Raben-AAS
Clansgründer
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- 27. Juni 2005
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Diesen Artikel in der aktuellen "zitty" (Berliner Stadtzeitschrift) fand ich im Hinblick auf die kommende "Welt des Cyberpunk" doch sehr ... schön
[Hervorhebungen im Text durch mich]
PS: Ich weiß, dass nichts davon wirklich neu ist, aber in der Kombination beleuchtet dieser Artikel viele verschiedene Facetten und istv somit als "Intro" zu einem Thread darüber, wie sehr wir auf die Welt von morgen zusteuern (oder schon in ihr angekommen sind) ganz gut geeignet.
-+-+-+-+-+-+-
Magazin - Titel
Sind wir eigentlich paranoid genug?
Ich logge mich aus meinem Computer aus und verlasse das zitty-Büro am Halleschen Tor, um nach Hause zu fahren. In der U-Bahn Richtung Prenzlauer Berg werde ich videoüberwacht, seit April speichert die BVG auf den U-Bahnlinien 6 und 2 die Aufnahmen für 24 Stunden. Auch beim Einkaufen im kleinen Edekaladen am Helmholtzplatz registrieren fünf Überwachungskameras meine Bewegungen. Ein Mobiltelefon klingelt, jemand in der Kassenschlange vor mir verabredet sich zum Kino und will vorher im Internet nachsehen, wann der Film genau beginnt. Diese Verbindungsdaten werden sechs Monate gespeichert – die EU will es so. Beim Zigaretten holen am Automaten später am Abend muss mein Begleiter eine EC-Karte einstecken, um sein Alter prüfen zu lassen. Werden diese Daten auch gespeichert? Weiß man nicht.
All dies sind Momente, an denen persönliche Daten aufgezeichnet werden, und sie zeigen: In einer Großstadt wie Berlin kann man kaum noch einen Schritt machen, ohne dabei seine Spuren zu hinterlassen. Wenn wir uns durch die Stadt bewegen, wenn wir arbeiten, einkaufen oder kommunizieren, werden unsere Daten registriert, hinterlassen wir einen digitalen Schatten. Die Überwachung hat zugenommen. Das Überraschende: Während noch in den 80er Jahren die Volkszählung bis weit ins bürgerliche Lager hinein für einen Aufschrei sorgte, scheint die neue Intensität der Überwachung uns Bürger wenig zu kümmern.
Für ein wenig Rabatt durch eine Kundenkarte geben die meisten Berliner schnäppchenfreudig ihr Käuferprofil sogar freiwillig an die Unternehmen weiter. Und es gibt einen Grund dafür, dass sich kaum jemand an so etwas stört: Das Paradigma der Überwachung hat sich verändert. Früher beobachtete man nur Verdächtige, heute werden wir schlichtweg alle beobachtet. Was man genau tut, so glauben viele von uns, gehe auf diese Weise sowieso im Datenberg unter – und außerdem haben wir ja nichts zu verbergen.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Denn seine virtuellen Spuren hat man nicht in Griff, eines Tages dafür aber sie einen, wie im Fall von Khaled El-Masri, dessen Identität mit einem gleichnamigen Al-Quaida-Mitglied verwechselt wurde. Datensatz vertauscht. Von der CIA fünf Monate nach Afghanistan entführt. Pech gehabt. An einem Fall wie diesem sieht man, wie wichtig die Kontrolle über den eigenen Datensatz sein kann. Nur mit seiner physischen Identität kann man sich in den privaten Raum zurückziehen, die Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Paragraphen 13 des Grundgesetzes – abgesehen vom Großen Lauschangriff – immer noch verbürgt. Vor unserer virtuellen Identität dagegen können wir uns nirgendwohin zurückziehen – um so entscheidender ist es, dass wir ein wachsendes Bewusstsein für die Wichtigkeit des eigenen Datensatzes entwickeln.
Seit den 90er Jahren ist eine zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes zu beobachten. Orte wie der Potsdamer Platz oder die Schönhauser Allee Arcaden sehen zwar aus wie öffentliche Räume, sie sind aber Eigentum von Unternehmen und damit keine Orte freier Meinungsäußerung mehr. Diese schleichende Privatisierung öffentlicher Räume wird kaum noch thematisiert – und mit derselben Lethargie wird nun die schrittweise Öffnung von dem hingenommen, was vormals privat gewesen ist. Die Einkaufsketten registrieren über Kundenkarten unser Konsumverhalten. Der Internet-Provider dokumentiert, worüber wir uns informieren. Die Bibliothek weiß, welche Bücher wir uns ausgeliehen haben.
