AW: Rollenspielläden
Hannover war zur Geburtsstunde der deutschen Rollenspiele sehr gut aufgestellt. Es gab einige Verkaufsstellen, die auch sofort Rollenspiele führten: TBS, Comics am Raschplatz und Karstadt.
An erster Stelle muss natürlich das Urgestein Trivial Book Shop genannt werden - ein Second Hand-Romantausch-Comicshop, der sich im Lauf der Jahre zu einem "richtigen" Comicshop gemausert hat. Dort habe ich nur wenige Tage nach Erscheinen die rote D&D-Basis-Box gekauft. (Ich hatte eine blasse Ahnung, was mich erwarten würde, da die Spielbox, ein sehr gutes Brettspiel-Fachmagazin, das ich damals regelmäßig las, schon über die aus den USA "drohende" Welle an Fantasyspielen berichtet hatte.)
Der Laden war damals schon in der Marienstraße, aber ziemlich weit hinten unter den Arkaden. Ein Verkaufsraum mit Regalen an den Wänden und einem Regal in der Mitte, ziemlich eng und so verkramt, wie man es von einer Romantauschbörse erwarten konnte. (Auch wenn der Laden in seiner glorreichen Geschichte immer größer und bedeutsamer wurde, von diesem Image konnte er sich nie befreien.)
Später zog der Laden in ein anderes Lokal in der gleichen Straße, näher an die U-Bahnstation Aegidientorplatz heran. Hier bestand er aus drei großen Räumen, die die drei Themengebiete Comics, SF-/Fantasy-Romane und Rollenspiel/Merchandise-Schnickschnack abdeckten. Es war immer noch schummrig und verwinkelt und wegen der schlauchartigen Anordnung der Räume musste der Besucherstrom in genau dieser Reihenfolge durch die Abteilungen. Verkaufspersonal war nur im ersten und dritten Raum, weshalb man seine Taschen am Eingang abgeben musste.
Im ersten Stock (und Gerüchten zufolge auch im Keller) war ein gewaltiges Lager (Raiders of the Lost Ark-gewaltig, nur damit wir uns verstehen), in dem die gesamte deutsche und amerikanische Comic-Geschichte archiviert lag. In zigfacher Ausführung. Dieses Lager durfte von wissenden Kunden auch besucht und durchstöbert werden. Von hier wurde der Versandhandel bedient, denn der TBS war immer noch hauptsächlich ein Comic-Antiquariat mit Kunden in der ganzen Welt.
Mit dem Umzug habe ich auch zum ersten Mal Pedder wahrgenommen, der die Rollenspielabteilung betreute. Ein Hannoversches Original mit einem lauten und schrägen Humor, der bei den Stammkunden sehr gut ankam. (Um Pedder gab es geradezu einen Personenkult. Als er ca. 1990 den Hauptsaal der Hannoverschen Convention, EARTH, betrat, hat irgendjemand "Hey, da ist Pedder!" gerufen und der ganze Saal brach in plötzlichem Applaus und Standing Ovations aus.)
Im Rollenspieldrittel des Ladens gab es Ende der Achtziger/Anfang der Neunziger einen Spieltisch, an dem gezockt werden konnte. Im Sommer wurde der Tisch auf den Innenhof gestellt, der von dem Laden zur Hälfte umrahmt wurde. (Ich weiß nicht, was die Bewohner des Hauses dazu gesagt haben...)
Der TBS, wie er von seinen Fans liebevoll genannt wurde, vergrößerte sich im Zuge der Magic-Welle abermals und mietete zwei weitere Lokale auf der gegenüberliegenden Straßenseite, "Shop 2" und "Shop 3". Shop 3 war der Kartenladen. Shop 2 wurde während des Niederganges des TBS zum Hauptgeschäft, als in den späten Neunzigern die großen Räume aufgegeben werden mussten.
In seiner Blütezeit war der TBS exzellent sortiert. Dort gab es einfach alles, von Arduin Grimoire über Judges Guild bis zu den obskursten FGU-Titeln. Wargames, Puzzles, Würfel, Aliens-Modellbausätze. Der aktuelle Dragon stand beinahe hüfthoch als Stapelware mitten im Raum. Heute ist das kaum noch vorstellbar.
Seit dem Schließen der Ladenlokale (Anfang der 2000er herum, wer hat das genaue Datum?) wird das Geschäft als Versand- und eBay-Handel aus einem Lager am Rand von Hannover fortgesetzt. Pedder ist von der Bildfläche verschwunden. Der Verkäufer aus Shop 3 hat sich mit einem eigenen Karten- und Second-Hand-Comicladen (kein Rollenspielladen) selbstständig gemacht: Staubis Shop ist unweit der alten Wirkungsstätte in der Marienstraße (schräg gegenüber vom Henriettenstift).
