Die Verwendung der Wörter „kein“ und „Rollenspiel“ in einem Satz scheint bei einigen hier derartige Beißreflexe auszulösen, daß es ihnen unmöglich wird, eine Aussage im Zusammenhang zu lesen (damit meine ich nicht Ein Huhn). Darum hier noch einmal haarklein in anderen Worten ausgeführt.
Kinder schlüpfen beim Spielen frei assoziierend in verschiedene Rollen, dazu müssen sie weder angeleitet werden noch benötigen sie dafür Regeln. Es genügt, daß ihre Phantasie beflügelt wird, sei es durch Spielzeugfiguren („Playmobil“, „Barbie“), Kostüme mit passenden Accessoires (Cowboyhut und Spielzeugpistole) oder ähnliches mehr. Früher oder später kommt es dabei zu Konflikten:
"Peng! Du bist getroffen!"
"Nein, bin ich nicht. Du bist getroffen!"
"Nein!"
"Doch! Du spielst nicht richtig!"
"Mir egal."
"Du machst den Spielspaß kaputt!"
"Geh doch heulen!"
"Mach ich auch!"
Das führt dazu, daß die Kinder ab einem gewissen Alter das Interesse daran verlieren oder bestimmte Regeln einführen. Aus „Cowboy & Indianer“ wird dann beispielsweise „LARP“ oder „Paintball“. In diesen elaborierteren Varianten ist dann feststellbar, wer getroffen wurde und festgelegt, welche Auswirkungen das auf das Spiel hat. Dies gilt auch für andere Spielformen (einige bekannte Ausprägungen von unverregeltem und verregeltem Spiel hatte ich in meinem letzten Beitrag exemplarisch angeführt).
Jüngere Kinder gewinnen gerne, haben aber beim Verlieren eine eher geringe Frusttoleranz und werden schnell eifersüchtig. Für jüngere Kinder ist es daher schwer einzusehen, warum ihr Vampir „nur“ Herkuleskräfte hat, obwohl ein Vampir sich klassischerweise auch in einen Wolf verwandeln kann genau wie der Werwolf und in Fledermausform genauso fliegen können sollte wie die Fee (Beispiele aus der hiesigen Diskussion entnommen). Solche Regeln werden schnell als einengend empfunden und daher regelloses Spiel oft bevorzugt.
So habe ich beispielsweise erlebt, daß einer meiner Neffen unbedingt das Brettspiel „Talisman“ spielen wollte und sich ganz besonders freute, weil er den „Waldelf“ als Charakter gezogen hatte, denn dieser kann kämpfen und zaubern. Als dann mein „Minotaurus“ das Spiel gewann, war mein Neffe sehr enttäuscht und wollte mit den Miniaturen ohne die hinderlichen Regeln weiter spielen, woraufhin der „Waldelf“ den „Minotaurus“ natürlich ordentlich verprügelt hat.
Beim D&D-Brettspiel (spielt sich ungefähr wie „Hero Quest“) war es dann sogar so, daß besagter Neffe sich absichtlich hinter die restliche Gruppe zurückfallen ließ und absichtlich mehrmals in eine Falle gelaufen ist, die Monster herbeiteleportiert hat, weil er Spaß am kämpfen hatte. Als sich dann das Würfelglück wendete und die Spielfigur von der selbst herbeibeschworenen Monsterübermacht überwältigt wurde, war das Geschrei groß und er wollte dieses „doofe“ Spiel nie wieder spielen.
Das „weitgehend regellose Spiel“, wie es hier angedacht ist, dürfte sich dann weitgehend wie das spielen, was die Kinder mit „Playmobil“ & Konsorten ohnehin schon machen, nur daß es keine haptischen Elemente, dafür aber einige einschränkende Regeln gibt. Der Spielleiter denkt dann zwar, daß er minimalistisches P&P-Rollenspiel vorstellt, die Kinder hingegen empfinden es als „Playmobil ohne Figuren und in blöd“. Darauf bezog sich meine Einschätzung, daß man dann kein P&P-Rollenspiel, sondern quasi „Playmobil“ spielt.