Und noch beobachten nur die Überwachungskameras, wie wir uns in der U-Bahn verhalten, aber bald will die BVG das elektronische Ticket mit Chip einführen. Von dem soll der Fahrscheinwert wie in London automatisch abgebucht werden – mit diesen Daten könnte aber prinzipiell auch ein Bewegungsprofil jedes einzelnen Fahrgastes erstellt werden. Die Einführung des Tickets ist teuer und kann nur mit Hilfe öffentlicher Kassen durchgeführt werden, die in Berlin bekanntlich leer sind, trotzdem hält man – seltsam genug – beständig an dieser Idee fest.
Damit in einer Welt, in der Daten über alles und jeden gesammelt werden, nicht bald fremde Leute mehr über uns wissen als wir selbst, ist so etwas wie ein Anrecht auf unseren eigenen Datensatz essenziell. Tatsächlich gibt es bundesweit erst seit einem Jahr ein Recht auf die Einsicht in die Informationen, die über einen in den öffentlichen Verwaltungen existieren, denn erst seither gilt das sogenannte „Informationsfreiheitsgesetz des Bundes”.
Doch das Gesetz ist kaum bekannt – für mehr Transparenz und rechtsstaatliche Kontrolle muss also dringend ein öffentliches Bewusstsein geschaffen werden. Denn es ist nicht nur relevant, wer was über einen aufzeichnet, sondern auch mit wem diese Daten ausgetauscht werden können. Oftmals bekommen Aufzeichnungen erst in Kombination mit anderen ein ganz neues Potenzial. Firmen kaufen sich deshalb schon lange umfangreiche Datensätze zusammen, mit der Bedrohung durch den Terrorismus ist aber auch das Interesse der Gesetzgeber an einem Datenabgleich gestiegen.
Das Anti-Terror-Gesetz sieht beispielsweise vor, dass Informationen der Polizei mit denen der Geheimdienste kurzgeschlossen werden können. Innenminister Wolfgang Schäuble plant außerdem, unsere Festplatten über das Internet durchsuchen zu lassen mit dem Hinweis, das sei ja auch nichts anderes als eine Hausdurchsuchung. Die Grenzen zwischen Strafverfolgung, Polizei, Geheimdienst und Militär fallen mehr und mehr – und das sehen schon lange nicht mehr nur engagierte Bürgerrechtsaktivisten kritisch. Im Zuge der Angst vor terroristischen Angriffen dürfen die Behörden bei der Gefahrenverfolgung heute schon mehr, als ihnen bei der Strafverfolgung je erlaubt war, warnte kürzlich auch die „Süddeutsche Zeitung”.
Bislang halten sich zumindest die Berliner Gesetzesvertreter noch zurück. Zwar gibt es in den meisten Einkaufspassagen Überwachungskameras, aber öffentliche Plätze werden von der Polizei nicht überwacht, wie uns deren Pressestelle bestätigte. Untersuchungen der Technischen Universität zu Überwachungskameras in Berliner Einkaufszentren haben außerdem ergeben, dass dort die Überwachung weniger zur Beobachtung von Passanten, sondern eher zum Sicherheitscheck der Anlage genutzt wird: Funktionieren die Rolltreppen, ist der Feueralarm ein Fehlalarm, solche Dinge. Stichproben verschiedener Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Kriminalitätsrate durch Videoüberwachung nicht sinkt.
Erst bei der Strafverfolgung ist sie effektiv einsetzbar und mit den digitalen Möglichkeiten eröffnet sich hier noch ganz neue Möglichkeiten. Programme, die automatisch einzelne Besucher erkennen und durch das Gebäude verfolgen, sind bereits in der Entwicklung. Zudem werden mehr und mehr über uns gespeicherte Daten weiter gegeben. Datenbanken werden mit anderen abgeglichen und zusammen-gelegt – auf polizeilicher Ebene wird europaweit am Schengener Informationssystem (SIS) gearbeitet. Die Grenzen fallen auch im digitalen Raum. Wir sind nicht paranoid genug.
