Was unterscheidet ein für ein Rollenspiel entwickeltes Setting, das OHNE Ausrichtung oder Anpassung für ein Regelsystem publiziert wird, denn von einem NICHT-Rollenspiel-Setting?
Wenn ich z.B. ein Setting wie Firefly, Supernatural oder MADDRAX nehme, dann existieren dafür ja umfangreiche Wikis, in denen so gut wie alle Setting-Fluff-Informationen aufbereitet und recherchierbar zu finden sind.
Zudem bekommt man über die TV-Serie , Fanfiction bzw. Heftromanreihe , sogar noch viel mehr Informationen über Verhalten, Kulturen, Genre- und Setting-Versatzstücke.
Eine Rollenspieladaption eines solchen SEHR UMFANGREICH beschriebenen Settings ist aber immer noch alles andere als "keine Arbeit". Im Gegenteil! Allein das Ausdrücken settingspezifischer Elemente in den Spielwerten des jeweiligen Zielsystems kann sehr unterschiedlich aufwendig werden - oder sogar unmöglich sein!
Welchen MEHRWERT aus Sicht eines Kunden/Nutzers, der das Setting ja explizit FÜR DAS ROLLENSPIELEN verwenden möchte, bietet denn solch ein Settingband ohne jegliche Regeladaption?
Zum Vergleich:
Midgard-Produkte "Corrinis" und "Tidford" hatten eine Art "Pseudo-System" für die Angabe von Spielwerten in sehr vereinfachter, nicht auf ein konkretes Rollenspielregelwerk bezogener Form geboten. Allein diese Aufbereitung als "Zwischenschritt" zur eigentlichen Abbildung in im Spiel verwendbare Spielwerte ist schon ein gewisser Mehrwert für die Verwendung im Rollenspiel.
"Malmsturm" bietet mit dem Weltbeschreibungsband keinen spielwertelosen Weltband an, sondern hat alles Notwendige in der Weltbeschreibung mit Fate-Spielwerten (Aspekten, Stunts, Skills, Streßbalken, etc.) unterfüttert. Der Mehrwert für Fate-Spieler ist hier offensichtlich, und wer Fate-Spielwerte versteht, der kann diese als Basis für eine Adaption an andere Regelwerke verwenden.
Die obigen Beispiele sind Spielwelt- bzw. Setting-/Stadt-Beschreibungen, die explizit als für unterschiedliche Regelsysteme zugänglich konzipiert wurden, die aber nicht etwa "trotzdem", sondern WEIL sie für den Einsatz im Rollenspiel gedacht sind, mit KONKRETEN SPIELWERTEN (für sehr simple Systeme, aber eben mehr als überhaupt keine Angaben!) daherkommen.
Ein Settingband, der wirklich ÜBERHAUPT KEINE Spielwertangaben, KEINE Quantitäten, Vergleiche, klare, konsistent dargebotene Eigenschaften, etc. zu bieten hat, der ist für die Verwendung im Rollenspiel grundsätzlich NICHT ausgelegt! Der unterscheidet sich kein Stück zu einer entsprechend aufbereiteten Weltbeschreibung eines Nicht-Rollenspiel-Settings. -
Gut aufbereitete Setting-Wikis gibt es für einen ganzen Haufen Settings, für die es keinerlei Rollenspieladaption gibt, bzw. gab. Vergleicht man z.B. einmal das Firefly-Wiki mit den Adaptionen Serenity RPG, diversen Firefly-Conversions (z.B. für Fate, Savage Worlds, Unisystem, etc.), dann sieht man, daß JEDE Adaption ANDERE Schwerpunkte setzt und ANDERE Facetten des Settings in den Vordergrund stellt.
Und das ist auch NÖTIG!
Denn eine nahezu beliebige, "sich gut lesende" Spielweltbeschreibung stellt ja keine Aufbereitung für ein bestimmtes, gewünschtes Gameplay dar! - Aber ROLLENSPIELE sind nun einmal Spiele und keine Romane! Daher ist die Gameplay-Frage geradezu essentiell.
