La Cipolla
Gott
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- 24. Dezember 2007
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Leider ist der Text hier für meinen Geschmack irgendwie doch einen Tacken zu abgehoben und fachsimplerisch geworden. Sorry im Voraus! (Und einen Spoiler-Tag zum Eindämmen der Ausmaße finde ich auch nicht ... ^^')
Wühlen in der SpliMo-Kiste
Der folgende Text ist KEIN Review zu Splittermond: Die Regeln.
Eigentlich sollte er, wie auch schon die Spritztour mit dem SpliMobil (der Schwesterntext zum Weltenband ein paar Posts weiter oben), ziemlich assoziativ werden … was aber nicht so richtig geklappt hat. Weil, man versuche mal bitte, assoziativ zu arbeiten, wenn man eine Anleitung vor sich liegen hat. Das sind Regeln, verdammt. Die sollen funktionieren, nicht assoziieren, und dementsprechend gibt es jetzt halt doch eine rudimentäre Struktur, irgendwie. Am Ende will ich mir einfach ein Bild von Splittermond machen, das Buch auseinandernehmen und ganz grundlegend verstehen. Eine Anleitung zur Anleitung sozusagen.
Disclaimer 1: Ich habe das Ding noch kein einziges Mal gespielt. Aber hey, wir befinden uns in einer Szene, in der jeder dritte mindestens einen Regalmeter Rollenspielbücher besitzt und zur selben Zeit höchstens zehn davon gelesen, geschweige denn gespielt hat. Realistisch betrachtet wäre es also eine totale Verzerrung der Tatsachen, Splittermond tatsächlich zu SPIELEN, bevor man sich eine Meinung dazu bildet. Und mit so was wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Disclaimer 2: Ich werde die Regeln NICHT erklären, und ich werde erst recht keinen Überblick zum Gesamtprodukt geben. Holt euch euren Schuss woanders. Der Schnellstarter etwa ist ein guter Startpunkt, oder ihr lest halt einfach ein vernünftiges Review.
Disclaimer 3: Ich habe kein Rezensionsexemplar gekriegt, was unter anderem daran liegen könnte, dass ich nicht danach gefragt habe. Eigentlich ziemlich blöd von mir?! Dann wiederum ist man wahrscheinlich sowieso parteiischer, wenn man tatsächlich noch 40€ auf den Tisch gelegt hat und direkt danach zugeben soll, dass es ein verdammter FEHLER war (nennen wir es einfach das „Kickstarter-Review-Syndrom“). Na mal sehen!
Die SpliMo-Regeln und die BAM!-Kurve der Komplexität
Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass alle wissen, was Lego ist. Diese kleinen dänischen Bauklötze für Leute ohne Modellbau-Skills? Für Leute, die zu viel „Rape Face“ in den seelenlosen Playmobil-Gesichter sehen? Ja? Gut. Splittermond: Die Regeln ist ein bisschen Lego. Eigentlich sogar ziemlich Lego.
Zuallererst ist es aber ein klassisches Spiel. Das Bild kennt man ja …
Die multikulturelle Kinderclique (mit verdächtig ausgeglichenem Geschlechterverhältnis) sitzt im Keller einer amerikanischen Vorstadt, eine unverhältnismäßige Begeisterung auf den Gesichtern, die in dieser Intension eigentlich nur ausgebeutete Kinderstars an den Tag legen können. Der Spielleiter, oder noch besser der DUNGEON MASTER, grinst diebisch hinter seinem Spielleiterschirm hervor, während er möglichst viele seiner Allmachtsfantasien in einem Groschenroman zusammenkleistert. Die Gruppe (damals praktisch der zusammengestauchte Cast von Herr der Ringe, eventuell ergänzt um Aushilfs-Jesus) muss sich mit Drachen, dunklen Verließen und extensivem Eskapismus jenseits des guten Geschmacks herumschlagen. Und während so die bescheidenen Grundlagen für die zelebrierte Totalvernerdung der Gesellschaft gelegt werden, haben die Fundamentalisten endlich mal wieder ein neues Feindbild. Good times.
Doch die 80er sind vorbei.
