AW: [08.05.2008] Lilly bei Enio in der Akademie
„Natürlich war das Scheiße. Ich hab doch extra gesagt, nicht bis zur Starre draufkloppen.
Ich hatte gesagt ich sag ´Stopp´, wenn ich merke, die Hungerraserei ist nicht mehr fern, und dann bitte nicht mehr draufkloppen. Ich hätte Stopp gesagt, dazu bin ich nicht zu stolz, aber er war´s offenbar.“
Na ja, dann musste er eben ein Blutsband in Kauf nehmen.
„Und ich hätte auch den Kampf abgebrochen, wenn ich gemerkt hätte, dass Max der Hungerraserei nahe ist, aber ich hab´s nicht gemerkt, leider.
Aber klar, das Beste wär natürlich gewesen, so ein Kämpfchen ganz sein zu lassen.
O.K., ich bring Max dann also gleich mit Steven hier her.“
Lilly dachte sich, dass es ganz gut wäre den Brummschädel zu erwähnen.
„Klingt zwar wie ne schlechte Ausrede, aber seit gestern Nacht bin ich irgendwie matschig in der Birne. Irgendwann nach Mitternacht fing das an. Kann kaum geradeaus denken. Und kaum wach ich heute Abend auf geht´s mir noch schlechter, also irgendwas stimmt da nicht, normalerweise müsste man erholt sein nach dem Tageschlaf. Körperlich sieht es auch schlecht aus heute, der Kampf war so was von mühselig vorhin. Das würd ich nicht jedem erzählen wie sehr ich am Arsch bin, aber ich dachte mir dir sag ich´s besser. Die völlig einzige Person bin ich da jedenfalls nicht, Steven geht´s ganz genauso. Wenn´s noch mehr Leuten so geht, schlecht. Umso schlechter, wenn keiner was sagt, weil man zu stolz ist und nicht schwach erscheinen will. Wie soll man dann der Ursache auf die Spur kommen.“
Lilly vertraute Enio also offenbar genug, dass sie annahm er würde es nicht ausnutzen, dass er wusste, dass sie geschwächt war.
„Und das Seltsamste ist noch: Kaum komm ich hier in die Akademie rein, fühl ich mich plötzlich frisch und munter. Da bin ich doch gespannt, ob ich wieder abschlaffe sobald ich wieder nach draußen gehe.
Das warum ich mit dir sprechen wollte ist aber was anderes.
Es sind mehrere Sachen. Die Geißel, die Hüterin, ein brenzliger Konflikt mit Jenny und damit in Verbindung stehend ein Maskeradebruch.
Fang ich mal mit der Geißel und Helena an, denn das steht in engem Zusammenhang. Du wolltest ja, dass ich ihn ausspioniere, und das geht natürlich schlecht, wenn ich ihn links liegen lasse und unfreundlich zu ihm bin. Außer ich könnte ihm unsichtbar hinterherschleichen - kann ich aber nicht.
Habe also einen guten Kontakt zu dem Typen aufgebaut, wir duzen uns seit wir vorgestern Kampfgefährten waren. Da könnte ich viel erzählen, ich weiß ja nicht wie ausführlich du´s haben willst. Bisher gab´s jedenfalls noch nichts was total gegen Malik spricht, aber ich bleibe am Ball.“
Dass sie so nah an Malik herangekommen war konnte sie doch als Erfolg verbuchen. Sie sprach jedoch von ihm als sei er ihr total gleichgültig. Nichts verriet, dass ihr auch nur das kleinste Bisschen an ihm lag.
„Allerdings hat dieser Spionagejob jetzt so langsam für mich unangenehme Nebenwirkungen. Vielleicht sagst du Helena mal, dass ich das in deinem Auftrag mache?
Man hat ja bei der Krisensitzung gemerkt, Helena hat was gegen Malik, und jetzt hat sie auch was gegen mich, weil sie gemerkt hat, dass ich mich an ihn drangehängt habe. Jetzt hetzt sie gegen mich, sogar Ramon gegenüber, und das finde ich echt nicht witzig. Sie stellt mich hin als wär ich sowas von verdächtig. Bestimmt wird sie bei dir auch noch damit ankommen, falls sie das nicht schon längst getan hat.
Es gäbe bei mir Ungereimtheiten. Ich würde mich an alle Neuen ranschmeißen. Alle ist übertrieben. Und nein, ich rekrutier mir nicht ne Privatarmee um dann hier gegen die Domäne vorzugehen. Ich hab einfach bloß Bekanntschaften geschlossen. Und es ist so, dass ich mich unter den Neuen wohler fühle, weil man da nicht so misstrauisch beäugt wird. Die halten einen doch wenigstens nicht gleich für einen Spion.
