AW: Einladung zum Rollenspiel
Ein Indiz ist auch das Verhältnis von Fluff zu Crunch und wie offensichtlich das Setting nur für Questen und Instanzen da ist und gebraucht werden will. Oder umgekehrt, wieviel Farbe (flavour) der Hintergrund bekommt.
Bis vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, NEIN! - Aber nachdem ich 3:16 in der Praxis erlebt habe, muß ich hier doch zu "das kommt darauf an" wechseln.
3:16 bietet nicht gerade viel Crunch. Alles sehr simpel, geradlinig und leicht zugänglich. - 3:16 bietet so gut wie KEINEN Fluff, der über den Rückseitentext hinausgeht.
Bei 3:16 sollen die SCs ganze Populationen von fremden Wesen auf fremden Welten ausrotten. Alle. Völkermord für Terra! Hurra!
Jedoch: 3:16 bietet einem ein paar Zufallstabellen zum Auswürfeln der nächsten Welt, die es zu entvölkern gilt. Und das war's dann.
Will man hier die Spieler dazu bringen neben dem (nach der vierten oder fünften Mission so langsam sehr stumpfsinnigen) Herunterwürfeln der getöteten Alien-Massen auch noch Rollenspiel zu betreiben, und zwar in dem Sinne, daß die Charaktere miteinander und mit NSCs interagieren - sich einfach mit dem einzigen Charakter, den der Spielleiter zu bieten hat, der Spielwelt (in diesem Falle: dem Universum) auseinanderzusetzen, dann wird man vom Regelwerk vollständig allein gelassen.
Ich spiele ja GERNE militärisches Rollenspiel (am meisten Necropolis, aber auch Engel). Ich habe da IMMER "normales Rollenspiel", d.h. eine übliche Interaktion der Spieler/Charaktere mit der Spielwelt, deren Bewohnern usw. erlebt. Man spielt miteinander, die Spielwelt wächst sozusagen um einen herum, je mehr man sich an ihr "reibt". Sie wird dadurch WIRKLICHER. Und das ist es, was den Spielern den Anreiz zu mehr und "bedeutungsvollerer" Interaktion mit der Spielwelt gibt.
Daher hätte ich eben auch früher auf das obige Zitat ablehnend geantwortet.
Ich habe solch eine "Wirklicher-Werdung" von Spielwelten bei mageren 7 Seiten Setting-Fluff gegenüber 140 Seiten Regeltext erlebt. Es ist NICHT die Menge des Setting-Fluffs, die hier meiner Erfahrung nach entscheidend ist, ob die Spieler von sich aus oder nach ein wenig "Herumkommen" in der Spielwelt praktisch unvermeidlich mit der Spielwelt und miteinander interagieren und dadurch die für unser Hobby so typischen Rollenspielszenen zustande kommen.
Interaktions-"Hemmung" in der Form, wie ich sie bei 3:16 erlebt habe, kommt meiner Meinung nach daher, daß die Spieler und ihre Charaktere so "entrückt", so DISTANZIERT der aktuellen "Auszurottenden Welt der Woche" gegenüber stehen UND ihrer eigenen Umwelt in der Kampfeinheit 3:16 EBENFALLS!
Die eingebauten Regelelemente, die es erlauben mittels Flashbacks Stärken oder Schwächen eines Charakters vom Spieler schildern und als Fakten zum Charakter hinzufügen zu lassen, sind nur PERSÖNLICH auf diesen Charakter bezogen. Man hat hier KEINE INTERAKTION und man schildert auch nichts, was irgendwelche Konsequenzen für andere Charaktere hätte.
Auch ein Flashback wie: "ich wurde in der Grundausbildung von Charakter A vergewaltigt und nun ist er mein Sergeant" betrifft NICHT ZWINGEND den Charakter A - das ist alles wischi-waschi dem aktiven Einbeziehen der Spieler überlassen, die solche unangenehmen Dinge aber einfach nicht als "Ball" zum Weiterspielen aufnehmen müssen. Dann bleibt das liegen und keinen schert's. - Typischer sind sowieso durch die Etiketten Stärken und Schwächen bei den Flashbacks, daß man nur REIN persönlich wirksame Dinge erzählt, die keinerlei Verbindung zu anderen Charakteren haben.