Eine Zeitlang gab es einen Ableger in Braunschweig, der im Lauf der Jahre aber verkauft wurde (aber unter dem gleichen Namen weitermachte). Wann er geschlossen hat, weiß ich nicht.
Der große Konkurrent des TBS war Buch & Comic, ein Laden, der in Hannover eher als Comics am Raschplatz bekannt war. Ein großer und großzügig gestalteter, neonlichtdurchfluteter Laden in exzellenter Lage, direkt am Hinterausgang des Hauptbahnhofes. Auch hier begannen Rollenspiele nur als Begleitsortiment, denn das Augenmerk lag auf Comics und Graphic Novels, Artbooks, Cartoons und Genre-Literatur (SF, Fantasy, Krimi). Vor dem Laden gab es immer Schütten von Angebotstiteln, Postkarten, Kinoplakaten, Postern.
Wegen des freundlichen Personals war Comics am Raschplatz bald meine Hauptanlaufstelle für Rollenspielmaterial. Der TBS mag besser sortiert gewesen sein, aber die Präsentation gefiel mir besser (außerdem war die Comic-Abteilung übersichtlicher).
Als der TBS wuchs, konnte auch der Raschplatz nicht zurückstehen. Spieltische für Sammelkartenzocker und Warhammer-Zinn verlangten nach mehr Platz.
Ob an den Tischen im Comics am Raschplatz je Rollenspielrunden gespielt wurden, weiß ich nicht.
Der Laden hat im Zuge des abflauenden Spielemarktes und dem nicht enden wollenden Umbau des Hannoverschen Hauptbahnhofes und Raschplatzes ziemlich gelitten. Vor einigen Jahren (als der Raschplatz endgültig zur Baustelle wurde) ist der Laden in die Nähe des Steintors gezogen, in einen kleineren und engeren zweigeschossigen Laden (der mir aber zeigt, dass man mit dieser Beschränkung nicht zwangsläufig zum TBS-Kramladen werden muss - hier ist alles wohl sortiert). Bei Rollenspielen hat man sich auf die erfolgreichen Linien beschränkt.
In der Frühzeit der Rollenspiele konnte man nicht nur DSA bei Karstadt kaufen, sondern auch das amerikanische D&D. Im Hannoverschen Karstadt Sport- und Hobby-Haus hatte AD&D ein eigenes, ein Meter breites Display, auf dem die US-Ausgaben des PHB, DMG, MM und D&D-Boxen zu finden waren, dazu Module und die von TSR produzierten D&D-Zinnfiguren-Sets. Das endete vermutlich mit dem Ende der FSV-Lizenz.
Das waren die drei Läden, die von der ersten Sekunde an dabei waren.
Schon kurz nach dem Erscheinen von D&D, S&D, Sternengarde und DSA eröffnete 1985 am Schwarzen Bären ein Laden, der sich schlicht Der Spieleladen nannte; ein auf Brettspiele, Kinderspiele und Puzzles konzentrierter Laden, der ganz in dem Achtziger-Öko-Stil eingerichtet war. Ikea-Regale, zweieinhalb Spieltische und Teppich sollten eine wohnliche Atmosphäre suggerieren. Alle Spiele waren offen und konnten unter Anleitung des Inhabers probegespielt werden. Der Schwerpunkt lag nicht auf Ravensburger und MB (die man natürlich auch finden konnte), sondern auf den in Heimarbeit zusammengezimmerten alternativen Spielideen der Kleinverlage (wer erinnert sich nicht an die "Pizzaschachteln" von Kreml oder Igel ärgern?).
Zu dem Vollsortiment eines Spieleladens gehörten allerdings auch Importspiele (Avalon Hill, Victory Games) und über diese Schiene auch Rollenspiele. Da ich über den Umweg der Brettspiele (Spielbox-Artikel) zum Rollenspiel gekommen war, fühlte ich mich dort in der Tat bald zuhause. Wenige Monate nach Eröffnung war ich schon im Besitz eines Ladenschlüssels, um die samstäglichen Rollenspiel-Einführungsrunden abzuhalten. Da die Betreiber des Laden keinen Draht zu Rollenspielen hatten, betreute ich bald auch die Rollenspiel-Bestellungen. Fünf Jahre später hing ich meinen erlernten Beruf an den Nagel, um dort zu arbeiten, und habe wieder einige Jahre später zusammen mit einem anderen Stammkunden und Mitarbeiter den Laden ganz übernommen.
