[11.05.2008] Am alten Wasserwerk

Wie recht der Alte hatte.
Ziege spieh einen großen Brocken Schleim aus, der sogar nach Maßstäben der Nosferatu widerlich roch. Es folgten ein Röcheln und heftiges Atmen. Es klang als wolle Ziege in kürzester Zeit soviel Luft in seine Lungen pumpen wie nur irgendwie möglich.

"Danke!", keuchte er mit belegter Stimme. "Nicht wieder zumachen! Bitte! Ich kann euch helfen...."

Ein heftiger Hustenanfall lies ihn verstummen. Ein weiterer Schleimbrocken fiel klatschend zu Boden.
Zähflüssiger Sabber lief dem Luden aus dem Mundwinkel.

"Nimm mich runter! Bitte! Nur für einen Moment. Ich flehe dich an, wer immer du bist...."
 
Evangelistos Hilfsbereitschaft war nicht sonderlich ausgeprägt, der Rest von Zieges Worten prallten an der inneren Mauer des Nosferatu ab. Ganz im Gegenteil wurde diese sogar gerade vehement verstärkt.

Ziege war ja angeblich ein ziemlich harter Brocken. Aber die letzten Tage dürften ihm trotzdem recht stark zugesetzt haben. Zumindest blieb das zu hoffen.

Trotzdem ging er auf die Worte des Gefangenen ein. "Atme." sagte er fast ausdruckslos, denn gleichzeitig huschten verschiedenste Gedanken hinter der Stirn des Ahnen umher. Was wäre, wenn Zieglowsky gar nicht atmen müsste? War es bewiesen, dass er es musste?

"Um mir zu helfen müsstest du wissen, was mir fehlt." Evangelistos stellte sich seitlich neben den Lakaien Zachariis und ließ eine Armeslänge Platz zwischen ihm und sich. "Außerdem bist du in einer ziemlich misslichen Lage, um anderen zu helfen. Zumindest macht das auf mich den Eindruck.

Wer bist du?"

Evangelistos gab Ziege Zeit und Raum um zu antworten. Das hier war schließlich kein Verhör, zumindest vom Verfahren her nicht.
 
"Wenn ich nichts für dich tun könnte, wärst du nicht hier!"

Ziege atmete.
Schwer und röchelnd.
Langsam kehrte das Leben gänzlich in seine Glieder zurück. Und damit auch sein unerschütterliches Selbstvertrauen.

"Ich habe keinen Schimmer wer du bist, aber ich gehe mal fest davon aus, dass ich älter bin als du! Älter, verstehst du? Und im Gegensatz zu dir aber, lebe ich! Ich muss Atmen, fressen, scheißen und pissen. Ich kriege ne Latte wenn ich ne hübsche Schlampe sehe und bin stockbesoffen, wenn ich zwei Flaschen Whisky in mir habe. Sag mir Fremder, was davon kriegst du noch auf die Kette? Du, der du jünger bist als ich!"

Das für Ziege so typische meckernde Lachen erklang. Jeder der es einmal nur gehört hatte, würde es unter tausenden wiedererkennen.

"Ich gebe zu, dass meine Lage im wahrsten Sinne des Wortes derzeit ziemlich beschissen ist! So richtig beschissen! Weißt du eigentlich, dass sich alle Schließmuskeln öffnen, wenn man stirbt? Der einzig wirklich miese Nachteil an meiner Form der Unsterblichkeit!"

Ziege versuchte ein Blinzeln, aber es mißlang im gründlich. Hinter seiner coolen Fassade rangen Panik und Verzweifelung um den ersten Platz.

"Trotzdem werde ich auch das überleben! Irgendwann wird der Strick reißen an dem ich hänge. Kettenglieder rosten, irgend ein Tier zerfrisst die Folie die über meinem Gesicht hängt weil es unbedingt an meine köstlichen Augäpfel heranwill. Weißt du, ich will nicht so tun als würde es mir hier gefallen. Tut es nicht! Aber ich fürchte das sterben nicht und ich werde hier wohl noch immer sterben, wenn du längst vergessen bist. Oder aber ich bin frei! Und dann rate was ich machen werde? Wie würde es dir gefallen wenn dich jemand jagt der niemals aufgibt, den man niemals los wird und der im wahrsten Sinne des Wortes alle Zeit der Welt hat?"

Das Kichern wurde rau.

"Also lass uns reden! Verhandeln! Mehr verlange ich nicht! Nur einen Moment Verschnaufpause, die Welt mal richtig rum betrachten und mir vielleicht den Arsch abputzen....."
 