Aber jetzt wo Helena mich einmal auf dem Kieker hat legt sie mir jede Kleinigkeit negativ aus, und am meisten kreidet sie mir an, dass ich mit der Geißel gut Freund bin.
Die Hüterin ist hier eine sehr zentrale Figur, sie kann mich also wunderbar überall durch den Dreck ziehen, und wem wird man glauben? Ihr. Denn sie kennt man ja, aber ich bin neu hier.
Nicht ohne Grund hab ich dich also um Schutz gebeten.
Man kennt mich hier noch nicht lange, es ist Krieg, ich kann verstehen, dass man da vorsichtig ist bei Neuen. Vielleicht siehst du mich im Moment nur als lästige Fliege, aber ich bin und bleibe Brujah, und du bist mein Primogen.
Als Neuer kann es einem schlecht ergehen, wenn man irgendwelche Amtsträger gegen sich hat, zum Beispiel Hüterin und Harpyie. Getan hab ich denen nichts.
Und ich hab echt keinen Bock darauf hier als der letzte Arsch zu gelten, nur weil eine Toreador mich nicht leiden kann und mich überall schlecht macht. Und ihre Anschuldigungen stimmen ja nicht. Ich bin hier nicht der böse Super-Spion, der Fieses gegen die Domäne plant.“
Lilly blickte grimmig drein.
Bisher hatte sie ja mit Enio nur am Telefon ein ausführlicheres Gespräch gehabt, aber am Telefon hatte sie ihm nicht in die Augen blicken können.
Nun blickte sie ihm ohne Scheu in die Augen, sie beugte sich ein wenig vor und sagte eindringlich:
„Ich kann´s nur nochmal betonen: Ich führe nichts Böses gegen diese Domäne im Schilde und wurde von niemandem zum Spionieren oder sonstwas hierher geschickt.“
Dann ließ sie sich wieder zurücksinken.
Wer wie Max eine Woche länger da war, der war ja so viel vertrauenswürdiger? So jemand könnte genauso gut ein Sabbat- oder sonstiger Spion sein. Diese Domäne war doch nicht erst seit gestern auffällig. Aber das sagte sie besser nicht.
„Und ich bin bereit, weiterhin für diese Domäne meinen Arsch zu riskieren.
Nein, ich erwarte nicht, dass du mir so schnell vertraust, aber ich erhoffe mir, dass wenigstens du genauer hinschaust.
Helena macht sich dazu ja nicht die Mühe, sie hat mich schon abgeurteilt obwohl sie nur kleine Informationsfetzen hat, die noch gar nichts beweisen. Was weiß sie denn über mich? Sie hat drei Puzzlestücke und meint das ganze Bild sehen zu können.
Ich möchte dich daher darum bitten, dass du ihr sagst sie soll nicht mehr über mich hetzen. Wenn sie was gegen mich vorzubringen hat, kann sie das doch bei dir machen anstatt bloße Vermutungen überall als Tatsachen hinzustellen. Zum Beispiel, dass es eine Lüge ist, dass es jemals eine Prügelei zwischen mir und Jenny gegeben hat. Und dass ich das bloß behaupte weil ich Jenny schlecht machen will. Echt dreist!
Ich hoffe mal, wenigstens du als mein Primogen bist da nicht so schnell mit dem Verurteilen.“
Aus Lillys Augen funkelte gerechter Zorn.
Man konnte sich gut vorstellen wie Lilly eine flammende Rede hielt.
Sie war eine von jenen Brujah, die sehr wortgewaltig sein konnten, die einen nicht nur mit den Fäusten, sondern auch mit Worten erschlagen konnten wenn sie in Rage gerieten.
„So wie ich erfahren habe hat Jenny sich hier schon ziemlich nützlich gemacht.
Es wäre aber weniger nützlich, wenn sie mir jetzt den Arsch aufreißt.
Ich weiß ja nicht ob sie das immer noch will. Es wär ja schon beinahe dazu gekommen. Also ich jedenfalls werde ihr nichts tun. Aber wenn sie mich körperlich angreift werde ich mich natürlich verteidigen.
Und Helena erzählt also jetzt herum, ich würde überall über Jenny hetzen. Das stimmt nicht, es sollten nur die Brujah was von unserem Konflikt erfahren.
Über das Ganze kann man sich sowieso nur dann ein vernünftiges Bild machen, wenn man die Details kennt. Und die kennt Helena nicht.
Hier also die volle Story:
Ohne Jenny wär ich ja sogar gar nicht hier. Ich wollte weg aus Frankfurt und hab überlegt wohin. Und da fiel mir ein ich hatte doch Jennys Ziehvater versprochen ihr eine Nachricht von ihm zu überbringen. Der Typ ist Nosferatu und Anarch, ich wusste also schon vorher, dass auch Jenny Anarch ist, dass sie hier in Finstertal wohnt und wo der Anarchentreffpunkt ist.