Der Laden zog in eine andere Lage (Lister Meile), wo er fünf Jahre lang mit einer erheblich höheren Miete zu kämpfen hatte (ohne im erhofften Maße von der Nähe zur Fußgängerzone zu profitieren) und letzten Endes doch aufgegeben wurde. Es gab einen kurzen Versuch, das Ladenkonzept in die Nordstadt (Uni-Nähe) zu transferieren (MondBuchstaben), aber die Zeit für Spieleläden im Stil der Achtziger war 2003 einfach vorbei gewesen. Die Verlage, auf denen die spezialisierten Spieleläden ihren Ruf begründeten (z.B. Hans im Glück, Frankh-Kosmos, Amigo), waren selbst groß geworden und in jedem Kaufhaus zu finden. Man musste nicht mehr kleine Fachgeschäfte aufsuchen, um gute Familienspiele zu kaufen, und mit dem Internet war auch die Beratung kein Mehrwert mehr.
Es gab zwar Spieltische, die während der Öffnungszeiten auch bespielt wurden, aber Rollenspiel fand dort nur am Samstag nach Ladenschluss statt. Der Hauptzweck der Tische war das Ausbreiten und Antesten der Brettspiele.
Der letzte verbliebene Rollenspielladen in Hannover ist das Fantasy-In am Aegidientorplatz. Die Gründung dieses Ladens in den Neunzigern war schon ein kleiner Skandal. Die Gründer haben nämlich zuvor im TBS gejobbt, und es war Pedder danach deutlich anzumerken, dass er diesen "Dolchstoß" nie verwunden hat. Der sinkende Stern des TBS ist eng mit dem Aufstieg des Fantasy-In verknüpft. Ich kann nur raten, was für Kundenwanderungen da stattgefunden haben müssen.
Das Fantasy-In hatte als einziger der Hannoverschen Läden kein "Hauptsortiment", mit dem die Rollenspiele (oder im weiteren Sinne Fantasyspiele, wenn man Warhammer und Magic mit dazu rechnet) quersubventioniert wurden. (Obwohl der Rollenspielumsatz des TBS sicherlich auch einen eigenständigen, entsprechend kleineren Laden getragen hätte.) Im Fantasy-In wurden Brettspiele and ein Drehständer mit Comics als Nebensortimente geführt.
Das Fantasy-In trat frech und frisch und jugendlich auf (im Gegensatz zu den bärtigen "alten Säcken" der anderen Läden), ließ sich in der ersten Ausgabe des im nahen Umfeld erscheinenden Envoyers feiern, setzte sofort auch auf Versandhandel (man hat ja vom TBS gelernt) und dürfte einer der ersten Rollenspiel-Internetshops gewesen sein.
Bei Eröffnung war der Laden einer der ersten Mieter eines neuen Einkaufszentrums am Ende der Lister Meile. Die Architektur und die Einrichtung waren atemberaubend und das frühe Fantasy-In bildet für mich bis heute noch das Ideal eines modernen, nicht-freakigen Spieleladens. (Als Angestellter des Spieleladens hat mir das damals natürlich einen Stich versetzt.)
Da das Einkaufszentrum nicht in Schwung kam (über die Hälfte der Ladenflächen waren nicht vermietbar), eröffnete das Fantasy-In bald ein Zweiggeschäft in der Innenstadt, in einer Einkaufspassage am Steintor. Hier wurden vor allem Warhammer & Co propagiert, es gab Geländeplatten und ein rudimentäres Rollenspielsortiment. Die Konzentration auf Warhammer rächte sich bald, denn als GW bemerkte, dass an diesem Standort viel verkauft wurde, eröffnete auf der anderen Straßenseite ein Games Workshop-Geschäft, das m.W. bis zum heutigen Tage existiert.
Die beiden Fantasy-In-Geschäfte verließen ihre Lokale und vereinigten sich in einem neuen Geschäft am Aegidientorplatz, womit sich der Kreis schließt und das Fantasy-In in jeder Hinsicht die Nachfolge des Trivial Book Shops angetreten hat.
Im Fantasy-In stellt Spieltische im Kellerraum zur Verfügung. Eine Zeitlang musste man Mitglied in einem ladeneigenen Club sein, um die Tische nutzen zu können. Ob das heute noch so ist, weiß ich nicht.
[Fortsetzung folgt...]