Evangelistos würde sich nicht bezüglich seines Alters aus der Reserve locken lassen. Sei es nun nur ein Spruch Zieges gewesen, um seine Überlegenheit zu zeigen, oder der Versuch seinen Gegenüber einzuschätzen.

Nun, der Typ hatte sich schnell gefangen und war in den Trott gefallen, vor dem man den Nosferatu bereits gewarnt hatte. Wie würde das erst aussehen, wenn der Mann frei und ungezwungen unterwegs war? Bestimmt ein liebenswürdiges Bürschchen.

Bei den Worten Zieglowskys wanderte der Blick des Vampirs tatsächlich zum Seil hinauf. Es sah noch ganz passabel aus, wobei das zugegeben relativ war, wenn man in Jahren rechnete.

Trotzdem fielen dem Nosferatu gleich ein Haufen an Todesarten ein, die auch für einen Mann namens Zieglowsky ziemlich endgültig waren. Offenbar war er noch nicht zu oft in ähnlichen Nöten gewesen wie heute, was wiederum für die Qualität seines Wesens sprach.
Insbesondere da man mit einem derartig losen Mundwerk gesegnet war, hatte man in der Regel sicher keinen wirklich großen Freundeskreis.

"Du hängst da ganz gut und außerdem mache ich mir nur die Hände schmutzig, wenn ich dich da runter hole. Dabei weiß ich nichtmals, was du wert bist."
 
"Ne Menge! Ich locke sogar die wortkargen Fremden zu mir hinunter in die Tiefe!"

Das meckernde Lachen war verstummt.

"Anscheinend hältst du nicht sonderlich viel von mir....?"

Ohne nachzusehen ob dieser wirklich ebenfalls mit im Raum war, wandte sich Ziege an Lurker.

"Hast du ihm gesagt worum es bei mir geht, oder hast du den Mann im unklaren gelassen, Lurker? Du bist hier doch irgendwo, oder? Der Schacht, die Tüte... stinkt verdammt nach Kanalratte wenn du mich fragst..."

Ziege lies unerwähnt das Lurker vor kurzem (Oder langem? Ziege wusste nicht wieviel Zeit überhaupt vergangen war...) mit ihm gesprochen hatte um ihm ein paar Grüße von Melody auszurichten.

Süße Melody! Verfluchte Melody! Dreckige Schlampe! Verräterin, Hure....

"Ach, scheißegal! Sag was ihr von mir wollt oder zieht mir diese verfickte Tüte wieder über den Kopf! Aber lasst euch eins gesagt sein! Wenn wir nicht jetzt und hier verhandeln, werden wir niemals mehr verhandeln. Die Tremere werden kommen und meine Herausgabe fordern. Die Toreador werden jeden Winkel in dieser Stadt ausleuchten. Sie werden, jeden Gang und jedes Versteck ausräuchern und dann werdet ihr sehen was euer Stolz noch wert ist! Redet mit mir! Von Mann zu Mann, oder ich schwöre bei meinem Herren ich werde auf eure Asche pissen!"
 
Ziege schien sein Schicksal nicht ganz so egal zu sein, wie er vorab betont hatte. Jedenfalls schien es ihm deutlich lieber zu sein, hier eine Einigung zu erzielen, als auf die Tremere oder Toreador zu warten.

Andererseits traute Evangelistos ihm zu verstockt genug zu sein, sich hier und jetzt wieder "einschweißen" zu lassen, wenn das Gespräch nicht nach seinem Plan lief.
Nun, man würde sehen.

Was er ihm zunehmend nicht mehr zutraute war, dass er seine Plastikfesseln zerreißen könne. Das hätte er zumindest ansatzweise jetzt schon probiert. Und dass es daran schon haperte, machte Evangelistos fast ein klein wenig traurig.

"Wir reden schon" stellte der Grieche trocken fest. "Und wenn du nicht mehr reden magst, dann nehme ich dich erstmal in- und auswendig in Augenschein.
Wenn das für dich okay ist, dann schweig, sonst rede jetzt. Wir können das auch gerne 'verhandeln' nennen.
Sag schon, was kannst du mir bieten?"

Und dann ließ ich der Nosferatuahn doch noch auf persönlicher Schiene auf Ziege ein, obwohl er eigentlich das Gespräch ganz objektiv führen wollte.

"Was kannst du überhaupt?

Außer 'unsterblich' zu sein?" Lassen wir ihn doch erstmal in dem Glauben. "Mir erscheint dein Leben ein ziemlich unbedeutender Schmutz zu sein."
 
Ziege lachte schallend.

