BoyScout schrieb:
Naja, ich sehe das etwas differenzierter. Natürlich ist der eine Tod real und der andere nicht, aber gilt das auch für die Gefühle? Das Drama ist ja real, ansonsten würde man ja nicht davon beeinflusst werden. Die Fiktion ist nicht real, aber es werden in den meisten Filmen ja reale Elemente benutzt - es kommt ja kein Roadrunner und Coyote vor. Würde dich das auch schockspassen? Sicher nicht, es schockspasst dich doch der Menschentod und nicht der Toon-Tod.
Toons sterben nicht ... und sie setzen auf völlig übertriebene Gewalt, die grundsätzlich auf Lacher abzielt.
Das Drama und die damit verbundenen Gefühle werden vor allem durch die Kenntnis des Umstandes beeinflusst. Weiß ich, dass ne Monica Belucci die Szene in der sie 10 Minuten lang vergewaltigt wird drei mal von völlig allein wiederholen wollte, bis sie völlig perfekt im Kasten war, hat das eine andere Güte, als würde ein beliebiger Horrorfilm an einem Nachmittag abgedreht oder würden in einem noch anderen Film tatsächlich Menschen gestorben sein, wie sich nach der Premiere herausstellt.
Die Sache ist, dass ich davon ausgehe, dass es nur Schauspieler sind, dass alles n Drehbuch ist und dass es eben genau das ist: Fiktion. Und weil ich das weiß kann mich ein Film mitreißen, ins dumpfe Brüten versetzen oder mich auch eiskalt erwischen und mich wirklich wegflashen (Ich denke gerade an Savages: DER hat mich geflashed). Dennoch glaube ich nicht, dass ich mir jemals ernsthaft Sorgen um eine Zombieapokalypse machen muss, oder mal davor vor der Wahl stehe, dass ich "ihn" erledige oder selbst dran bin. Leute sterben in Filmen als Mittel der Dramatik ... hätte ich da die volle emotionale Bandbreite, wie bei meinen Freunden, dann würd ich mich glaub ich einliefern lassen. Das würd ich überhaupt nicht aushalten.
Ey es reicht doch schon, dass mein Mitleid getriggert wird, wenn sich einer meiner Bros den Fuß verstaucht und nicht mehr auftreten kann. Wenn ne Frau mit nem Kinderwagen nicht von allein in den Bus kommt und und und ... sowas schert mich in Filmen nen Scheiß. Fuß verstaucht? Stell dich nicht so an Pussy. Frau mit Kinderwagen? Haste jetzt davon, die Handlung mit so Belanglosigkeiten zu unterbrechen.
Ich will, dass Rambo in John Rambo alles tötet. Das MUSS so. Ich will nicht, dass John Rambo sein Vietnamtrauma im Ruhrgebiet auslebt ... ne .... und so seltsame Diktatoren brauchts hier auch nicht. Klingt egoistisch, is aber so.
Und ich würde sogar behaupten, dass bei einigen Filmfans die Gefühle beim Tod bestimmter Filmcharaktere realer sind, als der bei einer beliebigen Todesanzeige Sonntagvormittag in der Zeitung oder des Nachbarn, der seinen scheiss Köter jeden Morgen auf dem Vorrasen kacken ließ? Nicht zynisch genug dafür? keine Sorge, das kommt noch.
Todesanzeigen sind mir persönlich ein Gräuel ... ich weiß nicht was dieser Brauch soll oder wem damit geholfen wäre. Aber bitte, jedem das seine. Ich verbinde damit auch keine Emotionen.
Der Scheißköter wird spätestens dann interessant, wenn man häufiger reintritt oder der Duft im Hochsommer direkt ins eigene Wohnzimmer zieht.
Und Filmcharaktere: Naja, gut gemachte Filme zielen darauf Immersion zu betreiben. Wenn da also ein liebgewonnener Charakter oder sagen wir ein Sympathieträger oder jemand schwaches oder engagiertes ein jähes, unangemessenes oder gar brutales Ende erfährt ... das schockt. Dafür sind die filmischen Mittel ja nunmal gemacht. Aber ich glaube nur die allerwenigsten bleiben darauf hängen und kommen dann nicht mehr klar. Das dürfte dann vor allem im Zusammenhang mit persönlichen schlechten Erfahrungen oder gar Traumata stehen. Vermute ich jetzt mal so ...
