Blut und Dunkelheit

Earin Shaad

Woge des Wahnsinns
Registriert
8. September 2006
Beiträge
309
Eine WoD Story, wie sicher alle merken werden. :)

Blut und Dunkelheit

Die Nacht war kalt und stürmisch. Regen prasselte gegen die gläsernen Wände des großen Wintergartens und eine Sinnflut aus Wasser strömte vom Dach hinab. Der Anblick erweckte in jedem Besucher, der unter den tropischen Pflanzen hindurchging das Gefühl, unter Wasser zu sein. Das schwache, unwirkliche Licht der wenigen Lampen trug nur noch mehr zu diesem Gefühl bei, denn es erinnerte stark an die Leuchten an Bord eines Schiffes, oder eben eines Unterseebootes.
Der ganze Raum erschien unwirklich, düstere Silhouetten von tropischen Palmen und Farnengewächsen, vor einem gläsernen Hintergrund, gegen den der Sturm mit aller Macht donnerte. Sah man aus dem Fenster, konnte man kaum einen Blick auf die gewöhnlichen, europäischen Bäume erhaschen, die wenige Meter davor standen, und den Beginn eines Wäldchens markierten, denn der Regen fiel so dicht.
Wind peitschte die Bäume draußen hin und her, während die Farne und Palmen nur vom dem schwachen Hauch der Klimaanlage bewegt wurden. Der Sturmwind rüttelte auch am Gebäude als wollte er den Eindruck erwecken, ein gewaltiges, finsteres Ungetüm aus der Nacht versuche sich Einlass zu verschaffen.
Seraphos starrte schweigend zwischen den Palmen hindurch auf das Fenster, in Gedanken verloren. Sein Blick folgte den peitschenden Bewegungen des Sturmes, die man mehr erahnen denn wahrnehmen konnte. Er wirkte nachdenklich, melancholisch.
Der junge Mann seufzte leise, fuhr sich mit einer Hand durch das kurz geschnittene, blonde Haar. Nächte wie diese waren es, die ihn an sein eigenes Leben denken ließen. An sein Leben vor seiner Wiedergeburt. Wie wäre es wohl, noch einmal zu atmen, fragte der Junge sich, nicht zum ersten Mal diese Nacht. Wie wäre es, noch einmal die Welt mit den schwachen Sinnen der Menschen wahrzunehmen.
Manchmal sehnte er sich nach diesem Leben, das ihm gestohlen wurde, und stets erschreckte ihn der Gedanke. Es konnte der Vorbote einer seltsamen Krankheit sein, die manche seiner Art befiel, wenn sie lange genug lebten.
Das Leiden wurde „Nebelblick“ genannt, denn viele, die davon befallen wurden, schienen sich selbst zu verlieren, ihre Umwelt nur noch durch einen Schleier nebliger Melancholie wahrnehmend. Sie gingen unweigerlich in einigen kurzen Jahrzehnten zu Grunde. Vielleicht würde auch ihm das passieren.
Leicht ärgerlich schüttelte Seraphos den Kopf. Er hatte nicht vor, es so weit kommen zu lassen. Es gab noch zu viel zu entdecken auf dieser Welt, zu viel auszuprobieren.
Ein leises Klopfen an der Tür riss den jungen Mann aus seinen Gedanken. Er lächelte erfreut, während er raschen Schrittes den großen Wintergarten durchquerte, und einen stählernen Riegel zur Seite zog. Martina! Endlich war sie gekommen!
Die Tür schwang auf und eine kleine, zierliche Gestalt trat geschwind ein. Sie war in ein langes, violettes Regencape gekleidet und rote Locken fielen unter ihrer Kapuze hervor. Die ganze Gestalt war tropfnass.
Seraphos trat einen Schritt zurück, als die Gestalt das Cape über den Kopf zog und zu Boden fallen ließ. Einen Augenblick lang starrte er die Frau nur an.
Sie war hinreißend. Lange, elegante Beine, eine schmale Taille, kleine, aber wohlgeformte Brüste, die durch den engen Pullover nur noch betont wurden.
Ihr Gesicht war anmutig, von einer Flut roten Haares umrahmt und mit hohen Wangenknochen, die ihr etwas unglaublich edles verliehen.
