Doc Kotoga
Gott
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Ich hab was sehr schönes im Feuilleton von "Die Zeit" gefunden. Wer also immer mal wieder über die Ammis lästert muß sich folgenden Text von Michael Moore ( "Bowling for Columbine" / "Stupid White Men" ) durchlesen :
Amerika
"Nicht ganz Amerika ist verrückt"
Die Koalition der Unwilligen formiert sich. Auch in den USA wendet sich die öffentliche Meinung gegen Präsident Bush
Von Michael Moore
Seid gegrüßt, meine deutschen Freunde, stolze Überreste des alten Europa und Anführer der Koalition der Unwilligen! Was zum Teufel ist los mit euch? Habt ihr nicht mehr gewusst, dass ihr gehorchen müsst, wenn die einzige Supermacht der Welt einen Befehl bellt? Wir bellen, ihr springt – das ist die Regel. Hat Mr Bush euch nicht hoch genug bestochen, damit ihr mitmacht und die Bevölkerung des Iraks bombardiert? Habt ihr nicht gewusst, dass Saddam der Übeltäter Massenvernichtungswaffen besaß? Große Waffen! Oh ja! Grausige Waffen! Er … er … er konnte sich unsichtbar machen, und er besaß geheime magische Kräfte, wie dass er, äh, dass er sich in eine Motte verwandeln konnte! Und, und … fliegen konnte er auch! Ich habe gesehen, wie er auf dem Empire State Building landete, und er sah so grimmig drein, als wollte er uns alle töten! Echt!
Millionen von uns versuchen hier in den USA mit aller Macht zu verhindern, dass das Bush-Regime rund um den Erdball noch mehr Unheil anrichtet. Für uns ist es dringend notwendig, dass ihr Deutschen Bush Widerstand leistet, und ihr sollt wissen, dass wir diesen Widerstand geradezu verzweifelt begrüßen. Es schadet uns sehr, dass Leute wie Tony Blair unsere Anstrengungen sabotieren. Aber zum Glück haben in Frankreich und Deutschland und zahlreichen anderen Ländern einige der größten Antikriegsdemonstrationen aller Zeiten stattgefunden. Ich kann dazu nur sagen: Danke, Danke und nochmals Danke.
Ein Volk, das den Irak nicht einmal auf der Landkarte findet
Als ich kürzlich nach Übersee reiste, kamen viele Leute auf mich zu und dankten mir, weil ich „der einzige vernünftige Amerikaner“ sei. Dieses Kompliment entspricht schlichtweg nicht der Realität. Ich kann euch versichern, dass nicht das ganze Amerika verrückt geworden ist. Bitte vergesst niemals die folgende Wahrheit: Die Mehrheit der Amerikaner stimmte nicht für George W. Bush. Es ist nicht der Wille des amerikanischen Volkes, dass er im Weißen Haus sein Amt ausübt. Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrglauben ist eine Mehrheit der Amerikaner ziemlich fortschrittlich – ihr würdet es „linksliberal“ nennen –, aber sie hat keine engagierten liberalen Führer. Wenn sich das (hoffentlich bald) ändert, bessert sich die Lage.
Ich schreibe euch, damit ihr wisst, dass ich keineswegs allein bin, sondern mitten in einer neuen amerikanischen Mehrheit stehe. Viele Millionen amerikanischer Bürger denken wie ich, oder ich denke wie sie. Ihr erfahrt bloß nichts von ihnen, jedenfalls bestimmt nicht aus der Presse. Aber sie sind da draußen – und ihre Wut brodelt dicht unter der Oberfläche. Deshalb mache ich weiter meinen Job und versuche, das eine oder andere Loch zu bohren, damit die Wut sich in einem Geysir demokratischen Handelns entladen kann.
Ich kann gut verstehen, dass Deutschland und der Rest der Welt über das Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeflippt sind. Recht hatten sie! Der Haufen, der bei uns regiert, fühlt sich an kein Gesetz gebunden. Ihr braucht euch nur zu fragen, wozu diese Gauner noch fähig sind, wenn sie schon die Wahl gefälscht haben. So viel kann ich euch sagen: Sie haben keine Hemmungen, alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt, besonders wenn sie unterwegs sind, um noch mehr Geld zu machen. Und sie bestrafen euch, auch als alte Verbündete, wenn ihr nicht mit gebeugtem Knie und gesenktem Kopf am Wegrand steht und ruhig zuseht, wie sie zum nächsten Regimewechsel marschieren (vorzugsweise in einem Land, das ein paar profitversprechende Ölfelder hat).
