AW: Müssen Spieler bei euch auf der Metaebene schweigen?
100% in-character bei Vampire Live ist einfach nur geil,
Ja. Bei Live-Rollenspiel. Aber Alutius hatte eine "klassische" Pen&Paper-Tabletop-Rollenspielsituation vorgestellt.
Bei Live-Rollenspielen besteht ja die ERWARTUNG, daß die DARSTELLER eben ständig in ihrer Rolle sind (sie sehen so aus, wie es zu ihrer Rolle paßt, sie handeln so, wie es zu ihrer Rolle paßt, sie reden so, wie es zu ihrer Rolle paßt).
Das ist ähnlich wie bei den "Mittelalterlichen", wo man auch nicht ständig mit Handy-Lärm oder anderem die Illusion aufhebenden, das Eintauchen zerstörenden Gerät und Gerede aus seinem "Mitschwimmen im Ambiente" gerissen werden will. Nur gibt es da KEINE HANDLUNG, nichts an erspieltem Plot, sondern nur Darstellung von Charakteren, deren darstellerische Handlungen aber eben KEINE KONSEQUENZEN in der dargestellten Welt haben.
Das ist auch der UNTERSCHIED zum Rollenspiel: Wenn man NUR einen Charakter DARSTELLT, dann ist das zunächst einmal nichts anderes als atmosphärisches Kolorit zu produzieren, doch wird daraus noch kein SPIEL (im Sinne von "Game" in "Roleplaying Game"), sondern nur eine Rollendarstellung, bei der nichts Relevantes passiert. - Sobald etwas passiert, was auch Konsequenzen haben soll, braucht es REGELN. Regeln sind auf einer ganz anderen Ebene angeordnet, als das atmosphärische Kolorit. - Wenn man also Rollendarstellung und das SPIELERISCHE, d.h. die Anwendung der Regeln, zusammen braucht (und NUR das ist ein "Roleplaying Game"), dann WECHSELN die Spieler STÄNDIG die Ebenen, auf denen das Spiel verläuft.
Brian Gleichman hat in seiner Elements-Kolumne das in
"Layers of Design" recht gut dargestellt:
Er unterscheidet FÜNF Ebenen:
Game - Near-Game - Near Meta-Game - Meta-Game - Far Meta-Game
Game
Das sind die eigentlichen SPIELREGELN, die Regelmechaniken, die JEDEM Spielenden zugänglich und bekannt sind. - Diese Regelmechaniken sind so festgelegt, daß sie UNABHÄNGIG von den Eigenschaften des Spielers stets dasselbe Resultat (wenn man gleich Würfelwürfe etc. annimmt) ergeben. Also ist es egal, wie eloquent ein Spieler ist, wie schlau, wie durstig, wie gut rasiert - die Regelmechanik funktioniert immer gleich.
Die Aufgabe dieser Ebene ist es den BESCHRÄNKUNGEN im Spiels darzulegen, indem geregelt wird, was geht bzw. was NICHT geht und welche Ergebnisse versuchte Handlungen haben werden. - Daher spielt man auf dieser Ebene mit "Gewißheiten", die zu solchen Aussagen führen wie "Die Orks haben ihre stärksten Krieger in der Mitte plaziert, daher sollten wir ..." oder "Ich habe eine Wahrscheinlichkeit von 68% den Goblin niederzukämpfen, aber nur eine von 33% gegen den Hobgoblin, Wir sind in der Unterzahl, was gewichtige Modifikatoren gegen uns bedeuten, daher werde ich ..."
(Auf dieser Ebene sind einige der von mir in Alutius' Zitat eingefügten Spieler-Äußerungen angesiedelt: das ist die eigentlich SPIEL-Ebene, NICHT eine "Meta-Ebene"!)
Near Game
Auf dieser ebene finden sich die "versteckten Spielmechaniken". - Beispiele sind Stein-Schere-Papier-Systeme (wie in LARPs und einigen P&P-Rollenspielen), versteckte Bewegung (durch Line-of-Sight-Regeln, die einen "Fog of War"-Effekt abbilden sollen), den Spielern unbekannte Schadenswerte ihrer SCs (Unknown Armies), usw.