Seraphos fühlte sich durch den Anblick zurückversetzt in eine andere Zeit, erinnert an eine andere Frau, die dieser hier so ähnlich gewesen war. Er hatte die Baronin in Paris kennen gelernt, kurz vor der Revolution. Trotz der geladenen Stimmung hatten sie einige wundervolle Wochen miteinander verbracht.
Nun aber war es Martina, die ihn bezauberte. Seraphos trat vor, nahm sie in die Arme und streichelte die weiche Haut ihres Halses. Ihre Lippen trafen sich in einem innigen Kuss. Die junge Frau seufzte.
„Ich habe dich vermisst, Geliebter.“
Seraphos lächelte nur, nahm sie bei der Hand und führte sie in den Garten hinüber.
Die beiden blieben am Fenster stehen, berührten sich sacht mehrere Male.
Seraphos strich leicht über Martinas herrliches, rotes Haar, doch seine Gedanken wanderten davon.
Eigentlich hatte er vorgehabt, noch eine unterhaltsame Nacht mit ihr zu verbringen, doch nun, da sie ihm so nahe war, konnte er sich kaum noch zurückhalten.
Er spürte den Lockruf des Blutes, so nahe vor ihm. Er war stark diese Nacht. Der Ruf dröhnte in seinem Kopf. Sanft berührte er die liebliche Ader, die sich über ihren Hals zog. Er beugte sich vor, sie zu küssen...
Martinas Lächeln verwandelte sich in einen Schrei, als sie spitze Zähne spürte, die ihre Haut aufrissen. Sie versuchte, sich von Seraphos zu befreien, doch sie war so schwach. Sie zuckte, trat, kratzte, aber es war vergeblich. Ihre Gegenwehr erlahmte schnell und sie begann, lustvoll zu seufzen, während Wellen von Schmerz und Erregung gleichzeitig durch ihren Körper zogen.
Schon bald wurde sie schlaff in seinen Armen und er ließ sie zu Boden sinken.
Dann legte er sich erneut auf sie, trank mehr und mehr ihres herrlichen, gehaltvollen, roten Blutes. So herrlich rot wie ihr Haar, so gehaltvoll wie ihr Charakter. Ein göttliches Mal für jeden Vampir.
Minutenlang lag der Raum in Stille eingehüllt da, nur gelegentlich ertönten schmatzende Laute von der Stelle, wo Seraphos auf Martinas Körper lag.
Dann, nach schier unendlich langer Zeit, erhob der Vampir sich. Er fühlte sich gestärkt, wie jedes Mal nach dem Trinken. Nachdenklich beobachtete er Martinas toten Körper, ihre nun gebrochenen Augen, in denen man noch immer die Rückstände des Ekstase erkennen konnte, die jeden Sterblichen übermannte, wenn von ihm getrunken wurde. Das Blut, das noch immer aus den beiden Löchern an ihrem Hals tropfte, schien neben ihrem roten Haar nicht fehl am Platze.
Was war an dieser Farbe, überlegte der Vampir, das ihn so anzog. Die Farbe des Blutes? War es das? Lag es daran, dass er nur von rothaarigen Frauen trinken konnte? Oder gab es einen anderen Grund dafür?
Schon als Mensch hatten ihm die Frauen am meisten gefallen, deren rote Haare ihr feuriges Temperament widerspiegelten. Vielleicht hatte dieses Gefühl sich hinübergerettet in sein neues Leben. Vielleicht lag es daran.
Seraphos beugte sich nach vorne, strich sanft über Martinas glatte Haut, streichelte ihr Gesicht. Nach einem letzten, liebevollen Kuss schloss er ihr die Augen.
Der Vampir trat von dem Körper zurück und ging, einem plötzlichen Impuls folgend, zwischen den Bäumen hindurch, zu einem anderen Teil des Gartens.
Eine Staffelei stand hier, Farben waren sauber auf einem Tisch angeordnet.
Ein Bild des aufziehenden Sturmes, hastig hingemalt und doch beeindruckend lebensecht, lag noch auf dem hölzernen Rahmen.
Vorsichtig riss Seraphos das oberste Blatt ab, um das Bild nicht zu beschädigen.
Er ließ es auf einer Bank liegen, dann nahm er die Staffelei auf, und ging zurück zu der bedauernswerten jungen Frau, die er getötet hatte. Wie immer bedauerte Seraphos den Akt des Tötens und wie immer wusste er, dass er es wieder tun musste, um sein eigenes Überleben zu sichern.
Doch auf seinen Bildern wurden all seine Opfer wieder lebendig, und verziehen ihm.