SpliMo ist klassisch, aber dabei auch sehr selbstbewusst, gerade im Sinne von „sich selbst bewusst“. Ein Beispiel? Man könnte ein Trinkspiel aus Formulierungen wie „im Ermessen des SLs“ oder „der SL entscheidet“ machen, ohne dass ein Vulkanzwerg (Konstitution 5) eine reelle Chance hätte, den Settingteil hinten im Buch zu erreichen. Das Spiel allerdings weiß um seinen starken Spielleiter und versucht auch gar nicht erst, irgendetwas anderes zu behaupten. Eventuellen Negativkonsequenzen begegnet man nicht mit Metaregeln, sondern mit Relativierungen und dem gelegentlichen Aufruf zu Vernunft und kollaborativem Spiel … was gut zur Gesamtmentalität passt. Die komplette Einführung zeichnet ein locker-pragmatisches, undogmatisches Bild davon, wie so ein Rollenspiel funktionieren kann, und zwar durchaus in dem Bewusstsein, dass es auch ganz anders geht. An dieser Stelle also ein Integritäts- und Toleranzbienchen für den Uhrwerk-Verlag. Die SL-Tipps später im Buch zementieren diese Herangehensweise auch noch mal sehr bewusst und ergänzen damit hervorragend das Regelsystem, in dem der ganze moderne Rollenspielkram - und das sollte man auf keinen Fall untergehen lassen - wenig bis gar keinen Niederschlag findet.
Die Illustration auf Seite 8 unterdessen ist einfach nur total goldig.
Zweitens ist Splittermond ein komplexes Spiel. Man findet zwar einige Simulationsüberbleibsel, aber im Vordergrund steht zweifelsohne der Baukasten, diese wahnsinnige Truhe aus Kinderzimmertretminen. Lego eben! SpliMo ist kein Pathfinder-Playmobil, kein Fate-Freestyle-Hobby-Basteln und erst recht kein Old-School-Revival-Puppenspiel. Der Punkt ist, dass man Lego eben NICHT ausschließlich benutzt, um die Figuren aufeinander zu hauen oder die traumatische Trennung der Eltern zu verarbeiten, sondern auch, um einfach mal unzählige Steine aufeinanderzustapeln! Wer Rollenspielregeln nur als Mittel zum Zweck versteht, als ein Werkzeug, um spannende Geschichten zu erzählen, sollte vielleicht lieber die Finger von diesem System lassen. Charaktererstellung, die verschiedenen Facetten der Probe, Ressourcenverwaltung und Taktik im Kampf, das ist alles auch Selbstzweck. Umgedreht heißt das natürlich NICHT, dass man mit Splittermond keine spannenden Geschichten erzählen könnte (Lego macht den Großteil seines Geldes mit Videospielen, duh!), aber das allein ginge wohl tatsächlich auch ein bisschen einfacher. Die Faszination liegt im System an sich, in den Details, die auf den ersten Blick schon fast übertrieben wirken. Sag deinem Lego-Kind doch einfach mal testweise, dass es lieber mit Playmobil spielen soll, weil der Ritter am Ende nun mal derselbe blöde Ritter ist. Das Kind zeigt dir den Vogel! Und das liegt bestimmt nicht nur an diesen shit-scary Gesichtern.
Dass SpliMo komplex ist, stand aber auch selten zur Debatte; meistens ging es eher um das Ausmaß dieser Komplexität. Lasst mich meine Meinung dazu in einem bunten Bild festhalten, damit es auch jeder versteht. Ich präsentiere: Die BAM!-Kurve der Komplexität!
Okay, komplex ist es also, soweit, so gut. Das Buch startet allerdings ganz dreist mit der Erklärung der Standardprobe, und wir sind positiv angetan. Wer komplexe Rollenspielsysteme kennt, wird hier höchstens positiv überrascht, durch Risiko und Sicherheit, aber besonders krass? Nah. Simple enough, I guess.
Und dann kommt das Charaktersystem. Vielleicht hat man aus Versehen bis zum zweiseitigen Charakterbogen vorgeblättert, vielleicht ist man über die Berechnung der Fertigkeitswerte gestolpert. Wie auch immer, BAM! Der Schock sitzt tief. HOLY MOLY, das ist komplex, denkt man!
