Tagebuch einer Gehilfin

Lynx

Tinte im Blut
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13. April 2004
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13. Januar
Heute sind seltsame Dinge passiert. Ich denke ich hatte Halluzinationen oder so etwas. Das muss an den Medikamenten liegen. Der Arzt hatte mir ja gesagt, dass die Schmerzmittel einen „fliegen“ lassen könnten. Das war ganz schön komisch im Bus. Ich habe plötzlich ihn wieder gesehen. Wer er ist, weis ich nicht. Aber irgendetwas verbinde ich mit ihm. Dieser große, dunkelhaarige Mann, wieso sucht er mich in meinen Träumen heim? Ich könnte schwören ihn noch nie zuvor gesehen zu haben und dennoch meine ich ihn zu kennen. Das wird wohl wirklich an den Mitteln liegen, denn so plötzlich wie er da war, ist er auch wieder verschwunden.
Oh Gott, ich fürchte fast, ich werde als Verrückte abgestempelt. Aber irgendwie kann ich die Leute schon verstehen. Es ist schon war, dass ich recht schreckhaft bin. Aber was soll’s. Ich werde mir jetzt erst mal etwas Ruhe gönnen.

Später
Verdammt, ich sehe wirklich Gespenster. Ich hätte schwören können eben jemanden gesehen zu haben. Als ich im Bett lag hörte ich ein Geräusch an meinem Fenster. Ich sah auf und hätte schwören können einen Schatten dort gesehen zu haben. Es war unheimlich, denn er schien mich geradeswegs anzusehen. Ich werde verrückt. Scheiß Medikamente. Es ist unmöglich das jemand an meinem Fenster steht, hier im zweiten Stock. Schrecklich. Bestimmt habe ich das halbe Haus zusammen geschrieen. Für nichts und wieder nichts. Denn als ich das nächste Mal hinsah, war da nichts. Nur das flackernde Licht der Straßenlaterne schien herein. Ich hätte wohl besser nicht schreien sollen. Die Wunde an meinem Hals schmerzt wieder. Morgen muss ich wieder zum Arzt. Hoffentlich verschreibt er mir etwas anderes...

14. Januar
Puh, ich kriege ein anderes Mittel. Der Einzige Nachteil: Es wirkt nicht so stark wie das andere. Egal, Schmerzen sind immer noch besser als furchteinflößende Halluzinationen. Mein Referat kann ich wohl vergessen, aber zumindest kann ich die Vorlesungen besuchen. Jubelhochjauchzend, ich bin wieder da! Endlich wieder richtig unter Leute gehen, Partys feiern und mich meiner Arbeit widmen. Der Arzt sagte, die Amnesie sei nur von kurzer Dauer und ich werde mich bald wieder erinnern, was bei dem Unfall passiert sei. Und das beste ist, ich glaube dem alten Quacksalber sogar. Also werde ich jetzt erst mal meine Unterlagen zusammenpacken und zur Uni fahren. Natürlich wieder brav mit dem Bus, wegen des Schmerzmittels. Egal, wie und womit, endlich wieder unter Freunden zu sein macht auch das Gedränge zwischen den ganzen Schniefnasen weg. Anschließend geht’s gleich in Museum. Hach, ich freue mich so.

Später
Freude und Schauder liefern sich einen wilden Kampf in mir. Zum einen bin ich immer noch glücklich wieder „genesen“ zu sein und ich freue mich wirklich auf die Party heute Abend. Zum anderen fühle ich mich verfolgt. Heute nachmittag im Museum war er wieder da. Der Dunkelhaarige hat sich tatsächlich den Vortrag über die Geschichte Londons angehört. Ich fühlte mich irgendwie seltsam. Es war fast, als sei ich ständig seinen Blicken ausgesetzt. Das war so schaurig. Auch als wir das Museum verlassen hatten, hätte ich schwören können er sei mir gefolgt. Gesehen habe ich ihn aber nicht. Vielleicht bin ich einfach nur zu nervös. Aber wenn da tatsächlich etwas dran ist. Ich denke, ich werde mir ein Pfefferspray zulegen. Aber jetzt geht’s erst mal zur Party. Ein wenig andere Tapeten und gute Musik werden mich sicher auf andere Gedanken bringen.

