AW: Das Magiesystem der Harry-Potter-Welt
@ Gray: Ich stimme Dir zum großen Teil zu.
Die Welt von Harry Potter ist nicht so durchdacht wie Mittelerde, ich denke nicht das Rowling jede Kleinigkeit über Jahre ausgearbeitet hat. Sie hatte ja auch kaum die Zeit dazu, wenn man bedenkt das sie beim ersten Roman am Hungertuch nagte und nur dessen Erfolg dafür sorgte das sie heute so eine gefeierte Autorin ist.
Wenn ich mich recht erinnere, verbrachte JKR 3 Jahre allein mit der Planung von Harry Potters Welt. Zaubersprüche, politische Strukturen und Organisation der verschiedenen Versatzstücke wurden da zusammengefügt. Zumindest war das eine Aussage in einen ihrer Interviews.
Natürlich ist das nicht wirklich zu vergleichen mit Tolkien, der quasi sein ganzes Leben lang an Mittelerde "dran" war. Aber es ist doch eine ganz ordentliche Vorbereitungszeit.
Wo ich Dir ein bisschen widerspreche, ist diese "Ist-doch-nur-ein-Kinderbuch"-Entschuldigung, die regelmäßig immer dann aufkommt, wenn irgend etwas an HP kritisierbar ist. Dieser Entschuldigung widerspreche ich aus zwei Gründen: zum einen ist die Harry-Potter-Reihe dafür gedacht, mit den Lesern mitzuwachsen. Beim Lesen des letzten Bandes ist der "ideale" Leser also 17 Jahre alt. Der Einwand, die Reihe sei also generell mit den Maßstäben von Kinderliteratur zu bewerten, halte ich also einfach für formal nicht ganz richtig.
Abgesehen davon - und das ist mein zweiter Einwand - glaube ich nicht, dass man gewisse Qualitäten von Literatur einfach vergessen sollte, wenn man es mit Kinderliteratur zu tun hat. Schlüssigkeit der Handlung und das Gebot, die eigenen Figuren stets auf maximaler Kompetenz laufen zu lassen, gehören für mich dazu. Das heißt, dass der Autor sich Gedanken darüber macht, was zum Beispiel Magie kann und was nicht in der Welt, die er beschreibt, und die Figuren darin stets so handeln lässt, dass sie in bestem Wissen um ihre Fähigkeiten alles tun, um ihre Ziele durchzusetzen. Sie dürfen also nicht einfach Zauber "vergessen", wenn der Einsatz eines solche Zaubers den Plot zu sehr abkürzen würde. Gerade, wenn JKR stets dezidiert feststellt, wie stark die Handlung ihrer sieben Bücher in allen EInzelheiten vorausgeplant war, kann man ihr in dieser Beziehung, finde ich, durchaus einen Vorwurf machen. Man kann die Wichtigkeit eines solchen Urteils natürlich je unterschiedlich bewerten, aber Kritik üben kann man dieser Stelle dem Text schon.
@Silvermane
Magie ist in diesem Falle ein Plotdevice - die Autorin kramt es heraus, wenn es gerade passend ist, und vergisst geflissentlich das sie existiert wenn es gerade nicht passt. Ich würde jetzt gerne über einen "klassischen Anfängerfehler" lästern, aber nach einem halben Dutzend Büchern muß ich wohl absicht unterstellen.
IIRC folgt die Magie in HP keinem besonders ausgereiften Systen - Der Zauberer wedelt mit seinen Stab, murmelt die mystischen Worte und es passiert etwas. Wie du schon richtig bemerkt hast: Keiner weiss woher die Magie stammt (allerdings scheint das Talent dazu erblich zu sein) und ein Preis existiert scheinbar auch nicht.
Gewisse Parallelen zu Technobabble wie man ihn in Star Trek findet drängen sich einem auf. Keiner weiss warum es funktioniert, aber man knallt einen Gravitonstrahl gegen den Deflektorschirm und ein Problem ist gelöst.
Das sehe ich genauso, und das Beispiel mit Star Trek ist auch wirklich sehr passend. Man könnte auch an Q denken, der James Bond just immer DIE Gadgets mit auf den Weg gibt, die er später auch brauchen wird - aber ihn nie mit Geräten versorgt, die er im Film vorhrer schon ausgegeben hatte, selbst wenn sie das Abenteuer lächerlich leicht lösbar machen würden.
Ich glaube aber, dass die Magie bei HP noch eine weitere Rolle hat. Die Magie ist bei Harry Potter sozusagen das Vehikel, das den Gefühlen der Protagonisten eine gleichsam poetische Macht verleiht.
Die wichtigsten Zauber sind, fast wie bei den Sith, an Gefühle gebunden. Das edle Ehrgefühl, das Harry Potter auszeichnet, scheint seinen Entwaffnungszauber besonders stark zu machen. Es ist der Wunsch Voldemorts, alles Leben zu vernichten, der seinen Crucidingsbums so tödlich werden lässt, und nur sein Unterwerfungswille verleiht seinen Beherrschungszaubern einen so großen Durchschlag, dass kaum einer sich dagegen zu wehren vermag. Es ist die magisch geronnene Mutterliebe, die Harry Potter schützt, und die Erinnerung an seinen Vater empoweret seinen Patronus derart, dass er Scharen von Dementoren vertreiben kann.
Insofern würde ich sagen, dass die Magie in HP die Rolle hat, die Stärke und die Macht der Gefühle darzustellen, die die Helden und Schurken antreiben und bestimmen. Ein wenig kommt mir das vor wie die Kämpfe in der Matrix, wo dein eigenes "Bewusstsein" oder die Härte deiner "Philosphie" über die Wucht deiner Schläge zu entscheiden scheinen.