Was den Zynismus angeht: Den lass ich nicht gedeihen. Ist mein persönliches Ziel ... hätte ich den würd ich meinen Job an den Nagel hängen.
der Unterschied, den du meinst, ist Würde. Über den Filmtod können manche Leute offensichtlich ablachen, über den echten Tod natürlich nicht. Für mich ist das aber nur eine Projektion des Echten, was, oh wunder, ein Film nunmal ist.
Würde ... interessanter Punkt ... aber auch nur einer von vielen. Und ob Filme "oh Wunder" immer eine Projektion "des Echten" darstellen wage ich anzuzweifeln.
Dann verstehen wir etwas unterschiedliches unter Gewalt. Explodierende Schwabbelkörper mit zu hellem Kunstblut zähle ich nicht darunter.
BoyScout ich habe nicht von Gewalt gesprochen im Zusammenhang mit diesem Beispiel. Ich habe von unpassenden Immersionsbrüchen gesprochen, die einen Film plötzlich und ad hoc ad absurdum führen. Gerade eben noch verteidigt sich ein Mann auf ner schäbbigen Toilette mit nem Porzellanklodeckel, indem er völlig angeschlagen und schwer verletzt einem Dämonen, im übrigen ne ziemlich gute Freundin von ihm, unter Todesangst den Schädel einschlägt, nachdem diese sich im Wahn das Gesicht abgeschnitten hat. Oha ... heftige Szene, geht unter die Haut.
Keine halbe Stunde später steht ne andere Frau kurz davor sich ebenfalls in einen Dämon zu verwandeln. Sie holt ein elektrisches Tranchiermesser, zappelt lustlos rum und säbelt sich dann in einem gigantischen Blutbad den eigenen Arm ab. Und dann freut sie sich, dass sie das geschafft hat. Und jetzt vergleich mal die beiden Szenen miteinander ... das passt überhaupt nicht zusammen und das wirkt lächerlich. Der Schwabbelkörper war ein Beispiel dafür, wie man einen tollen Film ad absurdum führen kann, wenn man plötzlich so nen Blödsinn einbaut.
Deswegen finde ich die "Film ist Fiktion" -Rechtfertigung immer problematisch und bin verwundert, wenn Leute meinen, so sauber dazwischen trennen zu können.
genauer müsste diese Frage wohl ein Phychologe/Soziologe beantworten.
Ich finds eher bedenklich, wenn Leute da nicht sauber trennen können. Wenn sie Selbstjustiz in Verbindung mit Filmtoden als legitime Problemlösung für alle Situationen des täglichen Lebens betrachten. Scheiß die Wand an ... das wäre übel.
Ich für meinen Teil bin Sozialpsychologe/ -anthropologe und Erziehungswissenschaftler. In Kürze: Es gibt einen Zusammenhang zwischen audiovisueller Stimulierung und Aggression beispielsweise, aber es spielen weitaus mehr Faktoren eine Rolle, als nur eine direkte 1:1 Übersetzung. Will heißen, dass die Gleichung "Ich finde Filmtode toll, also finde ich reale Tode auch toll!" kein stückweit aufgehen muss ... kann sie aber. Aber dann befinden wir uns im pathologischen Bereich ... deiner These nach könnte ein Großteil der westlich industrialisierten Menschheit mit massiven emotionalen Störungen direkt eingeliefert werden ... das nehme ich beispielsweise in meiner Umgebung, ja nicht mal in meinem Job unbedingt so wahr. Auch wenn ich mir in schlechten Momenten gerne einreden würde, dass alles ziemlich verkorkst und sinnlos ist. Das kann man auch hinter sich lassen ...
Arlecchino schrieb:
Ich denke, dass ein Mensch wirklich abstumpfen kann, wenn er täglich mit realen Gräueln konfrontiert wird, ob das bei Fiktion auch funktioniert oder zu welchem Grad? Müsste man erst untersuchen.
Jetzt müsste erst einmal geklärt werden was denn "abstumpfen" überhaupt ist. Menschen, die täglich mit Gräueln konfrontiert werden und traumatisiert werden dürften typische Krankheitsbilder entwickeln: Borderline Störung, manisch-depressive Tendenzen, PTSD, Schizophrenie ... sowas halt. Im Bereich der Fiktion halte ich Angststörungen für wahrscheinlich, so als direkte Folge. Aber abstumpfen, als dass aus einem lauteren Bürger durch Konsum von Medien plötzlich ein Soziopath wird? Nicht, ohne dass nicht bereits eine entsprechende Störung, wenn auch latent vorliegt. Ich sag ja: Das hat keine direkte 1:1 Konnotation. Abermals machen sich hier Erziehung, Umgang, Familie, Freunde, vererbbare Erkrankungen, etc. pp. deutlich bemerkbar.