All dies wird natürlich zu ihrem – und unserem – Untergang führen. Ich glaube, eine knappe Mehrheit der Amerikaner spürt das tief unten in ihren Bäuchen. Sie sind nur völlig verwirrt, und zwar nicht zuletzt, weil sie unter einer aufgezwungenen Unwissenheit leiden. Die Grundlage für diese Unwissenheit wird schon in der Schule gelegt, denn in unseren Schulen lernen sie fast nichts über den Rest der Welt. Und sie werden auch ihr ganzes Erwachsenenleben lang unwissend gehalten, weil die Medien kaum noch über das Ausland berichten, es sei denn, die Nachrichten haben etwas mit den USA zu tun. Dass wir nichts über euch wissen, solltet ihr an uns am meisten fürchten. Die meisten von uns finden euch nicht einmal auf der Landkarte. Laut einer kürzlich erschienenen Studie finden 85 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 25 den Irak nicht auf der Weltkarte. Ich meine, die erste Vorschrift des Völkerrechts sollte lauten: Ein Volk, das seinen Feind nicht einmal auf dem Globus findet, darf ihn auch nicht bombardieren.
Sollte ein derart unwissendes Volk die Welt führen? Wie ist es überhaupt dazu gekommen? 82 Prozent von uns haben nicht einmal einen Pass! Nur eine Hand voll kann eine andere Sprache als Englisch (und auch das sprechen wir nicht besonders gut). George W. sieht den Rest der Welt jetzt zum ersten Mal – weil er muss, weil das Reisen bei einem Präsidenten, verdammt noch mal, zum Job gehört. Vermutlich bekamen wir die Verantwortung für die Welt, weil wir die größten Kanonen haben. Komisch, das funktioniert anscheinend immer. Wir haben den Kalten Krieg gewonnen, weil unser Gegner die Flagge gestrichen hat. Die Sowjetunion beschloss dank Mr Gorbatschow, den Kampf aufzugeben, weil sie sich mit einem System stranguliert hatte, das einfach nicht funktionierte. Das Regime in Ostdeutschland ging zu Ende, weil die Leute auf die Straße gingen und gegen eine Mauer hämmerten. Wow, das muss man sich mal vorstellen, ein Regimewechsel, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wird!
Dasselbe passierte in Südafrika – niemand musste das Land bombardieren, um es zu befreien. Tatsächlich gibt es etwa zwei Dutzend Länder, die – grob gerechnet – im letzten Jahrzehnt befreit wurden, einerseits durch den Druck der Weltöffentlichkeit, vor allem jedoch, weil ihre Bevölkerung durch einen gewaltlosen Aufstand die Macht ergriffen hat.
Aber wir Amerikaner kriegen ja keine Nachrichten aus Gebieten, die jenseits von Brooklyn oder Malibu liegen. Vermutlich haben wir gar nicht erfahren, wie ein richtiger Regimewechsel vor sich geht. Deshalb war es vor dem Irak-Krieg auch so einfach, uns schaufelweise Sand in die Augen zu streuen (meine Lieblingsschaufel war, dass der 11. September mit Saddam Hussein in Verbindung gebracht wurde), und die meisten von uns ließen sich blenden.
Ein Volk, das George W. Bush nicht noch einmal wählen würde
Okay, das ist verständlich. Wir wussten es nicht besser, und ich bin sicher, den meisten von euch ist klar, dass wir ein wirklich leichtgläubiger Haufen sind. Wir gehen das Leben ziemlich offen und großzügig und unkompliziert an. Wenn ihr uns um Hilfe bittet, kommen wir euch zu Hilfe. Und wenn ihr uns sagt, dass Esel fliegen können, glauben wir es (wenn ihr es im Fernsehen sagt). So sind wir nun mal, und ihr habt bestimmt schon festgestellt, dass das eine bezaubernde Eigenschaft von uns ist. Na los, gebt’s schon zu, das ist doch der Grund, warum ihr uns so gern habt. Und unseren Unternehmungsgeist nicht zu vergessen! Wir haben die nächste große Erfindung schon gemacht, bevor es 12 Uhr mittags schlägt. Wir haben Drive! Und Ehrgeiz! Und Selbstvertrauen! Klar, wir haben seit sechs Jahren keinen Tag mehr freigehabt, aber was soll’s! Wer braucht schon Schlaf! Wir müssen eine Welt regieren!
