen erlebt.
Auftrag der Woche? Dungeons säubern? Monster klatschen? Kann man machen, aber die Charaktere sterben höchstwahrscheinlich ziemlich flott, und selbst wenn sie überleben haben keinerlei Gewinn davon - es gibt hier keine Erfahrungspunkte. Nicht für tote Monster, nicht für geraffte Goldstücke, nicht mal für Anwesenheit oder gutes Rollenspiel.
Deine Erfahrungspunkte sind die Spiritual Attributes, die deine Ziele und Wünsche widerspiegeln: Kalif anstelle des Kalif werden, deine vergewaltigte Schwester rächen, ein eigenes Königreich erobern, das Heilige Land zurückerobern und die dortigen Heiden vom wahren Glauben überzeugen - was auch immer eine brennende Motivation des Charakters und nur unter Mühen zu erreichen ist, ist als SA erlaubt. Sie steigen wenn du deine Ziele verfolgst, geben Bonuswürfeln bei allen Proben die deinen Zielen dienen und werden ausgegeben um den Charakter zu verbessern.
Sie fungieren dabei nicht als strikte Verhaltensbremse. Keine Regel verbietet dir zu deinem Erzfeind freundlich zu sein, ihn zu verteidigen oder mit ihm im Wirtshaus zu trinken - deine SAs sinken zwar wenn du deine Ziele verrätst, aber verboten ist es nicht, es wird nur bestraft.
Das Ergebnis ist - wenn man mit Spielern spielt die verstanden haben was die SAs bedeuten und wie man sie benutzen soll - hochgradig dramatisches Spiel. Alles was die Charaktere machen dient ihren persönlichen Zielen. Konflikte bauen sich auf: Zwischen SCs und NSCs, zwischen den SCs, sogar zwischen den SAs eines einzelnen Charakters. Zusammen mit dem blutigen Kampfsystem spitzt sich alles auf ein fulminantes Finale zu in dem der Boden vom Blut der Erschlagenen getränkt ist und nur die eine oder die andere Seite noch aufrecht stehen kann, ähnlich wie ein Shakespeare-Drama - der Autor bezeichnet den typischen TRoS-Spielstil nicht umsonst als "Blood Opera".
Interessant finde ich am System von TRoS gegenüber anderen Forgespielen wie es auf der einen Seite ziemlich klassisch bleibt, mit Attributen, Fertigkeiten, klassischer Aufteilung von Spielern und SL, Numbercrunching im Kampf und was man noch so alles kennt, es aber auf der anderen Seite durch einen kleinen, feinen Twist schafft innovativ zu sein.
Bevor ein falscher Eindruck entsteht: Ich will nicht das System anpreisen. Jake Norwood zahlt mir kein Geld dafür, ich bin auch kein Fanboy (weder von TRoS noch von Forge noch von ARMA), und ich sehe auch einige üble Macken am Spiel. Die Erweiterungsbücher etwa treiben die Komplexität in einen Bereich jenseits von Gut und Böse, weisen einige üble handwerkliche Schnitzer auf (wenn ich grundlegende Regeln verändere benutze ich dafür Errata oder eine neue Edition, auf keinen Fall die Quellenbücher), und die SAs sind dafür, dass sie das Kernstück von TRoS sind, wahnsinnig schlecht und konfus erklärt. Wie man das Spiel spielen soll erfährt man nur aus Foren oder wenn man die Essays von Ron Edwards dazu studiert - die How-to-Play-Texte bieten nur althergebrachten und teilweise nicht funktionierenden Schwampf. (Wenn man heute noch in ein Rollenspiel die Goldene Regel packt kriege ich die Krätze.)
Und dann ist da noch das Vampire-Problem: Coole, klar zugängliche Grundidee, aber viel Potential dass die Spieler ganz verschiedene Spiele spielen. Man kann damit dramatische Geschichten um für persönliche Ziele streitende HELDEN stricken, sich aber auch in taktischen Endloskämpfen totwürfeln, stundenlange Hartwurst-Einkaufsorgien abwickeln oder auch klassischen Dungeonhack mit klassisch hoher Sterblichkeitsrate produzieren. (Zumindest der Fokus auf das Taktikspiel scheint ein verbreiteter Spielstil bei TRoS zu sein so weit ich die zugehörigen Foren überflogen habe, meistens verbunden mit dem Ersetzen des "unrealistischen" SA-Systems durch ein klassisches XP-System, was die übelste Verkrüpplung ist die man an TRoS anstellen kann.)