Allerdings ist das Magiesystem in den HP-Büchern auch nicht die Hauptattraktion. Die Hauptattraktion sind die Abenteuer einer Horde von Teenagern in einer fantastischen Welt, die ziemlich eindrucksvoll beschrieben wird. Die Zaubersprüche sind da nur Sahne im Kaffee.
Das sehe ich genauso, und ich wollte die eigentlichen Qualitäten der Romanreihe auch nicht unterbuttern. JKR schreibt wunderbare Dialoge, beherrscht extrem gut den Einsatz von Dialekten (leider nicht spürbar in der deutschen Übersetzung) und hat generell ein großartiges Gespür fürs Timing. Und für Spannung und Informationsverwaltung sowieso.
BTW: "Ausgegorene" Magiesysteme sind ausserhalb von Rollenspielregelwerken selten wie Hühnerzähne. Wozu auch? Die meisten Romansettings gönnen sich ja noch nichtmal den Luxus einer stimmigen internen Logik. Ein vollständiges Magiesystem ist Teil des Worldbuildings, aber Worldbuilding an sich ist nicht zwingend erforderlich um einen erfolgreichen Roman zu schreiben. Seine Zielgruppe zu kennen ist IMHO ungleich wichtiger.
Da hast Du mich eiskalt erwischt. Ich lese nicht annähernd so viel Fantasy, wie es meiner Neigung eigentlich entsprechen sollte. Ich muss aber ehrlich sagen, dass in Sachen Inkonsistenz der Magie mir HP ziemlich extrem vorkam. Wenn es Dich amüsiert, kannst Du gerne ein paar Sagas aufzählen, die noch ärger die Logik von hinten aufzäumen.
Deine Schlussbemerkung ist natürlich richtig, und ich würde auch nie sagen, Harr Potter sei ein zu Unrecht so erfolgreiches Buch. Ich dachte nur, dass es vielleicht interessant ist - und das nachgerade auf einer Rollenspielseite -, sich mal etwas detailierter mit dem Magiesystem auseinanderzusetzen.
@Glorfindels Erbin:
Najaaa... jetzt aber mal ehrlich ... es ist doch "nur" ein Buch?
Es ist ja jetzt kein Rollenspiel oder so. Zudem sind - zumindest die ersten Bände - für Kinder ausgelegt, die das kaum interessieren sollte.
Rowling vermittelt eben die klassische romantische Vorstellung von Magie und Zauberei. Ein Zauberspruch, der dann das gewünschte geschehen lässt. Mich hat es nun wirklich nicht gestört, dass sie nicht wie in Canavans Büchern als " Quelle im inneren des Herzens" dargestellt wird "von der man immer ein paar kleine Teile nimmt und zu einem Zauber verarbeitet".
Gut ich bin eh kein Fan von zu kritischem Lesen ... ich mag es weder bei Büchern noch bei Filmen, wenn alles haarklein nach Logik hinterfragt wird. Das macht irgendwie die Romantik kaputt ^^ Und letzten Endes geht es doch immer noch um die Menschen da, und nicht um die Magie selbst.
Och, ich finde, das ist Geschmackssache. Ich persönlich nehme gerne alles, was ich lese, haarklein auseinander, stelle es auf den Kopf und gucke, was dabei für Sachen rausfallen.
Ob man dieses Zergliedern machen soll - diese Frage ist ja alt. Brecht hat mal, wenn ich mich recht erinnere, sich für das "Zerpflücken von Gedichten" stark gemacht. "Denn jeden einzelten Blüte ist schön" oder so ähnlich. Ich stoße gerne auf Qualitäten von Texten, die man beim ersten Durchlesen gar nicht bemerkt. Viele Strukturelemente bei HP gehören für mich dazu. Zum Beispiel, dass das Dreiergespann je in die Häuser außerhalb ihres eigenen Hauses hinausragen. Harry Potter nach Slytherin, Ron nach Hufflepuff, Hermine nach Ravenclaw.
@Gray: Und selbst im Herrn der Ringe ist die Magie fast gar nicht behandelt! Und erklärt schon gar nicht
Ich weiß nicht, ob das ein gutes Beispiel ist. DIe Magie im Herr der Ringe funktioniert, in meinen Augen, sehr sehr konsequent. Es gibt verschiedene Ausformungen von Magie, die man generell als von Illuvatar herabgegebene Schöpfungskraft bezeichnen könnte. Die Geister, die Valar und ihre Diener, die Maiar, besitzen die Macht, die elementaren Kräfte, die sie verkörpern, einzusetzen und begrenzt weiterzugeben. Alle Maiar können außerdem ihre Gestalt verwandeln - wie die meisten Zauberer der alten Sagen -, wenngleich diese Fähigkeit, während Mittelerde erkaltet, langsam zu erstarren scheint.
Die Elben besitzen als Erstgeborene eine magische Fähigkeit, die letztlich auf ihre Rolle als "Benenner" der Gegenstände der Schöpfung zurückzuführen ist.
Alle Zauberwirker können die Aspekte, die sie verkörper, in einem Akt der erzeugenden Kunstfertigkeit in Gegenstände "einschmieden". Artefakte sind also der Hauptträger von "Magie" in Mittelerde, die sich meist subtil äußert. Besser verstecken, stärker kämpfen, genauer treffen, länger reiten - fast bemerkt man diese Magie nicht, die sich in der unnatürlichen Steigerung von Fertigkeiten äußert.
Magie ist in Mittelerde nie stark genug, um ein Plotbreaker zu sein. Meist überliest man sie sogar einfach.