D&D 5e ist das wichtigste neue Rollenspiel seit D&D 3e - aber man muss sich vor Augen halten, dass es einen ganz anderen Markt betritt.
Als 3e 2000 erschien, lag der Markt am Boden. TSR war pleite, Fortentwicklung von Rollenspielmechaniken lag am Boden (Settings und vor allem Metaplot wurden eher als Selling Point angesehen), und Spieler verließen in Scharen das Hobby ebenso wie Verkaufszahlen in den Keller gingen.
D&D 3e leistete mit seinem fokussierten System einen Befreiungsschlag, mit dem gute Mechaniken wieder in den Vordergrund gerückt wurden und formte ein Jahrzehnt lang den Markt, sei es durch bestehende Verlage die auf den d20-Markt aufsprangen (und kräftig Kassen machten solange die Blase anhielt), sei es durch Third-Party-Publisher die durch Ergänzungsmaterial gutes Geld und wertvolle Marktanteile errangen - oder sei es auch die OSR, die sich bewusst sowohl vom 3.x-Modell als auch von der darbenden AD&D2E-Metaplot-Treadmill abwendete und versuchte, die gute alte Zeit heraufzubeschwören (interessanterweise häufig unter Einbau von Verbesserungen aus 3.x).
2014 im Jahre der 5e ist der Markt ein anderer.
Pathfinder hat sehr erfolgreich die von 4e vergraulte 3.x-Spielerschaft aufgesaugt, während andere Teile der alten 3.x-Spielerschaft zu OSR-Systemen in der dritten Reihe wie DCC RPG oder LotFP abgewandert sind. Jeder noch so schmale Geschmack hat seinen eigenen Retroklon, der darauf zugeschnitten ist - wer D&D mit aufsteigender Rüstungsklasse, einachsiger Gesinnung und Feats aber ohne Diebesklasse und ohne Vancian Casting sucht findet genauso einen darauf zugeschnittenen Retroklon wie umgekehrt.
Was D&D 5e hier leistet, ist NICHT auf ein noch schmalspurigeres Schmalspursystem umzustellen das genau eine Minderheit anspricht (wie es mit 4e der Fall war), sondern seine Möglichkeiten zu VERBREITERN. PF bedient die Buildmonkeys die Charakteroptionen lieben, die "reinblütige" OSR bedient die Grognards für die die Einführung der Diebesklasse in Supplement II das Ende von Garys reiner Lehre markiert und die diversen "von der New School verseuchten" Nicht-Ganz-Retroklone bieten bestimmte, sehr spezifische Abmischungen dieser beiden Pole. 5E bietet ALLES DREI, mit allem und mit scharf und mit Schafskäse obendrauf und dann noch einmal extra scharf.
Wer OSR-artiges Spiel mit 3W6 der Reihe nach, Zufallstabellen und einfachen geradlinigen Optionen will, wird bedient. Wer gerne Pimp-my-Character-SWAT-Teams will wo alles nach Punkten zusammenkauft wird und die Encounter stufenangepasst berechnet sind, wird auch bedient. Wer einfach nur "ganz normales Rollenspiel" machen will, bei dem die Rosinen aus beiden Modellen gepickt werden, wird mit 5e erst recht bedient.
5e bietet jedem die Möglichkeit, genau das D&D zu spielen und zu leiten das er haben will (und all die guten Teile seiner liebsten D&D-Edition reinzulesen) - und verschiedene Vorlieben unter einen Hut zu bringen, weil das System breit und robust genug ist um einen Hill Dwarf Soldier Fighter Champion mit +14 Attributspunkten, der einfach nur seine Axt schwingen und mit der 10'-Stange Fallgruben aufzuspüren will, ebenso zu bedienen wie den Warlock 4 / Cleric 16 mit 5 Feats und allen Schikanen.
Angesichts der härteren Konkurrenz wird D&D 5e es schwer haben, den Erfolg von 3e zu toppen. Was es aber erreichen kann und sicher auch erreichen wird, ist wieder die #1 auf dem Markt zu werden, auf die sich jeder als Konsensrollenspiel einigen kann. Weder 4e noch PF noch die vielen zersplitterten Retroklone können eine vergleichbare Bandbreite bieten und trotzdem in sich geschlossen bleiben.