Gustav von Bredow hatte es nicht übermäßig eilig, im Gegenteil, er verabscheute übertriebene Hast. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten sie die Sache im Elysium ausgesessen. Aber es ging ja nicht nach ihm. Noch nicht.
Auf der anderen Seite boten sich ihm hier nun gleich mehrere Gelegenheiten. Zum einen war er vom der Primogena Hagen geradezu dazu aufgefordert worden sein Netzwerk auszubauen, eine Bitte der er nur zu gerne nachkam. Alles zum Wohle der Stadt natürlich, dachte er zynisch.
Zum anderen zwangen ihn die Ereignisse sich um ein paar private Angelegenheiten zu kümmern und dazu diente ihm der Vorwand gerade recht, das Elysium zu verlassen, um dies abseits der allzu neugieren Augen und Ohren von Helenas Spionen zu erledigen.
Da seine Prioritäten klar strukturiert waren, kümmerte er sich erstmal um seine Angelegenheiten.
In einem Hauseingang gegenüber vom Finsteraler Abendblatt suchte von Bredow etwas Schutz vor dem unangenehmen Wetter. So konnte er das Gebäude beobachten, ohne vom Pförtner gesehen zu werden, während er mit seiner Sekretärin telefonierte.
Klar, heutzutage, nannte man die Personal Assitant, Projektassistenz oder Communication Manager. Wie auch immer, solange sie Anrufe entgegen nahmen, Post und Termine organiserten, würden sie Sekretäre bleiben.
Er diktierte ihr einige Anweisungen, zur Umschichtung von Vermögenswerten, die eventuell durch die Anschläge kurzfristig an Wert verlieren könnten und beriet sie auch kurz darin, wie sie die Börsen von New York und Tokio dafür nutzen könnte, die jetzt noch geöffnet waren. Ohne Zweifel würde der DAX morgen einen verlustreichen Tag haben, aber glücklicherweise konnte man auch auf Verluste wetten und damit Gewinne machen.
Als Zweites sandte von Bredow noch eine kryptische Textnachricht an Herrn Krüger, den Assisten von Simon Kauwell:
"Polizei wird erneut Verbindungen zu Tumulten an Hotels untersuchen, anstatt sich auf offensichtlich islamistischen Hintergrund der Anschläge zu konzentrieren."
Krüger und Kauwell würden schön wissen, was sie damit machen müssen.
Dann wandte sich der Ventrue den Finstertaler Abendblatt zu. Er war etwas enttäuscht, dass es so verschlafen wirkte. Er hatte erwartet, das an einem ereignisreichen Abend wie diesem der Laden wie ein Bienenstock brummt und nicht nur die Druckerei Überstunden bis in den frühen Morgen macht.
Aber es war ja nicht der erste Terroranschlag in der Welt. So langsam gewöhnten sich die Menschen wohl an den permanenten Ausnahmezustand. Oder wie es der Radiosprecher während der Taxifahrt monoton formuliert hatte: "Heute Abend starben 40 Menschen bei Explosionen in der Finstertaler Innenstadt. Und nun zum Sport..."
Selbst der Taxifahrer ärgerte sich lediglich über die Straßensperren, die sein Geschäft beeinträchtigten.
Jawohl, die Gleichgültigkeit der Menschen über das Schicksal anderer war immer noch eine der stärksten Säulen der Maskerade, sinnierte von Bredow.
Nun denn, wie dem auch sei. Bringen wir es hinter uns.
Gustav von Bredow schritt also zum Eingang und klopfte mit dem Knauf seines Regenschirms an das Fenster des Pförtners.
"Guten Abend guter Mann. Mein Name ist von Bredow. Ich bin heute Abend mit Herrn Manuel Bertels aus der Wirtschaftsredaktion verabredet. Es geht um ein Interview für einen seiner Artikel. Können Sie mich bitte reinlassen? Hier draußen holt man sich noch den Tod."