Nachts
Scheiße. Mein Herz rast. Die letzten paar hundert Meter bin ich gerannt. Ich bin jetzt noch immer ganz außer Puste. Er war da. Auf der Party. Ich bin mir jetzt fast sicher, das er mich verfolgt. Dieser große, dunkelhaarige Mann mit den braunen Augen. Verdammt, ich habe Angst. Warum ist dieser Kerl ständig in meiner Nähe. Das kann doch kein Zufall mehr sein. Ich muss etwas unternehmen, aber was? Bei der Polizei werden die mich doch für verrückt halten. Und meine Freunde wissen ja, was für ein Persönchen ich bin. Sie werden mich bestimmt nur Hasenfuß nennen. Mist, ich weis nicht, was ich tun soll. Warum ich? Warum verfolgt dieser Mann mich, egal wohin mich mein Weg führt? Ich bin total verzweifelt. Jetzt sitze ich hier im Bad. Die Wohnung ist dunkel. Ich täusche vor, nicht zu Hause zu sein. Eben hat die Türglocke geläutet. Ich habe nicht geöffnet. Lasst mich alle in Ruhe. Wenn das ein böser Traum ist, möchte ich jetzt bitte aufwachen.

15. Januar
Es war kein Traum. Ich habe die ganze Nacht im Bad verbracht. Irgendwann bin ich einfach eingeschlafen. Heute Morgen tun mir alle Knochen weh. Und mein Hals erst. Ich habe gestern vor lauter Panik vergessen, meine Tabletten zu nehmen. Vorhin habe ich mir übers Internet ein Pfefferspray bestellt. Ich gehe heute nicht raus. Die Uni muss einen weiteren Tag ohne mich auskommen. Zum Glück ist mein kleiner Kühlschrank noch recht voll.
Wenn ich bisher nicht an schlechte Omen geglaubt habe, sollte ich vielleicht jetzt damit anfangen. Heute morgen lag eine große schwarze Feder auf dem Fenstersims. Also, sie lag einfach da. Der Wind hatte sich geweigert sie fortzuwehen. Das ganze wird mir langsam echt unheimlich.
Jetzt prasselt leise der Regen an mein Fenster. Es ist sehr warm für diese Jahreszeit. Doch es soll bald wieder Schnee geben. Warum ich das aufschreibe? Keine Ahnung. Vermutlich, um mich zu beruhigen. Ich habe mich noch nie so unsicher in meinen eigenen vier Wänden gefühlt. Der Fernseher dudelt im Hintergrund. Es sind die üblichen Bilder von Terror und Tod. Wenn ich das so sehe juckt mein Verband gleich doppelt so sehr. Ich bin froh, wenn ich ihn endlich abnehmen kann.
 
17. Januar
Zwei Tage habe ich nun in meiner Bude gehockt und nichts ist passiert. Dafür schlafe ich zunehmend schlechter. Der Verband bringt mich noch um. Laut dem lieben Onkel Doc darf ich ihn aber noch mindestens zwei Wochen tragen. So ein Schwachsinn! Ich kann ihn ja auch so lange tragen, bis die Wunde vernarbt ist. Oder bis ans Ende aller Tage.
Ich denke, ich werde ihn morgen früh abnehmen. Halsbänder sind halt out. Ich weis nicht, irgendwie bin ich immer noch nervös. Meine Hände sind ganz zittrig, wenn ich wieder mit dem Verband spiele. Warum? Ich komme mir so lächerlich vor. Wovor habe ich Angst? Ist vielleicht doch etwas Schreckliches bei dem Unfall passiert? Sollte ich auf meine Instinkte hören, die Augen verschließen und vor der Wahrheit davonrennen? Oder ist es einfach nur die Ungewissheit, meine Amnesie? Ich weis einfach nicht, was mit mir los ist. Tags hocke ich wie ein Kaninchen in meinem Bau und stelle beim kleinsten Geräusch die Ohren auf. Und nachts sitze ich bis in die Puppen am PC und vertreibe mir die schlaflose Zeit in irgendwelchen Chaträumen. Gott, ich verkomme total. Am Besten gehe ich jetzt erst mal Baden. Und danach trinke ich mir einen Kamillentee und versuche zu schlafen. Das hilft zumindest gegen die Augenringe.