Diese Ebene verschiebt die Entscheidungsfindung von den sicheren "Gewißheiten" der harten Regelmechanik hin zu einem "Vorhersagen" der Entscheidungen anderen Spieler oder einem "Raten" der vor dem Spieler verborgenen Information. - Beispiele: "Wenn mein UA-Spielleiter eine Verletzung so beschreibt, dann bin ich unter der Hälfte meiner Body-Punkte", "Da mein Spielleiter so gerne Flächeneffekt-Schadenszauber verwendet, wird er vermutlich dem bösen Oberzauberer auch solche gegeben haben, also ziehen wir unsere Reihen soweit auseinander, daß er nicht alle auf einmal erwischen können wird." (Alles Vermutungen auf Basis der Kenntnis der PERSÖNLICHKEIT des Spielleiters - daher würde das Ergebnis bei jemand anderem anders aussehen, da dieser vielleicht ganz andere Zauber bevorzugen würde, oder dieser Wunden bei UA lieber mehr verharmlosend darstellen mag.)
Die REGELN an sich bleiben hier immer noch objektiv für ALLE SPIELENDEN GÜLTIG, aber der Fokus geht weg vom Sicheren (Spielwerte, Figuren auf Battlemap, Tabellen, etc.) zum Unsicheren (Einschätzen, Raten, Vermuten). Und dabei haben die Fähigkeiten der SPIELER stärkeren Einfluß als auf der Ebene der harten Regelmechanismen.
Near Meta-Game
Hier sind nicht verborgene, sondern tatsächlich UNSICHTBARE und/oder SUBJEKTIVE Mechaniken vorherrschend.
Subjektive Mechaniken hängen bei der Bestimmung des Ergebnisses einer Handlung von der jeweiligen AUSLEGUNG durch den Spielleiter oder Spieler ab. Beispiele: Das D&D-Alignment-System oder Systeme mit Kritischen Fehlern/Erfolgen, wo das KONKRETE Ergebnis vom Spielleiter festgelegt werden muß.
Solche Mechaniken haben nur den Charakter von "Empfehlungen", "Ratschlägen", "Richtungsweisern", hängen aber immer von der subjektiven Entscheidung (sie zu verwenden) oder Auslegung (mit welchem Ergebnis sie verwendet wurden) vom SPIELER/SPIELLEITER ab.
(Dabei gibt es so manche "Überraschung", wenn z.B. subjektive Entscheidungen mit konkreten, harten Regelteilen in Form von Modifikatoren "nach Gefühl" verknüpft werden. Funky Colts hat z.B. völlig subjektiv vom Spielleiter festlegbare Mindestwerte UND Modifikatoren darauf, die zum Teil "verläßlich" sind (d.h. in die Ebene "Game" gehören) und zum Teil eben auch subjektiv vom Spielleiter vergeben werden.)
Meta-Game
Hier findet das EIGENTLICHE ROLLENDARSTELLEN statt. Hier sind auch rein subjektive Entscheidungsmethoden, "Gruppenverträge" etc. angesiedelt.
Subjektive Entscheidungsmethoden sind "free form", d.h. REGELMECHANIKlose Systeme (aber nicht regellose(!), da ja die Verwendung dieses subjektiven Mechanismus zu den Regeln gehört). Hier greifen sowohl die Entscheidungsmethoden von Everway "Karma" und "Drama": Nach "Karma" bewertet der Spielleiter subjektiv, ob der Charakter etwas aufgrund seiner vorherigen Erfahrungen tun könnte, und entscheidet dann. Nach "Drama" bewertet der Spielleiter subjektiv, welcher Ausgang einer versuchten Handlung besser in SEINE Geschichte paßt und entscheidet dann. (Wenn man es genau nimmt, so ist auch die dritte Methode von Everway "Fate" eine subjektive Methode, da zwar eine Karte des Schicksals-Kartenspiels gezogen wird, jedoch deren Auslegung nur vom Spielleiter und ganz subjektiv vorgenommen wird.)