Komplex genug, um leicht ein paar coole Sachen zu übersehen: Das System für Lebenspunkte (und Fokus) funktioniert ja schon in der WoD und bei Shadowrun 4e sehr gut, allerdings wurde es hier um das taktische Kanalisieren erweitert. Die Startattribute sind auch auf lange Sicht überraschend relevant, und allgemein weiß das System mit den Heldengraden zu begeistern, die kein handfester Level-Kram, aber doch ein eindeutiger Power-Boost für die Kampagne sind, der über das Verteilen von Punkten hinausgeht. Dass man sich nicht wirklich verskillen kann, gefällt ebenfalls. Lego wäre schließlich ziemlich uninteressant, wenn man nur mit einer Anleitung etwas Hübsches gebacken kriegen würde, ODER?! *genervter Seitenblick zur Character-Build-Mentalität von d20 & Co*
Die Charaktererschaffung hat zwei Modi: Erstens die Punkteerschaffung („hardcore-komplex“) und zweitens die Modulerschaffung („für-ein-komplexes-System-eigentlich-ganz-zugänglich“, oder auch liebevoll „der Duplo-Modus“). Das ist wirklich sympathisch, speziell weil der Duplo-Modus ein elegantes Mittelding zwischen der praktischen Benutzbarkeit und einer hilfreichen Orientierung für alle Charaktere bietet. Außerdem kann man die beiden so überraschend produktiv miteinander kreuzen wie die Strahlen im Finale von Ghostbusters. Und ja, Duplo und Lego sind kompatibel. Die Metapher hält, look it up.
Danach passiert zwar so einiges, aber freundlicherweise nichts, für das ich in meinem Bildchen rumkritzeln müsste. Die Stärken sind „total normal“ und wirken höchstens in ihrer Wirkung etwas doppelt gemoppelt neben den später auftauchenden Meisterschaften. Die Mondzeichen haben auch was, wobei man sich hier eventuell ein wenig streiten könnte, ob dieser zusätzliche Komplexitätslevel gerade bei der Charaktererschaffung notwendig war; eine mögliche Hausregel wäre, die Zeichen erst nach der ersten Runde einzuführen. Die Splitterpunktökonomie über das Ausspielen der Schwächen ist ein kleiner Handschlag mit der Rollenspielmoderne. Hervorheben will ich allerdings dann doch lieber die Ressourcen. Die World of Darkness (deren Inspiration man abermals vermuten darf) hantiert seit diversen Generationen mehr oder weniger unbeholfen mit der Frage herum, was genau an diesem System denn nun fest reglementiert sein sollte, und was der SL lieber gleich handwedelt. SpliMo dagegen zuckt smug mit den Schultern und wirft ein Konzept in den Raum, dass durch seine gut platzierten Laissez-faire-Elemente fast schon ein wenig fehl am Platz wirkt. Heiß! Sonst ist das Spiel nämlich ziemlich hart durchgeregelt, und oh, da kommen wir auch schon zu den Fertigkeiten. Zeit zum Kritzeln!
BAM! Ich meine nicht mal vorrangig, dass jede einzelne Fertigkeit ihre eigenen Regeln und Würfelergebnisse hat, das konnte man damals schon bei D&D 3e schrecklich finden und wird es selbst heute bei Fate Core noch nicht so richtig aus der Rollenspielsuppe kriegen. Nein, die Ursache der tektonischen Plattenverschiebung auf dem Bild liegt eher bei den Meisterschaften. Im Nachhinein sieht das wieder anders aus, aber wenn man das erste Mal in das Kapitel kommt, wird man umgehend von einem gewaltigen Batzen willkürlich wirkender Charakteroptionen erschlagen und dann tief, tief darunter verbuddelt. Mal gibt es +1, mal +2, mal +3 auf irgendeine Probe, mal kann man 5 statt 4 Meter weit schwimmen und mal kann man plötzlich Gerüchte in der Stadt verbreiten (warum auch immer man dafür eine Meisterschaft braucht). Der Witz ist: Der Wahnsinn hat System. Wenn man ein paar dutzend Meisterschaften gelesen hat, erkennt man langsam das Prinzip dahinter, aber bis dahin muss man definitiv die Zähne zusammenbeißen. Ich kann die Entscheidung verstehen, das Ganze zu den Fertigkeiten zu packen, aber eine glitzernde Warnung in Signalrot („Achtung, SYSTEM MASTERY!“) wäre echt nützlich gewesen.