Unterdrückung statt Aufarbeitung und Auseinandersetzung kann auf lange Sicht ziemlich krank machen.
Und wenn DAS die einzige Strategie ist mit dem Frust des Alltags oder des Lebens fertig zu werden gebe ich dir absolut recht. ABER: Das sind individuelle Problembereiche ... nicht gesamtgesellschaftliche. Das Phänomen "Colosseum" mit Torture-Porns wie "Hostel" zu vergleichen halte ich obendrein für ziemlich gewagt und ungerechtfertigt. Gerade auch im soziokulturellen Kontext.
Ich hatte das in meiner Jugend schonmal öfter, mein Viertel war nicht unbedingt das Friedlichste. Was ich aber nicht sagen wollte war "ich hatte keinen Schiss, ich oberkrasse harte Sau" sondern "das ich keine Horrorfilme vertrage kann nicht daran liegen, dass ich Nerven aus Zuckerwatte habe. Sondern wie diese Nerven beansprucht werden. In einer realen Bedrohungssituation meiner eigenen Person kann ich schonmal einen kühlen Kopf bewahren, das ist nicht das Problem. Müsste ich dabei zusehen, wie Jemand gefoltert wird -> Zuckerwatte".
Du keine Sorge ... ich hatte dich da nicht missverstanden. Wie ein Kackenhauer kommst du mir nicht vor ... ich war nur erstaunt woher diese Aussage so bestimmt stammte ... reine Interessensfrage also.
Ich weiß nicht genau was du in diesem Zusammenhang mit latentem Aktionsimus meinst, um ehrlich zu sein.
Die Bereitschaft dazu, dass Gesehene vielleicht auch mal umsetzen zu wollen.
Was in diesem Zusammenhang perverse Gelüste sind und wo die anfangen wage ich nicht zu beurteilen. Ich denke sexuelle Erregung würde darunter fallen, kann mich aber auch täuschen. Ist nur so ein Bauchgefühl.
Sexuelle Erregung ist auch wieder so ein Ding, welches erst dann wirklich problematisch wird, wenn andere gegen ihren Willen dazu genötigt werden oder wenn gegen geltendes Recht verstoßen wird (der Einfachheit halber ... ich möchte von Nachfragen bezüglich Homosexualität in den 1950ern oder aber der Inzestfrage im Jahr 2013 bewusst absehen). Gewalt ausüben oder empfangen in der Sexualität ist erstmal überhaupt kein Problem. Solange alle Beteiligten da auf einer Linie sind. Da kann man kritisch zu stehen (24/7 Beziehungen aus dem BDSM Sektor finde ich beispielsweise mehr als spooky - aber das ist auch nur meine Meinung). Die Sache ist, dass die Leute machen können, sollen und dürfen, solange alle einverstanden sind und ein gewisses Maß an Reife erlangt haben. Und aus dieser Argumentation heraus mag es für einige unvorstellbar klingen, aber auch bei völlig normal rumlaufenden Menschen mit Jeans und Strickpulli (nix hier Lack und Leder und Peitsche und Reißverschlussmaske) gibt es das Bedürfnis und die Lust extreme Sexualität zu erleben. Sich an die Grenzen zu treiben. Kratzen, beißen, als Ausdruck ungezügelter Lust. Festbinden als Ausdruck des Ausgeliefert seins ... oder eben auch Vergewaltigung als Thema mit Stop-Word ... eben Nervenkitzel gepaart mit der Sicherheit jederzeit aufhören zu können.
Ich weiß durch viele Gespräche, dass viele Frauen und Männer Vergewaltigungen massiv erregend empfinden ... und dennoch wollte keiner dieser Männer jemals wirklich vergewaltigen oder jene Frauen wirklich vergewaltigt werden. Einige fühlten sich ob dieser Gelüste sogar Kardinalschuldig, obwohl nichts passiert war (gute Indoktrination im übrigen). Die mags beide auch gegeben haben ... aber ich glaube da befinden wir uns wieder im Bereich der Traumata und der geistigen Störungen.
Perverse Gelüste zielt vor allem darauf ab auszugrenzen. Etwas ist für mich unvorstellbar und den erregt das? Pervers ... so einfach isses aber leider nunmal nicht.