18. Januar
Ich trage den Verband noch immer. Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit ihn abzunehmen. Dafür habe ich heute morgen dem Briefträger aufgemacht. Und er hat nicht gebissen! Der Tee hilft, wenn auch nicht viel. Meine Güte, wie viele Liter soll ich denn davon trinken, um eine ruhige Nacht zu verbringen? Jedenfalls war es wieder eine sehr lange Nacht. Egal. Mein Pfefferspray ist da. Nur sicherer fühle ich mich trotzdem nicht. Aber ich werde heute wieder zur Uni gehen. Meine Augen fühlen sich noch ganz betäubt an, von vielen Eis. Aber was will man machen, die Ringe sollen ja verschwinden. Am besten mache ich mir gleich drei Eisbeutel für jeden morgen, zwei für die Augen und einen für den Hals.
Es ist schon bedrückend nicht zu wissen, was wirklich passiert ist. Aber vielleicht brauche ich ja einfach nur etwas mehr Ruhe und Geduld. Nur kann ich die nicht aufbringen, in zehn Minuten fährt mein Bus...

Später
Er war wieder da. Und mit ihm ist die Angst zurück gekehrt. Auf dem Weg nach Hause habe ich ihn gesehen. Er saß auf einer Bank und fütterte ein paar Vögel. Raben waren es. Ich mag diese großen schwarzen Vögel nicht. Doch noch viel weniger gefiel mir dieser stechende, forschende Blick, den er mir zuwarf. Und wieder bleibt mir nur eine Frage zu stellen: Wieso? Warum verfolgt er mich? Ich habe niemandem etwas getan und dennoch musste er in mein Leben treten und mir die letzten Tage zur Hölle machen.
Vielleicht ist es am besten, wenn ich ein paar Tage weg fahre. Am Besten buche ich mir noch heute abend ein Zimmer in einer Pension, außerhalb der Stadt. Ja, das mache ich.

19. Januar?
Ich weis nicht ob das Datum noch stimmt. Und vor allem weis ich nicht, wo ich bin. Mein seltsamer Retter denkt ich schlafe noch. Aber am Besten beginne ich von vorne.
Ich wollte gerade aufbrechen und zum Bus hasten, als der Dunkelhaarige wieder auftauchte. Er schnitt mir förmlich den Weg ab. Ich rannte los, blindlings über die Straße. Ein Wunder, dass nichts passiert ist. Wie zu erwarten folgte er mir. Gasse für Gasse bog ich ab, schlug Haken wie ein Hase, doch war er mir stets auf den Fersen. Was aber am beunruhigernsten war, er rief mich beim Namen. Stellte er etwa Nachforschungen über mich an? Woher kennt er meinen Vornamen? Ich hatte Angst und das auch zu Recht, wie sich zeigen sollte. Jetzt, nachträglich betrachtet scheint es mir, als hätte er mich absichtlich gehetzt, denn letztendlich lief ich in eine Sackgasse.
Die Wand im Rücken und meinen Verfolger vor mir wogte Panik in mir auf. Verzweifelt suchte ich mein Pfefferspray. Als er in die Sackgasse einbog wurde mir klar, dass es sinnlos war. Ich war gefangen und das Spray lag zuhause auf dem Küchentisch. Wieder reif er meinen Namen. In blinder Panik warf ich mit meinem Handy nach ihm. Er kam immer näher und streckte nun auch schon die Hand nach mir aus.
In diesem Moment kam etwas vom Himmel herab. Wie ein düsterer Engel stieg mein Retter in sanftem Fall herab und streckte den Dunkelhaarigen nieder. Von dem darauf folgenden Kampf bekam ich nicht viel mehr mit als umherwirbelndes Leder und dumpfe Kampfgeräusche. Nur einmal wurde mein Engel neben mir an die Wand geworfen. Für einen Moment sahen wir uns ins Gesicht. Ich konnte direkt in seine graublauen Augen blicken. Was ich darin las vermag ich immer noch nicht zu sagen, doch lies es mein herz aufschlagen. Es kann nur einen Sekundenbruchteil gedauert haben, doch es kam mir vor wie eine Ewigkeit.
Dann musste ich wohl etwas an den Kopf bekommen haben. Ich spürte einen dumpfen Schlag und verlor das Bewusstsein.
Düster meine ich mich daran zu erinnern, wie mein dunkler Retter mich aufhob und trug. Doch ich kann es nicht genau sagen.
Wo wir sind weis ich nicht. Vielleicht in einer alten Lagerhalle oder so etwas in der Art. Er scheint über mich zu wachen denn ich habe ihn schon einige Male an der Tür vorbei gehen hören. Sie ist nicht verschlossen. Während ich nicht bei mir war hat er mir auch den Verband abgenommen. Ich spüre die Wunden unter meinen Fingern, doch habe ich keinen Spiegel in diesem Raum. Nur eine Pritsche und meinen Rucksack. Er hat mir alles gelassen, ja, es scheint sogar als habe er nichts angerührt. Warum bin ich mir nur so sicher, dass er auf meiner Seite steht? Aber eines ist sicher, er hat mich selbstlos beschützt.
 