In dem, was er malte, fand er Trost in den dunklen Stunden der Sünden, die ihn so oft quälten. Seine Bilder schienen lebendig, lebendiger als das Leben selbst.
Das war auch der Grund, wieso er auserwählt worden war. Auserwählt für die Wiedergeburt in eine neues, aufregendes Leben. Seraphos, damals noch unter einem anderen Namen, ein kleiner, unglücklicher Gutsherr Ludwigs XIV, aber ein begnadeter Künstler. Und nun schon lange kein Mensch mehr.
Seraphos brachte die Staffelei in Position, ordnete sorgfältig all seine Farben auf dem Tablett. Dann begann er mit der Arbeit. Martina, blass und doch so schön in Mitten ihres roten Haares, in Mitten ihre dunklen Blutes, war ein wunderschöner Anblick.
Ein Anblick der es wert war, von einem wahren Künstler für die Ewigkeit eingefangen zu werden.
Dann zerbarst das Glas des Fensters mit einem lauten Klirren, und fiel in Millionen Scherben zu Boden. Der Wind, dem es endlich ermöglicht wurde, einzudringen, heulte wie ein Orkan und tobte durch den Raum. Seraphos Staffelei wurde umgeworfen, sein gerade begonnenes Bild riss sich los und flog durch das Zimmer, vermischt mit Glassplittern und den Blättern von Palmen und Farnen.
Zuerst dachte Seraphos ein Blitz hätte in sein Haus eingeschlagen, doch dann sah er die dunkle Silhouette, die sich undeutlich vor dem Hintergrund des nächtlichen Waldes hervorhob. Der Schatten sprang durch das Loch im Glas, betrat den Lichtschein des Zimmers und wurde zu einem Mann in dunklem Gewand. An seinen Händen trug er feinste Lederhandschuhe, doch sein übriges Gewand war nass und halb zerrissen. Offensichtlich hatte es schon bessere Zeiten gesehen.
Seraphos Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, als die Hand des Mannes in der Tasche seiner Weste verschwand und dann mit einem metallischen Gegenstand wiederkehrte. Das Licht der Lampen blitzte auf Metall auf. Ein Klappmesser!
„Du hast dir den falschen zum Ausrauben ausgesucht, mein Freund!“
Die Stimme des Vampirs klang eisig, unterlegt mit stählerner Drohung. Doch der Mann schien unbeeindruckt und rückte näher. Wut stieg in Seraphos hoch, als er sich schnell in seinem Garten umsah. Seine Arbeiten waren durchnässt und zerstört, die empfindlichen Pflanzen dem kalten Wind schutzlos ausgeliefert. Und der Mann hatte einen Moment höchster Konzentration zerstört! Schon lange hatte Seraphos nicht mehr aus Wut getötet, doch jetzt war er bereit, es wieder zu tun.
Die Augen des Eindringlings zuckten kurz hinüber zu Martinas Leichnam, der noch immer in einer Blutlache lag. Er hielt inne.
Dann breitete sich ein unvorhersehbares Lächeln auf seinen Zügen aus.
„War das ein Gast?“ fragte er spöttisch. Seine Stimme klang sanft und beruhigend, wie die Stimme eines Ansagers von klassischer Musik auf einem Radiosender.
Doch sie hatte keinerlei beruhigende Auswirkungen auf Seraphos.
Er fauchte, ließ all seine Zähne aufblitzen.
„Sie war eine Freundin. Du wirst schlimmer aussehen, wenn ich mit dir fertig bin.“
Solch vulgäre Ausdrucksweise war dem Vampir normalerweise verhasst, aber die Wut, die in ihm hoch brandete, wischte jegliche gute Erziehung beiseite.
Der Eindringling lachte leise auf. Es war ein unangenehmer Laut. Und er schien nicht im Mindesten ängstlich.
„Oh, ich weiß, was du bist, Blutsauger. Seraphos von den Toreador. Und ich habe keine Angst vor dir.“
Einen Moment lang war der Vampir sprachlos. Der Mann wusste! Und er fürchtete ihn nicht. Das konnte eigentlich nur eines bedeuten. Er war selbst ein Vampir.
Seraphos Blick wechselte in die Astralebene, um die Aura seines Gegenübers zu lesen. Einen Augenblick lang sah er dunkle Schatten um den Mann in der Luft schweben und da war auch etwas anderes. Jedoch nichts von dem Blutdurst, der die Aura eines Vampirs sofort verriet. Keiner seiner Brüder konnte dieses Gefühl verbergen. Was also war mit dem Mann?
