Wenn es vorranging um die Befreiung der Sklaven, bzw die Beibehaltung der Sklaverei gegangen wäre, warum haben die Freigelassenen denn erst gut 100 Jahre später wirkliche Rechte bekommen? Warum haben Leute für den Süden gekämpft, die nie Sklaven besessen haben? Die Befreiung der Sklaven ist ein nachträgliches Vehikel, viel mehr nicht.
Weil der Süden nach einer kurzen "Rekonstruktionsphase" wieder fest in Hand der weißen Rassisten lag, in der er vor dem Krieg auch schon gewesen war. Vor dem Krieg gab es entlang der Sklaverei-Frage die große Verwerfungslinie zwischen den Staaten, die im Laufe der Zeit immer größer wurde. Deshalb musste mit dem Missouri Compromise (1820) für jeden Free State auch immer ein Slave State der Union beitreten und andersherum. Weil das fragile Gleichgewicht im Kogress nicht in Gefahr geraten durften. Zwischen dem Missouri Compromise und dem Kansas-Nebraska-Act (1854) liegen 34 Jahre. Die Südstaaten hatten panische Angst, dass die im Norden immer stärker werdende Abolitionistenbewegung ihnen die Sklaverei verbieten würde. Und 1854 war es so weit Es gab Kuddelmuddel um die Neugegründeten Staaten Kansas, Nebraska und Minnesota (wir sehen schon: Drei Staaten) und am Ende war das Gleichgewicht hin. Shit was starting to hit the fan. Dadurch dass der Norden wesentlich bevölkerungsreichster war, hatte er ne lässige Mehrheit im Repräsentantenhaus. Die Südstaaten waren also auf wenigstens ein Unentschieden im Senat angewiesen. Aber das hatten sie nicht mehr. Es traten noch Kalifornien und Oregon den Freien Staaten bei, West Virginia noch '63 als sezedierter Teil des Sklavenstaates Virginia, dann Krieg. Nachdem also die Weißen in den Südstaaten nach dem Krieg und der kurzen Zwischenphase wieder an der Macht waren und die Sklaverei kein Thema mehr (weil ja abgeschafft) war, hatten die Demokraten die feste Mehrheit im Süden und konnten deshalb den Senat blockieren. Die Demokraten waren natürlich damals die Rassistenpartei. Lincoln war Republikaner und nachdem ihnen die Sklaverei weggenommen wurde, waren die patriotischen Südstaatler den Republikanern spinnefeind.
Die Sklaverei wurde überhaupt nur deshalb abgeschafft, weil Lincoln nur diejenigen Staaten wieder reingelassen hat, die die Sklaverei abschafften. Die anderen waren als Kriegsverlier solange Besatzungsgebiet, bis sie Lincolns Deal annahmen (Lincoln war schon voller Radbruch'schem Zorn und hat seinerseits auf die Constitution nen Scheiß gegeben). Deshalb waren Schwarze zwar frei und hatten nominell gleiche Rechte, tatsächlich aber nicht. Obwohl ihnen das Wahlrecht natürlich schon seit 1868/70 mit dem 14. und 15. Ammendment das Wahlrecht zugestanden hätte. Aber die weiße Gesellschaft im Süden hat es mit Dingen wie poll taxes (Leute müssen Gebühren zahlen um zu wählen) und, soweit ich gelesen habe auch richtig schweren, literacy tests für schwarze Wähler effektiv verhindert. Die meisten Forenmitglieder hätten im Süden vor '68 nicht wählen dürfen. Das änderte sich übrigens auch nicht durch den New Deal. Aus dem waren Frauen und Schwarze ausdrücklich ausgenommen. Natürlich aufgrund des Drucks der Südstaaten-Demokraten. FDRs eigener Partei. Die erlaubten ihm zwar, den New Deal durchzubringen, aber nur unter der Bedingung, dass er die Wähler der Partei in den Südstaaten nicht abschreckt, indem er Schwarzen gleiche Rechte einräumt. Martin Luther King änderte das dann mit seiner Bürgerrechtsbewegung (die natürlich nicht "seine" war, aber er war halt das bekannte Gesicht). JFK hatte 63 (glaub ich) den Civil Rights Act in Auftrag gegeben, ist erschossen worden, JBL hat ihn geerbt. Keiner dieser Präsidenten hatte einen tatsächlichen Namen. Nur Kürzel. Das war damals so. Als das Gesetzt dann durch den Kongress war, war es plötzlich auch in den Südstaaten verboten, Leute am Wählen zu hindern.
