Cyberpunk im Wandel

AW: Cyberpunk im Wandel

Wie kommst du darauf und wie genau meinst du das?

Ganz einfach: wir leben in anderen Zeiten. Um genau zu sein - wir leben quasi in einer post-singuaritätsgesellschaft, bei der die Singularität sozialer natur war, und durch den 11.09.2001 dargestellt werden kann. Die Welt von heute KANN niemals zu der Welt von 2020 werden, nicht merh. Dafür sind die sozialen, politsichen und wirtschaftlichen trends einfach in ganz andere richtungen gegangen. Cyberpunk 2020 war damals die übertragung des Cyberpunks auf die damalige RPG-Welt, SR ebenfalls. Um also ein heute relevantes Spiel zu erschaffen müßte mal die heutige RPG-Konzeption des Cyberpunk nehmen, und auf ein heute genehmes system aufsetzen. In meinen augen gibt es heute nur zwei ernstzunehmende Spiele im Bereich der Phantastik, die das tun: Cyberpunk v3 und EVE Online - und die meisten hier anwesenden werden bestreiten das diese beiden überhaupt noch Cyberpunk sind. Aber das, was hier unter Cyberpunk verstanden wird, ist im prinzip ebenso was für ewiggestrige wie Mittelaltermärkte, Raumschiff Orion (Oder Classic Star Trek) oder der Mutantenstadl - nämlich die trümmer von Gestern.

Und was zur Hölle soll mir das sagen??? :nixwissen:

Das beides bereits schon verstorben sind, auch wenn manche das nicht wahrhaben wollen.
 
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Moderner Cyberpunk: Ghost in the Shell: Stand Alone Complex. Die Serie bietet eigentlich alles, von den klassischen bis zu neueren, moderneren Elementen, und Solid State Society setzt noch mal einen drauf und geht das aktuelle Problem der Gentrifizierung an.
Children of Men sollte als Filmvorlage für zeitgenössischen Cyberpunk so wichtig sein, wie Blade Runner für den 80er Jahre Cyberpunk wichtig war, was allgemeines look & feel aber auch generell das inhaltliche angeht.
Und so eine Mischung ist das was ich als modernen Cyberpunk gerne spiele.
Inwiefern bedarf Cyberpunk einer Aktualisierung?
Cyberpunk der 80er/90er bediente andere Zukunftsängste als heute. Ascaso ist da mit seiner wirtschaftsdarwinistischen Vision schon auf dem richtigen Weg. Wer was leistet ist was. Wer nicht, der nicht. Wer zu arm ist, seinen Kinden ein Genfixing zu bezahlen, so dass die was leisten können, ist ein Schmarotzer und hat nichts verdient. Wer sich's leisten kann, sich und seinen Kindern für's Virtuelle Interface ihres aufgemotzten Cyberhirns eine leistungsfähige Support-KI zu kaufen, der ist was. Der kann was. Wer nicht, der ist ein Schmarotzer, die Schlange die sich am Busen der Gesellschaft nährt. Etc. pp.
Bioriden sind auch nur Menschen. Sagen die Untermenschen der Synthetikrechtsbewegung. Wer die kennt, ist ebenfalls ein Schmarotzer. Wer die kennt, der bekommt keinen Kredit mehr. Der kann sich kein Haus leisten. Kein Auto. Noch nicht mal in ein Flugzeug kommen die.
Und so weiter, und so fort.
Widerstand? Revolution? Versucht es ruhig. Vielleicht gibt es wirklich irgendwo eine ECHTE Widerstandsbewegung, die KEINE Erfindung der Regierung ist. Die Wahrscheinlichkeit auf eine solche zu treffen ist allerdings gering. Wahrscheinlicher ist das Arbeitslager.

Moderner Cyberpunk ist für mich deutlich (!) dystopischer als retrofuturecyberpunk, einfach weil unsere Gegenwart deutlich weiter... anders... vielleicht auch finsterer in manchen Aspekten ist, als in den 80ern.
 
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Das klingt alles für mich eher nach Post-Cyberpunk, ehrlich gesagt, aber da verschwimmen eh die grenzen der meme...
 
