[18.05.2008] Beichte

Regine

Tremere
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Zum Glück zitterten Vampire nicht und weiche Knie waren nur eine Einbildung. Himmel hilf! Tat sie hier das richtige? Das Gildenhaus war in Aufruhr.. dort jetzt zu stören.. und hatten die länger Ansässigen nicht mehr Kontakte zur Presse? Anna war dabei, sich ziemlich wahrschlich richtig übel in die Scheisse zu reiten. Sie wusste es. Dennoch schien es ihr der Weg mit der größten Schadensbegrenzung zu sein und sie war nicht der Typ, der davon lief. Sie lief vor einem Kampf mit Wölfen nicht davon. Sie lief nicht davon, wenn Enio mit Jenny kämpfen musste, sondern tat einfach wenigstens das, was sie konnte.

Sie entzog sich auch nicht ihrer Verantwortung, wenn sie Mist gebaut hatte. Und ausnahmsweise hatte sie jetzt mal richtig Mist gebaut. Sie hatte sich nicht viel Zeit genommen. Sie war nur schnell zu ihrer Wohnung gefahren, um sich vernünftige Kleidung anzuziehen. Sie konnte unmöglich mit zerschossener Kleidung hier auftauchen. Bei aller Liebe nicht. Aber ihre Wohnung lag in der Nähe der Akademie. Wahrscheinlich waren am Ort der Schießerei noch nicht mal alle Krankenwagen bereits wieder weg gefahren, als die Tremere in der Akademie eintraf. Die Waffe war in einer Sporttasche gelandet und ruhte weiterhin im Kofferraum. Noch am Auto richtete die Tremere ihre Kleidung. Ging sie hier jetzt zu ihrer Schlachtbank? Sie spielte volles Risiko mit einem bescheidenen Blatt. Von rechts wegen hätte sie die Regentin anrufen müssen, sie ins Bild setzen und dann hätte die Regentin die Angelegenheit mit der Prinz geregelt oder hätte sie mit kommen lassen.

Von rechts wegen. Trotzdem stand sie hier. Warum war die Tür offen? Konnte sie nicht geschlossen sein, wie es sich gehörte? Anna klopfte trotzdem und wartete. Sie verzichtete auf den Schutz ihres Clans um zu dienen und möglichst schnelle Reaktion zu ermöglichen. Aber war das wirklich klug? Ihr Clan war alles andere als wohl gelitten in der Stadt und die Prinz selbst... sie war wohl kein Fan von Anna. Ihre Begrüßung damals in der Stadt war recht eisig gewesen und später... Anna war froh, sich der Führerin der Stadt gegenüber nie aufgespielt zu haben. Immer war sie respektvoll geblieben, selbst als diese offiziell nur den Status eines Kindes inne hatte. Aber ob es ausreichte, dass sie persönlich nicht zu kleinlichen Grausamkeiten neigte? Am liebsten würde Anna weg laufen, sich hinter der Regentin verstecken so gut es nur ging – nur die hatte zur Zeit alle Hände voll zu tun und sollte sich jetzt noch um die kümmern, die ihr eigentlich Arbeit abnehmen sollte?

Natürlich blieb sie. Anna neigte nicht dazu, die Beine einfach in die Hand zu nehmen.
 
Auf das Klopfen an der Tür erfolgte keine Reaktion.
Anna konnte in den Vorraum blicken, den Garderobenständer sehen, die metallene Vase für den mitgebrachten Schirm, einen kunstvollen Spiegel und davor eine kleine Anrichte mit Schubladen. Eine Büste lag auf ihr, sowie ein kleiner Kamm aus Horn. Alles schien sauber und ordentlich hergerichtet und bestach trotzdem hauptsächlich durch seine Leere....
 
Annas stand an der Tür und wusste nicht so recht, was sie machen sollte. Fokussierte sie das mechanische Auge? Und wenn ja, war das leide Surren ein automatischer Mechanismus zu Scharfstellung oder sah sie jemand auf einem Monitor? Der Keil an der Tür sprach für ein absichtliches Aufstehen der Tür und weniger für einen Gewaltakt genau so wie das Innere. Die häufig so unbewegte Tremere blieb auch weiterhin genau das. Wie gern hätte sie sich eine kleine Auszeit gegönnt, nur in dem sie ihre Augen schloß? Es war schon lange her, dass sie solchen Impulsen folgte. Im Gegenteil, es kostete sie jedes Mal bewusste anstrenung, solche Gesten zu zu lassen, sie nach aussen dringen zu lassen - wie in ihren Gesprächen in dem Café. Inzwischen war es für sie viel leichter, regungslos zu bleiben.

Nach ungefähr einer Minute entschloss sie sich zum Handeln. Gehen kam nicht Frage und jetzt ihre Regentin anrufen? Das hätte sie vorher machen sollen, wenn sie sich dazu entschieden hätte. Trotzdem war ihr Handy ihre Wahl. Wenn jemand dort irgend wo im Büro saß... so würde sie wenigstens nicht ungebeten eintreten müssen.

Sie legte sich sogar schon im Kopf zurecht, was sie sagen würde, wenn die Prinz selbst an den Apperat gehen sollte und sich nur mit ihrem Namen meldete statt sie direkt hinein zu bitten. Sie traute sich zu, deren Stimme zu erkennen.

'Guten Abend, Eure Exzelenz. Anna Lisa Reeben am Apperat Dürfte ich um eine Audienz bitten?'