Aber wie gesagt, es funktioniert. Oh, und es gibt Höhepunkte. Die gruppierten Fertigkeiten etwa. Hier hat es doch tatsächlich mal ein Spiel geschafft, dass ich Ballet tanzen kann, ohne automatisch ein verdammt guter Trommler zu sein, und dass ich auf der anderen Seite potentiell besser trommeln kann, wenn ich das subtile Taktgefühl einer Prima Ballerina mitbringe. Exquisit! Außerdem sorgen die Meisterschaften für etwas, das ich neudeutsch als „flavourful specialists“ bezeichnen würde; wer sich spezialisiert, hat nicht nur einen hohen Wert, sondern auch ein paar coole kleine Vorteile und ein bisschen Feeling mit im Paket. Manche Effekte wirken zwar etwas hartwurstig-kleinteilig, etwa die verdreifachte Haltbarkeit von Tierprodukten bei der Jagdkunst, aber hey, letztendlich sind genau diese freaky-urdeutschen Meisterschaften einer von zwei Gründen, aus denen Splittermond seine Behauptung halten kann, den Kampf nicht zwangsweise in den Mittelpunkt des Spielkonzepts zu stellen (zum zweiten Argument später mehr). Wer allerdings nur einen mäßig ausgeprägten Regelfetisch mitbringt, wird sich schon des Öfteren fragen, ob halb so viele Meisterschaften mit doppelter Wirkung nicht auch gereicht hätten … ich meine, sogar D&D hat gerade das erste Mal seit der der dritten Edition seine Talente zusammengestaucht und dabei praktisch nichts an Charakterindividualität verloren. Aber das ist dann wohl wieder der Lego-Faktor, mit dem man klarkommen muss.
Hui. BAM? Wir kommen zum Kampf, und das Tick-System überfordert meine wissenschaftlich-objektive Darstellung endgültig. Aktionen wie „Fernwaffe vorbereiten“ mit eigenem Tick-Wert, das Abbrechen der Bewegung präsentiert sich als ganzseitige Regelaberration (Monstergrad 4+) … irgendwie wirkt das erstmal alles wahnsinnig abgefahren. Beim näheren Hinschauen - und langsam bilde ich mir ein, hier ein Muster zu erkennen - macht es dann natürlich irgendwo Sinn. So ein detailliertes Kampfsystem überlebt keinen ernsthaften Playtest, ohne am Ende irgendwie zu funktionieren, und wer nach einem Blick ins Betaforum und nach der Verschiebung des Regelbuchs immer noch an den Playtest-Intentionen des Verlags zweifelt, sollte mal gründlich darüber nachdenken, ob er nicht irgendeine Probe gebotcht hat, beispielsweise auf Lebensfreude. Anekdote: Das Internet hatte so seine Probleme mit einem gewissen Schnellstarter-Zwerg und seiner weniger schnellstarterigen Zeitlupengeschwindigkeit, zurückzuführen auf Rüstungsbehinderung, langsame Waffen und … nun ja, es war immer noch ein Zwerg. Selbst vor drei Wochen sind noch irgendwelche mehr oder minder empörte Kommentare zu dem Thema aufgekommen (inkls. der obligatorischen Todsagung des Systems, so fett auch „Beta-Regeln“ auf dem Heftchen steht). Ich hab mir mal die drei Minuten genommen und das Ding nachgeschlagen. In den aktuellen Regeln ist die Rüstungbehinderung nur noch halb so hoch, und auch die betroffene heavy hitter Waffe dürfte jetzt zwei Ticks schneller arbeiten. Sieh doch mal einer an. Letztendlich bin ich mir selbst ohne Testspiel ziemlich sicher, dass die Ticks in SpliMo erheblich besser funktionieren dürften als etwa in Exalted und Scion; und hey, das ist vielleicht keine Herausforderung, aber doch schon mal ein guter Anfang. Außerdem gibt es abermals so kleine Aha!-Momente, etwa die Koloss-Regeln: Eine Hydra handelt nicht einmal auf der Tick-Leiste, sondern dreimal, und das lässt den Videospieler in mir fröhlich glucksen. Wunderbar gamey.
Okay, wo stehen wir also am Ende der Kurve?
Who fucking cares?
Jetzt mal ernsthaft. Diese ganze mühsame Diskussion zwischen „wäh! schlimmer als DSA!“ und „uh! nicht so schlimm wie Shadowrun!“ verfehlt total den Punkt: SpliMo IST komplex (Surprise!), es IST Hardcore-Lego, und die Regeln sind damit definitiv ein gutes Stück Selbstzweck. Und zwar ein verdammt gut konzipiertes und noch besser umgesetztes Stück Selbstzweck. Tut mir leid, aber viel näher an ein Fazit kommt der Text wohl nicht mehr, obwohl ihr erst ein Drittel hinter euch habt. Die ganzen Detailvergleiche lenken meiner Meinung nach nur von dem Fakt ab, dass man problemlos damit klarkommen wird, wenn man auch an D&D 3e und 4e, an Shadowrun oder DSA seinen Spaß haben konnte, ohne einen epileptischen Anfall zu kriegen, und dass man wahrscheinlich Probleme mit den SpliMo-Regeln bekommen wird, wenn einen schon diese Aufzählung allein zu den Medikamenten greifen lässt. Willkommen im Mainstream, sucker!