"Du drohst mir damit mich zu töten, Lutscher? Willst mir meine Eingeweide rausreißen? Du erbärmlicher Pisser! Ich wünsch dir viel Vergnügen! Pah! Stell dich artig in die Reihe! Ich bin der Diener eines Tzimisce, das Versuchsobjekt eines Tremere und das Spielzeug eines sadistischen Toreador. Garou haben mich zerissen und Ratten gefressen... Ich würde mich ernsthaft wundern wenn du mir auch nur den kleinsten Laut entlocken könntest. Von einem herzhaften Gähnen vielleicht mal abgesehen..."

Er spie einen weiteren Brocken Schleim aus und blies verächtlich aus der Nase.

"Du willst wissen was ich kann? Ich kann dir sagen was DU mich kannst!"

Nach diesem Ausbruch schwieg Ziege.
 
Das mit den Garou war mittelmäßig beeindruckend für Evangelistos. Er war zumindest bis jetzt davon ausgegangen, dass es ausreichen müsste Ziege in Streifen zu schneiden, um ihn endgültig aus dem Leben herauszubefördern. Wenn die Sache mit den Garou und den Ratten stimmte, dann sah die Sache vielleicht etwas anders aus.

Blieben nur noch die halbes Dutzend anderer Todesarten, die dem Nosferatu in den Kopf kamen. Aber das war eh immer noch nebensächlich für den Ahn. Ein endgültig toter Zieglowsky konnte nicht sein Ziel sein. "Du wirst mir dienen lieber Zieglowsky, ob vorübergehend tot oder lebendig ist was mich angeht ziemlich nebensächlich. Ob du um dein Leben bettelst oder nicht spielt auch keine Rolle. Und selbst dass du dich laufend selbst überschätzt ist vollkommen unerheblich.
Dass du aber nichtmal begreifst, dass wohl niemanden an deinem endgültigen Tod gelegen ist, ist erstaunlich lachhaft."

Mit diesen Worten riss sich der Ahn seinen linken kleinen Finger ab und stopfte in mit der offenen Seite in Zieges Mund. Der Ahn arbeitete schnell und zielgerichtet dabei und seine Kraft war überirdisch. Trotzdem war er bedacht Ziege keine weitere Angriffsfläche zu bieten. Womöglich würde er nach ihm schnappen wollen. Viel mehr war ihm in dieser Lage auch nicht zuzutrauen. Aber man wurde nicht hunderte von Jahren alt, wenn man solche Dinge dem Zufall überließ.
Hochkonzentriert ließ er Ziege das Blut aus seinem Finger aufnehmen und hinderte ihn daran es auszuspucken. Seine Rechte presste er dazu mit hartem Griff ins Gesicht Zieges. Mittel- und Zeigefinger oberhalb des Jochbeins unter die Augenhöhlen gelegt und den Daumen unter das Kinn des Gefangenen. Sein Handteller verschloss dabei den Mund des Gefesselten.

Viel Erfolg versprach sich Evangelistos nicht unbedingt von der Prozedur. Ihn zu binden dürften sicher schon mehreren Vampiren in den Sinn gekommen sein. Sein Blut mochte davon das Mächtigste sein, aber trotzdem stellte sich der Nosferatu eher auf einen bissigen Kommentar seitens Ziege ein.

Als der Kainit sicher war, dass Ziege sein Blut gekostet hatte, wischte er Ziege mit einem trockenen Lappen das Gesicht ab, nahm dann das Klebeband aus seiner Tasche, zog es mit diesem unverwechselbaren Geräusch von der Rolle ab und wickelte es gr0ßzügig wieder um Zieges Kopf. Sollte er doch erstmal wieder in das Schicksal geführt werden, um das er so rührend gebettelt hatte.

Out of Character
Wenns geht packt Evangelistos seinen Finger danach wieder ein.


Dann nahm der Ahn wieder Abstand von der Gestalt und beobachtete mit aller Hingabe seines Geistes den Todeskampf Zieges. Seine Sinne waren dabei erneut bis zum Zerreißen gespannt und bedienten sich dabei auch der für menschliche Sinne unerreichbaren Ebenen der Sinneswahrnehmung.

Dann setzte er sich auf den dreckigen Boden und schlug die Beine unter. Zunehmen umwölbten Gedanken seine Stirn und gingen sein weiteres Vorgehen durch. Einen unsterblichen Diener in Ziege zu haben war wenig interessant für den Ahn. Vielmehr ging es darum das Mysterium seines Wesens zu ergründen. Wie konnte Ziege so effizient existieren ohne den kainitischen Flüchen unterworfen zu sein. Und wie konnte das Wissen um diese Eigenarten dem Clan der Nosferatu zu Hilfe geneigen?
Die Suche nach einer Möglichkeit den Kainsmakel abzuwerfen hatte eine lange Geschichte unter alten Kainiten. Womöglich war lag hier der Schlüssel dazu. Nur wie ergründete man so ein Mysterium, das bisher kein Vampir ergründen konnte?

