In einem Testspiel wurde kritisiert, dass das Fertigkeitensystem von SWN nichts tauge.
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Ich gehe davon aus, dass man ja nicht mit seinen bloßen Händen ein Gebäude aus Beton einreißen kann. Also kann man auch nicht drauf würfeln. Die Frage ist, warum der Autor sowas dann in die Regeln schrieb.
Zum einen ist tatsächlich ein völlig unplausible Ergebnisse bewirkender Wurf natürlich NICHT zulässig. Man läßt - wie übrigens in so gut wie jedem anderen Rollenspiel auch - NUR DANN würfeln, wenn der jeweilige Ergebnisraum ausschließlich Ergebnisse umfaßt, mit denen man sinnvoll und plausibel weiterspielen kann und möchte.
Mit bloßen Händen ein Betongebäude einreißen? - Plausibilitäts-Check: Wie glaubwürdig ist eine solche Aktion nach den bisherigen Ereignissen in der Spielwelt, der Kampagne? Wie fügt sie sich in das sonstige Kompetenzgefüge der Spielwelt ein? Ist ein Erfolg in dieser Aktion nicht einfach zu lächerlich und macht das nicht die "suspension of disbelief" im Spiel kaputt? - Antwort: Mit bloßen Händen reißt man KEINE Betongebäude ein - solange man das allein versucht. Wenn das eine ganze GRUPPE an Abbrucharbeitern, mit Hämmern und dergleichen ausgestattet, versucht, dann geht das natürlich. - Somit: KEIN Wurf.
Dieses seltsame Alien-Artefakt, das hier gerade für Probleme, Unwetter, Explosionen oder ähnlichen Ärger sorgt, irgendwie deaktivieren? - Wie bei vielen Geräten, so könnte allein schon ein zufälliges daran herumhantieren ein Ausschalten (oder ein Verschlimmern der Einstellungen!) bewirken. Wenn ein Charakter dann auch noch Tech-Skill auf 1 oder besser hat, dann darf er den Wurf versuchen. Die Chance ist nicht groß, aber sie ist da und die Ergebnisse sind plausibel und werden sich stimmig in die Spielwelt einfügen. - Somit: Wurf erlaubt.
Es ist doch nicht so schwer: Statt einfach alles "wegzuwürfeln", schaltet man bei SWN - wie eigentlich bei JEDEM anderen Rollenspiel - vorher mal die Plausibilitätsüberlegung ein, die für eine konsistente, glaubwürdige Spielwelt sorgt. Die Regelmechanikanwendung kann ja manchmal unplausible Ergebnisse, die man wirklich überhaupt nicht mehr in die Spielweltrealität hinein-"interpretieren" kann, erbringen. Kein Regelsystem ist in dieser Hinsicht perfekt.
Daher: Erst überlegen, dann würfeln.
Und warum der Entwickler von SWN das so und nicht anders geregelt hat, das kann man ihn selbst fragen:
http://forum.rpg.net/member.php?53760-CardinalXimenes
Er ist nämlich ein SEHR ZUGÄNGLICHER Mensch, der mit viel Geduld ausführlich Auskunft über seine Entwurfsentscheidungen gibt. Man mag dann immer noch andere Präferenzen haben, aber man weiß dann immer genau, was er sich dabei gedacht hat, was er sich überlegt hat, welche Abwägungen er vorgenommen hat und warum es letztlich so herausgekommen ist, wie es in SWN (oder Other Dust oder Spears of the Dawn) steht.
Dann hat mir eine andere Sache Schwierigkeiten bereitet. Ein Spieler wollte in einer Situation "zielen", also auf Aktionen im Kampf verzichten, um dann besser zu treffen. IIRC habe ich ihm dafür +1 Bonus gegeben, das war den Spielern zu wenig, "das Manöver lohne sich dann ja nicht".
Dann ist das ein Spieler, dem solche Old-School-Spiele halt einfach nicht liegen.
Eine FÜLLE an "Kampf-Manövern", die Unmengen situativer Boni oder Abzüge bescheren, das ist gerade NICHT ein Entwurfsziel von SWN. - Der Kampf ist an sich schon recht tödlich. Es ist IMMER riskant zu kämpfen und sollte daher sehr genau überlegt werden, ob man sich diesem Risiko aussetzen möchte.
