PC Evochron (oder auch: Onkel Silver erzählt vom Zocken)

Silvermane

Wahnsinniger
Registriert
22. Februar 2004
Beiträge
5.750
Wir schreiben das Jahr 2010. Der PC-Spielemarkt befindet sich fest in der Hand der Multiplayer-FPS und der Casual Gamer. Elite ist eine verblichene Erinnerung in den Köpfen grauhaariger Grognards, Freelancer ein verehrtes Relikt aus einer besseren Zeit. Der Weltenraum ist öde und leer, und in den verbliebenen Sandboxen wird Cowboy und Indianer gespielt...

Naja, mal ernsthaft: Ganz so schlimm ist es nicht, aber der eklatante Mangel an neuen Elite-Clones nagt an des Silvermanes Nachtruhe. Darkstar One war nett, aber zu kurz (und ohne Wiederspielwert), die X-Serie mutierte gemütlich von einem Eliteklon zu einer Tabellenkalkulation mit schicken Weltraumbildern, Infinity leitet seinen Namen vom geplanten Releasetermin ab (der dann im Restaurant am Ende des Universums gefeiert werden kann), Miner Wars buddelt sich gemütlich durch sein Alphastadium.

Im Mehrspielerbereich tummeln sich EVE, das man nach Meinung seiner Bevölkerung falsch spielt wenn man daran Spass hat, Black Prophecy, das sich durch sein (vermutlich) bugverseuchtes Betastadium quält und Jumpgate Evolution, das wohl erst nach Infinity erscheinen wird. Und abgesehen von diesen kleinen Problemchen sind es PVP-lastige MMOs, eine Spielegattung, die Onkel Silvers bescheidener Meinung nach den Bodensatz der Internetbevölkerung anzieht wie Scheiße Fliegen.
(Und bevor wir uns wieder auf den Schlips getreten fühlen, liebe B!-Völkerung: Nicht vergessen das a) Meinungen wie Arschlöcher sind, jeder hat eine und alle tun sie stinken und b) ich der dienstälteste Teilzeit-Troll hier bin. Schiebt euch euren Entrüstungspost also bitte dahin wo beim X-Wing die Triebwerke sitzen.)

Tja, also, Weltraum, unendliche Weiten, einsame Wölfe, schnell verdiente Credits blablabla...Klein-Silver sinnierte schon seit Jahren darüber, daß bei einer Bevölkerungszahl von über 6 Milliarden statistisch gesehen wohl irgendwer existieren müsste, der davon träumt, ein besseres Elite zu schreiben und darüberhinaus auch Programmieren kann. Quasi ein Elite-Heartbreaker-Autor.
Und im Gegensatz zur Frau fürs Leben, dem perfekten Hamburger oder dem einzig wahren Rezept für Chili con Carne hat er diesen Mann auch gefunden.

Begrüssen sie mit mir Shawn Bower aka Vice. Der Mann hinter Star Wraith LLC. Der einzige Mann hinter Star Wraith LLC. Ich weiss wenig über diesen Mann, ausser das er scheinbar nicht schläft, Weltraumsimulationen mag und diese auch programmiert. Er ist nebenbei bemerkt einer der wenigen Menschen auf diesem Planeten die ungefragt meinen Kühlschrank plündern dürften.

(Gelangweilt? Na schön. Wir kommen jetzt zu dem Punkt wo ich anfange von Spielen zu erzählen.)

Es begab sich in grauer Vorzeit das ich auf ein Spiel namens Riftspace stolperte. Die Ideen dahinter waren ganz nett (anpassbare Schiffe, zufallsgenerierte Missionen, grosse Sandkiste), aber die Optik war eher abschreckend (ja, und das von mir, einem Indie-gestählten Veteranen aus der Zeit als die Sprites noch eckig waren). Ich sinnierte über verschenktes Potential und legte den Titel zu den Akten (aka "Rundablage"). Und das wäre es auch beinahe gewesen.