OK. Na gut. Es war ein wenig lächerlich, sich so aus zu drücken, wenn man vor der offenen Tür stand. Dennoch, die Tremere konnte nicht aus ihrer Haut. Nicht so leicht und schon gar nicht in der prekären Situation, in der sie sich befand. Ihre Nervosität nahm nicht gerade ab.
 
Das klingeln des Telefons ließ Lena aufblicken. Interessiert hatte sie Annas Reaktionen auf die offenstehende Zugangstür auf dem Überwachungsmonitor verfolgt. Natürlich hatte sie auch gesehen, dass die Tremere zu ihrem Handy griff.

Sie wird doch nicht?

Doch, sie tat es also wirklich.
Die Prinz quittierte diese Form der Problemlösung mit einem schmalen, aber aufrichtigen Lächeln.

"Guten Abend, Frau Reeben. Sie sind herzlich willkommen, treten Sie ruhig näher."

Das Lächeln wuchs in die breite.

"Die Tür steht offen!"
 
" Ich danke ihnen, mein Prinz." Die Tremere trat ein und folgte den anderen sich öffnenden Türen. Der Spiegel erhielt lediglich einen kurzen kontrollierenden Blick. Kleidung und Frisur saßen angemessen. Dafür hatte sie gesorgt. Sie trug wieder einen dieser schwarzen Hosenanzüge, eine durchaus typische Kleidung für Tremere. Noch wies kaum etwas darauf hin, was die Adeptin von der Prinz wünschte. Es war wohl schwer einzuschätzen, was jemanden wie Anna dazu brachte quasi unangemeldet zu erscheinen, wenn es einem wert war darüber Gedanken zu verschwenden. Einst hatte Lady Noir als Seneschall und besessen von der portugiesischen Witwe die Neugebore als anmaßend empfunden, weil sie sich dem allgemeinen Protokoll entsprechend heraus genommen hatte, sich eigenständig ohne Fürsprecher vor zu stellen und ihrem damaligen Rang gemäß den Knicks nicht kriecherisch gehalten hatte, wie es einige andere taten. Auch dieses mal zollte sie der Prinz den gebührenden Respekt. Sie glitt in den formvollendeten Knicks, der gehalten wurde. Das Protokoll erlaubte ihr erst zu sprechen, wenn es ihr gewährt wurde. Hatte sie Angst? Ganz sicher sogar. Ihr Vorhaben war schierer Wahnsinn und doch sah sie kaum eine andere Möglichkeit. Sah man ihr die Angst an? Wohl weniger. Sie war eine Tremere. Tremere fuhren eigenständig nach Wien, wenn sie gerufen wurden und das hier war nicht viel anders... wenigstens Tremere mit einem Fünkchen Anstand und Ehre im Leib handelten so.
 
"Erheben Sie sich, Frau Reeben! Und dann, bitte, nehmen Sie Platz und tragen mir ihr Anliegen vor."

Die Worte der Prinz klangen freundlich und einladend. Das Lena ein wenig erstaunt darüber war, dass eine Tremere bei ihr vorstellig wurde, war ihr in keinster Weise anzusehen. Bisher hatte der Clan der Hexer stets darauf bestanden, seine internen Probleme, große wie kleine, selbst zu regeln und Außenstehende aus den Problemen des Hauses herauszuhalten. Natürlich war es auch möglich, ja sogar wahrscheinlich, dass Annas Besuch einen vollkommen lapidaren Hintergrund hatte, aber auch solcherlei Dinge wurden gewöhnlich von der Regentin selbst geregelt.

Auffordernd blickte sie ihren Gast an.

Ich bin gespannt!
 
Als Anna nach der Erlaubnis näher trat, bewegte sie naturgemäß die Luft im Raum. Je nachdem, wie fein die Sinne der anderen Frau waren, nahm sie unter Umständen schon jetzt etwas wahr, was nicht stimmte. Ja, Anna hatte die Hände, Gesicht und Hals von dem gröbsten Blut befreit. Die Haare waren allerdings nur kurz gebürstet worden, Arme und Beine hatten eine wesentlich unsorgfältigere Reinigung erfahren und so dürfte sich noch einiges an getrocknetem Blut auf der Tremere befinden. Menschliches Blut. Die Zeit zum Duschen und Haare föhnen hatte sie sich nicht gestattet.

Anna blickte zum angebotenen Stuhl, dann wieder zu der Prinz. „Guten Abend, Senora Cruiz. Mit eurer Erlaubnis mein Prinz, bleibe ich stehen und werde euer Angebot erst nach meinem Bericht annehmen, wenn es dann immer noch besteht.“ Diese Beichte im Sitzen... sie war schon im Stehen kaum denkbar. Im Sitzen... das war einfach nicht richtig. Das durfte sie nicht. Nicht jetzt. Falls jemand ihr Verhalten später so interpretieren wollte, dass sie sich fluchtbereiter halten wollte, so irrte diese Person. Es war irgend ein verquerer Trieb von Anstand, der Anna dazu veranlasste. Sie hatte es nicht verdient, nicht bevor die Prinz wusste, was sie getan hatte. Dann oblag es ihr zu entscheiden. Sie wartete den Wunsch der Prinz ab, bevor sie entsprechend handelte – stehen blieb oder sich setzte, weil jene insistierte und sei es nur durch eine Geste oder das absolute Fehlen einer solchen.

