Hey super. Vielen Dank für Deinen Entwurf.
Metaebene
Bevor es an die Details geht, zunächst zwei Punkte auf der Metaeben vorab.
Hauptfigur vs. Statist
Wenn ich den Entwurf richtig verstanden habe, hast Du vor das Abenteur mit vier Spielern zu spielen, von denen allerdings nur ein einziger in zu einem Vampir wird.
Hier könnte ich mir vorstellen, dass die anderen Spieler ein wenig enttäuscht sind, oder schlimmer noch sich ein wenig ungerecht behandelt fühlen.
Diese Gefahr sehe ich vor allem darin begründet, dass sich bei der zentralen Rolle des Vampircharaketers für die Handlung die anderen Spieler mit ihren SC bloß als Statisten und schmückendes Beiwerk für das Präludium des Vampirs fühlen könnten.
Technisches
Dringend im Vorfeld Gedanken machen würde ich mir bei dem gewählten Ansatz auf jeden Fall, wie Du dafür Sorge tragen kannst, dass sich alle Spieler am Spieltisch während des recht langen Vorlaufs gut unterhalten fühlen.
An jeder der z.T. recht langen Vorgeschichten nimmt nämlich immer nur ein Spieler aktiv teil. Sprich 75% der Spieler haben in dieser Zeit nichts anderes zu tun als Däumchen zu drehen und abzuwarten.
Das muss alles kein großer Beinbruch sein. Nur würde ich ganz dringend davon abraten die einzelnen Vorgeschichten, eine nach der anderen am Stück durchzuspielen.
Die Gefahr dass Spieler eins und zwei sich - weil ja jetzt erstmal die anderen dran sind zwischenzeitlich verdrücken, sich Spieler eins drei und vier während des Ausspielens der Vorgeschichte mit Spieler zwei ganz anderen Dingen als dem Spiel am Tisch widmen, etc. ist bei diesem Ansatz immens hoch und den Beteiligten wegen der gähnenden Langeweile für sie wohl auch nicht unbedingt zu verdenken.
Recht geschickt umschiffen lässt sich dieses Problem, wenn Du die einzelnen Vorgeschichten den Spielern stattdessen Häppchenweise präsentierst. Sprich einen Teil seiner Vorgeschichte mit Spieler eins ausspielst - dann Schnitt zu Spieler zwei. Mit ihm ein Stück - dann Schnitt weiter zu Spieler drei, etc.
Wenn es Dir dabei obendrein gelingt zu möglichst spannenden Zeitpunkten zu schneiden, kannst Du sogar ein intensiver und dramtischer erlebtes Ergebnis als mit einer Erzählung am Stück erzielen.
Nicht nur in der Literatur sind solche gezielt gesetzten Unterbrechungen durchaus ein gängiges Mittel.
Die Romane von Dan Brown - falls Du kennst - liefern mit ihrem beinahe inflationären Gebrauch dieses Stilmittels ein Beispiel par excellence.
Abstrakt vs. Konkret
Beim Lesen aufgefallen ist mir, dass Handlung und Bühnenbild der Szenen zumeist sehr vage und abstrakt umschrieben sind.
Hier einige Beispiele
- "... da er dort "seltsame" Geräusche vernommen hat
- "... eine "mysteriöse und anziehende" Aura
- "... "Kunst und Artefakte aus der ganzen Welt"
Bei Punkt eins gebe ich Dir Brief und Siegel darauf, dass Dich der Spieler, dem Du sagst "Hey - Du hast da gerade echt 'seltsame' Geräusche gehört" dich postwendend fragen wird: "Ja, wie jetzt seltsam?".
Hier wäre es gut sich vorab genau zu überlegen, wie und mit welchen Worten man dem Spieler die 'seltsamen' Geräusche am Spieltisch vermittelt.
Nicht falsch verstehen!
Für einen stichwortartigen Leitfaden, um sich im Velauf des Abenteuers selbst an die eigenen Ideen zu erinnern ist die kurze Form absolut top.
Mehr schreibe ich mir selbst bei meinen Notizen auch nicht auf und würde mich sonst wohl auch hoffnungslos in einem wilden Buchstabensalat verlaufen.
Gleiches gilt für Punkt zwei auch da würde ich versuchen mir eine handvoll Merkmale auszudenken, an denen sich das 'mysteriös anziehende' fest macht.
