AW: Ist ein Setting ein Rollenspiel?
Skar schrieb:
Glorantha dürfte in die Richtung gehen.
Nein.
Glorantha und RuneQuest (1 und 2) waren engstens verbandelt. Avalon Hill hatte RuneQuest 3 aus Glorantha herausgeschnitten (was einer der Gründe für den Niedergang von RuneQuest unter Avalon Hill war). RQ3 funktionierte zwar ohne Glorantha, aber es gab NICHTS an Glorantha-Material, was nicht direkt auf RQ-Werte und RQ-Regelmechanismen abgebildet worden wäre.
Glorantha war nie ein "systemloses" Setting.
Und selbst die alte Thieves World Ausgabe von Chaosium war nicht etwa systemlos, sondern hatte Werte für 10 oder 12 damals aktuelle Regelsysteme aufgeführt!
Echte regelsystemunabhängige Settings kauft man sich mit Time-Life-Büchern, mit anderen Sachbüchern, zieht sie sich aus der Wikipedia etc.
Wenn ich ein D20-Settingbuch hingelegt bekomme und ich kenne weder D20, noch habe ich vor es mir anzuschaffen, dann habe ich KEIN Rollenspiel. Dann habe ich nur einen TEIL zu einem spielbaren Rollenspiel.
Risus ist ein Minimalsystem, welches ohne jegliches Setting daherkommt, aber praktisch sofort spielbar ist. Somit reicht es für das Rollenspiel aus, ein Regelwerk als Vertrag zwischen allen Spielenden zu haben, und dann kann man - z.B. bei Sorcerer&Sword - das Setting selbst während des Spiels erschaffen. Die Regeln während des Spiels zu erschaffen, ist auch spannend: weil es nämlich ständig Streit zwischen den Spielern (nicht etwa den Charakteren) geben wird. Das ist dann nicht ganz so erquicklich.
Selbst ein absichtlich systemneutrales Settingbuch hatte dann zur Angabe von bestimmten, als notwendige Merkmale erachteten Werten, eine eigene Notation eingeführt, die zwar in keinem Rollenspiel so verwandt wurde, aber leicht umzusetzen sein sollte. Warum? - Weil man mit knapper Notation von Attributen, die fast überall im Rollenspielumfeld verstanden(!) werden, eben knapp bestimmte Dinge angeben kann, die sonst längere Prosatexte erforderten. (Ich habe das gerade nicht so präsent, aber war nicht das alte Corrinis-Stadtbeschreibungsbuch ein solches? Ja, es kam aus dem F&SF-Verlag wie Midgard, war aber ja eine Übersetzung von Carse für die Welt Midkemia.)
Wenn es ein völlig regelsystemfreies Setting (= Sachbuch) ist, dann hat man als Spielleiter (und Spieler) viel Arbeit: man muß die relevanten Bestandteile des Settings in das gewünschte Regelwerk abbilden oder sich aufgrund der Besonderheiten des Settings ein eigenes Regelwerk ausdenken. So oder so sehr aufwändig.
Wenn es "intermediäre" Werteangaben gibt, so kann man diese schon etwas leichter auf sein eigenes System abbilden, doch manche vielleicht dann eben doch wieder nicht, oder manche Besonderheiten nur sehr umständlich und schwer im Spiel umzusetzen.
Gibt es eine Adaption für ein bestimmtes Regelsystem wie D20, GURPS, etc., dann haben die Spieler dieses Systems mit dem D20-Setting bereits die Regeladaption mit in Händen, auch wenn sie natürlich über die Kenntnis des D20-Systems verfügen müssen, um überhaupt spielen zu können.
Wenn man ein D20-Setting in die Finger bekommt, man aber lieber nach Hero-System spielen wollte, dann hat man hier das Problem der Abbildung wieder auf dem Tisch - nur sollte man dazu dann auch verstehen, was die D20-Werte bedeuten und man sollte verstanden haben, wie und warum Hero intern so arbeitet, um eine Umsetzung durchführen zu können.
In allen Fällen von Settingbänden (Sachbuch, "intermediäre" Werte, Werte für gängiges/verbreitetes System, Werte für eigenständiges, einzigartiges System) benötigt man zum Spielen neben Zeit sich einzuarbeiten ein Regelwerk. - Sonst wäre der Historische Weltatlas plus ein Geschichtsbuch ja ausreichend um gleich Mittelalter-Rollenspiel, Imperium Romanum, Die Abenteuer des Simplizissimus, etc. durchzuspielen. Ist es aber nicht.
Also: Ein Settingband allein ist noch lange kein Rollenspiel.