AW: Rollenspielläden
Hannover scheint ja tatsächlich eine Keimzelle gewesen zu sein.
Ok, die angekündigte Fortsetzung.
Eine Beschreibung der Hannoverschen Szene wäre unvollständig ohne die Vereine und Communities, die trabantenhaft die Läden umkreisten.
Der TBS hatte zwei Gruppierungen, die ihm nahe standen. Da war zunächst der
SFCD (Science Fiction Club Deutschland), der so manche Traveller-Fans hatte. In jeden Tagen war Lutz Reimers der Vorsitzende. Lutz Reimers war damals der größte Fürsprecher RuneQuests; er hatte das RuneQuest-Regelwerk übersetzt und nach einem Verlag gesucht. (Es sollte allerdings bis 1991 dauern, bis RQ endlich bei WDS erschien.)
Aus diesem Umfeld stammt auch Jürgen Pirner, der Chefredakteur der ZauberZeit und Herausgeber der Nachfolgemagazine Nautilus und Kartefakt.
Der andere Verein war der
HSSV (Hemminger Simulations-Spiele-Verein; für nicht-Hannoveraner: Hemmingen ist ein Vorort von Hannover), der unter dem Namen
EARTH die ersten lokalen Conventions organisierte.
Es gab auch mehr oder weniger regelmäßige kleine Treffen, auf denen (Hörensagen; ich habe das nicht selbst erlebt) Traveller stark war. Für einzelne Spielrunden wurden sogar Räume in einem Freizeitheim gemietet.
1992 gründeten sich die
Nordlichter, die hannoversche Regionalvertretung des
GFR e.V. (Gilde der Fantasy-Rollenspieler). Die Gründungsmitglieder stammten alle aus dem Umfeld des Spieleladens. Zweck war die Organisation eines GFR-Cons in Hannover. (Die GFR hatte damals viele Regionalvertretungen und entsprechend viele kleine Conventions, die alle einen gewissen organisatorischen Qualitätsstandard hatten - sowas wünschten wir uns für Hannover auch.)
Zusätzlich zu
H spielt! hatten die Nordlichter einen wöchentlichen Spiel-Stammtisch im Keller einer Kirchengemeinde in der Südstadt.
Die bemerkenswerteste Bewegung war jedoch kein organisierter Verein, sondern definierte sich durch einen Treffpunkt: den
Calenberger Laden. Der Calenberger Laden verdankte seinen Namen einer kirchlichen Begegnungsstätte, die in einem ganz normalen Ladenlokal untergebracht war und ihre Räume an Selbsthilfe- und Jugendgruppen vermietete -- und eben auch an Rollenspieler.
Es war die zeitweilig aktivste und größte Rollenspielgruppierung in Hannover; neben DSA wurde dort oft Cyberpunk gespielt, und eine legendäre Star Trek TNG Kampagne (nach Cyberpunk-Regeln). Einmal im Jahr wurden kompetetive DSA-Turniere veranstaltet, gegen die alle RPGA-AD&D-Turniere wie Kuschelrunden aussahen. (Con-Turnierspiele, wie sie das RPGA Network in den Staaten ausrichtete, galten hierzulande damals selbst unter AD&D-Spielern als eher anrüchig: "wie, die Leistung der Spieler wird verglichen; wie, man kriegt Punkte und es gibt einen Gewinner; nein, ich lasse mich doch nicht bewerten".)
Als Fazit kann ich einen Text aus
Settembrinis ORK zitieren:
"Hannover hatte in der Blütezeit (Neunziger) 3 Läden in theoretischer Laufentfernung (Trivial Book Shop, Fantasy In und Der Spieleladen), 2 jährliche Conventions (H spielt! und EARTH), 2 Vereine (GFR Regionalvertretung und HSSV) sowie eine nicht als Verein organisierte Gruppe, deren Größe und Aktivität aber beide Vereine in die Tasche steckte (Calenberger Laden).
Die Läden lagen in Konkurrenz, die beiden Vereine haben sich auf die Organisation ihrer Cons konzentriert, und den Rest des Jahres veranstalteten die Calenberger an zwei Tagen der Woche (in jeder Woche!) [...] ein Treffen, auf dem mehrere parallele Spielrunden (Kurzkampagnen) mit wechselnden Zusammensetzungen stattfanden.
Zwischen diesen Gruppen gab es wenig Synergien, jede Gruppierung hat so vor sich hingemacht [...]. Trotzdem hat jede Gruppe ihren "Signature Event" auf die Beine gestellt, und alle Events zusammen waren eine bunte, lebendige Szene."
(Bei dieser Aufzählung hatte ich den SFCD unterschlagen, weil dieser rollenspielerisch keine Relevanz hatte, und bei den Läden hatte ich den Raschplatz einfach vergessen.)
Und gab es die MondBuchstaben nicht auch als Magazin mit deiner Beteiligung?
"Magazin" ist deutlich zu hoch gegriffen. Die Mondbuchstaben waren das Mitteilungsblatt des Spieleladens, ein unregelmäßig erscheinendes DIN A5-Heftchen mit zwischen 20 und 48 Seiten. Inhaltlich war es eine kommentierte Ansammlung von News und Gerüchten aus der Rollenspiellandschaft, erweitert durch Kurzabenteuer und Rezensionen. Produktionstechnisch stand es ganz im Geiste der "Kevin Siembieda School of Production Design" - da wurden mangels Scanners alle Bilder noch von Hand auf die Kopiervorlage geklebt.
Nach meinem Umzug nach Berlin sind noch ein paar Ausgaben unter dem Dach von Beutelsend erschienen, bis Beutelsend 2005 zumachte.