[Mai 2008] - Unterschiedliche Arten von Gnade

Eldrige

Zombie-Survival Experte
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2. März 2004
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Leise tröpfelnde Echos hallten durch durch tintenschwarze Finsternis. Nicht lauter als eine Träne erklangen sie und ihr geisterhafter Widerhall durch die Kaverne, wenn sich Wasser aus der moosigen Decke seinen Weg in die Tiefe suchte und nach einigen Metern in das Wasser am Boden stürzte. Alle anderen Geräusche wurden verschluckt von Mauern und Wänden. Möglich sogar, dass es nirgends eine dickere Wand gab als hier, denn mehrere Tonnen Gestein und Wegstrecke trennten diesen Ort von der Welt der Lebenden. Die Stille war tröstend und heilsam für seinen wundgescheuerten Geist. Die Idee sich einfach in das kalte, schwarze Wasser hinab gleiten zu lassen und den Rest seiner Ewigkeit in bewusstloser Dämmrigkeit zu verbringen war geradezu verlockend.

Eine Hand tauchte in den unterirdischen See. Lange, grau blasse Finger zogen ungesehen Kreise in der Finsternis. Es wäre sicher wie eine Umarmung sich einfach fallen zu lassen. Gäbe es doch nur ihn, ohne seine Pflichten und Schutzbefohlenen, es wäre so einfach sich nun hier zur Ruhe zu begeben. Die laute, rasende, kreischende Welt mit all ihren Schrecken gegen das nasse, ruhige Rauschen unter der Oberfläche dieses Schoßes aus Wasser zu tauschen.
Er seufzte nicht, weil das sinnlos war. Selbst wenn er resignierte. Eine ungefähre Vorstellung davon wieviel Zeit in der wirklichen Welt vergangen war, ohne wirklich zu wissen welche Stunde es geschlagen hatte, ließ ihn schließlich sein abwesendes Starren beenden. Ohne Licht gab es ohnehin nichts zu sehen.

Er griff in seine Tasche und holte einen Plastikbeutel daraus hervor, den er sich über den Kopf stülpte. Anschließend tastete er neben sich und ergriff eine Rolle starken Gewebebandes. Geduldig und methodisch begann er damit den Beutel an seinem Hals mit dem Klebeband zu umwickeln. Schicht um Schicht, wieder und wieder, immer im Kreis herum, dichtete er seinen improvisierten Schutz ab, bis kein bisschen Luft mehr zu ihm durchdringen würde. Das Plastik war nicht übermäßig dick, er würde also problemlos hindurch hören können.

Lurker wusste nicht genau, wann Zieglowski, der in seinem Kokon gleich in der Nähe des Nosferatus hing, aus dem Tod, zurück ins Leben kommen würde. Theatralisch wäre sicherlich Mitternacht, gut möglich dass es aber auch erst zum Sonnenaufgang soweit sein würde. So blieb ihm also nichts anderes übrig, als die Zeit damit zu verbringen in der Finsternis, neben dem Gefangenem zu verbringen. Der Mensch würde, sobald er wieder lebte, wahrscheinlich zwei, maximal drei Minuten haben, bevor er wieder erstickte. Der Nosferatu hoffte, dass Zieglowski abgebrüht genug war nicht nur in Panik zu kreischen und sich zu winden, sondern die wenigen Sekunden die der Verborgene brauchen würde aufbringen konnte. Dazu würde es Disziplin brauchen. Übermenschliche, vermutlich, aber der Mann war mehr als einmal gestorben und wenn er vermutlich auch in seinem Leben noch keine derart furchtbare Zeit hinter sich gebracht hatte wie ihm nun drohte, so hatte er doch schon Dinge erlebt, die jeder Beschreibung spotteten. Tatsächlich traute Lurker dem Anderem sogar zu, dass er irgendetwas versuchen würde. Er konnte nicht sprechen, aber wenn man ihm zutraute, dass er es schaffen würde sich auf das, was der Verborgene ihm zu sagen hatte, konzentrieren konnte, während ihn sein Kunststoff Kokon langsam erstickte, dann musste man ihm auch zutrauen, dass er sich auf die Innenseite seiner Wange biss, um eventuell anwesende Vampire mit seinem Blut zu überwältigen.