Der Titel ist inzwischen Freeware. Hier gehts zum Rückfall in die "guten alten Zeit" als die Planeten noch Klötze hatten: Full Games: RiftSpace v1.888 Free Full Game - Demo Movie Patch Download Section - GamersHell.com

Irgendwann Anno 2007 erschient dann ein "Nachfolger" (die verschiendenen Evochron-Spiele sind eher sowas wie Evolutionszwischenstufen, das "Universum" ist grösstenteils das gleiche), Evochron Renegades. Die Grafik brannte nicht mehr so stark in den Augen, die Schiffsmodelle waren recht ansehnlich, das Spielprinzip verfeinert. "Oh,", dachte ich mir, "sieht aus als ob jemand 'nen Grafiker angeheuert hat." Weit gefehlt. Es programmierte immer noch der Chef persönlich, allerdings zeigt er mir anschaulich was man aus einer Sammlung günstiger Low-Poly Raumschiffmodelle, guten Programmierkenntnissen und einer Vision basteln konnte.
Auch in Renegades waren die Schiffe anpassbar; Shawn hatte die Modelle in ihre Grundkomponenten zerlegt, skalier- und verschiebbar gemacht und dem Spieler eine Interessante "Pimp my Ship"-Basteloption gegeben. Mein Interesse war geweckt, ich vertiefte mich ins Spiel. Ich meisterte das newtonsche Flugmodel (Gottseidank war ich durch Terminus schon vorbelastet), lernte die kleinen Tricks die es einem ermöglichten gute Credits zu verdienen, erforschte das Universum (welches um einiges grösser war als es die 25MB grosse Installationsdatei oder die Systembeschreibungen im Handbuch vermuten liessen) und stürzte mich in den MP-Modus (ja, richtig gelesen...der Renaissancemensch Bower hatte nicht nur einen brauchbaren Eliteklon geschrieben, er hatte ihm auch noch einen Netzwerkcode verpasst). Dort traf ich dann eine illustre Ansammlung von Gestalten (größtenteils Regulars im offiziellen Forum) die mir ein paar der exotischeren Dinge zeigten. Wie z.B. wie man durch den Ereignishorizont eines schwarzen Lochs springt, oder wie man es schafft den Hyperdrive so zu kalibrieren das man sich den Atmosphärenflug spart und direkt über der Landeplattform materialisiert.
Ich traf auch ein paar Fehler. Einen Forumspost und ein paar Stunden später waren diese meist auch schon wieder in den Bereich der Nichtexistenz verbannt. Mein Respekt für dieses Universalgenie begann zu wachsen.

(Freeform Space Combat / Trader and Mercenary Simulator (PC Space-Sim) - Evochron Renegades Nicht Freeware, aber die Demo kann man 80 Minuten lang spielen; von einem Kauf rate ich aber ab, da Nachfolger erschienen sind/erscheinen werden)

Es war eine lustige Zeit, doch auch das grösste Universum mit den meisten Updates ist irgendwann erschöpft, ergo ging ich wieder meiner Wege, als mir die Meldung eines Renegades-Nachfolgers zugetragen wurde: Evochron Legends.
Abgesehen von hübscherer Optik und Verbesserungen des Codes gab es eine Menge neuer Spielzeuge, die Option einer Karriere beim Allianzmilitär (inklusive schnellen, wendigen Jägern. Die keinen Laderaum und keinen Platz für Crew hatten), neue Ressourcen und ...eine Craftingoption. Dazu wieder etliche sehr gut versteckte Ostereier und eine (optionale) Storyline um einen verschwundenen Träger. Nun ja, been there, done that, got the McGuffin and made some screenshots. Legends ist einer der wenigen Titel, die ständig auf meinem Rechner installiert sind (gleich neben Mount & Blade). In einen planetaren Ring einzutauchen um sich per Traktorstrahl erst einmal ein paar Container Wasser zu beschaffen und dann gemütlich ein paar Missionen für die lokalen Gilden zu fliegen ist einfach entspannend.
Wie es für mich üblich ist, versank ich wieder einmal ein paar Monate in der Versenkung und just als ich nach neuen Updates schauen wollte (Shawn ist ein fürsorglicher Mensch und patcht alle paar Wochen neue Features in seine Spiele, ob sie es nun brauchen oder nicht), da kam auch schon der nächste Fulcrum-Torpedo vom Meister daselbst angerauscht: Ein weiterer Nachfolger.