Ich ging mit Erwartungen aus meinen wirklich sehr guten Erfahrungen mit militärischem Rollenspiel an 3:16 heran, und mußte erkennen, daß das, was - letztlich ich, aber ich koche auch nur mit Wasser und den gelieferten Zutaten - 3:16 an Reibungsflächen für die Spieler hinsichtlich Interaktion mit dem Spiel-Universum vorhanden ist, sehr wenig ist.
Wenn man sich sehr, sehr viel Mühe als Spielleiter gibt und um das, was den Kern einer 3:16-Runde darstellen sollte, die Missionen auf den Planeten, lauter Zeug herumstrickt, dann merkt man schnell, daß man sich praktisch das GESAMTE Spiel-Universum hier SELBST bauen muß, und zwar in einer Form, daß daran die Spieler auch mehr und mehr Interesse finden. - Nur verliert man dann den Brennpunkt von 3:16 aus dem Auge: Völkermord durch sozial unverträgliche Tötungsenthemmte.
Es kann wirklich sein, daß es wieder mal daran liegt, daß ich mit einem forge-igen One-Trick-Pony so meine Schwierigkeiten habe, es so zu reiten, wie ein normales Pferd. Das hier, will nur im Kreis gehen, bis es vor Müdigkeit umkippt.
Auf jeden Fall hat mich das meine Position zu minimaler Setting-Fluff-Lieferung schon überdenken lassen und mich zur - vorläufigen - Erkenntnis gebracht, daß es zwar sehr wenig Fluff sein darf, aber es muß immer noch GENUG sein, damit man als Spielender (dazu gehört auch der Spielleiter!) daran Reibungspunkte finden kann, die in zündenden Ideen und Lust auf Interaktion mit diesem Setting bzw. mittels dieses Settings münden können.
Ansonsten sehe ich die quantitativen Anteile von Fluff und Crunch eher nicht als ein entscheidendes Kriterium. - Aber die LUST zum Rollenspiel hängt meiner Meinung nach durchaus auch von der QUALITÄT des Fluffs ab. (Aber nicht allein - siehe unten.)
Dazu möchte ich noch ergänzen, daß ein ungeeignetes Regelsystem, eines, daß sich ständig in den Vordergrund drängt und mehr Aufmerksamkeit für reine Regeltechnik und weniger für die Vorstellung des Geschehens auf der Battlemap oder in den gewechselten Worten ermöglicht, sich als beschränkender Faktor für ein noch so qualitativ anregendes Setting erweist. - Solche Beschränkungen merkt man oft erst beim Spielen, wo dann nach einer Begeisterung aller für das tolle Setting die Limitierungen der "Brille", die einem das Regelwerk auf bestimmte Details mit mehr Zeitanteil beim aktiven Spiel richtet, langsam zu stören beginnen. Dann schläft die Begeisterung ein, weil das Regelwerk sich zu sehr breit macht oder - auch bei an sich sehr "ruhig laufenden" Regelwerken - unstimmige Resultate aus der Regelanwendung kommen.
Es hilft übrigens auch nicht, wenn die Regeln eine Art "Interaktions-Zwang" ausüben (wie z.B. bei AGON, wo man einander Gefallen abluchsen muß, um sie später wieder im kritischen Moment einfordern zu können). Hier ist die SC- bzw. die Spieler-Interaktion sehr bald ziemlich "gekrampft" und nicht das entspannte Spielen in der Rolle, was man als so definierend für Rollenspiele kennt.
Nochmals: Es muß nur GENUG Fluff da sein, in AUSREICHENDER Qualität für die jeweilige Gruppe.
Das sind KEINE absoluten Quantitäten oder Qualitäten, sondern das ist wirklich von Gruppe zu Gruppe verschieden.
Was aber auch bei den in der Papierform besten Produkten noch der eigentliche, der STÄRKSTE Faktor ist, der über eine "Einladung zum Rollenspiel" entscheidet, das ist meiner Erfahrung nach die "Gruppen-Chemie".