Darum auch der luftdichte Plastikbeutel über seinem Kopf. Wer wusste schon, was geschah, wenn man von dem Blutsklaven trank? Schlimmstenfalls wurde man ihm vielleicht hörig? Bestenfalls wurde man süchtig. Viele mächtigere und ältere Untote als Lurker waren ihm erlegen. Er würde kein Idiot sein es auch nur zu versuchen.

So warteten die beiden Toten gemeinsam in der dunklen Tiefe auf das kurze Zeitfenster das ihnen bleiben würde um das zu tun, was Lurker als so wichtig empfand, dass er hier hockte.
 
Es brauchte gar nicht soviel Zeit wie Lurker annahm. Vielleicht war es Zufall, vielleicht ein Teil des Überlebensmechanismuses dem Ziege unterlag und der dafür sorgen sollte, das er auch in der misslichsten Lage keine mögliche Chance auf Rettung verpasste.

Ein leichtes Zucken und Beben durchströmte den toten Körper des Luden. Dann öffnete dieser die Augen. Es lag keine Angst in ihnen, denn es war wie Lurker sich bereits gedacht hatte. Sterben war für Ziege so normal und unspektakulär wie der morgendliche Gang zur Toilette. Zudem hatte man ihm sogar den Gefallen getan und ihm eine Art zu sterben ermöglicht die größtenteils ohne Schmerzen von statten ging. Leider schien der Mechanismus ziemlich endgültig....

Doch Ziege war nicht der Typ der aufgab. Kaum war er wieder erwacht, wanderte sein Blick die Innenseite der Folie entlang. Waren Löcher zu erkennen? Hatte Ungeziefer daran genagt um sich über seine köstlichen Augäpfel herzumachen? Danach testete er die Spannkraft und den Sitz seiner Fesseln. Hielten die Stricke? Die Ketten? Auch sie unterlagen dem Verfall! Früher oder später würden sie nachgeben, reißen....

Dann endlich erkannte er Lurker.
Zieges Augen weiteten sich kurz. Erst überrrascht, dann verstehend. Dann verengten sie sich und auch ohne das er etwas sagen musste, sprachen sie Bände:

Vergiss nie regelmäßig nachzusehen ob ich noch immer sicher hier hänge. Irgendwann wird etwas geschehen, dass mich befreit. Korrusion, Zerfall, Schimmel, Fressgier, bröckelndes Gestein.... Und dann werde ich frei sein und mich an dir Rächen. Du denkst du bereitest mir hier endlose Qualen? Junge, ich bin das Gezücht eines der größten Tzimisce seiner Zeit. Ich vermag dir Dinge anzutun, die selbst du dir nicht einmal im entferntesten vorzustellen vermagst!
 
Als der kurze Tanz am Ende des Stricks begann, richtete der Nosferatu den Plastikbeutel unter seiner Kapuze so, dass er möglichst gut sehen konnte. Modernster Industrie sei Dank, machte es das Material möglich fast wie durch Fensterglas zu sehen. Er bemerkte beinahe sofort, das sie mehr Zeit haben würden, als er gedacht hatte. Der Mensch geriet nämlich gar nicht erst in Panik. Für einen Moment zollte Lurker dem Anderem im Stillen seinen Respekt. Zumindest bei seiner ersten Rückkehr ins Leben, hätte er eine orientierungslosere Reaktion erwartet. Schließlich hatte der Blutsklave nicht gewusst was man mit ihm vorhatte und hätte somit überrascht sein müssen. Der Verborgene notierte diese Tatsache sorgfältig in der geistigen Akte Zieglowski.

Wenn es der Andere nicht eilig hatte, gab es für ihn wohl auch keinen Grund sich zu beeilen. Außerdem war alles was er über diesen hier erfahren würde wertvoll. Zumindest in Nosferatu Währung. Das Menschlein dachte gar nicht daran in Panik zu geraten, schön und gut. Lurker hatte Drohungen gegen Zieglowski selbst schon genau so lange von seiner Liste gestrichen wie körperliche Folter. Selbst davon ihn absichtlich zu töten um etwas aus ihm heraus zu bekommen war kein potentes Mittel, so wie er das sah. Nun hatte er aber die absolute Gewissheit. In dieser einen Hinsicht war der endlose Redeschwall dieses Blutsklaven kein Inhaltsloses Salbadern. Sterben war für ihn ebenso banal, wie für einen Untoten.

