AW: Geht viel Spielerlebnis eigentlich nur mit vielen Regeln?
Spielerlebnis ist das, was man während des Spielens in einer Spielsitzung so erlebt. - Regeln sind nur ein WERKZEUG das Spiel in Bereichen, in denen man ständiges "Aushandeln" und Konflikte zwischen den Spielern vermeiden möchte, streßfreier ablaufen zu lassen. Aber man braucht nicht unbedingt vorab ausformulierte Regeln, um intensive Spielerlebnisse zu bekommen.
Bestes Beispiel: Engel. KEINE Regeln, sondern nur ein irgendwie als "Zufallsgenerator" zu verwendender Kartenstoß. - Engel funktioniert ALLEIN auf Basis der "Chemie" der Spielgruppenmitglieder. Wenn da irgendwer nicht mit jemand anderem kann, geht die gesamte Runde den Bach runter. Die Regeln, die hier verwendet werden, sind die meist unausgesprochenen Regeln des freundschaftlichen gemeinsamen Umgangs. Und wie jede Freundschaft, so kann auch solch eine Engel-Runde interne Spannungen aufkommen lassen, die wegen der ALLEINIGEN Verwendung der sozialen Umgangsregel für das gemeinsame Spiel in geradezu schauerlichen "Gruppenselbstzerstörungen" enden können.
Es fehlt die EXTERNE Instanz für die Gruppe insgesamt gültiger, aber NICHT VON der Gruppe herrührender Regeln. - Somit ist das Spielerlebnis als bestimmender Faktor von der Gruppenchemie abhängig. Mit der steht und fällt alles in einer Engel-Arkana-Runde.
Das ist bei Rollenspielen, die noch so knappe ECHTE Spielregeln aufführen, anders. Hier stellt die Regel eine externe Instanz dar, die einen entspannteren Umgang im Rahmen des Spiels miteinander erlaubt. Hier können Konflikte zwischen Charakteren ausgetragen werden, OHNE gleich in persönliche Konflikte zwischen Spielern zu münden.
Dabei ist es völlig EGAL, wie umfangreich die Regeln sein mögen. Wichtiger ist, daß die Gruppe mit ihrer Art der Regelverwendung klar kommt. Und da kann eine Gruppe schon mit Minimalsystemen überfordert sein, während eine andere Gruppe erst bei einer gewissen Regeldichte in ihrem "Wohlfühlbereich" einschwingt und besonders gelöst und findig ins Spiel kommt.
Das ist eine Art Gleichgewicht, welches sich schon bei Aufnahme oder Wechsel eines einzigen Spielers einer Gruppe spürbar verschieben kann. - Somit ist auch nur eine Art "Trendaussage" zu Regelumfang und Qualität des Spielerlebnisses UNMÖGLICH, ohne die konkrete Gruppe dazu zu betrachten. Und selbst dann kann man nur für genau diese Gruppe zu genau diesem Zeitpunkt eine Aussage treffen, die in der Rückschau auf das Spielerlebnis der Gruppe mit den konkret verwendeten Regeln in diesem EINZELFALL nicht gleich aus sich heraus falsch ist.
Spielerlebnisqualität und Regelumfang sind voneinander unabhängig.
Damit beantworten sich die Fragen im Eingangsbeitrag auch sogleich erschöpfend:
- Liebt eigentlich jemand da draußen lange Spielanleitungen? - Ja. Ist halt Geschmackssache, aber ja.
- Geht viel Spielerlebnis vielleicht nur mit vielen Regeln? - Nein. Spielerlebnisqualität hat mit Regelumfang überhaupt nichts zu tun, wenn man (wie oben im Eingangsbeitrag gefordert) eine GENERELLE Antwort geben will, die den Einzelnen, den individuellen Geschmack eines Spielers, einer Gruppe nicht betrachten soll.