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich nicht den offiziellen Weg über die Regentin eingeschlagen habe. Ich halte den Aspekt der Zeit in dieser Angelegenheit für gewichtiger und wollte keine Verzögerung riskieren, die den Raum zur Reaktion minimiert.“

Die Tremere schluckte nicht trocken. Sie schloss auch wieder nicht die Augen. Die blickten die Regentin direkt und ausdruckslos an. Alles, was sie sagte, wurde flüssig vorgetragen. Sie hatte eine ganze Autofahrt über Zeit gehabt, sich die Worte zurecht zu legen. Wenigstens die ersten. Das verteufelte war: Sie hatte absolut keine Ahnung, wie die Prinz reagieren würde. Alles war möglich. Sie konnte 'Gnade' zeigen, die die Adeptin noch teuer bezahlen würde. Die Schulden bei der Toreador wären dann wohl alles andere als klein. Oder sie war entweder schwach in ihrer Position oder nur schlicht missgelaunt. Dann konnte all dies sehr schnell zum Tod der Tremere führen. Gerechtfertigt wäre dieses Urteil alle mal. Anna konnte nur hoffen. Hoffen und beten, dass sie rechtzeitig kam, um die schlimmste Öffentlichkeit zu vermeiden, hoffen, dass ihr Fitzelchen an Informationen wert genug war ihr Leben zu erkaufen.

„Ich muss ihnen gestehen, die Tradition der Maskerade gebrochen zu haben, mein Prinz.“ Bäm. Jetzt war es raus. Wenigstens der erste Klopper. Was jetzt noch kam, waren lediglich Details. Ein Zurück gab es ab diesem Punkt nicht mehr. Das war der Kopfsprung ins kalte Wasser gewesen. Jetzt musste sie nur noch schwimmen. Oh, und dem Sog des Trichters dabei entgehen, der verflucht dicht an ihr dran war. Wenn es möglich war. Wichtiger noch war, keine anderen mit von diesem Sog ergreifen zu lassen. Deshalb war sie hier. Es durfte nicht weiter um sich greifen, keine Katastrophe für die Welt der Vampire werden.

Die Tremere ließ sich nicht lange bitten, sondern vervollständigte von selbst den Bericht. „Ich bilde mich in verschiedenen Sprachen fort, unter anderem Russisch. Um praktische Erfahrung in der Sprache zu sammeln, nahm ich bereits vor einigen Nächten Kontakt zum russischen Kulturverein in Finstertal auf. Ich spielte Schach und unterhielt mich. Heute wollte ich zum dritten Mal dort einkehren. Ich nahm ein irritierendes Geräusch wahr, dass meine Aufmerksamkeit auf die Straße lenkte. Ich vermute im Nachhinein, dass es Schall gedämpfte Schüsse waren. Ein Transportbus fuhr mit bewaffneten Männern vor. Auf meine gerufene Warnung entstand Panik unter den Anwesenden. Lediglich ein Greis, mit dem ich schon gespielt hatte, reagierte richtig auf meine Aufforderung und ging in Deckung. Mir selbst blieb weit entfernt von möglicher Deckung nur, auf den Boden zu gehen und ich stellte mich sehr bald tot, während vier Angreifer das Lokal mit Schüssen aus schnell feuernden Gewehren eindeckten. Mir war lediglich der blockierte Ausgang aus dem Lokal bekannt und bei einer Flucht wäre mit Sicherheit auf mich geschossen worden. Mir wurde bewusst, dass die Angreifer vor hatten jeden einzelnen in dem Lokal zu töten. Es ging ihnen nicht nur um einen schnellen Angriff. Herr Kameniev, der Greis, war der einzige der Russen, der eine Waffe bei sich trug. Ich entschied mich zum Handeln. Einer der Angreifer, der durch die Tür gekommen war, war tot. Ich griff seine Waffe und ging nach draussen. Ich bemühte mich, so weit wie möglich verdeckt zu stehen. Weiter weg begannen Menschen sich zu versammeln und auch in einigen Wohnungen in der Nähe war Licht angegangen. Obwohl es mir bei meiner Ankunft in Finstertal nicht möglich war, und auch noch nicht bei dem großen Angriff gegen die Werwölfe, rief ich das Blut eines der Angreifer zu mir, während ich gleichzeitig versuchte mit der Waffe zu schiessen. Ich verfüge in diesem Bereich über so gut wie keine Kenntnisse. Der Mann brach zusammen und ich konzentrierte mich auf den nächsten. Auch von ihm rief ich Blut. Der vierte Mann nutzte die Zeit um zu dem Tranporter zu sprinten und der Fahrer fuhr los. Der vierte Mann hat eindeutig gesehen, was ich getan habe, ebenso wie er gesehen hat, dass eine Salve aus den Gewehren lediglich meine Kleidung zerfetzt hat. Es gelang mir nicht, den Transporter ohne Nummernschilder ebenfalls zu erreichen und die Angelegenheit zu Ende zu bringen. Ich konnte ohne die Deckung durch den Transporter nicht auf der Straße bleiben. Herr Kameniev wies mir den Weg durch einen versteckten und verschlossenen Hinterausgang. Er konnte meine zerfetzte Kleidung deutlich wahr nehmen.

Es hat sich heraus gestellt, dass Herr Kameniev eine relative Größe im russischen Kartell dar stellt und der Angriff wohl ihn zum Hauptziel hatte. Auch wenn ich ihm nichts wirkliches sagte, berichtete er mir von Herrn Zieglowsky und seiner Art von den Toten auf zu erstehen. Er hat auch schon vorher der zweiten Trinkwasservergiftung keinen Glauben geschenkt und berichtete über Gerüchte von 'Helden' in der Stadt, die gegen Monster kämpfen. Er trug den Wunsch an mich heran, mich als Galionsfigur gegen die Italiener einzusetzen. Ich lehnte mit dem Hinweis ab, dafür nicht die geeignete Person zu sein. Es ist mir nicht möglich, das Gedächtnis von Personen selbständig zu beeinflussen. Ich bin mir jedoch sicher, dass er auf einen Anruf von mir reagieren wird. Er ist an Verhandlungsgesprächen interessiert, allerdings nicht mit den Italienern. Er berichtete von einem Angriff auf einen seiner Gefolgsleute, den er auch den Italienern zu schreibt und sagt, dass seine Fraktion nun antworten wird.