Ziege selber fand sich in der misslichen Lage, dass sich jemand mit äußerster Klarheit und Präzision seiner angenommen hatte. Alle Materialien waren, wie Umweltschützer stets beklagten, für die relative Ewigkeit. Selbst wenn seine Kerkermeister und die ganze Welt ihn eines Tages vergessen würden, würde es sicher noch Jahrhunderte dauern, bis das Material, mit dem er großzügig verpackt war, so weit geschwächt war, dass man einen Ausbruch versuchen konnte. Des Kunststoffes größter Feind, das UV Licht, spielte hier unten absolut keine Rolle. Das er so eng und dicht verschnürt war machte es auch unwahrscheinlich, dass irgendwelche Tiere ihn witterten. Das war auch ein glücklicher Umstand für ihn, denn wenn man tatsächlich aufhören würde ihn zu warten und irgend ein Tier ein Loch in den Sack über seinem Kopf fressen würde, dann wäre es mit dem schnellem, gnädigem Tod wohl vorbei und er würde jedesmal verdursten, anstatt zu ersticken. Auch wenn es nur ein Zufall war, dass die effektivste Methode ihn aufzubewahren gleichzeitig die für ihn schmerzloseste war, konnte man auf eine bizarre Art und Weise wohl von 'Glück im Unglück' sprechen. Zumindest wenn man Zyniker war.

Apropos Zyniker, endlich fanden die Augen des Menschen dann auch Lurkers Gestalt, die vor ihm hockte. Immerhin war das eine Überraschung für den Sklaven. Ja, er war am Ende wirklich außerhalb des Dunstkreises seiner ehemaligen Gönner und Patronen gelandet. Die Zeiten in denen er sich Freigang erkaufen und Forderungen stellen konnte schienen also vorbei. Neues Spiel, neues Glück. Der mörderische Blick war wohl nur verständlich und ganz sicher hatte der Verborgene es verdient. Darum beantwortete Lurker ihn auch nur mit einem sachtem Nicken. Gerade sichtbar durch die Kapuze.

Ich habe Sarah Schmidt ausgerichtet was sie gesagt haben. Sie hat alles erfahren.

Er sparte sich ein 'guten Abend' oder andere dämliche Floskeln. Er war nicht hier her gekommen um Zieglowski zu verhöhnen, oder ihm etwas anzutun. Er war wegen etwas anderem hier, dass er während seines Verhöres an dem Menschen gespürt hatte. Schuld war etwas kompliziertes und irgendwie hatte er das Gefühl gehabt, das er es dem Tzimiscen Diener schuldig gewesen war das zu klären.

Damit wollte sich der Nosferatu schon wieder abwenden. Es gab nichts, dass er von dem Luden wollte und nichts was er noch zu sagen hatte. Oder doch? Kurz hielt er inne und schien einige Sekunden zu überlegen. Es gab da noch etwas das ihm wichtig gewesen wäre. Vielleicht als einziges, wenn er in der Lage des Anderen wäre. Schließlich nickte er noch einmal, als wäre er zu einem Entschluss gekommen.

Es geht ihr gut. Sie ist frei und unversehrt.

Gut möglich, dass es noch tausende Dinge gab, die sich diese beiden tatsächlich zu sagen hätten. Aber wie so oft, würde es ungesagt bleiben. Lurker war nicht der Typ, der dem Blutsklaven auch nur eine Zoll breit seiner üblichen Bühne bieten wollte. Sollten sich andere ruhig dabei lächerlich machen, wie sie um ihn herumschwänzleten, ihm drohten oder ihn zu locken versuchten. Es mochte der Tag kommen an dem sie sich etwas zu sagen haben würden, aber bis dahin würde der Nosferatu keine Unze Energie für Zieglowski vergeuden. Lustigerweise war das wahrscheinlich eines der wenigen Mittel die den Menschen noch wirklich trafen. Schweigen und Desinteresse.

Lurker wandte sich ab, löschte das Licht und ließ den Anderen wieder alleine, für seine letzten Minuten in der kalten, Dunkelheit, mit nichts als ekeligem Plastik um sich herum.
 
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