(Auch der Umstand, daß man eine interaktive Geschichte erlebt, scheint mir nicht per se zugkräftig, weil die Kinder ähnliches aus Videospielen kennen (mit bewegter Grafik inklusive „Soundtrack“). Es wurde schon angemerkt, daß man es mit Rollenspielprodukten ohnehin schwer hat, optisch gegen Videospiele anzukommen, aber wenn man dann noch gänzlich auf ansprechendes Anschauungsmaterial verzichtet, scheint mir das Unterfangen gänzlich hoffnungslos. EDIT: Ich habe gerade nochmals nachgelesen und Visualisierungen sind ja geplant, diesen Absatz ziehe ich zurück.)
Um als Gewinn wahrgenommen zu werden, dürfen Regeln beim Rollenspiel mit Kindern nicht einschränken (jeder hat eine Spezialfertigkeit), sondern müssen inspirieren und ihnen Dinge ermöglichen, auf die sie allein nicht gekommen wären. Bei „RISUS“ als Regelgrundlage könnte man beispielsweise einem Charakter das Merkmal „Vampir“ geben. Die Figur kann dann alles, was ein Vampir typischerweise kann. Als Beispielanwendung könnte man „Herkuleskräfte“ dazuschreiben. Ein anderer Charakter hat das Merkmal „Werwolf“ und als Beispielanwendung könnte „Wolfsverwandlung“ vermerkt werden. Ein Werwolf in Wolfsgestalt verfügt typischerweise ebenso über Herkuleskräfte wie der Vampir und Vampire können sich in vielen Vampirgeschichten ebenfalls in einen Wolf verwandeln. Für die Kinder ist es also möglich, sich durch die Spezialfähigkeit des jeweils anderen dahingehend inspirieren zu lassen, daß die Möglichkeiten ihres Merkmals „Vampir“ bzw. „Werwolf“ weit über die vermerkte Beispielanwendung hinausgehen, sofern sie sich im bespielten Genre auskennen. Soll im Spiel nun eine Fährte verfolgt werden, könnte der Spieler des Werwolfs auf die Idee kommen, daß er das mit seiner feinen Wolfsnase ja besser kann als mit bloßen Augen. Der Vampir-Spieler findet die Idee gut und da zwei Spürnasen ja noch besser sind als eine, verwandelt er sich ebenfalls. Wo bei vielen Rollenspielen nun eine Konkurrenzsituation entstehen würde, können bei „RISUS“ auch beide im Verbund agieren.
„RISUS“ ist kostenlos, auf deutsch verfügbar und hat einen Umfang von acht Seiten. Zwar gibt es bei „RISUS“ einige Haken und Ösen, aber die WoD-Regeln entsprechend weit einzukochen dürfte nicht weniger Aufwand bedeuten als „RISUS“ entsprechend zu „pimpen“.
Das bereits erwähnte „Destiny Beginner“ hat übrigens vier Attribute plus frei definierbarer „Großer Gabe“. Leistet also quasi genau das, was für das WoD-Derivat mit drei Attributen plus Spezialfertigkeit angedacht ist. Bei „Destiny Beginner“ können die Spieler ihr im Demospiel über Regeln und Welt erlangtes Wissen, dann aber gleich weiter verwenden, sofern sie sich vom Rollenspielkonzept prinzipiell angesprochen fühlen und sich ein derartiges Produkt für daheim zulegen möchten. Sich am Messestand über den Wust an Systemen informieren zu lassen, halte ich für keine gleichwertige Option, denn ohne Probespiel kann der Anfänger kaum abschätzen, was ihm liegt.
Für einen selbst mag es weniger Aufwand sein, etwas wohl vertrautes vorzustellen, für den potentiell Interessierten ist es aber eine unnötige Hürde, wenn er beispielsweise Tennis gezeigt bekommt, daraufhin auch Gefallen an „Ballspielen mit Schläger“ findet, sich dann jedoch zwischen Federball und Tischtennis entscheiden soll.