[Hervorhebungen im Text durch mich]
PS: Ich weiß, dass nichts davon wirklich neu ist, aber in der Kombination beleuchtet dieser Artikel viele verschiedene Facetten und istv somit als "Intro" zu einem Thread darüber, wie sehr wir auf die Welt von morgen zusteuern (oder schon in ihr angekommen sind) ganz gut geeignet.
-+-+-+-+-+-+-
Magazin - Titel
Sind wir eigentlich paranoid genug?
Ich logge mich aus meinem Computer aus und verlasse das zitty-Büro am Halleschen Tor, um nach Hause zu fahren. In der U-Bahn Richtung Prenzlauer Berg werde ich videoüberwacht, seit April speichert die BVG auf den U-Bahnlinien 6 und 2 die Aufnahmen für 24 Stunden. Auch beim Einkaufen im kleinen Edekaladen am Helmholtzplatz registrieren fünf Überwachungskameras meine Bewegungen. Ein Mobiltelefon klingelt, jemand in der Kassenschlange vor mir verabredet sich zum Kino und will vorher im Internet nachsehen, wann der Film genau beginnt. Diese Verbindungsdaten werden sechs Monate gespeichert – die EU will es so. Beim Zigaretten holen am Automaten später am Abend muss mein Begleiter eine EC-Karte einstecken, um sein Alter prüfen zu lassen. Werden diese Daten auch gespeichert? Weiß man nicht.
All dies sind Momente, an denen persönliche Daten aufgezeichnet werden, und sie zeigen: In einer Großstadt wie Berlin kann man kaum noch einen Schritt machen, ohne dabei seine Spuren zu hinterlassen. Wenn wir uns durch die Stadt bewegen, wenn wir arbeiten, einkaufen oder kommunizieren, werden unsere Daten registriert, hinterlassen wir einen digitalen Schatten. Die Überwachung hat zugenommen. Das Überraschende: Während noch in den 80er Jahren die Volkszählung bis weit ins bürgerliche Lager hinein für einen Aufschrei sorgte, scheint die neue Intensität der Überwachung uns Bürger wenig zu kümmern.
Für ein wenig Rabatt durch eine Kundenkarte geben die meisten Berliner schnäppchenfreudig ihr Käuferprofil sogar freiwillig an die Unternehmen weiter. Und es gibt einen Grund dafür, dass sich kaum jemand an so etwas stört: Das Paradigma der Überwachung hat sich verändert. Früher beobachtete man nur Verdächtige, heute werden wir schlichtweg alle beobachtet. Was man genau tut, so glauben viele von uns, gehe auf diese Weise sowieso im Datenberg unter – und außerdem haben wir ja nichts zu verbergen.
Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Denn seine virtuellen Spuren hat man nicht in Griff, eines Tages dafür aber sie einen, wie im Fall von Khaled El-Masri, dessen Identität mit einem gleichnamigen Al-Quaida-Mitglied verwechselt wurde. Datensatz vertauscht. Von der CIA fünf Monate nach Afghanistan entführt. Pech gehabt. An einem Fall wie diesem sieht man, wie wichtig die Kontrolle über den eigenen Datensatz sein kann. Nur mit seiner physischen Identität kann man sich in den privaten Raum zurückziehen, die Unverletzlichkeit der Wohnung ist im Paragraphen 13 des Grundgesetzes – abgesehen vom Großen Lauschangriff – immer noch verbürgt. Vor unserer virtuellen Identität dagegen können wir uns nirgendwohin zurückziehen – um so entscheidender ist es, dass wir ein wachsendes Bewusstsein für die Wichtigkeit des eigenen Datensatzes entwickeln.
Seit den 90er Jahren ist eine zunehmende Privatisierung des öffentlichen Raumes zu beobachten. Orte wie der Potsdamer Platz oder die Schönhauser Allee Arcaden sehen zwar aus wie öffentliche Räume, sie sind aber Eigentum von Unternehmen und damit keine Orte freier Meinungsäußerung mehr. Diese schleichende Privatisierung öffentlicher Räume wird kaum noch thematisiert – und mit derselben Lethargie wird nun die schrittweise Öffnung von dem hingenommen, was vormals privat gewesen ist. Die Einkaufsketten registrieren über Kundenkarten unser Konsumverhalten. Der Internet-Provider dokumentiert, worüber wir uns informieren. Die Bibliothek weiß, welche Bücher wir uns ausgeliehen haben.
