AW: Political Correctness im Rollenspiel
@Zornhau
Also darf man, wenn man Abenteuer im Dritten Reich spielt, nur Charaktere spielen, die Widerstandskämpfer oder Agenten der Allierten sind?
Und wieder ist es die Legende...
Dürfen darf man ziemlich viel. Die Frage ist, ob und weshalb man SOLLTE?
Und natürlich die übliche Frage: Was ist für MICH die Grenze dessen, was ich im Rollenspiel als Charakter spielen würde?
Wer mehr Thrill braucht, weil sein Empfindungsvermögen durch den ganzen "Weichspülmist" nicht mehr anzusprechen ist, der braucht es eben ein paar Stufen krasser. Schon klar.
Was spricht dagegen, mal einen Nazi zu spielen mit allen Ecken und Kanten ohne diesen Weichspülmist?
Daß es ein Nazi ist, den man da spielt?
Ich persönlich erachte es durchaus als interessant, mal zu versuchen, wie so ein Mensch damals gefühlt und gedacht haben muß.
Frag meine Großeltern (jedenfalls die, die noch am Leben sind). Die können Dir ziemlich genau sagen, wie "so ein Mensch damals" gefühlt und gedacht hat.
Und genau deshalb kam mit Dein "wobei die Charaktere dann schon die damalige populäre Meinung vertreten sollten." ziemlich quer hoch. Was auch immer DU damit gemeint hast, ist ganz klar durch das geprägt, was DEIN HEUTIGES Bild dieser Zeit ausgemacht hat.
Aber selbst Historiker haben noch reichlich Forschungsmaterial über solche Fragestellungen zu bewältigen. Und das gerade WEIL zu dieser Zeit doch recht viel Material der (gleichgeschalteten!) Medien heute noch verfügbar ist.
Ich haben jedenfalls nicht den Eindruck, daß Dein selbstgestecktes Ziel herauszufinden "wie so ein Mensch damals gefühlt und gedacht haben muß" durch ein Call of Cthulhu Szenario mit FETTEN KLISCHEE-NAZI-DEUTSCHEN erreicht werden kann.
Ebenso wie die Widerständler NUR GUT waren, wie die französische Resistance NUR GUTES TAT, ebenso waren die Deutschen in Nazi-Deutschland NUR BÖSE.
Schon klar.
Und für eine richtige "Evil"-Runde ist einem jeder historische oder phantastische Hintergrund recht.
Du versetzt Dich doch auch in die Mistkerle, Schurken und Bösewichte in den Kampagnen, die Du leitest?
Der Grad, zu welchem sich ein Spielleiter mit seinem(?) NSC identifiziert ist ja wohl ein deutlich anderer, als der Grad, in welchem ein Spieler sich mit SEINEM EINZIGEN Spielercharakter identifiziert.
Als Spielleiter haben ALLE NSCs, die ich meinen Spielern "vorspiele" NIE die Tief eines Spielercharakters, was allein durch den ständigen Wechsel der NSC-Personen, durch ständige Szenenwechsel und ständigen Perspektivenwechsel eines Spielleiters (Regelanwender, Erzähler, taktischer Gegenspieler, alliierter NSC-MITspieler, usw.) schon unmöglich wäre.
Und selbst als Spielleiter muß man sich - hier insbesondere bei der Vorbereitung eines eigenen Szenarios - in die Denkweise der Bösen versetzen können, um deren schurkischen Pläne auszutüfteln.
Und da gibt es Grenzen.
Eine recht prominente hatten wir ja schon einmal vor ein paar Jahren bei der Kleine-Ängste-Thematik.
Als Spielleiter sich in die Gedankenwelt eines Kindesmißbrauchers zu versetzen, zu überlegen, wie man kleinen Kindern Qualen antut, damit das Szenario eben den einen oder anderen "König" als Hintermann hat, das ist jenseits alles nur erdenklich Akzeptablen für mich. Und ich verachte alle, die sich solche Kinderquälereien als "nette Unterhaltung" für den nächsten Kick im Rollenspiel überlegen mögen. Mir reichen schon die Meldungen aus der Presse, um mir ein echt ungutes Gefühl zu verpassen. Das aber als nächste krasse Steigerung der eigenen Abgestumpftheit und Gefüllosigkeit ins Spiel zu ziehen, das ist weit jenseits aller Toleranz für mich.
Da ist schlichtweg Schluß.