Also hab ich mich für Finstertal entschieden und bin dann hier hängen geblieben.
Beim Anarchentreffpunkt hab ich Jenny nicht angetroffen, hab dann von Lurker erfahren, dass sie öfters im Hovel ist. Bin also zum Hovel, dort bin ich dann erstmal nur auf Meyye getroffen. Wir sind raus, und dann tauchte da auf einmal eine Frau auf, die beiden haben sich begrüßt.
Das hätte Jenny sein können – dass sie es war hat mir aber keiner von beiden explizit gesagt, also hab ich nachgefragt ob sie es sei. Denn ich wollte die Nachricht doch nicht der falschen Person mitteilen. Ich war ganz normal freundlich, und Meyye hatte mich vorgestellt als Lilly vom Clan Brujah.
Da fängt Jenny an mich verbal anzurotzen. Auf so was kann ich ja mal gar nicht.
Ich hab nichts gegen Caitiff, im Gegenteil, ich hab ein Herz für die Benachteiligten, aber ich hab was dagegen grundlos angepöbelt zu werden.
Dennoch, das Beste wär´s gewesen, dann einfach zu gehen, das hätte mir ne Menge Ärger erspart. Aber hinterher ist man ja immer schlauer. Ich war eben zu stolz um die Pöbelei auf mir sitzen zu lassen. Jenny hat mich dann immer mehr provoziert, mich Schlampe genannt usw., so lange bis ich nur noch eins wollte: Draufhauen.
Um Jenny garantiert zu treffen, hab ich übernatürlich schnell zugeschlagen, und voll auf die Birne drauf. Das Dumme war nur, dass ne Horde Gaffer drumherum stand, lauter so prollige Rockertypen.
Tja, die Frau hat´s also geschafft, dass ich vor Zuschauern einen Maskeradebruch begangen hab. Sowas ist mir noch nie passiert. War ja zum Glück wenigstens nichts von der Art wo dann die Leute panisch schreiend wegrennen. Aber trotzdem Scheiße, sowas sollte mir nicht passieren, da könnt ich mir in den Arsch beißen.
Und dann hat sich endlich mein Verstand eingeschaltet. Denn zudem, ich war ja recht hungrig als ich da hinkam. In dem Zustand, nahe der Hungerraserei, hätte ich mich nie auf eine Prügelei einlassen sollen. Das hätte sehr böse enden können. Deswegen hab ich mich dann dazu überwunden die Schlägerei abzubrechen. Jenny hat dann die Gaffer weggeschickt. Jemand davon hat sie Jenny genannt, da also wusste ich schließlich, dass sie es tatsächlich war, sie selbst wollte es mir ja nicht sagen.
Dann hab ich ihr schließlich gesagt was ihr Ziehvater ihr ausrichten lässt, und ich hab keine Ahnung wieso, irgendwie hat sie da was falsch verstanden, und plötzlich stand sie kurz vor dem Explodieren. Ich hatte ihr auch gesagt, ich bin der Hungerraserei nicht fern, aber das war ihr ganz egal ob mich dort jemand in Raserei sieht.
Sie schaute mich hasserfüllt an und sagte, dass sie mich umbringen will, und ich hab in ihren Augen genau gesehen, die meint das ernst.
Ein falsches Wort von mir, und sie wär ausgerastet. Ich wusste aber nicht, was kann ich jetzt sagen, damit sie nicht ausrastet, also hab ich sicherheitshalber zu Trick 17 gegriffen, um das Schlimmste zu verhindern. Mach ich ja nicht gern bei einem Blutsauger, aber mir war´s eben wichtiger einen richtig fetten Maskeradebruch zu verhindern, bei dem vielleicht einer von uns beiden vernichtet wird.
Hat voll eingeschlagen bei ihr, plötzlich war sie lammfromm und stinkfreundlich, und so konnte ich also abziehen ohne dass es zu einem Kampf auf Leben und Tod gekommen ist. Diese Disziplin einzusetzen war also reine Notwehr.
Wenn sie dahinter gestiegen ist was ich da mit ihr gemacht habe, vielleicht hat sie ja deswegen jetzt immer noch so einen Hass auf mich, keine Ahnung. Meyye war übrigens nicht mit dabei als wir gekämpft haben, sie war vorher weggegangen.
Ach ja, und das war ja Nosferatugebiet, und ich hab da kurz von jemandem getrunken. Soll man ja nicht machen in fremdem Jagdgebiet, aber immer noch besser als wenn ich dann doch noch in Hungerraserei gefallen wär.