Auch bei "Kunst und Artefakten aus der ganzen Welt" würde ich versuchen am Spieltisch stattdessen, von den kunstvoll geschnitzen Jadestatuetten, etc. zu erzählen um das atemberaubende Schauspiel vor den Augen der Charaktere auch für die Spieler erfahrbar zu machen.
"Krass das sind ja wirklich Artefakte aus aller Herren Länder" werden die Spieler im Idealfall dann schon selbst für sich feststellen können.
Auch Tatsachen wie "... in der Wohnung ist nichts zu finden" würde ich versuchen am Spieltisch anders zu präsentieren.
Ich meine - Hey - Eine Wohnung, in der so wirklich gar nichts zu finden ist, nicht einmal Vorhänge, Tisch, Kommode, Stuhl, etc. das wäre schon etwas äußerst Bemerkenswertes.
Wenn ich die zitierte Passage richtig interpretiert habe, hast Du allerdings vor den genau gegenteiligen Eindruck zu erwecken. Nämlich dass hier so absolut überhaupt nichts ungewöhnlich ist.
Material
Den letzten Punkt in dieser Kategorie solltest Du vielleicht nicht ganz zu ernst nehmen. Denn er ist im wesentlichen meiner persönlichen Vorliebe für haptisches Feedback und Handouts geschuldet.
Für den "Hinweis auf den Club" in der Vorgeschichte von Spieler eins würde ich persönlich z.B. eine kleine Mitgliedskarte, Clubkarte, was-auch-immer mit Logo, Anschrift, etc. z.B. aus einem kleinen Stück Pappe anfertigen, um sie dem Spieler am Spieltisch mit den Worten ".... außerdem findest Du das" - patsch auf den Tisch zu knallen.
Auch die Nachricht von Sinner66 an Spieler zwei könnte man als Ausruck einer e-mail mit jeder Menge Phantasiedaten im Kopf zurecht tüfteln und dem Spieler vorlegen.
Wenn man ein wenig länger sucht, finden sich gewiss noch weitere Ansatzpunkte.
Details
So nach langer Vorrede zum allgemeinen Verlauf, nun zu den Details.
Alternativprogramm
Viele Teile der einzelnen Vorgeschichten sind mit sehr festem Handlungsverlauf geskriptet.
Das kann durchaus problemlos klappen, wenn Du Deine Spieler kennst und ein recht gutes Fingerspitzengefühl beim Vorhersehen ihrer Handlungen hast. Es birgt aber zugleich auch die Gefahr, dass das Abenteuer an einer dieser Stellen ganz gehörig in die Hose geht.
Hier würde ich persönlich mir auf jeden Fall vorab Gedanken darüber machen, wie ich verfahre, wenn die SC anders als vorhergesehen agieren. Also z.B. Spieler eins die Wohnung mit den 'seltsamen' Geräuschen garnicht betritt, sondern stattdessen die Polzei ruft.
Noch dramatischer ist es an Stellen, wie der von
@Teylen genannten, bei fehlgeschlagener Verschmelzungsprobe.
Um auf Nummer Sicher zu gehen brauchst Du - falls Du die Probe nicht einfach weg lässt - hier in jedem Fall ein Alternativprogramm.
Vorgeschichten
Unter diesem Punkt habe ich Dir einige Dinge zusammengefasst, die mir bei der Lektüre der Vorgeschichten aufgefallen sind.
Spieler eins
Klippe Nummber eins (was tun, wenn der SC die Wohnung gar nicht betritt?) hatte ich bereits genannt.
Nun folgt die Stelle, an der der SC bewusslos wird. Schief gehen kann dabei nicht viel.
Dennoch ein kleines Wort der Warnung dazu.
Stellen, an denen sie die Kontrolle über ihren Charakter entzogen bekommen, lieben Spieler meiner Erfahrung nach im Allgemeinen ganz und gar nicht.
Klar an dieser Stelle mehr oder weniger unvermeidbar - nur würde ich Handlungsverläufe wie diesen nicht unbedingt zur Daurlösung werden lassen.
Recht kritisch wird es an dem Punkt, an dem der Charakter wieder zu sich kommt.
Wer sind die drei verstümmelten Leichen? Oder vielmehr wer waren sie? Wie wurden sie verstümmelt?, etc.
Und schlimmer noch: Meiner Einschätzung nach ist der weitere Verlauf der Handlung an dieser Stelle komplett offen!
