[22.05.2008] Coming home

Discordia

B! scheuert
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7. Januar 2005
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Aus irgendeinem unerklärbaren Grund besserte sich Enios Laune nach Erreichen der Stadtgrenze deutlich. Fairerweise mußte man erwähnen, daß sie sich auch kaum hätte verschlechtern können, da es nach dem absoluten Tiefpunkt einfach keine weitere Stufe darunte gab. Als sie Kassel verlassen hatten war der Brujah jedenfalls in abschreckendem Ausmaß grantig gewesen. Nicht einmal sein alter Lancia hatte sich getraut nicht sofort anzuspringen. Und auch der Nosferatu auf dem Beifahrersitz hatte wohl deutlich gespürt, daß es der beste Zeitpunkt war um Enio nicht anzusprechen und einfach wortlos einzusteigen. Lurker und Enio hatten sich während der Fahrt nach Finstertal so gut wie gar nicht unterhalten. Aber wer wußte schon genau warum? Der Verborgene war ja auch nicht unbedingt für sein ausergewöhnliches Talent im Smaltalk halten bekannt oder seiner Neigung dazu. Womöglich hatte er einfach entschieden nichts zu sagen zu haben. Oder er dachte über andere wichtige Dinge nach, die ihn zum Schweigen veranlassten. Oder es war doch die Laß-uns-lieber-nicht-darüber-reden-Ausstrahlung des Brujah Ahn. Enio war es letztendlich egal. Was zählte war das Lurker wie so oft das richtige tat und dann schwieg wenn es angebracht war.

Jenny hätte er vermutlich jetzt nicht neben sich ertragen. Unglücklicherweise waren sie gestern Abend getrennt worden. Schuld war nur dieser dämliche Ventrue, der zuerst mehr als unsymphatisch rüber kam, dann frech wurde und im nachhinein irgendwie Ambitionen entwickelte den Finstertalern Honig ums Maul zu schmieren und eine Art Werbeveranstaltung für Kassel und dessen gute Beziehung zu Finstertal zu machen. Natürlich erst nachdem er bemerkt hatte, daß er gerade drauf und dran war es sich mit eben diesen zu verscherzen. Er hatte noch die Kurve bekommen aber es war schon zu spät gewesen um noch einen richtig guten Eindruck zu hinterlassen. Danach hatte er sich eingebildet er müßte irgendetwas wieder gut machen. Und genau damit hatte es schlicht und ergreifen total vermasselt, daß sie es gestern Früh noch hinbekommen hatten nach hause zu fahren. Es war einfach zu spät gewesen und weder Enio noch Lurker neigten dazu Russisch Rollette mit der Sonne zu spielen. Da ging man immer lieber auf Nummer sicher.

Aber trotzdem war das ebenfalls ein Umstand, der den Kotzfaktor bei der Sache noch ein Stück gesteigert hatte. Aber trotzdem... der Italiener bemerkte langsam wie der Ärger leise und sanft von ihm abfiel als er durch die Straßen Finstertals fuhr. Nicht das die Stadt im Allgemeinen etwas Beruhigendes hatte aber es war nunmal doch mitlerweile die Heimat. Sogar sein Beifahrer hatte die Chance zu bemerken wie Enio etwas entspannter wirkte. Er starrte mitlerweile nicht mehr nur stur gerade aus, sondern schien die Stadt ein wenig zu betrachten und er ertappte sich sogar selbst dabei wie er einmal kurz den Takt eines Liedes mit dem rechten Zueigefinger auf dem Lenkrad tippelte. Bald würde er wohl noch zum Pfeifen beginnen oder Lurker bitten ein Lied anzustimmen. Nein... sicher nicht. Tagträume waren nett aber auch dort hatte die Phantasie irgendwo ihre Grenzen.

Der Brujah hatte offenbar vergessen Lurker zu fragen wo er ihn rauslassen sollte. Jedenfalls steuerte Enio schnurstracks ins Brujahgebiet und hatte wohl vor direkt in seine Zuflucht, deren Adresse natürlich Lurker längst bekannt war, zu fahren. Und tatsächlich... Enio begann dann doch noch zu sprechen. „Keine brennende Stadt? Keine Leichen auf den Straßen? Scheint so als wenn wir mal eine Nacht weg waren und nicht gleich das Chaos hier ausgebrochen ist.“ Leider war das ja durchaus schon vorgekommen, daher erkannte Lurker wohl den Sarkasmus hinter dem Kommentar.

Enio bog in eine Straße ab und fuhr Rechts heran. Sein gewählter Parkplatz war noch ein paar hundert Meter von seiner Wohnung entfernt. Womöglich bildetet sich der olle Brujah tatsächlich ein dem Verborgenen seine Adresse nicht zu verraten. Es war albern aber man mußte sich ja jetzt auch nicht gleich auf ein Kaffeekränzchen bei Enio treffen. Lurker hatte sicher auch etwas anderes vor bevor... da fiel Enio wieder sein abendlicher Termin ein und er schüttelte langsam den Kopf. „Mist! Heute Abend ist ja dieser Ball. Hätt ich fast vergessen. Müssen wir uns ja wohl vorher noch richtig schick machen was?“ Der Spaß ging durchaus auf Lurkers Kosten. Enio war sich sicher das der Nosferatu viel machen würde aber sicherlich nicht sich aufzubrenzeln für einen gesellschaftlichen Event. Im Gegenzug war wohl auch Lurker klar wie wenig Enio auf solche Dinge wert legte. Es half ja nichts... wenn Frau Prinz zum Tanz läutete dann mußte man antraben. Vorher gab es aber durchaus die Möglichkeit für Enio und Lurker noch ein paar Worte zu wechseln. Immerhin schien Enio fast schon in Unterhaltungslaune zu sein. Zumindest war er immer noch nicht ausgestiegen. Schwer zu sagen auf was er wartete.
 
