Anna war natürlich vollkommen brav raus gegangen und hatte für Reichert sogar noch ein kleines Nicken übrig gehabt. Sie hatte noch einen kleinen Ansatz gehabt, dessen Erfolg zweifelhaft gewesen wäre. So direkt hinaus komplimentiert von ihrer Regentin gab es nicht den geringsten Anlass oder Möglichkeit diesen um zu setzen.
Draussen vor der Tür stellte Anna sich an ein Fenster und bemühte ihren Laptop mit dem entsprechenden Stick. Sie wusste ja nicht genau, wie lang die Regentin brauchen würde. Es war der russische Kulturverein, der sie interessierte. Als erstes interessierten sie nicht irgend welche Berichte von der Schießerei, sondern sie wollte den Nachnamen des Wirtes Aljoscha heraus finden. Da der Verein eine Seite besaß, sollte er durchaus im Bereich 'Team' oder ähnlichem aufgeführt sein. Hoffentlich lebte er!
In einem hatte die Regentin absolut Recht: Direkter Widerspruch war etwas, was Anna einem Höher gestellten so gut wie nie als direkten Widerspruch entgegen bringen würde. Sie würde versuchen Bedenken zu äußern, auf sich aufmerksam zu machen oder Schuld für Unverständnis vor schützen und um Erklärung bitten, aber auch diese Dinge nur, wenn sie es wagte. Die Adeptin wendete sich sofort ihrer Regentin zu und klappte ihr Gerät zu.
Leider (oder auch nicht leider) hatte die Regentin durchaus auch dazu gelernt, was Anna betraf und involvierte sie mit einer direkten Frage.
Mindestens ebenso bedauerlich war, dass Anna sich in vielen Dingen höchstens auf Vermutungen stützen konnte und viel zu wenig wirklich wusste.
Das machte eine Beurteilung der Situation nicht einfacher. Das aktuelle Urteil der Archonten vereinfachte die Angelegenheit genau so wenig. Allerdings deutete die Regentin bereits etwas an, etwas, was auch zuvor am Abend schon durch geklungen war.
„Mir fehlen einige wichtige Informationen, um mir zu dem Thema eine grundlegende Meinung bilden zu können.“, begann sie deshalb mit ihrer Antwort. „Wenn Herr Grimm für sich mit einem zufrieden stellenden Ergebnis nach Wien abgereist und unserem Haus weiterhin positiv gegenüber eingestellt ist, lässt sich auf den Rückhalt zu mindest eines Teils von Wien bauen.
Sollte seine Stimmung nicht ganz so positiv sein,“ was auch nach dem, was Anna gesehen hatte, weitaus eher der Fall war. „ wäre zu überdenken, wie er zu Lord Johardo steht.“ Anna hatte in dieser Hinsicht nicht so viel mit bekommen. Grimm neigte dazu, sich über alles und jedem gegenüber eher abfällig zu äußern, wenn er es sich leisten konnte. Sie begab sich da auf ein ziemlich übles Feld der Spekulationen. Wenigstens schien es ihr fast sicher, dass er kein Freund Johardos gewesen war und es war doch sehr fraglich, ob der Clan jemand neutralen schicken würde in so einer Situation.
„Es könnte Sinn machen sich zu positionieren, wobei beide Optionen schwierig sind. Die eine ist in höchstem Maße fragwürdig auf Grund der Ergebnisse, von denen sie berichtet haben und die andere, nun, sie werden besser einschätzen können als ich, ob sie überhaupt noch eine Option dar stellt.
Wenn es keine weitere Partei mit ähnlichem Rückhalt gibt, könnte es sich als diffizil erweisen gleichzeitig so wohl Wien als auch Warschau mit unfreundlichen Augen nach Finstertal blicken zu lassen.
Korrigieren sie mich bitte, wenn ich mich irren sollte. Aber kann es sein, dass der Mann unter Umständen gar nicht viel Wahl in der Art seines Verhaltens hatte? Unter Umständen sind wir den falschen Weg gegangen und es wäre besser gewesen, direkt und nur über die Schwester zu gehen, bevor sie telefoniert hat. Der Weg über das Krankenhauspersonal dürfte derzeit nicht mehr offen stehen. Es würde mich nicht wundern, wenn Dr. Reichert sein Personal instruiert. Obwohl er uns vielleicht nicht für impertinent und dreist genug hält. Bei zügigem Handeln lässt sich eventuell noch etwas über die Schutzpolizisten erreichen. Eine andere Möglichkeit wäre der Kommissar, aber wohl keine mehr für die heutige Nacht. Für das Erste halte ich die Drohung von Dr. Reichert für leer ihn direkt zu informieren. Er ist in zu viel involviert um an dieser Stelle voreilig zu handeln, möchte ich meinen."