Ich glaube, dass die anderen Gäste des Cafés nichts wahr genommen haben, worüber sie reden könnten. Sicher ausschließen kann ich es nicht. Wie viel die zufälligen Beobachter haben sehen können, kann ich nicht einschätzen, genau so wenig ob es Bild- oder Filmaufnahmen meiner Tat gibt. Mein erstes Opfer hat definitiv auch Schußwunden durch mich erhalten, was seinen Blutverlust erklären kann. Bei dem zweiten bin ich mir nicht sicher. Ich hätte ohne Deckung im Licht stehen müssen, hätte ich mir Gewissheit verschaffen wollen.

Die Waffe befindet sich in dem Kofferraum meines Wagens.“

Da war sie raus, die Katastrophe, in allen wunderbaren Details. Na gut. Doch nicht in allen. Der Bericht der Tremere war sehr nüchtern, so, wie es ihre Art war. So, wie sie es gelernt hatte. Alle wesentlichen Fakten, die ein Handeln ermöglichten oder benötigten waren klar benannt: Zwei bis drei Personen, die definitiv übernatürliche Fähigkeiten wahr genommen hatten und die noch lebten. Nur eine davon war im Zweifelsfall erreichbar und konnte manipuliert werden, wenn man es wollte. Den oder die anderen waren wohl wesentlich schwerer greifbar. Die Pathologie durfte keine falschen Ergebnisse fest stellen und vor allem musste kontrolliert werden, ob der Presse irgend welches Bildmaterial zu gespielt werden sollte. Hoffentlich wendete sich so jemand an die Presse oder die Polizei. Bei den beiden würde die Prinz wohl Möglichkeiten haben um einzugreifen. Beim Internet mochte die Geschichte anders aussehen. Was komplett fehlte, waren Annas eigene Beweggründe, warum sie aufgestanden war, was sie gefühlt hatte. So kontrolliert sie auch wirkte, innerlich wollte sie nur schreien und heulen und in ihr war ein Wirrwarr von Gefühlen unabhängig davon, dass sie um ihr Leben fürchten musste. Sie hielt sich zurück. So weit wirkte ihre Indoktrinierung noch. Es interessierte niemanden warum sie gefehlt hatte, was ihre Gründe oder Ausreden waren, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachten mochte. Es zählte lediglich, was geschehen war. Die Fakten, so neutral wie möglich. Es gab nicht ein Wort der Erklärung ihrer Tat oder der Entschuldigung. Nicht an dieser Stelle.

Die Tremere senkte den Blick und neigte den Kopf. Vorläufig hatte sie geendet, alles erzählt, was sie zu erzählen hatte. Jetzt hing alles an der Prinz, daran, wie sie es aufnehmen würde. Daran, in welchem Licht sie sich entschied, die Beichte der Tremere zu sehen.

Glaubte sie, die Adeptin wolle sich ihre Unerfahrenheit zu nutze machen? War es für sie eine Gelegenheit, den verhassten Clan Tremere zu schädigen oder ihre Durchsetzungskraft zu demonstrieren? Oder würde sie dem Versucht der Tremere anerkennen, den Schaden für die Gesellschaft so gering wie möglich zu halten, nun, wo das Kind schon einmal in den Brunnen gefallen war und es heraus fischen? Anna hatte nichts mehr in der Hand um ihr Blatt noch zu verbessern. Sie konnte nur hoffen, dass es reichte – die Möglichkeit zur schnellen Reaktion und dass die Tremere nicht abgewartet hatte, ob sie eventuell glimpflich davon kommen würde, weil es kein gutes Bildmaterial gab, die Zeugen widersprüchlich waren und auch die Leichen wenig auffällig waren... und nicht zu letzt der Kontakt zu Kameniev.. zu den Russen... der einen Wert haben mochte oder auch nicht. Selbst, wenn sie es nur kurz erwähnt hatte, war es sicher der Prinz nicht entgangen, dass Anna gesagt hatte, er wünsche Verhandlungen. Und die Tremere hatte auch auf den Schutz der Regentin verzichtet, ihren möglichen Einfluß auf die Prinz, um der Prinz Zeit zu erkaufen. Zeit, die sie mit einer größeren Unsicherheit für ihr Leben bezahlte.

Anna wünschte sich so sehr, einfach wieder die Knie beugen zu können, sich unterwürfig zu zeigen mit mehr als einem Neigen des Kopfes. Aber nicht mal das war angemessen und schlichte Kriecherei. Stünde ihr die Kriecherei an? Sicher! Würde sie sich deswegen schämen? Bei dem, was sie getan hatte? Sie würde die Füße der Toreador küssen, wenn es irgend etwas helfen würde! Aber sie hatte zu aufrecht zu bleiben. Sie hatte der Prinz für Fragen zur Verfügung zu stehen. Gesten, die höchstens die ganze Angelegenheit verzögern würden, waren nicht angebracht. Jetzt oben zu bleiben kostete die Adeptin fast mehr Kraft als alles andere.
 