Es war die Wahl zwischen Pest und Cholera gewesen. Nicht das der Nosferatu den Italiener als Krankheit bezeichnet hätte, die Gegenwart des Brujah war für den Verborgenen eigentlich sogar eher immer angenehm zu nennen gewesen, aber die Art und Weise wie er zwischen den Städten transferiert werden sollte war einmal mehr eine Zumutung.

Eine Reise über die Grenze der Stadt, und damit praktisch in die Wildnis hinaus, war etwas das man als Untoter nicht einfach mal locker über den Zaun brach, wenn man noch einigermaßen bei Verstand war. Abgesehen von den speziellen Bedürfnissen und Problemen mit denen man als Vampir konfrontiert wurde und die man üblicherweise nicht einfach irgendwo an jeder Ecke auflösen konnte, völlig egal wie lange die verdammten Tankstellen und Fastfood Restaurants mittlerweile auch auf haben mochten, nein, es galt außerdem verdammt noch mal sich zu informieren wie die Begebenheiten am Zielort aussahen. Wer waren die richtigen Ansprechpartner, wem ging man aus dem Weg, welche Geschäfte liefen vor Ort zwischen wem und wie konnte man dort beitragen, wenn man schon zu Gast in eine fremde Domäne einfiel?


Alles Dinge die aber natürlich mal wieder flach gefallen waren, weil es selbstredend mal wieder kurz vor knapp war als sie aufbrachen. Anstelle einer geplanten, sicheren Reise in einem Container beispielsweise, der per Schiff oder Zug transportiert wurde, hatte Lurker die Wahl gehabt entweder in einem Auto nach Kassel zu fahren, was eigentlich unakzeptabel war, oder mit Stray auf dem Motorrad, was völlig unakzeptabel war.


Entsprechend mies gelaunt war der Nosferatu also in der fremden Stadt angekommen und ein paar wirklich arme Teufel hatten es ausbaden müssen. Im Gegensatz zu Enio oder Jenny würde ihn wohl niemand als mordende Kampfmaschine bezeichnen wollen, aber bewaffnet mit den alten Werkzeugen der Finstertaler Geißel, die im Grunde genau für solche Zwecke gemacht worden waren, und eingesetzt gegen Sabbat Kanonenfutter, hatte sich Lurker als wahrlich verheerend erwiesen.

Nicht umsonst hatte er das Kämpfen von einem Tzimiscen gelernt und seine eigenen Ausflüge in derartige Schlachten hatte er an der Seite eben jenen Sabbat geführt den er nun bekämpft hatte. Die Technik des Nosferatu war roh, rücksichtlos und wahrlich nicht schön anzusehen gewesen. Oft mochte es für einen Außenstehenden so ausgesehen haben als wäre einer der Gegner einfach explodiert, wenn der Verborgene wie aus dem Nichts quasi mit Gewalt durch einen der Körper hindurch zu marschieren schien, oder die bemitleidenswerten wurden wie aus dem Nichts zerrissen, oder gepackt und schreiend in eine dunkle Ecke gezogen aus der sie nie wieder auftauchten.


Möglich das der Prinz der Stadt, oder die anderen Angehörigen der Untotengesellschaft dort, oder auch seine eigenen Mitstreiter sich gefragt hatten woher der Verborgene derart fundierte Kenntnisse über Taktik und Vorgehen des Sabbat hatte, aber wer wollte ihn schon deswegen fragen? In der fremden Stadt selber offensichtlich niemand.


Damit war der Turiner wiederum der perfekte Partner für Lurker was die Hin- und Rückfahrt anging, denn ganz sicher war er nicht zum plauschen aufgelegt, vertraute aber dem Anderen tatsächlich so sehr, dass er mit ihm gemeinsam die Strecke in dessen Fahrzeug zurücklegte und sogar gedankenverloren in der Gegend herumstarrte bis Enio ihn ansprach und doch aus seiner Lethargie riss.


Nur weil wir hier nicht über Trümmer steigen müssen heißt das noch nicht, das nichts kaputt gegangen ist.


Grunzte er entsprechend boshaft auf Paretos Kommentar zurück. Als sie also endlich wieder in ihrer Stadt angekommen waren und er aus dieser Kiste herauskommen würde besserte sich auch seine Laune, daher machte Lurker ein Geräusch das irgendwo zwischen kratzendem Husten und Gurgeln mit Sand lag, für Kenner des Verborgenen als knappes, humorloses auflachen zu erkennen, als er ausstieg und die Unterhaltung mit dem Anderem aufnahm, indem er sich gegen die geöffnete Türe lehnte und in das Wageninnere beugte, bzw. durch seinen Buckel gebeugt wurde.

Wie? Ich dachte unsere kleine Biertrinker Garnitur wäre charmant genug für das Hupfdohlen Treffen?


Das nächste Geräusch aus der dunklen Kapuze die seine Züge verbarg klang als rutschte eine stumpfe Nadel über eine Glasscheibe, aber es war wohl ein Seufzen.


Aber ja, so wie ich es sehe werde ich es schaffen mich auf einen aktuellen Stand zu bringen und dann in den feinen Zwirn zu springen. Wenn ich es genauer betrachte würde ich mich lieber noch eine Runde mit dem Sabbat anlegen als schon wieder auf einen Ball zu gehen.


Dem Italiener konnte man so etwas immerhin sagen. Vermutlich schwankte das Fest bei ihm ebenfalls auf der Beliebtheitsskala zwischen ‚lästig‘ und ‚Zeitverschwendung‘.
 
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