(An dieser Stelle der obligatorische Link zu Evocron Legends; auch hier ist die Demo wieder 80 Minuten lang spielbar. Freeform Space Combat / Trader and Mercenary Simulator (PC Space-Sim) - Evochron Legends)

Okay. Noch ein Evochron. Evochron Mercenary, um genau zu sein. Inzwischen konnte ich mich mit Fug und Recht als Veteranen dieses Spieles bezeichnen, auch wenn ich mehr Fan des Singleplayeranteils war - zunächstmal konnte man schon seit jeher seinen Singleplayerspielstand in den Multiplayer verfrachten und umgekehrt, und dann war ich nie ein besonders sozialer Mensch. Also okay, was konnte man an Legends denn noch verbessern?

Einiges, wie sich herausstellte. Die Anzahl der verfügbaren Schiffsrümpfe wurde erst einmal verdoppelt. Zur Erinnerung, von den Triebwerken über die Größe und Position der Flügel sind diese Schiffe modifizierbar (zumindest die zivilen Modelle), und hier kam gleich noch einmal Nachschlag mit der groben Kelle. Okay. Weiter in der Liste. Verbessertes Crafting, na okay, da war echt noch Potential drin. Neue Missionstypen, sowas schadet nie. Bessere Optik, na gut, es ist immer noch optisch etwas angestaubt aber he, die Augäpfel bluten schon lange nicht mehr. Neue Spielsachen. Immer gut. Vom Spieler erbaubare Stationen...haaaalt. Moment. Was? Oh, tatsächlich. Sogar mit Einfluss auf die Systemökonomie. Lobbies in den Stationen. 2-Spieler Modus für MP, bei der einer einen angekoppelten Geschützturm spielt...oha? Verschiedene Clanoptionen...mh...Moooment. Clanoptionen und der Stationsbau geht auch im Multiplayermodus? Mit maximal 64 Spielern?

Zahnräder knirschten in meinem Schädel. Potentiale wurden in fast vergessenen Hirnwindungen ausgelotet. Verdammt, Shawn, wärst du eine Frau, hätte ich dir an dieser Stelle einen Heiratsantrag gemacht. Visionen von meiner eigenen kleinen Station am Rande der Ewigkeit erschienen vor meinem geistigen Auge. Releasetermin September? Fickt euch, Reakktor, Egosoft und CCP. Ich weiss, was ich dieses Spätjahr zocke bis mein Keyboard verschleisst und die Maus um Gnade winselt. Wenn ich dieses Jahr in irgendeinen Multiplayermist monatlich Kohle investieren müsste, dann in meinen eigenen Mercenary-Server.

Und verdammt, er programmiert immer noch alleine da dran. Getrieben von Koffein und einer Vision. Aber wenigstens hat er diesesmal den Soundtrack bei einem Profi eingekauft.

(Achja, der Vollständigkeit halber: Freeform Space Combat / Trader and Exploration Simulator (PC Space-Sim) - Evochron Mercenary)

Einen Toast auf Indie-Entwickler wie Shawn, die dafür sorgen, daß Joysticks auch heutzutage noch eine Existenzberechtigung haben, und die der Grund dafür sind, daß ich immer noch lieber 800€ in einen brauchbaren Spiele-PC investiere als in eine Konsole. Ich ziehe den Hut vor euch.


-Silver, der letzte der Lone Wolf-Piloten.
 

Ähnliche Themen

Zurück
Oben Unten