Das erklärt vermutlich, warum wir uns so verhalten haben, wie wir uns verhalten haben. Aber jetzt kommt meine Frage an euch: Welche Entschuldigung habt ihr? Warum habt ihr euren Regierungen im Lauf der Jahre gestattet, immer mehr von dem sozialen Netz wegzuschnippeln, das ihr uns vorausgehabt habt? Ihr Deutschen habt doch immer gesagt: „Wir sind füreinander verantwortlich.“ Deshalb gab es bei euch die Krankenversorgung, die Ausbildung und überhaupt alles, was Alle brauchen, umsonst. Aber jetzt wird das alles immer weniger. Es ist, als ob ihr euch in uns verwandelt, in ein Volk, das glaubt, dass die Reichen immer reicher werden müssten und alle anderen ihnen den Arsch küssen sollten. Ach, kommt schon, ihr Deutschen, ihr wisst es doch besser! Ihr seid belesen. Eure Medien berichten auch, was südlich der Alpen geschieht. Ihr macht Reisen. Ihr wisst Bildung zu schätzen. Und ihr habt im vergangenen Jahr die moralische Führung in der Frage Krieg oder Frieden übernommen. Ich bitte euch inständig, zeigt dieselbe moralische Urteilsfähigkeit, wenn es darum geht, das soziale Netz für jene Deutschen zu erhalten, die in eurem Land die Schwächsten sind. Beschreitet nicht den amerikanischen Weg, wenn es um die Wirtschaft, um Arbeitsplätze und um Dienstleistungen für Arme und Einwanderer geht. Es ist der falsche Weg.
Okay, jetzt kommt eine gute Nachricht: Während ich dies schreibe, wird über eine neue Meinungsumfrage in den USA berichtet. Ihr zufolge sind die Amerikaner zum ersten Mal mehrheitlich der Ansicht, dass Bush keine zweite Amtszeit mehr regieren sollte. Das ist eine großartige Nachricht, wenn man bedenkt, wie viel Unterstützung er zunächst für seinen kleinen Krieg bekam, der inzwischen zu einem endlosen Krieg geworden ist. Es hat also auch etwas Positives, dass wir Amerikaner uns nicht lange auf eine Sache konzentrieren mögen und immer nach sofortiger Befriedigung streben! Der Irak war kein Grenada, und jetzt ist uns die Sache langweilig geworden! Wir wollen Fernsehshows mit Happy End! Hey, warum schießen die immer noch auf uns? Ich will nach Hause! Hilfäääääääääää!
Noch eine letzte Bemerkung: Ich bin ganz überwältigt, wie die Menschen auf der ganzen Welt, seit Stupid White Men und Bowling for Columbine erschienen sind, auf meine Arbeit reagiert haben. Besonders aber bin ich von der Reaktion der Deutschen überwältigt. Die deutschsprachige Ausgabe von Stupid White Men wurde über eine Million Mal verkauft, und das Buch stand über sechs Monate auf Platz eins der Bestsellerliste. Zu einem bestimmten Zeitpunkt war es gleichzeitig Nummer eins und sechs – in der deutschen und in der englischen Version! Während ich dies schreibe, stehen Bücher von mir in Deutschland auf Platz eins und zwei (mein erstes Buch, Querschüsse von 1997, belegt den zweiten Platz). Über vier Millionen Exemplare von Stupid White Men sind inzwischen weltweit gedruckt (anscheinend hat sich nur Harry Potter besser verkauft), und Bowling for Columbine war für einen Dokumentarfilm der größte Kassenschlager aller Zeiten. Ich bin dafür sehr dankbar, weil es bedeutet, dass ich ohne Einmischung anderer die Bücher und Filme machen und veröffentlichen kann, die ich will. Dies ist ein Geschenk, das ich keineswegs als selbstverständlich betrachte. Ich nehme es als Zeichen, dass sich die Öffentlichkeit von der Rechten abgewandt hat und dass die Zeit reif ist für eine Bewegung, die sich für ein paar von den guten Dingen einsetzt, die endlich realisiert werden sollten. Ich hoffe, es ist euch ein Trost, dass die Amerikaner letztes Jahr, als Bush (wie die Medien fälschlich berichteten) so populär war, kein Buch öfter kauften und lasen als Stupid White Men, in dem George W. Bush die Hauptrolle spielt. Wie ihr seht, ist nicht alles verloren! Habt Vertrauen! Habt Hoffnung! Und schickt uns eine Zeitung mit interessanten Artikeln!