Ein +1 Bonus als Ad-Hoc-Entscheidung ist erst einmal das, was der SL entschieden hat. Das nimmt man hin, weil es besser als KEIN Bonus ist. Man fängt nicht an über diese Entscheidung herumzujammern und zu maulen. - Vor allem aber: +1 Bonus ist gleichwertig einer effektiven Reduktion der gegnerischen Armor Class um eine ganze Stufe! Das ist daher schon ein HEFTIGER Bonus, weil durch das Zielen ja offenbar eine Schwachstelle in der Panzerung angegriffen werden kann.
Man kann sich überlegen, daß PRO RUNDE Zielen einfach die effektive Armor Class des Gegners um jeweils eine Stufe schlechter wird, bis hin zu "ungerüstet". Das wäre dann ein Schuß, der auf einen tatsächlich minimal geschützten Körperteil trifft. - Ob das bei Power-Armor geht, möchte ich hier eher erst einmal verneinen. Ist die Rüstung umfassend und ohne Schwachstelle, dann bringt das Zielen nichts mehr.
Wenn man ad-hoc-Entscheidungen treffen muss, finde ich es schwierig, mit solcher Kritik umzugehen. Oft ist es ja so, dass die Spieler das Spielprinzip überhaupt nicht verstanden haben.
Es sieht so aus, als ob der betreffende Spieler einfach diese Art von Rollenspielsystem nicht mag, was anderes bevorzugt und das Prinzip hinter den einfachen Old-School-Regeln entweder nicht verstanden hat oder eben einfach nicht das ist, was ihm im Spiel Spaß macht.
Rollenspiel ist halt auch ein Spiel. Dazu gehört, daß man sich als Spieler auch eine gewisse MEISTERSCHAFT in der REGELBEHERRSCHUNG aneignen kann. Das "virtuose" Jonglieren mit Kampf-Manövern, Boni, Waffen- und Ausrüstungsvorteilen, usw. ist auch ein Spaßfaktor im Rollenspiel. Da bietet jedoch ein Old-School-System weniger "Bälle" zum Jonglieren als z.B. D&D 3E.
Natürlich lohnt sich zu zielen, aber nicht für jeden und nicht zu jeder Zeit. Wenn man das Zielen überhaupt so verrechnen kann - ich hätte ja auch entscheiden können zu sagen: "Ok, du zielst und schießt dann. Würfle Angriff." Weil Zielen Teil einer Angriffshandlung ist und die nimmt nun mal 1 Aktion in Anspruch.
Exakt! - Anders ausgedrückt: Wenn Du mal NICHT zielen möchtest, müßtest Du eigentlich Abzüge auf den Angriff hinnehmen! - JEDER Angriff ist ein gezielter Angriff. Das Einbringen aller praktischer Tricks, Taktiken und Möglichkeiten ist alles im - relativ abstrakten - Angriffswurf enthalten. Das ist eine GROBE Granularität und eine ABSTRAKTION der in der Spielwelt natürlich in allen feinen Details stattfindenden Handlung.
Man kann in SWN ja nicht auf Grundlage der Regeln irgendwelche Handlungen ausführen - also "ich verzichte auf eine Aktion und möchte dafür einen Bonus", das wäre ja absurd. Der Spieler soll doch sagen, was sein Charakter TUT und der Spielleiter entscheidet dann, was das in Regelsprache bedeutet.
Exakt!
Anders ausgedrückt: Man spielt nicht so sehr das REGELSPIEL (siehe oben, der Spaßfaktor ist die virtuose Beherrschung aller Regeloptionen), sondern man spielt in Old-School-Rollenspielen das CHARAKTERSPIEL und das Spiel in der Spielwelt. Man sieht aus Sicht des Charakters in die Welt und handelt in dieser. Das Regelspiel rund um Boni usw. ist ja schon eher auf einer Meta-Ebene, abseits des Geschehens in der Spielwelt angesiedelt. Manche Rollenspiele walzen diese Meta-Ebene sehr breit aus, weil eben auch Meta-Gaming Spaß machen kann und eigene Herausforderungen an die SPIELER (nicht deren Charaktere) stellt. Aber eben auch das Old-School-Spiel zielt auf die SPIELER ab: Man kann sich schlecht aus Situationen "herauswürfeln", sondern will eigentlich so wenig wie möglich zu den Würfeln greifen.
Old School heißt, FAKTEN in der Spielwelt zu schaffen, soweit es ohne Würfelwurf möglich ist. Denn: Ein Wurf ist IMMER riskant. Ein Wurf, ein Leben! - Kommt es erst zu einem Wurf, dann hat man vorher schon nicht genug getan diesen zu vermeiden.
Das ist der Grund, warum Old-School-Rollenspiele wie SWN eben so stark auf das Spielen des CHARAKTERS ausgerichtet sind.