Lena legte die Spitzen ihrer gespreitzten Finger aufeinander, legte die Daumen ans Kinn und die Zeigefinger an die Nase. Eine nachdenkliche Geste, die sie über einige äußerst unangenehme Minuten aufrechterhielt. Unverwandt blickte sie Anna die gesamte Zeit über in die Augen.

"Der Bruch der Maskerade ist ein schwerwiegendes Vergehen, Frau Reeben. Besonders in einer Stadt wie Finstertal, in der es bereits viel zu häufig zu solcherlei Übertretungen gekommen ist. Sie taten gut daran, sich mir direkt und persönlich zu öffnen. Allerdings war es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fehler, dass Sie mich nicht in Begleitung Ihrer Regentin besucht haben. So bin ich gezwungen, dass Strafmaß ohne Absprache festzusetzen. Dies könnte unter Umständen weitere Probleme nach sich ziehen, da Ihrem Clan die Art meiner Bestrafung nicht gefallen könnte, ich Sie hier jedoch auch nicht ohne Urteil entlassen kann. Insbesondere auch, da Sie bei Ihrem letzten Besuch hier in der Akademie bereits durch mangelndes Betragen negativ aufgefallen sind. Mademoiselle de'Auvergne hatte diesbezüglich etwas entsprechendes in Ihrer Akte vermerkt."

Nach der längeren Ausführung schwieg die Prinz wieder.
Ihr gefiel die Situation ganz und gar nicht, allerdings war es ihr höchstes bestreben gerade solche schwerwiegenden Verfehlungen zu verhindern und das Zusammenleben zwischen Menschen und Kaniniten auf eine Ebene zu senken, die endlich wieder ein friedliches Zusammenleben nach Vorgabe der Traditionen ermöglichte. Ohne es zu wissen wurde Anna damit gerade zu so etwas wie einem Exempel.

"Es obliegt meinen Möglichkeiten, diese Verfehlung aus der Presse herauszuhalten und das Interesse der Ordnungsbehörden in dieser Beziehung auf ein Minimum zu beschränken. Auch wird ihr Misstritt innerhalb der Mafia keine größeren Wellen schlagen."

Die Prinz dachte beim letzten Punkt an eine Unterstürtzung durch Melody. Sie kannte hoffentlich genügend Leute in der Unterwelt, um den redefreudigen Augenzeugen rechtzeitig zum Schweigen zu bringen. Das dürfte eine Menge Geld kosten und noch mehr offene Gefallen verbrauchen, aber es ließ sich sicherlich einrichten.

"Für Ihre Verfehlungen, Frau Anna Reeben aus dem Clan der Tremere verhänge ich folgendes Strafmaß!"

Lena räusperte sich, nie zuvor hatte sie einen anderen Menschen bestrafen müssen.
Egal ob nun tot oder noch lebend...

"Ich entziehe Ihnen hiermit jeglichen kainitischen Status. Sie werden somit in den Rang einer Unfreien zurückgestuft. Ihre Regentin möge mir bis morgen Nacht eine Person nennen, die fortan für Ihre Erziehung zuständig und vor allem auch für all Ihre Taten verantwortlich ist. Bis Sie erneut von Ihrem Vormund freigesprochen werden, ist Ihnen, ohne dessen Begleitung, der Zutritt in alle Elysien Finstertals verboten. Darüber hinaus werden Sie in der Nacht des zwanzigsten Mai geblendet. Miss McKinney mag entscheiden, ob Sie selbst die Strafe vollziehen will oder jemanden hiermit betrauen möchte. Es wird Ihnen für achtundvierzig Stunden verboten bleiben, die hierdurch entstehenden Wunden zu heilen. Egal in welcher Form, jegliche Linderung ist streng untersagt! Zwei Tage in schmerzhafter Dunkelheit werden Ihnen vielleicht vor Augen führen, wie wichtig es ist in einer gut funktionierenden und vor allem friedlichen Umgebung zu existieren. Unterrichten Sie Ihren Clan bitte umgehend von meiner Entscheidung."

Trotz ihres herausragenden schauspielerischen Talentes, fiel es der Prinz äußerst schwer ein Seufzen zu unterdrücken. Anna tat ihr von Herzen leid, das Urteil aber war gerecht und zwingend notwendig.
Leider!

"Allein Ihre Reue und Ihre Selbstanzeige verhindern, dass ich Sie für dieses Vergehen zum Tode verurteilt habe. Ich hoffe sehr, Frau Reeben, dass Sie mir niemanden verschwiegen haben, der sonst noch an diesem unsinnigen und dummen Maskeradebruch beteiligt war? Sollten Sie mir wichtige Details dieses Abends verschwiegen haben, kann das Strafmaß problemlos erneut festgesetzt werden. Ich frage Sie also nur dieses eine Mal: Waren Sie tatsächlich die einzige unserer Art, die in diese Vorfall verwickelt gewesen ist?"
 
Sie war durch mangelndes Betragen in der Akademie aufgefallen? Womit? Ah ja, sie war Tremere. Das reichte aus. Die leichte Irritation Annas war ihr nicht im geringsten an zu merken. Es wird also direkt ein Urteil gefällt. Sie will sich nichts weiter anhören. Ich kann es ihr nicht verdenken. Die Tremere hörte ihrer Prinz schweigend zu. Oh Gott sei Dank, sie hatte richtig gehandelt! Die Prinz hatte die entsprechenden Kontakte. Es wäre nicht aus zu denken gewesen, wenn dem nicht so wäre. Mit ihrer Tat hatte Anna nicht nur sich selbst gefährdet, sondern auch die frische Regentschaft der Prinz. Dessen war sie sich sehr wohl bewusst gewesen gewesen. Nichts war eine größere Katastrophe als ein solcher Maskeradebruch nach einer Übernahme. Wenn hiervon etwas ausserhalb Finstertals bekannt wurde, rückte es auch die Prinz der Stadt in kein gutes Licht.