Quelle "Die Zeit"
Amerika
"Nicht ganz Amerika ist verrückt"
Die Koalition der Unwilligen formiert sich. Auch in den USA wendet sich die öffentliche Meinung gegen Präsident Bush
Von Michael Moore
Seid gegrüßt, meine deutschen Freunde, stolze Überreste des alten Europa und Anführer der Koalition der Unwilligen! Was zum Teufel ist los mit euch? Habt ihr nicht mehr gewusst, dass ihr gehorchen müsst, wenn die einzige Supermacht der Welt einen Befehl bellt? Wir bellen, ihr springt – das ist die Regel. Hat Mr Bush euch nicht hoch genug bestochen, damit ihr mitmacht und die Bevölkerung des Iraks bombardiert? Habt ihr nicht gewusst, dass Saddam der Übeltäter Massenvernichtungswaffen besaß? Große Waffen! Oh ja! Grausige Waffen! Er … er … er konnte sich unsichtbar machen, und er besaß geheime magische Kräfte, wie dass er, äh, dass er sich in eine Motte verwandeln konnte! Und, und … fliegen konnte er auch! Ich habe gesehen, wie er auf dem Empire State Building landete, und er sah so grimmig drein, als wollte er uns alle töten! Echt!
Millionen von uns versuchen hier in den USA mit aller Macht zu verhindern, dass das Bush-Regime rund um den Erdball noch mehr Unheil anrichtet. Für uns ist es dringend notwendig, dass ihr Deutschen Bush Widerstand leistet, und ihr sollt wissen, dass wir diesen Widerstand geradezu verzweifelt begrüßen. Es schadet uns sehr, dass Leute wie Tony Blair unsere Anstrengungen sabotieren. Aber zum Glück haben in Frankreich und Deutschland und zahlreichen anderen Ländern einige der größten Antikriegsdemonstrationen aller Zeiten stattgefunden. Ich kann dazu nur sagen: Danke, Danke und nochmals Danke.
Ein Volk, das den Irak nicht einmal auf der Landkarte findet
Als ich kürzlich nach Übersee reiste, kamen viele Leute auf mich zu und dankten mir, weil ich „der einzige vernünftige Amerikaner“ sei. Dieses Kompliment entspricht schlichtweg nicht der Realität. Ich kann euch versichern, dass nicht das ganze Amerika verrückt geworden ist. Bitte vergesst niemals die folgende Wahrheit: Die Mehrheit der Amerikaner stimmte nicht für George W. Bush. Es ist nicht der Wille des amerikanischen Volkes, dass er im Weißen Haus sein Amt ausübt. Im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Irrglauben ist eine Mehrheit der Amerikaner ziemlich fortschrittlich – ihr würdet es „linksliberal“ nennen –, aber sie hat keine engagierten liberalen Führer. Wenn sich das (hoffentlich bald) ändert, bessert sich die Lage.
Ich schreibe euch, damit ihr wisst, dass ich keineswegs allein bin, sondern mitten in einer neuen amerikanischen Mehrheit stehe. Viele Millionen amerikanischer Bürger denken wie ich, oder ich denke wie sie. Ihr erfahrt bloß nichts von ihnen, jedenfalls bestimmt nicht aus der Presse. Aber sie sind da draußen – und ihre Wut brodelt dicht unter der Oberfläche. Deshalb mache ich weiter meinen Job und versuche, das eine oder andere Loch zu bohren, damit die Wut sich in einem Geysir demokratischen Handelns entladen kann.
Ich kann gut verstehen, dass Deutschland und der Rest der Welt über das Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgeflippt sind. Recht hatten sie! Der Haufen, der bei uns regiert, fühlt sich an kein Gesetz gebunden. Ihr braucht euch nur zu fragen, wozu diese Gauner noch fähig sind, wenn sie schon die Wahl gefälscht haben. So viel kann ich euch sagen: Sie haben keine Hemmungen, alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellt, besonders wenn sie unterwegs sind, um noch mehr Geld zu machen. Und sie bestrafen euch, auch als alte Verbündete, wenn ihr nicht mit gebeugtem Knie und gesenktem Kopf am Wegrand steht und ruhig zuseht, wie sie zum nächsten Regimewechsel marschieren (vorzugsweise in einem Land, das ein paar profitversprechende Ölfelder hat).