Und falls das nicht gelänge, wäre es das Risiko wert das unwahrscheinliche Ergründen seiner Wesenheit dem Clan der Hexer in die Hand zu legen? Für Zieglowsky konnte man problemlos einen Gefallen vom Clan der Ursupatoren einfordern, der den Nosferatu dauerhaft nutzen würde. Aber was wenn diese es schaffen würden das Mysterium zu ergründen? Dieses Wissen würden sie niemals teilen. Nichtmal wenn man dieses Geschäft zuvor mit Blut besiegelt hatte.

Und dann waren da noch die jetzigen Herrscher dieser Stadt. Sie würden Evangelistos nicht offen operieren lassen. Nicht aus freien Stücken zumindest.

Der Ahn ging weiter in sich und wartete auf Lurker, dass er ihn aus dieser Zelle befreie.
 
Ziege den Finger in den Mund zu stopfen stellte nicht das geringste Problem dar. Der Lude wehrte sich nicht, allein Verachtung lag in seinem Blick als er scheinbar genüßlich auf dem toten Fleisch herum kaute. Kein Wort kam mehr über seine Lippen, ebenso keine andere Form der Gegenwehr. Sogar das umwickeln seines Kopfes ließ er schweigend über sich ergehen.

Dann ging ihm die Luft aus. Ziege nutzte die letzten Sekunden seines Lebens um seinen Blick auf den Griechen zu heften. Noch immer lagen tiefe Abscheu und große Wut in seinen Augen. Dann irgendwann brache sie und Ziege glitt einmal mehr ins Nichts hinab.

Diesen Übergang jedoch als Todeskampf zu bezeichnen wäre stark übertrieben. Ziege war hundertfach, nein tausendfach getötet worden. Aus wissenschaftlichen Zwecken, zum sadistischen Vergnügen, zur Strafe und am häufigsten wohl einfach nur aus reiner Langeweile. Evangelistos konnte es nicht wissen, Lurker konnte es nicht wissen, aber Sterben gehörte für Ziege mittlerweile zur Existenz dazu. Sein Körper und sein Geist hatten sich an diesen für Menschen so erschreckenden Übergang gewöhnt.

Sicher konnte Ziege Schmerzen empfinden. Aber auch an die hatte er sich mit den Jahrhunderten gewöhnen müssen. Hier in diesem Moment jedoch erlitt er ja nichteinmal die.

Er erstickte!
Starb also einfach nur...

Seine Lungen meldeten den Sauerstoffmangel, seine Nerven brüllten das den Zellen der Sauerstoff ausging.
Sein Gehirn jedoch winkte desintressiert ab und weigerte sich, sich gegen den kommenden Tod zu wehren.

Schon wieder........
 
Vampirisches Blut zu konsumieren schien keine weiteren Auswirkungen auf Zieglowsky zu haben. Präsenz und Behrrschung war ebenso auszuschließen, sonst wäre er den jeweiligen Herrschern der Stadt nicht so lange ein Dorn im Auge gewesen.

Und doch war er nur ein Diener. Zacharii war tot. Was nährte ihn also? Es ging bei dieser Überlegung nicht um Ernährung im konventionellen Sinne. Allen Informationen nach generierte Zieglowsky sein eigenes Blut. Aber was gab ihm diese Macht so dauerhaft? Was erweckte seinen Lebensfunke immer wieder aufs Neue?

Der Ahn erhob sich und suchte Zieges "verschweißten" Körper aus allernächster Nähe ab. Mit der Kraft des Auspex versuchte er Fäden oder andere Verbindungen zu erspähen, die zu ihm hin oder von ihm weg führten.

Erst als das saugende Geräusch der Tür erklang und Lurker ihm öffnete ließ Evangelistos von dem Leichnahm ab.

[00c]Wenns am nächsten Abend ist, hat Evangelistos natürlich zwischendurch gepennt.[/ooc]

Die Tür war kaum wieder fest verschlossen, als sich hunderte von Ratten um den Nosferatu scharrten. Sie liefen mit ihm mit, kletterten an ihm herauf, fiepten und fauchten bisweilen sogar. Die größten unter ihnen schafften es bis zu seinem Oberkörper oder seinen Schultern hinauf. Sie verharrten dort nur kurz und sprangen dann bei der nächsten Gelegenheit von dort auf ein Rohr oder in eine Mauernische. Es war ein ständigen Kommen und Gehen.

Evangelistos schien in Eile zu sein und sprach nur wenige Worte.

Out of Character
Gespräch zum Primogentreffen vertage ich mal auf den (oder einen) anderen Thread.
 
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