AW: Spirit of the Century
Verfügbarkeit:
PDF, Softcover (dann gibt das PDF kostenlos dazu) und PoD-Hardcover (sehr edel, die Extraausgabe hat sich gelohnt).
Umfang:
SotC hat etwa 400 Seiten, da es sich dabei aber um das Indietypische 5"x9"-Format handelt (etwas grösser als A5) entspricht das nur etwa 200 "normalen" Regelbuchseiten.
Layout:
Einspaltiger Text, vereinzelte Schwarz-Weiss-Illustrationen, erfreulich wenige Rechtschreibfehler.
Setting: Die einzige "echte" Settinggrundlage ist die Tatsache, das das Spiel in den frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt, alle Charaktere am 1.1.1900 geboren sind und dem Century Club angehören, der mit ihrem Geburtsdatum eine Prophezeiung für große Taten verbindet.
Die Welt ist die Erde des frühen 20. Jahrhunderts...allerdings in der Pulpversion. Besonderheiten wie verschiedene interessante Nationen, die Prohibition und natürlich auch die allseits beliebten Nazis werden kurz angeschnitten und hinsichtlich ihrer Verwendbarkeit fürs Spiel durchleutet.
Das System:
SotC verwendet die neueste Version des FATE-Regelwerks, eines FUDGE-Derivats. Generell existiert eine Art Skala:
+8 Legendary
+7 Epic
+6 Fantastic
+5 Superb
+4 Great
+3 Good
+2 Fair
+1 Average
0 Mediocre
-1 Poor
-2 Terrible
Attribute liegen irgenwo auf dieser Skala, dazu werden 4wF (Fudge-Würfel) geworfen, und das Ergebnis ermittelt. Fudge-Würfel sind W6 auf denen 2x+, 2x- und zwei leere Seiten existieren. Plusse verschieben das Ergebnis um eine Stufe nach oben, Minusse um eine nach unten. Man kann auch W6 verwenden, 1-2 entspricht dann Minus, 3-4 einer leeren Seite und 5-6 einem Plus.
Beispielzeit.
Joe Pulp hat ein Driving-Skill von "Good". Er würfelt +,+, -, 0. Das Endergebnis entspricht seinem Talentwert ("Good"), der um eines nach oben korrigiert wird. Das Endergebnis ist also "Great".
Wer das bessere Gesamtergebnis abliefert, gewinnt, um es vereinfacht auszudrücken.
Die Charaktere:
Charaktere in SotC beginnen auf einem sehr hohen Kompetenzniveau. Generell verwendet FATE eine Skillpyramide. Jeder Charakter hat ein Skill, das er am besten beherrscht, 2 die er auf einem geringeren Niveau hat etc.
SotC verwendet eher wenige Skills, 28 Stück um genau zu sein. Es existieren keine separaten Attribute, weswegen einige Skills eher dem entsprechen, was man in anderen RPGs als Attribute oder Hintergründe bezeichnen würde, z.B. Resources (Reichtum) oder Might (Stärke).
SotC-Charaktere besitzen folgende Skills:
1 Skill auf "Superb"
2 Skills auf "Great
3 Skills auf "Good"
4 Skills auf "Fair"
5 Skills auf "Average"
und alle(!) weiteren Skills auf Mediocre, was "Durchschnittlich" entspricht. Führt man sich nun vor Augen das ein "normaler" Wissenschaftler das Skill Science auch nur auf "Mediocre" beherrscht, wird einem schnell klar das die Charaktere hier in einer ganz anderen Liga spielen. Kein Charakter ist in irgendeinem Fachgebiet wirklich inkompetent.
Charaktere besitzen desweiteren 10 sogenannte Aspects (zu denen ich weiter unten komme) und 5 Stunts.
Stunts sind Besonderheiten, die von freidefinierbaren Gadgets ("Was für ein Glück, das ich meine patentierte Dr. Pulp-Kletterhakenkanone dabei hatte!") über Boni ("Lightning Jack ist der schnellste Mann der Welt! Natürlich kann er ein Auto einholen!") bis hin zu Attributssubstitutionen reichen können ("Ich, Dr Boysenberg, hatte nie Training mit einer Feuerwaffe...aber wenn man es recht bedenkt, benötigt man nur eine einfache physikalische Gleichung um die Flugbahn eines Geschosses zu berechnen..."). Jeder Charakter besitzt 5 davon, und Stunts sind ein hervorragender Indikator dafür, in welche Art von Situationen der Charakter verwickelt werden möchte.
Aspects und Fate Points.
Ein Aspekt ist eine frei definierbare Ausschmückung des Charakters. Sie können von simpel ("Stark" "sieht schlecht") über stimmungsvoll ("Stark wie ein Berggorilla!" "Modische Augenklappe") bis hin zu sehr speziell und Hintergrundsdefinierend schwanken ("Der Mann aus Eisen!" "Rache für mein verlorenes Augenlicht!").
Aspekte können getaggt werden. Das kostet im allgemeinen einen Fate Point.