Stimmt die Gruppe, spielen die Leute gerne miteinander, spielen sich die Bälle zu, spielen mit dem Spielleiter, haben insgesamt viele als anregend empfundene Interaktionen im Spiel.
Daher kann man auch mit laut Papierform eigentlich "schlechten" Rollenspielen für eine bestimmte Gruppe problemlos und zufriedenstellend spielen. - Da machen umständliche Regeln nichts aus, da ist zu lascher Fluff oder zu einengend überspezifizierter Fluff kein Hinderungsgrund sich mit gegenseitigem Rollenspielen zu unterhalten.
Und je nach "Gruppen-Stil" kommen dann eventuell in das Rollenspiel-Produkt eingebaute Mechanismen wie XP für "gutes Rollenspiel" oder Bennies oder Fanmail oder was auch immer als POSITIVES Feedback an. - Das bedeutete aber nicht, daß in der nächsten Gruppe, die mit demselben Rollenspiel-Produkt im Spiel ihren Spaß hatte, auch eine XP-Belohnung gut ankäme. Eventuell schafft so etwas Probleme, die es eigentlich ohne diesen FÜR DIESE GRUPPE UNGEEIGNETEN Mechanismus nicht gegeben hätte.
Wenn man seine Gruppen gefunden hat, man seinen persönlichen Stil hat, die Gruppe insgesamt ihren persönlichen Stil hat, dann merkt man schnell, ob man überhaupt Belohnungsmechanismen braucht.
So habe ich bei Engel z.B. niemals Belohnungsmechanismen eingesetzt - das Arkana-"System" gibt das nicht her, und mir und keinem meiner Mitspieler, mit denen ich gesprochen habe, hielt das für notwendig.
Bei Deadlands Classic sind die Fate-Chips eingebaut und man gewöhnt sich schnell daran, daß man für manche Dinge eine Belohnung in Form von Fate-Chips bekommt (was natürlich dazu gehört, ist dem Spieler zu SAGEN, WARUM er den Chip erhalten hat). Das ist tatsächlich ein Steuerungsinstrument, das ein klein wenig zu motivieren hilft - nur ein klein wenig. Bei einem Spielleiter, der seine Spieler überhaupt nicht mitreißen kann, nutzen auch Fate-Chips nichts, selbst wenn es sie regnen würde.
Daher sehe ich Regelmechanik für Belohnungen für "gutes Rollenspiel" eher sekundär. Zuerst muß es mit den Leuten klappen. Dann ist es nämlich auch so, daß AUTOMATISCH Spieler anderen Spielern positives Feedback geben. Das KANN dann in Regelsystemen mit Belohnungsmechanismus auch so aussehen, daß die Spieler sagen "Dafür hat er jetzt aber einen Bennie verdient." - Und das hat er dann auch!
Eine mechanische Belohnung zu vergeben (KEINE AUTOMATISCHE, sondern nur eine dem Regelsystem eingebaute!), ist auch EINFACHER als einem anderen ins Gesicht zu sagen, das man das, was er gerade gespielt hat, wirklich toll fand. - Solche "Group-Hug"-Szenen sind nicht das, was ich in meinen Rollenspielrunden erlebe oder auch nur erleben möchte. Gegen High-Five ist nichts einzuwenden und das ist auch eine Form positiven Feedbacks. Aber oft finden es Leute schwer, anderen ihre Gefühle ins Gesicht zu sagen. Da ist es leichter jemandem einen Bennie rüberzuschieben und zu sagen, wegen dieser oder jener Szene. Das ist AUCH eine Form der Kommunikation. Und es erleichtert vieles, was gerade bei der Gruppenfindung und Gruppenbindung wichtig ist.
Somit kann ein gutes Setting mit der richtigen Menge Fluff und einem unaufdringlichen Crunch und einer allen Spielern liegenden Feedback-Methode sicherlich bei einer Gruppe die Voraussetzungen verbessern, daß hier die Einladung zum gemeinsamen Rollenspielen wahrgenommen wird. - Aber sicher ist das nicht. Das hängt - wie so vieles - von den Menschen ab, mit denen man spielt.