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Children of Men von der Atmosphäre her ist ein klasse Vorbild.

Cyberpunk der 80er/90er bediente andere Zukunftsängste als heute. Ascaso ist da mit seiner wirtschaftsdarwinistischen Vision schon auf dem richtigen Weg. Wer was leistet ist was. Wer nicht, der nicht.

Das ganze lässt sich natürlich noch weiter strecken.
Von wegen, nicht nur die tumbe Unterschicht muss Outsourcing und Ghettodasein fürchten, das ganze gilt auch für die Führungsetagen. Wer nicht schnell genug reagiert um seiner Firma einen Platz an der knapp bemessenen Sonne zu garantieren, für den ist das schöne Leben in der KI-regulierten Arkologie ganz schnell hinüber. Wenn er, aufgrund Wissens über bestimmte Interna überhaupt mit dem Leben davon kommt ... letztendlich werden alle vom System ausgebeutet und wer nicht ständig alles gibt wird halt aus der (ebenfalls KI-regulierten weil so effizienteren) Arbeitswelt entlassen. Nachschub gibt es soviel wie an qualifizierten Profilen durchs Netz geistert. Als Beispiel für ein optimales könnte man vielleicht das Bewerbungsgespräch in Cypher nehmen. So stelle ich mir in etwa das vor, was in einer GitS-Folge mit: "ein Gespenst geht um auf der Welt, das Gespenst des automatisierten Kapitalismus" angedeutet wird, natürlich inklusive Brokerprogramm.

Die Weltwirtschaft hat sich angeglichen, es gibt keine erste und dritte Welt mehr sondern nur noch Gewinner und Verlierer auf einem globalen Level. Ob der Sweatshop jetzt in Thailand, Mexico oder Deutschland steht ... wen interessiert das denn?

Alles ist Ressource, auch und vor allem der menschliche Körper. Gesetzt der Fall jemand mag sich für seine Freunde, Geliebten, Kinder etc. aufopfern hat er immer noch seine körperliche Gesundheit als Kapital ... vielleicht möchte ja jemand diesen Körper um sich für einen möglicherweise lethalen Abenteuerurlaub hineintransplantieren zu lassen. Die Kleinen können dann ja immer noch mit Daddy/Mommy in einer Virtualität Kontakt halten, Internetanschluss und Nährlösung in der Brainbank sind allemal billiger als sauberes Trinkwasser, Essen und ein eigenes Zimmer. Und zur Not kann man immer noch die eigene Rechenkapazität verleihen.
Nichtmal dieser Ausweg offen weil kaputtgeschuftet, zuwenig trainiert ... hey, guck mal raus auf die Straße, wir haben dich ja gewarnt. Und wer unbedingt wegen jugendlichem Zigarettenkonsum aus der Kasse fliegen musste hats eh nicht anders gewollt.
Vielleicht hast du ja dann wenigstens noch eine interessante Phantasie, du könntest deine Träume tapen und hoffen einen Agenten zu finden. Der billige Neuralrecorder könnte zwar Hirnkrebs verrusachen, aber hey wenn du soweit heruntergekommen bist solltest du nach jedem Strohalm greifen, oder?

Wahrscheinlicher ist das Arbeitslager.
Wieso Lager? Ist doch nur unnötig schlechte Publicity. Wie soll jemand ohne gesellschaftliche Privilegien, Pass, Wohung, genug Essen etc. denn noch aufbegehren? Ein weiterer, illegaler Arbeitsnomade in den riesigen Zeltstädten und Trailerparks. Romantisiertes Nomadendasein? Die Freiheit der weiten Strasse? Willkommen in der Wirklichkeit...und morgen bitte pünktlich um 5 Uhr auf der Baustelle des nächsten Luxusturms einfinden, ja?

Widerstandsbewegung? Die Mafia zahlt wenigstens ordentlich für das Risiko.
 