Nicht nur Charaktere, aus Szenen können mehr oder weniger offene Aspekte besitzen. Ein Aspekt, der einem Charakter nützt, bringt 2+ auf einen Wurf.
Beispiel:
Pulpzan hat den Aspekt "Stärkster Mann der Welt". Er möchte nun Jane Pulp, die von einem zentnerschweren Baumstamm eingeklemmt wurde, aus ihrer misslichen Lage befreien. Er opfert einen Fate Point, benutzt seinen Aspekt "stärkster Mann der Welt" und bekommt +2 auf den Wurf.
Natürlich funktioniert das auch in die andere Richtung. Wann immer ein Aspekt gegen einen Charakter verwendet wird, erhält er einen (oder sogar mehrere) Fate Points zur freien Verwendung.
In der Praxis sollte man daher auch einige Nachteile oder zumindest als Nachteil verwendbare Aspekte besitzen, damit die Fate Points fliessen.
Aspekte können auch "genötigt" (compelled) werden. In diesem Falle zwingt der Aspekt einen Charakter dazu, etwas "dummes" zu tun (namentlich wird der Aspekt als Plothook benutzt). Der Charakter erhält im Gegenzug dafür Fate Points. Sollte er sich weigern, kostet ihn das einen (oder mehrere) Fate Points.
Es sollte erwähnt werden, das auch NSCs Fate Points haben, und nicht davor zurückschrecken sie an den Spielern zu benutzen.
Es existieren noch einige Sonderfälle, wie z.B. das Einbringen neuer Aspekte durch Handlungen (ein kräftiger Tritt gegen die Petroleumlampe z.B. und der Heuschober hat den Aspekt "Es brennt!" bekommen...) und deren kostenlose Verwendung, aber das würde den Rahmen hier sprengen.
Kämpfe:
...funktionieren genauso wie alle anderen langfristigen Skillchecks. Jeder Charakter hat einen Schadensmeter für Health und Composure, und jede Attacke füllt diesen. Wenn diese Gefüllt sind, oder der Schaden diesen Rahmen sprengt, erhält er eine Consequence, einen offen sichtbaren negativen Aspekt (wie z.B. "Rippen gebrochen"). Nach der 3. Consequence ist der Charakter aus der Handlung genommen, und der Gewinner darf erzählen wie. Es steht jedem Charakter frei, nach der 1. oder 2. Consequence das Handtuch zu werfen. In diesem Falle darf er selbst erzählen, wie er aus der Handlung genommen wurde. (Sterben kann ohne Einverständnis des Spielers/Spielleiters generell niemand, ganz der Vorlage entsprechend.)
Waffen bringen keinerlei Vorteile, sondern sind eine reine Stilfrage. Ein Faustkämpfer ist genauso "tödlich" wie ein Pistolenschütze. Der einzige Regeltechnische vorteil ist der, das der Schütze aus der Distanz agieren kann, die der Schläger erst einmal überwinden muss. Aber z.B. ist eine Tommygun nicht tödlicher als ein Kaliber .32 Special Revolver. Stattdessen zählt, wer das Ding in der Hand hält.
Soviel mal zum System.
Das System füllt mit allen Stunts und Sonderregeln gerade mal 200 Seiten im Buch. Die restlichen 220 sind mit Tips für den Spielleiter gefüllt, wie man das Pulp-Feeling adäquat am Spieltisch umsetzen kann. Von gängigen Plottwists über Tips zum Einsatz von "Ninjas" findet sich alles, was der Spielleiter brauchen kann.
Ich bin wirklich nicht neu in der Branche, aber dieser Bereich hier kann sich wirklich sehen lassen, und hätte auch als separat publizierter Ratgeber für angehende Spielleiter eine gute Figur gemacht.
Eine Latte von Beispiel-NSC-Stuntpaketen, sortiert nach relevantem Skill ("Verrückter Wissenschaftler", "Herr des Dschungels", "Mann aus einer anderen Zeit"), eine Bibliographie, die Comics, Filme, Bücher und auch einige relevante Webseiten abdeckt und einige Beispielcharaktere und Bösewichter sowie ein Einstiegsabenteuer runden dieses Kapitel ab.
Eine Auffälligkeit an SotC ist, das die Charaktere reichlich statisch sind. Skillwerte steigen im allgemeinen nicht. Zwar ist es möglich, die Positionen von Skills innerhalb der Pyramide auszutauschen, aber eine wirkliche Verbesserung des Kompetenzniveaus findet normalerweise nicht statt.
Charaktere können neue Aspekte dazubekommen (und Stunts, im verhältnis von 2 Aspekten zu einem Stunt), aber generell wird empfohlen, diese Dinge eher
auszutauschen, also alte, überholte Aspekte gegen neue und selten benutzte Stunts gegen geeignetere auszuwechseln. Ein SotC-Charakter befindet sich eigentlich schon auf dem Zenit seiner Fähigkeiten, und wächst im Gegenzug zu einem typischen Stufe-1-Krieger nicht mehr besonders viel weiter. Er kann sich aber
verändern.
Ein interessanter Ansatz, den ich gerne auch in anderen Spielen sehen würde.
-Silver