Das war auch nur möglich, weil zehn Jahre vorher ('52-52, (Brown vs. Board of Education) der Supreme Court auch offenbar endlich auch mal liberal (oder sollte ich sagen: nicht mehr batshit racist insane) genug war, die Seperate-but-equal doktrin von 1896 (Plessy vs. Fergusson) aufzuheben, nach der die Rassen getrennt sein dürften, solange sie gleiche Standards zur Verfügung hätten. Und was da für Schwarze (und für Weiße) Standard war, entschieden natürlich die weißen lokalen Gesetzgeber und Verwaltungsbeamten. Und, sofern sie wählbar waren, auch ihre weißen Wähler.
Der Civil Rights Act war also draußen, gab dem Präsident (endlich! 1964! Danke, Südstaaten-Demokraten!) die Möglichkeit, Bundestruppen zu entsenden, um sicherzustellen, dass die lokale Exekutive und Legislative die schwarzen Bürgern nicht die Ausübung ihrer Bürgerrechte unmöglich macht.
Deshalb haben die Enkel der "Freigelassenen" erst so spät wirkliche Rechte bekommen. Weil im Süden zwar die Sklaverei abgeschafft war, aber die Gesellschaft noch die selbe. Darum geht es ja.
Dass das damals wirklich ein brennendes Thema war und nicht hinterher hinzugefügt, sieht man übrigens sehr gut, wenn man sich die Literatur und die politische Presse der Zeit anschaut. Was Literatur angeht: da gab es ein ganzes Genre von Ablitions (Freie Staaten) und Gegenabolitions (Sklavenstaaten)-Literatur.
Onkel Tom's Cabin ist das bekannteste Beispiel.
Django Unchained ein anderes. So eine kulturelle Signifikanz hat das Genre, dass Tarantino sogar 150 Jahre später noch da anknüpft. Das kennt man hier nur nicht so.
Ach ja: Wie haben Kennedy/Johnson es geschafft, den Civil Rights act gegen die Südstaatendemokraten durchzubringen? JFK wurde erschossen, Johnson hat auf den Pathosknopf gedrückt und gesagt, dass die einzig anständige Art, ihren Presidenten und Parteigenossen (!) zu ehren, die Unterstützung des Gesetzes sei. Es gab viel hin und her, währenddessen wurde noch das Wahlrecht für Frauen reingetrollt (Wirklich. Alles sehr amüsant, guck dir die Geschichte dieses Gesetzes mal an!) und am Ende war es fertig.
Und weiße Wähler im Süden be like: "what?"
Die wollten dann nicht mehr die Demokraten wählen, wenn die doch gleiche Rechte für alle wollten... diese Kommunisten. Was die toten, doch ewig liegenden Südstaatenrepublikaner unter ihren Hohepriestern Richard Nixon und Barry Goldwater nutzten, um ihre Partei umzukrempeln, superkonservativ, religiös und rassistisch zu werden und so die ehemaligen Wähler der Südstaaten-Demokraten zu ködern. Natürlich hat Goldwater dabei, ähnlich Skyrock, die Autonomie- und Staatsferne-Karte gespielt. Seine Plattform war eben vor allem, dass der Civil Rights Act die Bundesregierung zwingen könnte, die Befolgung der Verfassung durchzusetzen und das das Böse sei, weil es die Autonomie der Bundesstaaten, die Verfassung zu ignorieren eingreifen würde. Naja. Fortan jedenfalls waren die Republikaner das Reich des Bösen und die Demokraten die Guten. Und so kam es, dass so lange gedauert hat.
Diese Übermacht der Demokraten im Süden und ihre Macht innerhalb der Partei hat sogar nen eigenen Namen: "Southern Veto".
Das ist natürlich nur eine Auslegung der Geschichte, da hast du Recht, aber eben die, die sich offenbar am besten belegen lässt. Denn es ist die Erzählung, die ich bisher in jedem Geschichtsbuch gelesen habe. Vielleicht etwas ernster im Ton.
Es gibt natürlich Streit um Kleinigkeiten. Den gibt es immer. Darum zum Beispiel, ob der Senator, der das Frauenwahlrecht reingeworfen hat, das getan hat, um die Gegner zu trollen, weil die Bill torpedieren wollte und nicht damit rechnete, dass die Demokraten einfach "Ja. Nehmen wir." sagen, oder ob er die Bill wirklich unterstützte und einfach nur erweitern wollte. Das sind so die Streitpunkte. Die Unklarheiten. Nicht das generelle Narrativ.
TL: DR: Southern Veto, Goldwater-Nixon.