AW: Regelsysteme entwickeln?
ich arbeite an einem Konzept für ein eigenes Rollenspiel und für den Fall, daß dies irgendwann mal Veröffentlichungsreif ist (In welcher Form auch immer), möchte ich nicht auf ein bestehendes System zurückgreifen, um nicht irgendwelche Urheberrechte zu verletzten.
Und hast Du Dir schon einmal darüber Gedanken gemacht ein FREIES Regelsystem zu verwenden?
Es gibt ja als bekannteste Alternative die Möglichkeit ein OGL-Regelsystem zu verwenden, bei dem Du Dich nur an die in der Open Gaming License festgelegten Punkte halten mußt, und sonst keine Lizenzgebühren fällig werden. So hättest Du die Wahl zwischen D20-OGL oder Mongoose-RuneQuest-OGL (und eventuell noch weiteren - ich glaube wir hatten hier mal einen Thread zu OGL-Regelsystemen, oder?).
Und als eine weitere Möglichkeit könntest Du natürlich auch ein FAN-Produkt für ein bestehendes Regelsystem produzieren und veröffentlichen. Die meisten Verlage haben nichts gegen solche Fan-Veröffentlichungen, solange sie im nichtkommerziellen Rahmen erfolgen (Du hattest ja nicht geschrieben, daß Du Dein Rollenspiel VERKAUFEN möchtest, sondern nur, daß Du es VERÖFFENTLICHEN möchtest.). - Beispiel: Savage Worlds ist ein generisches, (nicht universelles) Rollenspielregelwerk, für welches ein ganzer Haufen an sogenannten Conversions von Fans geschrieben wurden und werden. Der Verlag, Pinnacle Entertainment Group, sieht das gerne. Wenn man jedoch ein verkaufbares PRODUKT auf Basis dieses Regelwerks produzieren möchte, dann muß man Lizenzgebühren zahlen.
Wenn Du mal die Lizenzfrage ausklammerst: Welches Rollenspielregelsystem würde Dir denn für Dein Setting am ehesten vorschweben bzw. Deinen Wünschen am ehesten nahekommen?
Ich frage nur jetzt schon mal nach den Regeln, weil ich denke, daß die Regeln auch Einfluß auf das Konzept hat. Man hat eine Idee und versucht sie ins Spiel einzubauen, aber vielleicht muß die Idee abändern.
Bei einer völligen Neuentwicklung (also nicht einem neuen Setting für ein bestehendes Regelwerk, und auch nicht ein neues Regelwerk für ein bestehendes Setting) befruchten sich beide Seiten gegenseitig. Wenn Du ein Regelwerk haben willst, daß nur GENAU EIN Setting unterstützt, das dafür aber nahezu perfekt, dann hat natürlich jede Randbedingung, jede Eigenschaft Deines Settings, die im Spiel zum Tragen kommen soll, einen Einfluß als Anforderung an die Eigenschaften Deines Regelsystems. Wenn Dir jedoch ein besonders eleganter Mechanismus wichtig ist, so kannst Du überlegen, ob Du diesen Mechanismus direkt in das Setting einbaust, also einen in-game-Bezug dazu herstellst (wie bei Everway z.B. die Schicksalskarten, die es den jeweiligen Bewohnern der jeweiligen Sphären bekanntermaßen dort tatsächlich im Setting selbst auch gibt).
Nur eine ernstgemeinte Warnung in dieser Hinsicht: lasse Dich NIE von der vorgeblichen "Schönheit" eines Regelmechanismus blenden und ziehe dann diesem mechanischen Gestell ein nur fadenscheiniges Settingkleidchen über (etwas, was man bei vielen "verkopften" Forge-Spielen leider findet). Denn dann bleibt etwas Liebloses und Lebloses zurück, was keiner (außer dem Autoren) spielen will. - Demgegenüber können Settings, können Spielwelten, die die Spieler begeistern und inspirieren auch TROTZ eines uneleganten, holperigen, hakeligen Regelsystems ein jahrelanger, ein jahrzehntelanger Renner werden.
Stelle NIE das System über das Setting, denn das ist nur das, was im eigentlichen Spiel dem Setting die spielerische Form gibt. Stelle nie das Setting über das System, denn nur durch das System lassen sich für die Spieler die Bereiche des Settings im Spiel erschließen. - Beide sind gleichwertig und reichen immer noch nicht.
Als eine dritte Kraft, die es zu berücksichtigen gilt, ist die Flüssigkeit des Spielgeschehens zu sehen. Diese wird von der leichten Erschließbarkeit des Settings UND der Regeln durch die Spieler - vor allem durch NEUE Spieler - bestimmt. Ein Spiel, daß partout nicht in den Kopf der Spieler will, dessen Regelsystem noch so coole Effekte, noch so toll bestimmte Settingeigenheiten abbilden kann, taugt nichts, wenn es sich nicht mit angemessenem Aufwand erlernen läßt, wenn der Einstieg allein schon durch eine zu hohe Hürde an zwingend zu Lernendem verwehrt wird.