Die Prinz hatte drei Möglichkeiten zur Wahl gehabt, wie sie die Sache handhaben konnte und sie hatte sich für eine Mischung aus der ersten und zweiten entschieden. Es war ihr gutes Recht. Und wen sie Anna gefragt hätte, sie hätte sogar genau dazu geraten. Nun, nicht exakt zu diesem Strafmaß. Auf das Blenden wäre sie wohl nicht ohne weiteres gekommen. Nein, Anna hätte die drei Möglichkeiten benannt: Das Exempel, wobei ihr dafür nichts anderes als der Tod vor schwebte, eine öffentliche Zurechtweisung des Clans Tremere und eine Schwächung desselben oder den Vorteil, den die Prinz aus Anna und ihrer Schuld selbst hätte ziehen können. Sie hätte, wenn sie gefragt worden wäre, empfohlen, das zu tun, was ihr selbst, also der Prinz am meisten nützte. Und was hatte eine Neugeborene der Prinz schon zu bieten? Sie besaß keinen nennenswerten Reichtum und abgesehen von ihrem Tod konnte sie über ihr Leben nicht frei verfügen. Sie hätte lediglich ihre Intelligenz und ihre Loyalität zu bieten gehabt. Mehr gab es da nicht.

Sie ohne jede Strafe davon kommen zu lassen – selbst das Strafmaß, welches ihr die Prinz zu gedacht hatte, konnte sich nochmals sehr problematisch erweisen. Sie wusste genau, wer deswegen zetern und würde und von Unrecht sprechen. Immerhin behielt sie ihr Leben. Es war nicht ganz die Wahl, die Anna getroffen hätte in Anbetracht von Jenny Färber. Doch die Prinz hatte sie weder nach ihrer Meinung gefragt noch stand es ihr zu, die Entscheidung der Frau in irgend einer Form zu kritisieren. Sie hätte das Angebot unterbreitet, dass Jenny das Recht bekommen solle sie anzurufen und sie würde kommen... und für eine Nacht das Recht haben solle, sie töten. War Jenny in der Lage zu töten? Mit Sicherheit. Und doch, bei all ihrem Hass auf das Establishment glaubte Anna nicht, dass sie es in diesem Fall tun würde. Es hätte ihr den Wind aus den Segeln genommen und sie maßlos geärgert. Doch die Prinz entschied, diese Last auf ihren eigenen Schultern zu tragen und ihre Entscheidung selbst zu verteidigen. Etwas, was sie nicht tun müssen sollte. Diese Suppe hatte die Tremere ihr eingebrockt und sie wäre bereit gewesen, sie aus zu löffeln. Nun, es sollte sie nicht so sein.

Sie sollte leben.

Sie verlor ihren Status ausserhalb des Clans und was innerhalb des Clans geschah, war noch nicht einmal im Ansatz klar. Der Clan konnte sie für dieses erneute Vergehen und für die Demütigung des Clans immer noch nach Wien rufen und beenden, was die Prinz nicht bis zur letzten Konsequenz verhängte. Und doch gab sie der Tremere Hoffnung. Sie sollte leben. Und sie gewährte ihr sogar eine Nacht Aufschub. Weshalb nur? Anna wollte darüber sicher nicht klagen. So bekam sie noch die Gelegenheit für ausreichend Blut zu sorgen für die Nächte, in denen sie ihrer Augen beraubt war. Die Augen... Anna fürchtete die Blindheit nicht. Sie war nicht von Dauer. Sie war sogar von ausgesprochen kurzer Dauer. Die Schmerzen würden etwas anderes. Sie hatte keine Ahnung, wie sie auf diese neue Art von Schmerz reagieren würde. Ihre Augen hatte er ihr immer gelassen. Er hatte es mehr auf ihre Haut abgesehen, sogar mal auf ihre Zunge, aber nie die Augen. Ob sie es schaffen würde, still zu halten? Nicht zu schreien?. Der Schmerz der Wunden, wenn sie erst einmal da waren, war gleichgültig. Es ging um den Prozeß des Entstehens, der beängstigend war. Es würde ein Messer sein oder glühendes Metall und sie würde sich beherrschen müssen ihr Blut nicht automatisch zur Heilung ein zu setzen. Das war der eigentlich schwierige Part an dieser Form der Bestrafung: den eigenen Instinkt zu überwinden, das Blut zu stoppen. Ein Scheitern würde nur weitere Schmerzen nach sich ziehen, ein erneutes Blenden. Bis sie es schaffte, ihr Blut nicht zum Heilen ein zu setzen.

Status war etwas, was sie sich mit der Zeit wieder erarbeiten konnte.

Sie sollte leben. Erleichterung durchströmte die Tremere.

Der letzte Satz der Prinz durchbrach ihre Gedanken und die Tremere nahm sich Zeit um nach zu denken. Es wäre ein leichtes gewesen mit 'nein' zu antworten, doch ihre Berichte waren nicht erst seid diesem Abend präzise. Sie ging durch, was sie erinnerte, überprüfte, sondierte.