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Naja, da ist halt die Frage ab wo man zwischen Oberfläche und Tiefe unterscheidet. Ich für meinen Teil finde hautpsächlich die Cyberpunk-RPGs überholungsbedürftig. Ist halt schade das die ganzen Transhuman-Spiele hauptsächlich den (wieder sehr cleanen) Weltraum zur Spielfläche zu machen scheinen anstatt auf der guten, alten Erde zu bleiben. Das wird aber zB Teddy wahrscheinlich ganz anders sehen .

Die Literatur(auf die du dich ja hauptsächlich beziehst) ist eh zu divers um da irgendwie eine Aussage bzgl einzelner Aspekte zu machen. Man findet in "Inseln im Netz" und "Snow Crash" einen Haufen Motive die in der Form sicher überholbedürftig bzw. was letzteres angeht in der geschilderten Form einfach hochgradig unrealistisch sind. Das Grundmotiv bzw diverse Einzelaspekte sicher nicht. Sonst würde Serafin ja hier keine Erneuerung des Cyberpunk-Genres sondern seine Abschaffung bzw. Ablösung einfordern. Zumindest habe ich das jetzt so verstanden.

Sollte das stimmen redet ihr imho aneinander vorbei bzw. natürlich geht es um die Oberfläche. Was in einem "Style over Substance"-Genre aber auch nicht so unwichtig ist. "High Tech and Low Life" ist in der Tat zeitlos.
Du könntest vielleicht das sogenannte "Postcyberpunk" - Genre als grundlegende Änderung ansehen obwohl du da wahrscheinlich zu Recht auch nur kosmetische Änderungen sehen würdest.
Die "Revolution" im Cyberpunk-Genre wird es so eh nicht geben können ... aber das zB die übermächtige Sowjetunion bei Gibson, die "Phonewatch" von Sterling oder der Job des Mafia-Pizza-Auslieferators* zumindest aus heutiger Sicht Käse sind, muss man das noch wem auf die Nase binden?

*obwohl Aussagen über die Plausibilität von Snow Crash eh schwierig sind, ich finde das Buch hat dafür einfach zu viele ironische/phantastische Elemente.

Grundsätzlich hast Du recht und ich denke genau das ist der Knackpunkt an einem Thema wie "Cyberpunk im Wandel". Und das eigentlich Interessante, das man diskutieren sollte: inwieweit ist ein solcher Wandel überhaupt nötig?

Und diese Diskussion kann man eigentlich nur aus der Tiefe heraus sinnvoll angehen. Ein paar kosmetische Korrekturen - wie ich schon sagte, ob das Ding nun iPod heißt oder Ono Sendai ist doch völlig wurscht - würde ich nicht als Wandel bezeichnen. Das ist altes Zeug in neuem Gewand.

Serafin spielt gezielt auf soziale Änderungen und technologischen Fortschritt an, der den "alten Cyberpunk" überholt hat. Und da muss man schon mal an die Substanz gehen und schauen, hat es denn tatsächlich einen so enormen Fortschritt oder sozialen Wandel gegeben seit den Zeiten von Gibson, Sterling und Co.? Welche Aspekte sind es denn, die tatsächlich nach einem Wandel schreien? Oder ist alles nur das Gleiche in Grün?

Ob es nun der Kalte Krieg in den 80ern oder die neue "Terrorgefahr" ist, mit der Menschen in Angst gehalten werden sollten, ist zwar oberflächlich gesehen ein Wandel, aber auch grundsätzlich?

Man darf nicht vergessen, dass Cyberpunk zwar eine "style ofer substance"-Welt als Dystopie anbietet, aber selber keienswegs eine substanzlose Literaturgattung ist. Von daher muß ich die Frage nach der Tiefe stellen, wenn ich einen Wandel des Cyberpunk ansich erkennen will.

Wo ich Dir völlig recht gebe ist, dass natürlich das alleinige Betrachten der Cyberpunk-Rollenspiele deutlich weniger Tiefgang erfordert. Vermutlich kennen die meisten dieses Genre auch nur aus dem Spiel. :-( Was traurig ist, denn Cyberpunk ist noch immer erstaunlich aktuell, wenn man mal die Spiegelbrille beiseite schiebt!
 

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