Lily

SeelenBlut

Devil was an angel too
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26. Januar 2004
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Ich schreckte hoch und lauschte in die Dunkelheit. Stille. Irgendetwas war anders. STILLE?!? Ich sprang von dem harten Stuhl, auf dem ich kurz eingeschlafen war hoch. Hastig suchte ich nach dem Feuerstein um die Kerze wieder zu Brennen zu bringen. Was war mit dem mühsamen Keuchen? Warum war es so still? Oh bitte, bitte nicht, betete ich und wagte nicht, mir das Schlimmste auszumalen.
Endlich brannte die Kerze. Einen Moment verharrte ich, stützte mich mit den Händen auf dem Tisch ab, atmete tief durch und drehte mich zum Bett um. Der kleine Körper darauf zeichnete sich kaum unter der Decke ab. Schritt für Schritt bewegte ich mich darauf zu, die Kerze warf unruhige Schatten auf die Wände. Nun konnte ich das schmale, blasse Gesichtchen erkennen. Die Wimpern lagen dunkel auf den Wangen. Kein lautes Rasseln beim Atmen. Atmete sie überhaupt noch? Oh, Gott, bitte! Ich fasste nach der kleinen Hand. Kalt, sie fühlte sich kalt an. Schnell legte ich ihr meine Hand auf die Brust. Sie hob und senkte sich fast unmerklich. Ich sank vor dem Bett auf die Knie und brach in Tränen aus. Lilly hatte es überstanden. Sie schlief tief und fest. Fieberfrei.
Jamie! Ich musste ihm sagen, dass seine Tochter nicht sterben würde. Mit einem Tuch wischte ich die Tränen ab und richtete meine zerknitterten Kleider. Leise, mit der Kerze in der Hand schlüpfte ich in den Flur. Rechts vom Gang lag Jamies Bibliothek. Unter der Tür schimmerte schwach Licht. Vorsichtig klopfte ich. Keine Antwort. Langsam öffnete ich die Tür. Der kleine Raum war nur schwach vom Kaminfeuer erleuchtet. Jamie saß am Schreibpult und hatte den Kopf darauf gebettet. Er schlief, neben sich eine leere Whiskeyflasche umgekippt. „Jamie?“, langsam näherte ich mich ihm. Unsicher, ob ich ihn wecken sollte, oder nicht. Ich betrachtete ihn. Das grobe Baumwollhemd spannte über den breiten Schultern. Im Schlaf hatte er den Mund leicht geöffnet, die Wangen von Bartstoppeln bedeckt. Die blonden Haare waren zerzaust. Ich stellte die Kerze ab und konnte der Versuchung durch seine Haare zu streichen nicht widerstehen. Sie fühlten sich weich an. Ich lächelte und strich noch einmal über seinen Schopf. Da erwachte er mit einem Schrei, sprang auf und packte mich bei den Oberarmen. Wild blickte er mich an. Seine Augen waren gerötet, sein Atem stank nach Whiskey. Dann erkannte er mich und lockerte seinen Griff ein wenig. Immer noch erschrocken und verwirrt durch diese plötzliche Nähe starrte ich ihn an. Er hob eine Hand und streichelte meine Wange. „Du bist so hübsch“, murmelte er verträumt. Er beugte sich vor und presste seinen Mund auf meine Lippen. Das war nicht der zarte Kuss, nach dem ich mich gesehnt hatte, von dem ich nachts geträumt hatte. Hart und brutal zwang er meine Lippen auseinander und stieß seine Zunge in mich hinein. Seine Zähne stießen an meine und ich konnte den Whiskey scharf in meinem Mund schmecken. Mit der einen Hand hielt er meinen Kopf, mit der anderen zog er mich dichter zu sich. Meine Knie wurden weich und kurz erwiderte ich seinen Kuss und presste mich an ihn. Dann wurde mir bewusst, was wir taten und mit aller Kraft stieß ich ihn von mir, holte mit der Hand aus und verpasste ihm eine Ohrfeige. Nach Luft ringend hielt ich mich am Tisch fest. „Lilly“, stieß ich hervor. Jamie wurde blass und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht, seine Augen blickten wieder klarer. Hoffnungslos und resigniert sah er mich an. „ Ich habe meine Tochter verloren“, wisperte er. Das war keine Frage. „Nein“, beeilte ich mich zu sagen. „Sie schläft ruhig. Das Fieber ist gesunken. Sie wird wieder gesund.“ Jamie sprang auf und lief mit langen Schritten in das Zimmer der Kleinen. Zögernd ging ich ihm hinterher. Zu dem Whiskeygeschmack in meinem Mund hatte sich ein leicht metallischer dazugesellt. Blut. Mit meinem Taschentuch tupfte ich meine Lippe ab. Als ich das Zimmer betrat hockte Jamie vor dem Bett und blickte auf das schlafende Kind. Ich stellte mich neben ihn. Da umfingen seine Arme meine Taille und er verbarg sein Gesicht in meinen Röcken. Erstaunt registrierte ich die zuckenden Schultern. Dieser große, starke Mann weinte wie ein Kind.
 
Genial, was für eine knisternde Atmosphäre. Ich bin begeistert!
 
Die Geschichte las sich sehr flüssig. Die Parataxe in den ersten Sätzen bildet einen schönen gegensatz zu der danach folgenden Hypotaxe.
Wortwahl und Ausdruck sind stilsicher und lassen die Atmosphäre sehr lebending erscheinen, jedoch fehlt eben Handlung.
Auch empfand ich das geschriebene als etwas zu kurz. Einige Szenen hätte man mit mehr Wörtern eindringlicher beschreiben können.

Grüße,
Hasran
 
Hier geht es in meinen Augen um eine besonders atmosphärische Beschreibung, die ein wenig Handlung gut entbehren kann.

Ich brauch da nicht mehr Handlung. ;)
 
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