All dies wird natürlich zu ihrem – und unserem – Untergang führen. Ich glaube, eine knappe Mehrheit der Amerikaner spürt das tief unten in ihren Bäuchen. Sie sind nur völlig verwirrt, und zwar nicht zuletzt, weil sie unter einer aufgezwungenen Unwissenheit leiden. Die Grundlage für diese Unwissenheit wird schon in der Schule gelegt, denn in unseren Schulen lernen sie fast nichts über den Rest der Welt. Und sie werden auch ihr ganzes Erwachsenenleben lang unwissend gehalten, weil die Medien kaum noch über das Ausland berichten, es sei denn, die Nachrichten haben etwas mit den USA zu tun. Dass wir nichts über euch wissen, solltet ihr an uns am meisten fürchten. Die meisten von uns finden euch nicht einmal auf der Landkarte. Laut einer kürzlich erschienenen Studie finden 85 Prozent der Amerikaner zwischen 18 und 25 den Irak nicht auf der Weltkarte. Ich meine, die erste Vorschrift des Völkerrechts sollte lauten: Ein Volk, das seinen Feind nicht einmal auf dem Globus findet, darf ihn auch nicht bombardieren.
Sollte ein derart unwissendes Volk die Welt führen? Wie ist es überhaupt dazu gekommen? 82 Prozent von uns haben nicht einmal einen Pass! Nur eine Hand voll kann eine andere Sprache als Englisch (und auch das sprechen wir nicht besonders gut). George W. sieht den Rest der Welt jetzt zum ersten Mal – weil er muss, weil das Reisen bei einem Präsidenten, verdammt noch mal, zum Job gehört. Vermutlich bekamen wir die Verantwortung für die Welt, weil wir die größten Kanonen haben. Komisch, das funktioniert anscheinend immer. Wir haben den Kalten Krieg gewonnen, weil unser Gegner die Flagge gestrichen hat. Die Sowjetunion beschloss dank Mr Gorbatschow, den Kampf aufzugeben, weil sie sich mit einem System stranguliert hatte, das einfach nicht funktionierte. Das Regime in Ostdeutschland ging zu Ende, weil die Leute auf die Straße gingen und gegen eine Mauer hämmerten. Wow, das muss man sich mal vorstellen, ein Regimewechsel, ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wird!
Dasselbe passierte in Südafrika – niemand musste das Land bombardieren, um es zu befreien. Tatsächlich gibt es etwa zwei Dutzend Länder, die – grob gerechnet – im letzten Jahrzehnt befreit wurden, einerseits durch den Druck der Weltöffentlichkeit, vor allem jedoch, weil ihre Bevölkerung durch einen gewaltlosen Aufstand die Macht ergriffen hat.
Aber wir Amerikaner kriegen ja keine Nachrichten aus Gebieten, die jenseits von Brooklyn oder Malibu liegen. Vermutlich haben wir gar nicht erfahren, wie ein richtiger Regimewechsel vor sich geht. Deshalb war es vor dem Irak-Krieg auch so einfach, uns schaufelweise Sand in die Augen zu streuen (meine Lieblingsschaufel war, dass der 11. September mit Saddam Hussein in Verbindung gebracht wurde), und die meisten von uns ließen sich blenden.
Ein Volk, das George W. Bush nicht noch einmal wählen würde
Okay, das ist verständlich. Wir wussten es nicht besser, und ich bin sicher, den meisten von euch ist klar, dass wir ein wirklich leichtgläubiger Haufen sind. Wir gehen das Leben ziemlich offen und großzügig und unkompliziert an. Wenn ihr uns um Hilfe bittet, kommen wir euch zu Hilfe. Und wenn ihr uns sagt, dass Esel fliegen können, glauben wir es (wenn ihr es im Fernsehen sagt). So sind wir nun mal, und ihr habt bestimmt schon festgestellt, dass das eine bezaubernde Eigenschaft von uns ist. Na los, gebt’s schon zu, das ist doch der Grund, warum ihr uns so gern habt. Und unseren Unternehmungsgeist nicht zu vergessen! Wir haben die nächste große Erfindung schon gemacht, bevor es 12 Uhr mittags schlägt. Wir haben Drive! Und Ehrgeiz! Und Selbstvertrauen! Klar, wir haben seit sechs Jahren keinen Tag mehr freigehabt, aber was soll’s! Wer braucht schon Schlaf! Wir müssen eine Welt regieren!