Und noch beobachten nur die Überwachungskameras, wie wir uns in der U-Bahn verhalten, aber bald will die BVG das elektronische Ticket mit Chip einführen. Von dem soll der Fahrscheinwert wie in London automatisch abgebucht werden – mit diesen Daten könnte aber prinzipiell auch ein Bewegungsprofil jedes einzelnen Fahrgastes erstellt werden. Die Einführung des Tickets ist teuer und kann nur mit Hilfe öffentlicher Kassen durchgeführt werden, die in Berlin bekanntlich leer sind, trotzdem hält man – seltsam genug – beständig an dieser Idee fest.
Damit in einer Welt, in der Daten über alles und jeden gesammelt werden, nicht bald fremde Leute mehr über uns wissen als wir selbst, ist so etwas wie ein Anrecht auf unseren eigenen Datensatz essenziell. Tatsächlich gibt es bundesweit erst seit einem Jahr ein Recht auf die Einsicht in die Informationen, die über einen in den öffentlichen Verwaltungen existieren, denn erst seither gilt das sogenannte „Informationsfreiheitsgesetz des Bundes”.
Doch das Gesetz ist kaum bekannt – für mehr Transparenz und rechtsstaatliche Kontrolle muss also dringend ein öffentliches Bewusstsein geschaffen werden. Denn es ist nicht nur relevant, wer was über einen aufzeichnet, sondern auch mit wem diese Daten ausgetauscht werden können. Oftmals bekommen Aufzeichnungen erst in Kombination mit anderen ein ganz neues Potenzial. Firmen kaufen sich deshalb schon lange umfangreiche Datensätze zusammen, mit der Bedrohung durch den Terrorismus ist aber auch das Interesse der Gesetzgeber an einem Datenabgleich gestiegen.
Das Anti-Terror-Gesetz sieht beispielsweise vor, dass Informationen der Polizei mit denen der Geheimdienste kurzgeschlossen werden können. Innenminister Wolfgang Schäuble plant außerdem, unsere Festplatten über das Internet durchsuchen zu lassen mit dem Hinweis, das sei ja auch nichts anderes als eine Hausdurchsuchung. Die Grenzen zwischen Strafverfolgung, Polizei, Geheimdienst und Militär fallen mehr und mehr – und das sehen schon lange nicht mehr nur engagierte Bürgerrechtsaktivisten kritisch. Im Zuge der Angst vor terroristischen Angriffen dürfen die Behörden bei der Gefahrenverfolgung heute schon mehr, als ihnen bei der Strafverfolgung je erlaubt war, warnte kürzlich auch die „Süddeutsche Zeitung”.
Bislang halten sich zumindest die Berliner Gesetzesvertreter noch zurück. Zwar gibt es in den meisten Einkaufspassagen Überwachungskameras, aber öffentliche Plätze werden von der Polizei nicht überwacht, wie uns deren Pressestelle bestätigte. Untersuchungen der Technischen Universität zu Überwachungskameras in Berliner Einkaufszentren haben außerdem ergeben, dass dort die Überwachung weniger zur Beobachtung von Passanten, sondern eher zum Sicherheitscheck der Anlage genutzt wird: Funktionieren die Rolltreppen, ist der Feueralarm ein Fehlalarm, solche Dinge. Stichproben verschiedener Untersuchungen zeigen außerdem, dass die Kriminalitätsrate durch Videoüberwachung nicht sinkt.
Erst bei der Strafverfolgung ist sie effektiv einsetzbar und mit den digitalen Möglichkeiten eröffnet sich hier noch ganz neue Möglichkeiten. Programme, die automatisch einzelne Besucher erkennen und durch das Gebäude verfolgen, sind bereits in der Entwicklung. Zudem werden mehr und mehr über uns gespeicherte Daten weiter gegeben. Datenbanken werden mit anderen abgeglichen und zusammen-gelegt – auf polizeilicher Ebene wird europaweit am Schengener Informationssystem (SIS) gearbeitet. Die Grenzen fallen auch im digitalen Raum. Wir sind nicht paranoid genug.