Aber nicht nur subjektive HANDLUNGS-ENTSCHEIDUNGS-Methoden findet man auf dieser Ebene, sondern auch subjektive PLANUNGS-ENTSCHEIDUNGS-Methoden: Wenn ein Spielleiter sich entscheidet, daß in der Orkhöhle 20 Orks sind und nicht 22 oder 18, dann tut er das vollkommen SUBJEKTIV. Nur geht es bei dieser subjektiven Entscheidung nicht um den Erfolg einer Handlung, sondern um eine spielrundenvorbereitende Fragestellung (Wieviele Orks sind denn in der Orkhöhle?). (Härtere Regeln sagen z.B. es können IMMER nur 3W6 Orks pro Höhle sein. Somit ist statt einer subjektiven Entscheidung ein 3W6-Wurf nötig, wenn man regelkonform spielen will. Diese Art der Regel ist auf tieferen Ebenen angesiedelt - meist auf der zweiten Ebene, da den Spielern im Normalfalle nicht bekannt sein dürfte, was der Spielleiter zur Bestimmung der Orkanzahl zu würfeln hat.)
SUBJEKTIVE ENTSCHEIDUNGEN bzw. MECHANIKEN kommen in den allermeisten Rollenspielen vor. Und an vielen unterschiedlichen Stellen in einem jeweiligen Rollenspiel. - Man KANN dafür auch keine Regeln entwerfen, da ja subjektive Entscheidungen SUBJEKTIV sein MÜSSEN. Das liegt in der Natur der Sache.
Somit ist eine subjektive Mechanik IMMER von der jeweiligen PERSÖNLICHKEIT des Anwenders abhängig. Bei zwei verschiedenen Personen erhält man somit NICHT reproduzierbar dasselbe Ergebnis. - Spiele mit solchen subjektiven Anteilen können daher nur Hinweise, Tips, Ratschläge anbieten, wie jemand (eine Beispielperson) hier entscheiden könnte.
Man findet daher auch KEINE REGEL (die ja Beschränkungen aufstellen muß) in den entsprechenden Produkten, sondern man findet eben KEINE Regeln für die Bereiche eines Rollenspiels, die subjektiven Entscheidungsfindungen unterliegen sollen. (Gleichman weist hier erwähnenswerterweise darauf hin, daß die ABWESENHEIT von expliziten Regeln für etwas durchaus AUCH BEWUSSTE ENTWURFSENTSCHEIDUNG des Autoren sein kann.)
Gruppenverträge mit Übereinkünften, was die Spielenden machen wollen ("Wir wollen Piraten mit vielen Kämpfen, Entermanövern, Schatzsuchen use. spielen.") und was sie NICHT machen wollen ("Wir wollen keine Vergewaltigungen ausgespielt haben"), gehören auch in diese Ebene, da sie ENTSCHEIDUNGEN des Spielleiters und der Spieler beeinflussen. - Nur wird ein Gruppenvertrag nicht mehr vom SPIELEAUTOR beeinflußt, da es ja die Übereinkunft einer ganz konkreten, individuellen Spielgruppe ist. Es handelt sich dabei durchaus um eine Art "Regel": Wenn ein Spieler seinen Piraten-SC nach dem Entern des Handelsschiffes die schöne Passagierin vergewaltigen lassen möchte, so verstößt er gegen obigen (Beispiel-)Gruppenvertrag. Und das wird vom Träger der Übereinkunft, d.h. allen anderen Spielenden, entsprechend sanktioniert. Aber auch der Spielleiter wird in seiner (Planungs-)Entscheidungsfreiheit eingeschränkt (daher eine Regel): Wenn er ein dichtgesponnenes Netz höfischer Intrige zwischen Fraktionenn der Kolonialbeamten vorbereitet hat, und den Spieler aber eben KEINE ständigen Kämpfe, Entermanöver und Schatzsuchen bietet, dann hat auch er gegen diese "Regeln" verstoßen. Nur, OB der Spieler des Piraten oder der intrigenverliebte Spielleiter WIRKLICH für die Träger der Übereinkunft, für die Gruppe zum Gruppenvertrag, gegen den Vertrag verstoßen hat, das liegt voll und ganz in der SUBJEKTIVEN WAHRNEHMUNG ALLER in der Gruppe. (So können drei von fünf Spielern mit den Intrigen ordentlich Spaß haben und sind zufrieden, aber zwei sind maulig, weil es schon monatelang Realzeit keine Kampfszene mehr gab.)