Das erklärt vermutlich, warum wir uns so verhalten haben, wie wir uns verhalten haben. Aber jetzt kommt meine Frage an euch: Welche Entschuldigung habt ihr? Warum habt ihr euren Regierungen im Lauf der Jahre gestattet, immer mehr von dem sozialen Netz wegzuschnippeln, das ihr uns vorausgehabt habt? Ihr Deutschen habt doch immer gesagt: „Wir sind füreinander verantwortlich.“ Deshalb gab es bei euch die Krankenversorgung, die Ausbildung und überhaupt alles, was Alle brauchen, umsonst. Aber jetzt wird das alles immer weniger. Es ist, als ob ihr euch in uns verwandelt, in ein Volk, das glaubt, dass die Reichen immer reicher werden müssten und alle anderen ihnen den Arsch küssen sollten. Ach, kommt schon, ihr Deutschen, ihr wisst es doch besser! Ihr seid belesen. Eure Medien berichten auch, was südlich der Alpen geschieht. Ihr macht Reisen. Ihr wisst Bildung zu schätzen. Und ihr habt im vergangenen Jahr die moralische Führung in der Frage Krieg oder Frieden übernommen. Ich bitte euch inständig, zeigt dieselbe moralische Urteilsfähigkeit, wenn es darum geht, das soziale Netz für jene Deutschen zu erhalten, die in eurem Land die Schwächsten sind. Beschreitet nicht den amerikanischen Weg, wenn es um die Wirtschaft, um Arbeitsplätze und um Dienstleistungen für Arme und Einwanderer geht. Es ist der falsche Weg.
Okay, jetzt kommt eine gute Nachricht: Während ich dies schreibe, wird über eine neue Meinungsumfrage in den USA berichtet. Ihr zufolge sind die Amerikaner zum ersten Mal mehrheitlich der Ansicht, dass Bush keine zweite Amtszeit mehr regieren sollte. Das ist eine großartige Nachricht, wenn man bedenkt, wie viel Unterstützung er zunächst für seinen kleinen Krieg bekam, der inzwischen zu einem endlosen Krieg geworden ist. Es hat also auch etwas Positives, dass wir Amerikaner uns nicht lange auf eine Sache konzentrieren mögen und immer nach sofortiger Befriedigung streben! Der Irak war kein Grenada, und jetzt ist uns die Sache langweilig geworden! Wir wollen Fernsehshows mit Happy End! Hey, warum schießen die immer noch auf uns? Ich will nach Hause! Hilfäääääääääää!
Noch eine letzte Bemerkung: Ich bin ganz überwältigt, wie die Menschen auf der ganzen Welt, seit Stupid White Men und Bowling for Columbine erschienen sind, auf meine Arbeit reagiert haben. Besonders aber bin ich von der Reaktion der Deutschen überwältigt. Die deutschsprachige Ausgabe von Stupid White Men wurde über eine Million Mal verkauft, und das Buch stand über sechs Monate auf Platz eins der Bestsellerliste. Zu einem bestimmten Zeitpunkt war es gleichzeitig Nummer eins und sechs – in der deutschen und in der englischen Version! Während ich dies schreibe, stehen Bücher von mir in Deutschland auf Platz eins und zwei (mein erstes Buch, Querschüsse von 1997, belegt den zweiten Platz). Über vier Millionen Exemplare von Stupid White Men sind inzwischen weltweit gedruckt (anscheinend hat sich nur Harry Potter besser verkauft), und Bowling for Columbine war für einen Dokumentarfilm der größte Kassenschlager aller Zeiten. Ich bin dafür sehr dankbar, weil es bedeutet, dass ich ohne Einmischung anderer die Bücher und Filme machen und veröffentlichen kann, die ich will. Dies ist ein Geschenk, das ich keineswegs als selbstverständlich betrachte. Ich nehme es als Zeichen, dass sich die Öffentlichkeit von der Rechten abgewandt hat und dass die Zeit reif ist für eine Bewegung, die sich für ein paar von den guten Dingen einsetzt, die endlich realisiert werden sollten. Ich hoffe, es ist euch ein Trost, dass die Amerikaner letztes Jahr, als Bush (wie die Medien fälschlich berichteten) so populär war, kein Buch öfter kauften und lasen als Stupid White Men, in dem George W. Bush die Hauptrolle spielt. Wie ihr seht, ist nicht alles verloren! Habt Vertrauen! Habt Hoffnung! Und schickt uns eine Zeitung mit interessanten Artikeln!
Quelle "Die Zeit"