Regen

Nightstalker

Schenkelklopfer
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9. März 2004
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Regen. Viele Leute halten ihn für die Tränen Gottes. Lisa hatte immer gesagt: „Sieh nur. Er weint wieder vor Freude!“
Für Lisa war die Welt ein Wunder gewesen, ein unendlicher Schatz an Dingen und Momenten, die es zu entdecken galt. Von dem Augenblick an, als ihr Ben begegnet war, hatte sie sein Herz geöffnet und ihm erlaubt, mit den klaren Augen der Unschuld zu sehen. Durch sie hatte er zum ersten Mal das Gefühl einer Liebe verspürt, die die ganze Schöpfung zu durchdringen schien und sein Herz zum glühen brachte.
Dieses Gefühl war nun fort. Wo einst sein Herz im Einklang mit ihrem geschlagen hatte, saß nun ein eiskalter Stein, der ihm den Atem nahm.
Er machte Lisa keine Vorwürfe. Sie hatte ihn nicht verlassen. Sie war ihm genommen worden. Es war ein Unfall gewesen – schnell, unerwartet, schmerzlos. Sie hatte nicht leiden müssen. Ein dumpfer Knall, als ihr Kopf auf der Motorhaube aufschlug, und es war vorbei. Die Ärzte haben gesagt, sie habe es nicht gespürt.
Ben fühlte keine Trauer und keine wut. Er war weder verzweifelt oder gar zornig. Alles, was ihn erfüllte, war eine bleischwere Kälte in seiner Brust, die es ihm unmöglich machte, frei zu denken oder zu handeln. Er hoffte nur, dass sie schwer genug sein würde, ihn hinunter zu ziehen.
Wieder blickte er von der Brücke auf den Fluss hinab, auf dessen Oberfläche der Regen prasselte, als würde jemand tausender kleiner Steinchen vom Himmel hinunter werfen. Ein Steinchen mehr oder weniger, was machte das schon? Er würde sich im Sturz mit dem Regen vereinigen, ins Wasser eintauchen wie eine weitere Träne Gottes.
Er spürte den Aufprall kaum, und das Wasser um ihn war angenehm kühl, fast so kalt wie jener Klumpen in seiner Brust. Er öffnete die Augen und sah nur Dunkelheit. Kalt und finster, wie es die letzten Tage in ihm gewesen war.
Vielleicht hätte es so kommen sollen, überlegte er. Vielleicht hatte ihn nun endlich seine Bestimmung eingeholt.
Ben ließ sich treiben, und die Strömung zerrte an seinen Armen und Beinen. Willenlos ließ er zu, dass sein Körper am Grund entlang schleifte, und sich in Algensträngen verhedderte, als er plötzlich etwas Unerwartetes empfand. Ein glühend heißer Schmerz breitete sich in seiner Brust aus, weniger das Verlangen nach Luft, als ein furchtbares Sehnen zu leben.
Es war dieses Gefühl, das ihn nach Lisas Tod verlassen hatte. Jetzt plötzlich erwachte es mit einer Macht, die ihm den Atem geraubt hätte, hätte er den letzten Sauerstoff in seine Lungen nicht schon längst verbraucht. War es zu spät? Hatte er zu lange tatenlos auf das Ende gewartet? Innerlich war er seit Tagen tot gewesen, das begriff Ben jetzt. Doch sollte er jetzt, in dem Moment, als seine Seele wieder zum Leben erwacht warwirklich sterben? Zumindest würde er kämpfen, das war er sich selbst und Lisa schuldig.
Mit aller Kraft, die noch in seinem unterkühlten Körper steckte, stieß er sich vom Grund ab und erzwang sich seinen Weg an die Oberfläche. Plötzlich war da wieder Luft, frisch und kalt, und am Himmel brach der volle Mond durch die dichte Wolkendecke.
Erschöpft und mit langsamenBewegungen kämpfte sich Ben auf das Ufer zu. Die Wellen zupften verlockend an seiner Kleidung, wollten ihn zurück in die kalte Dunkelheit ziehen, doch sein Wille zu Leben war stärker. Stück für Stück näherte er sich der Böschung, bis erschließlich in das schlüpfrige Gras greifen und an Land ziehen konnte.
Hustend und keuchend lag er auf dem Rücken, die Füße immer noch im Wasser. Gegen das kalte Licht des Mondes wirkten die Regentropfen nicht mehr wie Steinchen, sondern wie funkelnde Kristallsplitter.
Ben hob die Hände vors Gesicht und bemerkte, dass er immer noch Grasbüschel umklammert hielt. Doch in seiner linken Hand, ein wenig zerdrückt, aber nicht weniger schön, lugte eine kleine gelbe Blüte aus dem matschigen Grün hervor. Der Anblick schmolz auch den Rest des Eises aus ihm hinaus, und zitternd ließ Ben die Hände sinken. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Alte Gefühle, die zu empfinden eihm verwehrt waren, übermannten ihn auf einmal. Trauer über Lisas Tod, Wut auf sie, weil sie ihn verlassen hatte, auf den betrunkenen Autofahrer, auf Gott und sich selbst, Verzweiflung, Einsamkeit, Hilflosigkeit, und über allem das Gefühl, am Leben zu sein. Endlich wieder zu fühlen. Als seine Tränen sich mit den Regentropfen vermischten, begriff Ben, dass Gott miz ihm weinte. Nicht aus Trauer oder Wut, sondern schlicht, um sein Leid mit ihm zu teilen und es der Welt mitzuteilen. Diese Tränen würden der Schöpfung neue Kraft zum Wachsen geben, damit diese Liebe, die Lisa und Ben vereinte, wieder die Welt erfüllen und nun sein Herz zum Glühen bringen konnte.
Dieser Regen zeigte ihm, dass er lebte.

Was haltet ihr von meiner Geschichte?
 
AW: Regen

man sollte sie nur nicht in der Arbeit lesen, weil es blöd kommt wenn man vor dem Rechner plötzlich Tränen in den Augen hat :) Wunderschön
 
AW: Regen

Zum einen gefällt mir die "Stein-Eis"-Symbolik nicht und zum anderen hat die Geschichte bei mir nichts gerührt - dafür war sie mir nicht originell genug.
Außerdem gefällt mir die Formatierung nicht, da diese keine sinnvollen Akzente und Pausen in den Lesefluss setzt. Auch wenn es natürlich schwierig ist einen Text so zu formatieren, dass er für die meisten Bildschirmauflösungen stimmt,
hätte man versuchen können ein paar Absätze zu setzen oder Gedankenstriche.
Insgesamt hatte die Geschichte kein Tempo, dass mich mitgerissen oder doch zumindest mitgenommen hätte.

Grüße,
Hasran
 
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