Was immer Du auch ausdenkst, Du, Du ALLEIN denkst über die Inhalte in Deinem Rollenspiel vermutlich weit länger und weit intensiver nach, als es ein neugieriger Spieler, dem nach Ausprobieren zumute ist, dies tun wird und tun kann. Also MUSS alles, was Du zu Deinem Rollenspiel so schreibst, verständlich sein. Nicht für Dich, sondern für andere Leute, die nicht einmal wissen müssen, daß es Dich gibt (die nicht einmal den Namen des Rollenspielautoren bewußt wahrnehmen werden). - Das ist, so mein Eindruck, das härteste an der selbstgesteckten Aufgabe ein Rollenspiel zu entwickeln, welches veröffentlicht werden soll.
Sobald Dein Rollenspiel einmal in der Öffentlichkeit, die Du ja anzustreben angekündigt hast, angelangt ist, wird es nicht mehr so wohlwollend betrachtet, wie von Deinen persönlichen Freunden, die Dir höflich ihre (meist aus Rücksichtnahme gefilterte) Meinung sagen werden. Da draußen wird das Rollenspiel, welches Dein Herzenskind ist, und in welches Stunden über Stunden an Deiner Lebenszeit geflossen sind, gnadenlos und unbarmherzig auseinandergenommen. Da wird gespottet, verrissen, herumgetrampelt, durch den Dreck gezogen. - Und das MUSST Du abkönnen, wenn Du wirklich etwas veröffentlichen willst.
Im Fechten sagt man "Erschrickst Du gern, kein Fechten nimmer lern". Das stimmt. - Zu schade, daß solche Lehre nicht auch bei den angehenden Rollenspielautoren bekannt genug ist. Denn dann könnte man es sich sparen erwachsene Leute weinend und jammernd ihre überfahrenen Klon-Kaninchen vom Asphalt der Öffentlichkeit ohne Tempolimit und ohne Bremsen abkratzen zu sehen.
Informiere Dich erst einmal, und nimm Dir nicht ALLES vor, sondern nur das SCHAFFBARE. - Bei Regelsystementwicklungen finde ich das Schrauben an Hausregeln eine gute Übung im Verstehen, wie ein Regelsystem "tickt" und im Herausfinden, was passiert, wenn man an dieser oder jener Schraube dreht. - Bei Settings hilft es nach meiner Erfahrung, wenn man sich erst einmal ein für dieses Setting markante Szenario überlegt. Das dann mit einem beliebigen Regelsystem unterfüttert und im Spielen ausprobiert, ob dieser kleine, überschaubare Ausschnitt der Spielwelt den eigenen Ansprüchen genügt (die Testspieler mögen ja allesamt überhöflich und rückgratlos sein, so daß auf deren Aussagen größtenteils geschissen ist - nur DEIN eigener Eindruck nach einem solche ersten Testszenario sollte für Dich zählen).
Wenn Du klein anfängst, den kleinen Teil aber FERTIGSTELLST, dann hast Du auch einen realistischeren Eindruck, wie groß das Gesamtunterfangen werden wird. - Z.B. hast Du für die Beschreibung eines einzigen Stadtstaates Deiner Antikes Griechenland Setting-Idee über 5 Wochen (bei nicht immer vorhandener Zeit und/oder Lust etwas daran zu arbeiten) gebraucht. So kannst Du abschätzen, daß Du mit den anderen 11 Stadtstaaten, die Du im gleichen Detail erarbeiten wolltest, noch das ganze nächste Jahr zubringen wirst. So etwas ist ernüchternd.
Man kann sich in der heutigen, schneller wandelnden Zeit nicht sicher sein, ob man in einem Jahr noch an demselben Wohnort, in demselben Job, mit denselben Mit-Rollenspielern zusammen sein wird. Je länger ein Projekt voraussichtlich dauern wird, z.B. weil der Umfang viel zu groß gewählt wurde, desto wahrscheinlicher ist es, daß es versandet, unfertig liegenbleibt und nie wieder etwas daran gemacht wird. - So etwas finde ich schade.
Ich kann aus eigenen Erfahrungen nur empfehlen zumindest ab und an eine eigene Sache FERTIGZUSTELLEN. So fertig, daß Du selbst damit zufrieden bist. Denn - wieder meine Erfahrung - ein fertiges Projekt, und sei es auch noch so klein, gibt einem Schwung wieder etwas anderes anzufangen, weil man WEISS, daß man solche Unterfangen auch bewältigen kann.