AW: Lost
Das Problem an dieser These für mich ist, dass das wecken einer emotionalen Reaktion nicht ein Ziel sein kann.
Ich weiß nicht ganz was ich dazu sagen soll, außer... ein Melodram tut genau das. Wenn du Emotionen wecken und Katharsis als Zielsetzung für eine Geschichte grundlegend ausschließt, dann musst du dich vielleicht mit einigen meiner Landsmänner anlegen, die das nicht nur behauptet haben sondern Jahrhunderte später noch die formalen und inhaltlichen Grundlagen liefern, um Geschichten zu erzählen und zu begreifen.
Wie schon vorher angemerkt: Eine Reation, besonders eine emotionale, wecke ich immer.
Moment. Du musst hier schon unterscheiden zwischen "irgendeine Emotion" wecken und Empathie des Zuschauers wecken, damit das Mitleiden im Laufe der Geschichte in einer Katharsis enden kann.
Wichtig ist hierbei, dass ich den Fokus tatsächlich nur auf das Ende lege - ich meine hier keineswegs die gesamte 6 Staffel.
Ich spreche hier von der ganzen Serie. Denn letztendlich hat das Ende vor allem (oder vielleicht auch nur dann) seine Wucht auspacken können, wenn man 6 Jahre lang die Figuren kennengelernt hat und als Zuschauer mit ihnen gelitten hat. Das ist doch der Clou bei solchen Serien. Sie erlauben eine innige Identifikation, lang angelegtes Mitfühlen oder auch nur Vertrautheit mit Figuren (je nachdem wie man zu einer einzelnen FIgur steht) über einen langen Zeitraum. Etwas, dass mit keinem anderen Erzählmedium so umsetzbar ist.
Ich gebe dir recht - auch mir hat die Wandlung von Jack zu einem "erwachseneren" Charakter gut gefallen - auf der Insel. In der anderen "Welt" war er der Selbe wankelmütige, unentschlossene Charakter der er immer war.
Aber darum ging es doch. Man sollte - vor dem "reveal" - gerade den Kontrast sehen, den die Figur durch die 6 Staffeln durchlebt hat.
Ich glaube wir definieren hier das Ende unterschiedlich. Ich meine mit dem Ende tatsächlich die letzen ~15 Minuten. Der esotherisch, religiöse Mist! Wäre es zumindestens ein esotherisch, religiöser "Mist" gewesen, der in die Lost-Geschichte passt, hätte es mir sicherlich gefallen können. Aber so war es einfach unstimmig und hat zu nichts gepasst - ausser die Autoren haben ihre Lost-Welt im Kopf gehabt bei der es dazu gepasst hätte und waren aber nicht in der Lage diese Welt zu vermitteln.
Warum muss Esoterisches denn gleich Mist sein? Ich denke du lässt dich hier ein wenig von deiner persönlichen Ideologie leiten, statt die Serie nach ihren eigenen Konzepten zu beurteilen. Denn der Konflikt zwischen "Science" und "Faith" war ja immer recht zentral. Und spätestens im Finale - allerdings auch schon vorher - wurde ziemlich deutlich in eine Richtung gewichtet. Schon alleine wenn Jack sagt, dass er bedauert Locke nicht sagen zu können, dass er die ganze Zeit Recht hatte. Aber auch schon die Stories um Jin und Sun oder Desmond, hatten immer schon mehr "Faith" als "Science" beinhaltet. Aber selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, finde ich es komisch einer Serie, die einen Kernkonflikt zwischen Wissenschaft und Glauben ausspielt, formale Fehler anzukreiden, weil einem die Antwort nicht passt. Wäre es denn besser gewesen, wenn am Ende eine große "Glauben ist scheiße und wer glaubt ist doof"-Message rausgekommen wäre? Hätte das besser zu Lost gepasst? Ich finde das nämlich überhaupt nicht.
Unabhängig davon, dass es für mich ganz passend war Charaktere immer wieder sterben zu lassen, finde ich es unpassend, dass für alle alles Friede, Freude, Eierkuchen durch dieses Ende wurde - wozu die Anstrengung, wozu das Leid, wozu überhaupt etwas?
Häh? Diese Frage verstehe ich beim besten Willen nicht. Warum Leid, wenn man am Ende nicht... elendig krepiert? Wirklich? Das ist die Art von Auflösung, die von einer Serie wie Lost verlangst? Bist du Calvinist?
Das Fiese an dem Ende ist doch, dass sie fast alle ohne richtigen Grund gestorben sind. (Wer tut das schon?) Ihnen wurde die Möglichkeit genommen zu Lebzeiten glücklich und erfüllt zu sein. Zufällig Umstände (bzw. die schock-geilen Autoren) haben sie in den Tod gedrängt. Der Abschluss, der "esoterische Mist", war der Versuch dieser Leute sich gegenseitig dabei zu helfen, wenigstens irgendwie Erfüllung zu finden. (Allerdings fällt das Finale hier auch schwer auseinander, wenn man anfängt zu genau hinzuschauen. Mehr Sorgfalt beim metaphysischen Überbau der Serie oder auch nur des Endes, hätte das Finale noch besser gemacht. So steht es auf etwas wackligen Beinen.)
Und hier fehlt dann auch die Erklärung warum es die wichtigste Zeit war?
Die 6 Staffeln und die Ereignisse darin, haben dir nicht als Grund gereicht? Wenn ich auch nur einen Teil davon erlebt hätte, wäre das mit Sicherheit ein einschneidendes und schwer formendes Erlebnis für mich gewesen. Der Kampf am/um den Well of Souls ist in seiner Relevanz vielleicht auch nicht zu unterschätzen.
Und was wäre das Risiko gewesen wenn sich die andere Fraktion durchgesetzt hätte? Natürlich kann man das in seinem Kopfkino selbst denken - aber das meine ich eben mit "die einfachste Lösung" - die Autoren wollten sich nicht commiten und das ist das unerfreuliche am Ende.
Was auf dem Spiel stand, wurde ja mehrmals gesagt. "Alles wird aufhören zu existieren", "Alle werden sterben", etc. Das Problem war nur, dass da Leute sprachen, deren Erkenntnis oder Wissenstand sich im Nachhinein als sehr begrenzt herausstellte. (Wobei das ein Punkt war, den ich fantastisch fand, wenn auch sicherlich unbeabsichtigt. Niemand in der Serie hat "die Antwort auf alle Fragen", aber darum geht es auch nicht. Sie müssen nur genug wissen, um zielstrebig handeln zu können. Das ist eine zufällige angeschnittene, aber verflucht spannende Glaubensdebatte, die man darauf aufbauend, führen kann.)
Es hätte mir bereits gereicht zu sehen, wie mehr als nur die Insel in Gefahr gerät. Dann wäre ich vielleicht sehr viel stärker am Finalkampf interessiert gewesen. Aber vielleicht ist das auch so ein unbeabsichtigter Glaubenstest, der dem Zuschauer gestellt wird: "Glaubst du dass die ganzen Leute für etwas gekämpft haben, dass es wirklich gibt, oder war es alles nur ein Irrlauf, der Dutzenden oder gar Hunderten Menschen das Leben gekostet hat?" Wie gesagt, ich traue den Autoren nicht genug zu, um zu denken, dass das Absicht war. Aber es ist ohne Zweifel eine Frage, die man sich als Zuschauer stellen kann. Und das find ich irgendwie schon ein wenig cool. Unpräzises Schreiben kann auch sehr schöne Blüten tragen, und warum sollte man sich als Zuschauer nicht daran erfreuen dürfen?