Hi,

deine Geschichte ist spannend und interessant,nur keiner weiß wer der Retter ist ein klein wenig mehr einblick auf ihn wäre toll.:alc:
Gruß Janet
 
Der Retter wird auch beim nächsten Mal vorgestellt. Das muss sie ja auch erst noch herausfinden. Kein Panik, bin schon halb am weiterschreiben.
 
20. Januar
Heute morgen bin ich in einer neuen Welt erwacht. Meine Sinne sind die gleichen und doch komme ich mit so stumpf vor. Doch ich berichte besser der Reihe nach.
Es dauerte noch lange, bis ich mich gestern herausgetraut habe. Jedenfalls lies ich den schützenden Bau meines Zimmers hinter mir und begann das Gebäude zu erkunden. Tatsächlich befand, oder besser gesagt befinde ich mich in einer alten Fabrikhalle. Stets bin ich mir der Gegenwart meines Retters bewusst, doch lässt er mich alleine. Er gibt mir Zeit und das ist auch gut so. Gestern abend trafen wir einmal auf einander. Ich hatte einen Schrank erspäht, der meine Neugierde gefesselt hatte. Doch gerade als ich ihn öffnen wollte, tauchte er auf. Er war schnell und mit einer geschmeidigen Bewegung drückte er die Schranktür zu, noch bevor ich einen Blick auf das Innere erhaschen konnte. Sein Lächeln war dabei freundlich und ernst zugleich. Ich erschauderte ein wenig, als er mit unverkennbarem französischen Akzent sich vorstellte.
„Es freut mich, dass Sie erwacht sind. Doch schauen Sie nicht dort hinein. Es würde ein falsches Bild in ihren hübschen Augen hinterlassen. Aber verzeihen Sie die Unhöflichkeit, mein Name ist Nottingham.“
Ja, so ungefähr war sein Wortlaut. Und ich kann nicht leugnen, dass er dabei unheimlich charmant war. Die stahlgrauen Augen hatten so etwas ... ich kann es nicht genau in Worte fassen. Überhaupt, sein ganzes Aussehen war beeindruckend. Das markante Kinn wurde von einem grauen Bart umhüllt und unter dem Stetson wanden sich schulterlange graue Locken hervor. Er war so ein Mann, der einen einfach in seinen Bann ziehen konnte und das nur mit einem höflichen Lüften seines Hutes und einem mysteriösen Blick. Mit ein wenig weniger Beherrschung hätte ich ihm wohl in seinem dunklen Mantel gehangen.
Im nachhinein bin ich froh, über seine menschliche Wärme, die er ausstrahlt, denn ohne sie hätte er mich wohl kaum so gut auf das vorbereitet, was mein unausweichliches Schicksal war. Zunächst bot er mir etwas zur Stärkung an, was ich auch hastig verschlang. Und dann trat er hinter meinen Stuhl. Ich kann nicht leugnen, dass ich angesichts seiner Nähe zwischen Unbehagen und Sehnsucht schwankte. Sanft strich Nottingham mein Haar auf Seite und fuhr mit den Fingern über meinen Hals.
„Ich werde Ihnen nun etwas zeigen, Mademoiselle.“
Im nachhinein wäre ich am liebsten dahingeschmolzen. Er zog einen Spiegel hervor und reichte ihn mir. Es war als hätte er mir die Erkenntnis selber gereicht, auch wenn ich es im ersten Moment leugnen wollte. Vorsichtig tasteten auch meine Finger nach den Wunden an meinem Hals, nur um sicher zu gehen, dass sie auch echt waren. Sie waren es. Nein, sie sind es. Gut verheilt und doch deutlich sind die beiden Male an meiner Kehle sichtbar.
Nottingham hatte die Hände auf meine Schultern gelegt.
„Mademoiselle. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie zum verstehen brauchen. Ich weis, dass Sie sich erinnern werden. Und ich kann Ihnen leider nur bestätigen, dass es wirklich ist.“
Und so plötzlich wie er aufgetaucht war, verschwand er auch wieder.
 
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