Da war ein schwacher Geruch nach Tier, wie ein verblasstes Bild. Das Bild von Straßen, von Regen, von Wald. Und unter all das gemischt, das Bild eines Tieres.
Eines Wolfes...
Seraphos erstarrte. Er hatte gesehen, war sich sicher. Der Mann war ein Werwolf.
Er wich einen Schritt zurück.
Der Werwolf lächelte breit während er das Messer zu Boden fallen ließ. Es schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf, und der Mann stieß es mit dem Fuß zur Seite.
„Und jetzt“, sprach er. „Jetzt, da du weißt, was ich bin, erlaube mir, mich vorzustellen. Gorkhan, von den Shadow Lords.“
Seraphos Gedanken rasten. Shadow Lords! Das musste der Name des Klans sein, dem der Werwolf angehörte. Oder der Name dessen, dass es bei den Wölfen als äquivalent eines Vampirklans gab. Was wollte der Garou von ihm? Er konnte sich nur eines denken...
„Du bist gekommen, mich zu töten?“
Der Mann nickte leicht. „Verzeih, es ist nichts Persönliches. Nur mein Geschäft.“
Seine Stimme klang tatsächlich ehrlich! Fast schon bedauernd! Und doch wollte er Seraphos Existenz ein Ende setzen. Das konnte der Vampir nicht zulassen.
Ohne Vorwarnung sprang er den Werwolf an. Wenn er ihn erwischen konnte, ehe er sich verwandelte... Seraphos schlug zu, während lange Krallen aus seinen Fingern wuchsen. Mit gefletschten Zähnen wollte er seinen Feind zerreissen.
Doch der Mann war schnell, als hätte er mit dem plötzlichen Angriff gerechnet.
In Sekundenbruchteilen platzte seine Haut auf, und dunkles Fell bedeckte seinen Körper. Die Gestalt wuchs in die Höhe, während eine lange Schnauze voller spitzer Zähne aus ihrem Gesicht heraus brach. Der Wolf heulte, als er Vampir auf ihn sprang. Seraphos schlug voller Wut zu, doch sein Angriff wurde abgefangen. Der massige, muskulöse Körper seines Gegners donnerte gegen den seinen, und scharfe Zähne rissen ihm die Schulter auf. Dann flog er durch die Luft und prallte mit entsetzlicher Wucht gegen eine Palme. Seraphos spürte, wie der Baum brach.
Blitzschnell war er wieder auf den Beinen, doch er war im Kampf ungeübt. Hatte die langen Jahre mit Kunst verbracht. Gegen einen gewöhnlichen Menschen wäre er unbesiegbar gewesen, doch hier, gegen Gorkhan, hatte er keine Chance.
Der Garou war über ihm, noch ehe er die Zeit hatte, sich zu sammeln. Zwei mächtige, wilde Attacken fangen ihr Ziel, rissen das Fleisch des Vampirs auf.
Er versuchte zurückzuschlagen, doch er schien so schwach und langsam wie Martina es gegen ihn gewesen war. Mit einem Knurren packte ihn der Werwolf am Hals, schmetterte ihn gegen die Wand.
Seraphos hörte etwas brechen, dann lief Blut über sein Gesicht. Ehe er sich aufrappeln konnte, gruben sich scharfe Reißzähne in seine Kehle.
Er spürte einen schrecklichen, alles verzehrenden Schmerz, dann glitt er davon, in die Dunkelheit. Während sein rasch verfallender Körper zu Boden sank, galten Seraphos letzte Gedanken Martina und der Baronin. Sie waren beide so schön gewesen...
Gorkhan erhob sich rasch, als der Körper seines Gegners zu Staub zerfiel.
Dieser Kampf war fast keiner gewesen. Der Vampir war ungeübt und langsam, wie alle Toreador. Es war keine Herausforderung, ihr langes Unleben zu beenden.
Mit einem lauten, triumphierenden Heulen sprang Gorkhan hinaus in die Nach, in den wartenden Sturm. Schon bald war er zwischen den Bäumen des Waldes verschwunden, ein Schatten unter Schatten. Und der Wind tobte weiter um das Haus, in dem sich nichts mehr rührte.
 
Zurück
Oben Unten