Wie breiten Raum soll in einem Firefly-Rollenspiel die Facette des Beziehungsdramas zwischen den Charakteren einnehmen? Wie wichtig soll hier die Charakterentwicklung der einzelnen Charaktere sein? Welchen Stellenwert soll im Spiel der Action-Aspekt einnehmen? Welche Bedeutung hat die Bewirtschaftung eines Raumschiffs?
Erst wenn man solche Frage geklärt hat, dann ist es überhaupt sinnvoll die entsprechenden Informationen aus der Fülle des Fluffs zusammenzutragen. - Niemand, bei dem das Beziehungsdrama die Hauptbedeutung hat, wird sich die Arbeit machen müssen, alle Wirtschaftsdaten aller Planeten und Monde, sowie die Betriebsdaten von Raumschiffen, die Handels- und Wirtschaftssimulation im 'verse zusammenzustellen. Aber wenn man die Geldknappheit und das karge Wirtschaften in den Vordergrund stellen möchte, dann sind solche Informationen für das Spiel notwendig, damit die Spieler informierte Entscheidungen in der Spielwelt treffen können.
Somit ist eigentlich auch beim Versuch ein Setting OHNE Zielregelsystem zu beschreiben, IMMER eine "Filterung" aller nur erdenklichen Settinginformationen hinsichtlich der beabsichtigten Schwerpunktsetzung, des Brennpunkts dessen, was im Spiel am Tisch wirklich von Bedeutung sein soll, notwendig. - Damit verwendet man so oder so eine Art "impliziertes System", auch wenn man kein konkretes Regelsystem für den Ausdruck von Qualitäten und Quantitäten verwenden möchte.
Und jetzt kommt es zu einem Problem.
Wie drückt man bestimmte Qualitäten und Quantitäten aus? - Wie drückt man sie so klar, verständlich und konsistent(!) aus, daß sie sich einem Leser, der den Text liest, UM ZU SPIELEN, auch mit vertretbarem Aufwand erschließen?
Der Wirt der Kneipe "Zum Ochsen" ist ziemlich stark. - Der Truppführer der Stadtwachen ist ein Bär von einem Mann. - Der Leibwächter des Sultans ist ein wahrer Hühne. - Der Lastenträger in der Karawanserei hat Muskeln wie Stahl.
Wer von diesen ist stärker als der andere?
Genau solche Fragestellungen sind im Rollenspiel öfter relevant, als sie es in einem Roman(setting) wären, da im letzteren einfach der Ausgang eventueller Konflikte ausschließlich vom Autoren frei entschieden wird, im Rollenspiel aber mindestens ein Vergleich mit Spielercharakteren notwendig ist, um die Spieler nicht zu reinen Zuschauern, deren Charaktere vom SL als dessen "Marionetten" gespielt werden, zu degradieren.
Daher sind QUANTITÄTEN auch - und GERADE! - bei narrativen Systemen enorm wichtig. Sie erlauben es überhaupt erst die Konfliktlage einzuschätzen, die Schilderungen adäquat abzugeben, die letztlich die Fiktion formen.
Mal zum Unterschied:
Der Wirt der Kneipe "Zum Ochsen" ist ziemlich stark. (St ++) - Der Truppführer der Stadtwachen ist ein Bär von einem Mann. (St ++, Ko ++) - Der Leibwächter des Sultans ist ein wahrer Hühne. (St +++, Ko ++) - Der Lastenträger in der Karawanserei hat Muskeln wie Stahl. (St +, Ko +++)
Allein die oben mit "Pseudo-Spielwerten" versehenen Angaben zu Stärke (St) und Konstitution (Ko) zeichnen ein wesentlich KLARERES BILD mit den sehr komprimierten Angaben, als es freie, weiche, wortreiche Schilderungen je könnten.