Finden kann der SC den "Hinweis auf den Club" vermutlich nur, wenn er die Leichen oder den Tatort genauer inspiziert.
- Was wenn er stattdessen die Polzei ruft?
- Oder erst einmal in den Baumarkt fährt um sich Kettensäge, Säure und jede Menge Plastiktüten zu kaufen?
- Oder - ja was macht man eigentlich in so einem Fall?
Kurzum: Flinkt die Hände waschen und danach in den Club fahren muss nicht unbedingt die nächste Handlung des SC sein.
Spieler zwei
Die Story von Spieler Nummer zwei hat mir persönlich richtig gut gefallen und bereits die kanppe Skizze in Stichworten hat bei mir einen ordentlichen Gänsehauteffekt produziert.
Einzig über die genauen Umstände des "... bevor sie weitermachen können, müssen sie Verschwinden" hätte ich mir ein wenig mehr Informationen gewünscht.
Spieler drei
Bei Spieler Nummer drei ist mir bisher noch immer völlig schleierhaft, warum es ihn in den Club verschlägt?
Noch schlimmer steht es um DIE Schlüsselszene in der Vorgeschichte des SC - nämlich den Kuss.
Auch erfährt man so rein gar nichts über den Erzeuger des frisch gebackenen Vampirs.
- Wer war er?
- Aus welchen Motiven hat er den SC zu einem Vampir gemacht?
Spieler vier
Bei Spieler vier sehe ich die Gefahr, dass er sich am Ende des Spielabnds ein wenig zu kurz gekommen fühlen könnte.
Wenn ich alles richtig verstanden habe, dann verliert er gleich zu Beginn das Bewusstsein.
Zur Allgemeinen Beliebtheit solcher Spielereien hatte ich Dir ja schon weiter oben etwas geschrieben
und kann eigentlich erst handeln, wenn zurück in seinen Körper kehrt.
Im wesentlichen ein Würfelwurf, wenn mich nicht alles täuscht - das war es dann auch schon mit seiner Vorgeschichte. Im Vergleich zu den anderen würde ich mir da schon ein wenig zu kurz gekommen vorkommen.
Achso - warum es SC Nummer vier in den Club verschlägt, habe ich auch nicht so recht aus dem Entwurf herauslesen können.
Showdown
Wenn es eine Sache gibt, die Spieler meiner Erfahrung nach noch weniger mögen als durch Bewusstlosigkeit o.ä. die Kontrolle über ihren Charakter zu verliefen, dann ist es diese Kontrolle bei vollem Bewusstsein zu verlieren und als statischer Teil der Kulisse zuzusehen, wie die NSC des SL die atemberaubendsten Dinge vollbringen.
Die Notiz: "Ab jetzt steht es den SCs Frei zu handeln..." liest sich als ob genau so ein Stimmungskiller an der genannten Stelle im Entwurf vorgesehen ist.
Diese Entscheidung würde ich zumindest noch einmal gründlich überdenken.
Fazit
So, ich glaube ich bin durch.
Nun wegen des recht langen Texts aber nicht erschrecken lassen.
Wenn Du genau hinsiehst wirst Du feststellen, dass ich an den meisten Stellen bloß meine persönliche Vorlieben zum Ausdruck gebracht habe und sich mein Jammern auf hohem Niveau bewegt. Und wenn Du nur lange genug wartest, wird Dir gewiss bald jemand mitteilen, dass er am liebsten das genaue Gegenteil von dem spielt, was ich am Rollenspiel so liebe.
Super gefallen hat mir die Idee die Spieler einzeln mit eigener kleiner Vorgeschichte an das Setting heran zu führen. Wie zahlreich die Facetten, die die WoD bietet sind, geht bei einem gemeinsamen Start am selben Ort zur selben Zeit nicht nur recht schnell unter und lässt sich in der Bandbreite, die Du in die einzelnen Vorgeschichten eingearbeitet hast wohl auf andere Art und Weise gar nicht in so großem Umfang abdecken.
Großes Lob - nicht nur für diesen Ansatz, sondern auch für die besondere Wahl, die Du dabei getroffen hast.
Und ganz besonderes für meinen persönlichen Favoriten die Vorgeschichte Nummer zwei - aber das hast Du ja vermutlich schon weiter oben herausgelesen.
Vielen Dank für Deinen Entwurf und Deinen Mut ihn hier vorzustellen.
Entwürfe wie diesen haben wir für meinen Geschmack hier viel zu selten.