Und jedenfalls wollte ich nicht durch Jenny zu Asche werden, und ich weiß ja nicht wie die Frau so drauf ist, ob die der hinterhältige Typ ist, der einem auflauert.
Da dachte ich mir, wär doch nicht schlecht wenn ich den anderen Brujah sage was los ist, und dass es an Jenny liegen könnte, wenn ich spurlos verschwinde. Wie gesagt, könnte. Denn es könnte ja noch x-andere Ursachen geben warum ich plötzlich verschwinde. Aber ohne ein Wort des Abschieds aus dieser Domäne abhauen werde ich jedenfalls nicht.
Aber war anscheinend keine so gute Idee das allen Brujah sagen zu wollen, und vor allem im Café. Es saß niemand in unserer Nähe, und ich habe leise gesprochen, also muss uns jemand mit übernatürlichem Gehör belauscht haben und ist dann direkt zu Helena gerannt um zu petzen.
Aber das was ich da gesagt hab, das waren doch nur Bruchstücke, da hab ich das doch nicht so ausführlich erzählt wie dir jetzt.
Und die Tremere Anna Reben hat es leider auch mitbekommen. Denn sie wollte Max ja nicht von der Seite weichen. Hätte ich doch besser meinen Mund gehalten. Jetzt wird mir daraus nämlich ein Strick gedreht.
Helena behauptet ja jetzt, ich hätte Jenny mit Absicht in Verruf bringen wollen. Das stimmt überhaupt nicht. Helena hat doch bloß vom Hörensagen ein paar Informationsbrocken, und sie geht also davon aus dass ich bloß gelogen habe. Dass es diese Prügelei nie gegeben hat.“
Lilly lachte bitter auf.
„Da müsste ich ja schön blöd sein mir sowas auszudenken.
Da braucht man doch nur Jenny zu fragen, und sie wird doch bestimmt nicht damit hinterm Berg halten, dass es diese Prügelei tatsächlich gab.“
Die Brujah hielt kurz inne.
„Wenn du mich für den Maskeradebruch bestrafen willst, O.K., das ist völlig gerechtfertigt.
Aber ich würde mir wünschen, dass Helena aufhört mich bei der Harpyie und sonstigen Leuten schlecht zu machen mit fadenscheinigen Anschuldigungen, die weder Hand noch Fuß haben.
Vielleicht redest du mal mit Helena? Und mit Jenny?“
Konnte ja nicht schaden, wenn auch er noch mit Jenny redete. Denn konnte sie sich darauf verlassen, dass Marius da wirklich was bewirkt hatte? Doppelt gemoppelt hielt besser, und Lilly wäre froh sich diese Frau vom Leib halten zu können.
„Dass Jenny mich in Starre schlägt oder gar vernichtet, oder dass ich sie in Starre schlage um mich gegen sie zu wehren, das hat doch jetzt im Krieg genauso wenig Sinn wie mein zu hartes Kämpfchen mit Max.
Vielleicht gelingt es dir ja, ihr das zu vermitteln. Ich werde ihr jedenfalls nichts tun.
Ich gehe ihr aus dem Weg, und ich werde mich bemühen mich von ihr nicht mehr provozieren zu lassen.
Wenn ich die Bürgerschaft bekomme - und jetzt bin ich ja die vierte Nacht hier, könnte sie also theoretisch schon bekommen - und wenn ich lange genug überlebe, dann würde ich mich gern fest hier niederlassen. Und dann würde ich hier gern so eine Art Boxclub aufmachen, für Menschen, wenn du nichts dagegen hast.
Da hoffe ich einfach mal, wir können Zacharii erledigen.
Aber wenn du mich lieber nicht hier haben willst, dann gehe ich eben wieder.
So, das war´s. War ja ne ganze Menge.
Und wie gesagt - was ich so mit der Geißel erlebt habe, da kann ich dir auch noch Näheres erzählen, wenn du magst, jetzt oder später.“
Nun also schwieg Lilly, sie schaute Enio prüfend an und wartete ab.
Sie rechnete damit, dass Enio den Redeschwall erstmal verdauen musste ehe er sich dazu äußerte.
Und dann, käme dann eine Standpauke? Die war doch eigentlich überflüssig, denn Lilly hatte ihre Fehler schon längst selbst erkannt und sich innerlich geohrfeigt.
Oder vielleicht regte er sich ja jetzt nur darüber auf, dass sie zuviel von seiner wertvollen Zeit in Anspruch genommen und ihn vollgelabert hatte. Sie war ja bloß eine Fremde, Brujah zwar, aber zählte das überhaupt was?
Aber was war er für ein Primogen, wenn er das Gesagte jetzt als unwichtig abtat und nicht ernst nahm?
Tja, dann wäre sie hier der Willkür der Toreadoramtsträger ausgeliefert.