„In dem Lokal nahm ich ausschließlich den Geruch von menschlichen Blut wahr und unter den Anwesenden war niemand, der mir als einer unserer Art bekannt ist.“ Die Formulierung war vorsichtig, aber auch notwendig. Anna wusste bereits, dass es in der Stadt eine hohe Fluktuation in der kainitischen Bevölkerung gab. Besonders nach ihren Tagen der Abwesenheit durfte sie nicht hoffen jeden zu kennen. Das Angebot Kamenievs hatte sie bereits erwähnt, ebenso wie dass jener schon vor dieser Nacht in Bezug auf übernatürliche Wesen argwöhnte. Na ja – 'argwöhnte' war in Bezug auf Ziege wohl ein komplettes Understatement.

„Die beiden, deren Blut ich kostete, waren Menschen und keine Ghule.“, präzisierte Anna weiterhin. Den vierten halte ich ebenfalls für einen Menschen.“ Hatte sie wahr genommen, wie er bewusst atmete? War es die Art gewesen, wie er auf sie reagierte? Sie konnte sich nicht vollständig sicher sein, aber wenn sie sich festlegen sollte, würde sie sagen, sie wäre sich zu 95% sicher, dass er ein Mensch war und nichts anderes.

„Über den Fahrer kann ich nichts sagen und auch nichts über eventuell weitere Beteiligte. Ich habe bewusst keinen weiteren von unserer Art wahr genommen.“ Nach einer sehr kurzen Pause ergänzte sie: „ Auch keine andere übernatürliche Beteiligung habe ich wahr genommen. Mehr als die zwei benannten Opfer wurden nicht von mir geschädigt.“ Anna dachte noch einmal nach. Hatte sie irgend etwas übersehen? War ihr noch irgend etwas aufgefallen?

Letztendlich war das alles viel zu schnell gewesen. Sie war überrascht worden. Sie hatte kaum Zeit gehabt, sich zu orientieren, etwas ausserhalb des lebensbedrohlichen wahr zu nehmen. Das schlimmste für Anna war: Sie würde wieder so handeln. Wenn sie die Situation nicht komplett meiden konnte und nur das Wissen um den Ausgang hätte, gäbe es nur wenig, was sie anders tun würde. Sie würde direkt in den Angriff übergehen und sich als erstes um das Fluchtfahrzeug kümmern. Das wäre der primäre Unterschied. Dann hätte es weniger potentielle Zeugen gegeben.

Die Russen waren gestorben wie ahnungsloses Schlachtvieh. Bis auf Kameniev gehörten sie nicht zu den Kartellen. Ihre Panik und das Fehlen von jeglichen Waffen hatte es nur all zu deutlich gemacht. Und sie hatten sie freundlich aufgenommen bei sich. Sie, die als Frau in ihre Männerdomäne eingedrungen war. Es war so unfair, so grausam. Sie hatte einfach nicht mehr still halten können, nachdem ihr das bewusst geworden war und nachdem sie eh den Bruch der Maskerade nicht mehr hatte vermeiden können.

„Meiner Kenntnis nach gab es keine weitere Beteiligung die ich identifizieren oder beschreiben könnte.“ Welchen Grund hätte Anna auch haben sollen, so etwas zu verschweigen? Es gab nicht eine Person in der Stadt... falsch. Wäre die Regentin dort gewesen oder hätte ein Ahn ihres Clans es ihr befohlen, hätte sie gelogen. Aber so war es nicht.

„Ich bin der Ansicht, alle wichtigen Details erzählt zu haben, die mir bekannt sind, um die Situation zu vertuschen. Wie euer Exzellenz besser bewusst ist als mir gibt es, ohne sich in Detailschilderungen zu verlieren, keine Möglichkeit aus zu schließen, wie etwas im Nachhinein bewertet wird. Ich habe weder Grund noch Anlass etwas vor Ihnen zu verbergen, mein Prinz.“

Wie oft kam es wohl vor, dass ein Vampir ohne die absolut zwingende Notwendigkeit, der Sicherheit erkannt worden zu sein, so einen Maskeradebruch gestand? Viele, die meistens gar, hätten wohl abgewartet, was sich aus der Angelegenheit entwickelt hätte, hätten unter Umständen schlicht die Stadt verlassen oder sich selbst bemüht. Für letzteres fehlten Anna jegliche Kontakte in Finstertal. Sie hatte schlicht nicht den Einfluss, diese Angelegenheit selbständig zu verschleiern. Was die Prinz ihr als Fehler ankreidete, war bewusst von der Tremere gewählt worden. Sicher, das Urteil wurde ohne Beteiligung ihres Clans gesprochen und sie hatte die Chance vergeben, ein milderes Urteil zu erhalten. Gleichzeitig hatte sie eine Schuld der Regentin gegenüber der Prinz verhindert und der Prinz maximale Handlungsfreiheit gelassen. Das Ergebnis mochte schlechter sein, als sie in ihren kühnsten Träumen zu hoffen gewagt hatte, doch es war weit, weit besser als alles mit dem sie gerechnet hatte.

„Unter anderen Umständen würde ich darum bitten den Grund des Tadels von Madame d'Auvergne erfahren zu dürfen, um einen solchen Faux Pas in Zukunft vermeiden zu können.“

Das war eine höfliche Umschreibung für: Egal, was ich getan hätte, die Archontin hätte eine Möglichkeit gehabt, es mir negativ aus zu legen und beliebte schlicht genau jenes zu tun. Ich selbst bin mir eines Fehlers in ihrer Gegenwart, den ich hätte vermeiden können, nicht bewusst. Und es zeigte den Biss, der in der Tremere steckte, nicht ohne Absicht. Ihr Erzeuger würde frohlocken und sich an ihrem Scheitern ergötzen. Die Tremere war niemand, der leicht auf gab. Und sie hatte noch eine kleine Überleitung. Es wäre unanständig, ihre letzten Worte im Raum stehen zu lassen.