Spielwerte REDUZIEREN die KOMPLEXITÄT, die in der Freiform rein textueller Schilderungen in Romansettings, Filmsettings oder komplett spielwertelosen Weltbeschreibungen vorhanden ist.
Bricht man z.B. all die möglichen unterschiedlichen Formulierungen zur körperlichen Verfassung auf wenige Spielwerte-Kategorien (Attribute, Ausdauerpunkte, etc.) und konkrete Quantitäten herunter, dann kann man IM SPIEL einfach schneller und klarer die Situation erfassen, sie besser schildern und somit die eigentliche Settinginformation zu SPIELRELEVANTEN FAKTEN machen.
Ein romanhaft heruntergeschriebenes Setting ist einfach zu unhandlich, zu unübersichtlich, zu komplex, um es im Spiel wirklich verwenden zu können. - Der Arbeitsaufwand ein solches Setting SPIELBAR zu machen, ist nicht zu unterschätzen.
Man schaue sich mal an, wie umfangreich die Regeladaptionen ausgefallen sind, die allein für das Beispiel des Firefly-Settings in Form des Serenity RPGs vorgenommen wurden. - Dieses Rollenspielregelwerk setzt bestimmte Schwerpunkte, filtert die Unmenge an Settinginformationen, bietet klare, verdichtete(!) und daher schnell erfaßbare Informationen, die alle maximale Spielrelevanz aufweisen.
Und da wären wir auch schon bei dem Grund, aus dem sich eben TOTAL SPIELWERTELOSE Settingbände einfach nicht an den Mann bringen lassen.
Es ist schlichtweg ZUVIEL Arbeit notwendig, um ganz ohne Spielwerte irgendetwas Spielbares aus solch einem Setting zu machen.
Und auch schon Pseudo-System-Spielwerte stellen eine immer noch nicht geringe Hürde dar, die erst mit viel Energie überwunden werden muß, um das Material nutzen zu können.
Der einzige Weg, der sich wirklich BEWÄHRT hat, ein Setting quer für unterschiedliche Regelsysteme zu erschließen, ist, den Settingband in jeweils auf diese unterschiedlichen Zielsysteme direkt abgefaßten unterschiedlichen REGELAUSGABEN zu veröffentlichen.
Kerberos Club - One Roll Engine, Savage Worlds, Fate.
Day after Ragnarok - Savage Worlds, Hero System, Fate Core.
Achtung! Cthulhu - Basic Roleplaying System, Savage Worlds, PDQ, Gumshoe System
usw.
Multi-System-Ausgaben gab es seit den Anfängen des Rollenspiels. - So wurde die erste Thieves World Box mit Spielwerten für ein Dutzend Regelsysteme erstellt. Nicht als separate Produkte, sondern alles in demselben Produkt. - Ebenso bei manchen D20-Produkten, die "double statted", also mit Spielwerten für zwei Systeme, erstellt wurden.
Wenn man also heutzutage ein Setting, eine Spielwelt entwerfen möchte, das ZUM SPIELEN genutzt werden soll, dann geht kaum ein Weg daran vorbei, dieses Produkt mit konkreten SPIELWERTEN zu unterfüttern.
Bücher von Spielwelten, die man sich dann nur ins Regal stellt, weil es viel zu viel Aufwand wäre all den Text zu durchforsten und daraus irgendeine Abbildung in Spielwerte eines eigenen Lieblingssystems vorzunehmen, sind klassische TOTGEBURTEN in der Rollenspielproduktlandschaft.
Mal die Hände hoch, wer solche KOMPLETT spielwertelosen Settings tatsächlich mit Spielwerten für ein Regelsystem versehen hat und es (mehr oder weniger lang) gespielt hat!
Ich jedenfalls konvertiere lieber Settings, die für andere Regelsysteme, die ich selbst nicht spiele, bei deren Spielwerten ich aber auf verdichtete Weise die relevanten Informationen STRUKTURIERT entnehmen kann, als daß ich freie Setting-Adaptionen von noch nie für Rollenspielregeln erschlossene Settings vornehme.