… man beachte aber auch den letzten Teil dieses Beitrags, für ein bisschen Relativierung.
So, CUT! Bis hierhin war alles vergleichsweise sortiert. Ich habe natürlich noch mehr geschrieben, weil das Inventar einer Legokiste nun mal nicht auf eine sticky note passt. Aber wenn jemand keinen Bock mehr auf diesen Text hat, wäre jetzt wohl der perfekte Zeitpunkt, um schreiend zu flüchten. Von hier an geht es nur noch bergab.
Wühlen in der SpliMo-Kiste
Der folgende Text ist KEIN Review zu Splittermond: Die Regeln.
Eigentlich sollte er, wie auch schon die Spritztour mit dem SpliMobil (der Schwesterntext zum Weltenband ein paar Posts weiter oben), ziemlich assoziativ werden … was aber nicht so richtig geklappt hat. Weil, man versuche mal bitte, assoziativ zu arbeiten, wenn man eine Anleitung vor sich liegen hat. Das sind Regeln, verdammt. Die sollen funktionieren, nicht assoziieren, und dementsprechend gibt es jetzt halt doch eine rudimentäre Struktur, irgendwie. Am Ende will ich mir einfach ein Bild von Splittermond machen, das Buch auseinandernehmen und ganz grundlegend verstehen. Eine Anleitung zur Anleitung sozusagen.
Disclaimer 1: Ich habe das Ding noch kein einziges Mal gespielt. Aber hey, wir befinden uns in einer Szene, in der jeder dritte mindestens einen Regalmeter Rollenspielbücher besitzt und zur selben Zeit höchstens zehn davon gelesen, geschweige denn gespielt hat. Realistisch betrachtet wäre es also eine totale Verzerrung der Tatsachen, Splittermond tatsächlich zu SPIELEN, bevor man sich eine Meinung dazu bildet. Und mit so was wollen wir hier gar nicht erst anfangen.
Disclaimer 2: Ich werde die Regeln NICHT erklären, und ich werde erst recht keinen Überblick zum Gesamtprodukt geben. Holt euch euren Schuss woanders. Der Schnellstarter etwa ist ein guter Startpunkt, oder ihr lest halt einfach ein vernünftiges Review.
Disclaimer 3: Ich habe kein Rezensionsexemplar gekriegt, was unter anderem daran liegen könnte, dass ich nicht danach gefragt habe. Eigentlich ziemlich blöd von mir?! Dann wiederum ist man wahrscheinlich sowieso parteiischer, wenn man tatsächlich noch 40€ auf den Tisch gelegt hat und direkt danach zugeben soll, dass es ein verdammter FEHLER war (nennen wir es einfach das „Kickstarter-Review-Syndrom“). Na mal sehen!
Die SpliMo-Regeln und die BAM!-Kurve der Komplexität
Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass alle wissen, was Lego ist. Diese kleinen dänischen Bauklötze für Leute ohne Modellbau-Skills? Für Leute, die zu viel „Rape Face“ in den seelenlosen Playmobil-Gesichter sehen? Ja? Gut. Splittermond: Die Regeln ist ein bisschen Lego. Eigentlich sogar ziemlich Lego.
Zuallererst ist es aber ein klassisches Spiel. Das Bild kennt man ja …
Die multikulturelle Kinderclique (mit verdächtig ausgeglichenem Geschlechterverhältnis) sitzt im Keller einer amerikanischen Vorstadt, eine unverhältnismäßige Begeisterung auf den Gesichtern, die in dieser Intension eigentlich nur ausgebeutete Kinderstars an den Tag legen können. Der Spielleiter, oder noch besser der DUNGEON MASTER, grinst diebisch hinter seinem Spielleiterschirm hervor, während er möglichst viele seiner Allmachtsfantasien in einem Groschenroman zusammenkleistert. Die Gruppe (damals praktisch der zusammengestauchte Cast von Herr der Ringe, eventuell ergänzt um Aushilfs-Jesus) muss sich mit Drachen, dunklen Verließen und extensivem Eskapismus jenseits des guten Geschmacks herumschlagen. Und während so die bescheidenen Grundlagen für die zelebrierte Totalvernerdung der Gesellschaft gelegt werden, haben die Fundamentalisten endlich mal wieder ein neues Feindbild. Good times.
Doch die 80er sind vorbei.