„Was soll mit der Waffe geschehen, mein Prinz? Ich kenne mich nicht mit Waffen aus, gehe jedoch davon aus, dass sie unter das Dekret fällt.“
 
"Über den Verbleib der Waffe mag Ihre Regentin entscheiden, Frau Reeben. Mir sind derartig niederträchtige Werkzeuge zu wider. Des Weiteren ist für Sie einzig von Belang, dass die festgesetzte Strafe auch den durch Madame D'Auvergne vermerkten, negativen Tadel aus Ihrer Akte entfernt. Es steht Ihnen nicht zu, die Anmerkungen einer Archontin in Frage zu stellen. Sie sind in ihren Augen negativ aufgefallen und ich rate dazu, sich die möglichen Fehltritte selbst vor Augen zu führen."

Ein kurzer fester Blick zu der Tremere folgte.

"Ihre Ausführungen zum Hergang des Traditionsbruches habe ich aufgenommen und akzeptiere ihn so."

Der Blick der Prinz wurde hart. Es fiel Lena noch immer schwer, sich ihr Mitleid nicht anmerken zu lassen, doch ihre Gesichtsmuskeln versahen ihre Arbeit mit der Genauigkeit eines Schweizer Uhrwerks. Nichts war ihr anzusehen außer dem was gesehen werden sollte.

"Da Ihre Degradierung mit sofortiger Wirkung Gültigkeit besitzt, haben Sie nicht mehr das Recht sich ohne Vormund innerhalb der Akademie aufzuhalten. Sie dürfen gehen!"
 
Sie hatte noch einiges sagen wollen, noch einiges fragen.

Ganz zum Schluss hatte sie der Prinz für ihre Gnade und ihren Schutz danken wollen. Sollte sie es immer noch tun? Bisher war kein Wort in dieser Richtung von ihren Lippen gekommen. Doch ihr war der Mund verboten worden. Die anderen Dinge waren lächerlich im Vergleich dazu. Sie waren kleine Probleme. Nichts, was sie nicht selbst in Erfahrung bringen konnte, aber die Prinz hätte es unter Umständen nicht mehr als ein paar Worte gekostet. Haarfärbungen waren bei Vampiren eine vergebliche Liebesmühe. Sie veränderten die Struktur des Haares und die erneuerte sich jede Nacht. Aber verhielt es sich mit schlichten Tönungen ebenso? Farbe, die heraus waschbar war und nur zehn Haarwäschen lang oder so hielt? Make Up bröckelte ja auch nicht einfach über Nacht vom Gesicht ab, wenn es nicht entfernt wurde. Oder kannte die Prinz einen Perückenhersteller, der schnell arbeitete? Sie hielt es für angebracht, ihr rotes Haar in der nächsten Zeit zu verbergen. Ob sie auch zu einer Brille mit Gläsern ohne Stärke greifen sollte? Oh, eine dunkle Sonnenbrille würde sie sich definitiv besorgen, eine große, die die Augen komplett verbarg. Das war sinnvoller als irgend ein Verband um den Kopf.

Durfte sie sich die Worte noch erlauben? Durfte sie der Prinz danken? Ihre Entlassung war eindeutig, das Wort ihr entzogen. Anna hatte keine Übung darin, Dankbarkeit in ihren Blick zu legen oder andere Ausdrücke. Bei Menschen fiel es ihr etwas leichter, sich zu erinnern, aber hier? Was sie auch tat, wieder war sie in einer Situation geraten, in der sie nurhandeln konnte, und in der alle Optionen falsch waren, wenn es dem Gegenüber beliebte.

Die Prinz hatte so eben bewiesen, dass sie sehr wohl verstand und das Spiel der Etikette gut beherrschte, hatte die Kritik an der Archontin vernommen, die Anna mit keinem offensichtlichen Wort, keiner offensichtlichen Geste ausgesprochen hatte. Sie hatte lediglich sehr indirekt um Unterweisung gebeten, was man ihr unter normalen Umständen nicht zur Last legen konnte. Es sei denn, man war ungnädiger Stimmung. Dann konnte man alles. Auf der anderen Seite wurde exakt dieser Tadel aus ihrer Akte gelöscht durch ihren viel größeren Fehler. Oder vielmehr durch die auferlegte Buße. War das ein weiteres Zeichen des Mitgefühls und der Nachsicht mit der Tremere? Die Prinz war schwer, sehr schwer zu lesen und Anna war sich alles andere als sicher.

Stumm und mit neutralem Gesichtsausdruck sank die Tremere in einen tiefen Knicks mit Verbeugung, die sie deutlich für einige wenige Sekunden hielt. Sie hatte nicht mehr das Recht, von allein auf zu stehen. Allerdings war sie den Räumen verwiesen worden und das Recht, nein, die Pflicht damit erteilt.

Die Adeptin wandte sich nicht von der Prinz ab, während sie zur Tür ging, doch sie blickte sie auch nicht mehr an. Ihr Kopf blieb respektvoll geneigt. Sie schien mit fast traumwandlerischer Sicherheit die Tür zu finden und schloss dieselbe von aussen ohne ein unnötiges Geräusch zu erzeugen.

Vor der Tür gab es kein Aufatmen. Sie richtete sich lediglich auf und verließ ohne weitere Umschweife die Akademie. Sie hatte noch einiges vor sich und das war alles andere als angenehm. Die Nacht war nicht mehr jung und sie hatte nicht mehr viel Zeit.

Ihren Dank würde ihr Vormund ausrichten müssen.
 
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