Die ROLLENDARSTELLUNG (der "Roleplaying"-Teil unterschieden vom "Game"-Teil eines "Roleplaying Game") findet auch auf DIESER rein subjektiven Ebene statt. Hier steht es dem Spieler subjektiv frei die persönlichen Verhaltensweise, die versuchten Aktionen, die Reaktionen auf die Welt und die anderen Bewohner dieser Welt frei von harten regelmechanischen Beschränkungen auszuspielen. (Es gibt auch einige Regelsysteme, die einige der hier angeführten Eigenschaften wieder in die "Game"-Ebene ziehen und mit knallharten Regelmechanismen versehen.)
In dieser reinen "Meta-Game"-Ebene ist ALLES subjektiv. Es gelten nur die Beschränkungen, die sich die Spielenden SELBST auferlegt haben. Und diese müssen auch noch von den Spielenden SELBST eingehalten, überwacht und ggf. sanktioniert werden. - Da oft diese Ebene NUR IN DER VORSTELLUNG der einzelnen Spielenden existiert, aber eben nicht schriftlich oder anderweitig fixiert wird, liegt hier eine grundsätzliche Unsicherheit vor. Man kann nicht mal schnell "nachlesen", ob eine subjektive Entscheidung nun "korrekt" war oder nicht. Somit ist man hier im Bereich verborgener, unsicherer Einflüsse.
Interessant, daß das ja auch die Ebene der ROLLENDARSTELLUNG ist. Hier liegt also ein ganz erheblicher Reiz GERADE in der Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit des Subjektiven eines jeden Spielenden. Und hier liegt ein ganz starker Unterschied zu Brettspielen oder Computerspielen.
Far Meta-Game
Das sind Einflüsse, die nicht direkt mit dem Spiel etwas zu tun haben, aber dennoch das Spielen beeinflussen. (Streß bei der Arbeit, familiäre Sorgen, am nächsten Tag anstehende Prüfung, schlechte Pizza, laute Räumlichkeit, usw.). Alle diese Punkte kann ein Spieleautor z.B. überhaupt NICHT beeinflussen.
Gleichman weist jedoch auf einen Aspekt hin, der durchaus im "Zuständigkeitsbereich" eines Spieleautoren liegt: Die Entscheidung, ob man das vorliegende Spiel ÜBERHAUPT spielt. - Hier kommen dann solche Eigenschaften wie schnelle Erlernbarkeit, leichte Zugänglichkeit der Spielwelt, klare Verständlichkeit der Regelmechanismen, attraktives Setting, etc. zum Tragen.
In seiner Kolumne geht Gleichman mehr auf den ENTWURF von Rollenspielprodukten entlang dieser Ebenen-Struktur ein.
Für mich ist bei diesen fünf Ebenen vor allem interessant, daß man
als SPIELER zwischen diesen Ebenen STÄNDIG wechselt. Und zwar mitten in einem völlig ununterbrochenen Spielfluß sagt man als Spieler für seinen Charakter einen Satz total ungehindert (Meta-Game), denkt aber gleich daran, daß dieser Satz eigentlich vom Spielleiter +2 auf den folgenden Überreden-Wurf geben sollte (Game bzw. Near-Game, wenn der Spielleiter den Modifikator nur für den Spieler unsichtbar vergibt, bzw. Near-Meta-Game, wenn der Spielleiter die Höhe des Modifikators auch noch subjektiv festlegt).
Man spielt NIE ständig in nur EINER Ebene, wenn man eines der üblichen Pen&Paper-Rollenspiele spielt.