SpliMo ist klassisch, aber dabei auch sehr selbstbewusst, gerade im Sinne von „sich selbst bewusst“. Ein Beispiel? Man könnte ein Trinkspiel aus Formulierungen wie „im Ermessen des SLs“ oder „der SL entscheidet“ machen, ohne dass ein Vulkanzwerg (Konstitution 5) eine reelle Chance hätte, den Settingteil hinten im Buch zu erreichen. Das Spiel allerdings weiß um seinen starken Spielleiter und versucht auch gar nicht erst, irgendetwas anderes zu behaupten. Eventuellen Negativkonsequenzen begegnet man nicht mit Metaregeln, sondern mit Relativierungen und dem gelegentlichen Aufruf zu Vernunft und kollaborativem Spiel … was gut zur Gesamtmentalität passt. Die komplette Einführung zeichnet ein locker-pragmatisches, undogmatisches Bild davon, wie so ein Rollenspiel funktionieren kann, und zwar durchaus in dem Bewusstsein, dass es auch ganz anders geht. An dieser Stelle also ein Integritäts- und Toleranzbienchen für den Uhrwerk-Verlag. Die SL-Tipps später im Buch zementieren diese Herangehensweise auch noch mal sehr bewusst und ergänzen damit hervorragend das Regelsystem, in dem der ganze moderne Rollenspielkram - und das sollte man auf keinen Fall untergehen lassen - wenig bis gar keinen Niederschlag findet.
Die Illustration auf Seite 8 unterdessen ist einfach nur total goldig.
Zweitens ist Splittermond ein komplexes Spiel. Man findet zwar einige Simulationsüberbleibsel, aber im Vordergrund steht zweifelsohne der Baukasten, diese wahnsinnige Truhe aus Kinderzimmertretminen. Lego eben! SpliMo ist kein Pathfinder-Playmobil, kein Fate-Freestyle-Hobby-Basteln und erst recht kein Old-School-Revival-Puppenspiel. Der Punkt ist, dass man Lego eben NICHT ausschließlich benutzt, um die Figuren aufeinander zu hauen oder die traumatische Trennung der Eltern zu verarbeiten, sondern auch, um einfach mal unzählige Steine aufeinanderzustapeln! Wer Rollenspielregeln nur als Mittel zum Zweck versteht, als ein Werkzeug, um spannende Geschichten zu erzählen, sollte vielleicht lieber die Finger von diesem System lassen. Charaktererstellung, die verschiedenen Facetten der Probe, Ressourcenverwaltung und Taktik im Kampf, das ist alles auch Selbstzweck. Umgedreht heißt das natürlich NICHT, dass man mit Splittermond keine spannenden Geschichten erzählen könnte (Lego macht den Großteil seines Geldes mit Videospielen, duh!), aber das allein ginge wohl tatsächlich auch ein bisschen einfacher. Die Faszination liegt im System an sich, in den Details, die auf den ersten Blick schon fast übertrieben wirken. Sag deinem Lego-Kind doch einfach mal testweise, dass es lieber mit Playmobil spielen soll, weil der Ritter am Ende nun mal derselbe blöde Ritter ist. Das Kind zeigt dir den Vogel! Und das liegt bestimmt nicht nur an diesen shit-scary Gesichtern.
Dass SpliMo komplex ist, stand aber auch selten zur Debatte; meistens ging es eher um das Ausmaß dieser Komplexität. Lasst mich meine Meinung dazu in einem bunten Bild festhalten, damit es auch jeder versteht. Ich präsentiere: Die BAM!-Kurve der Komplexität!
Okay, komplex ist es also, soweit, so gut. Das Buch startet allerdings ganz dreist mit der Erklärung der Standardprobe, und wir sind positiv angetan. Wer komplexe Rollenspielsysteme kennt, wird hier höchstens positiv überrascht, durch Risiko und Sicherheit, aber besonders krass? Nah. Simple enough, I guess.
Und dann kommt das Charaktersystem. Vielleicht hat man aus Versehen bis zum zweiseitigen Charakterbogen vorgeblättert, vielleicht ist man über die Berechnung der Fertigkeitswerte gestolpert. Wie auch immer, BAM! Der Schock sitzt tief. HOLY MOLY, das ist komplex, denkt man!
Komplex genug, um leicht ein paar coole Sachen zu übersehen: Das System für Lebenspunkte (und Fokus) funktioniert ja schon in der WoD und bei Shadowrun 4e sehr gut, allerdings wurde es hier um das taktische Kanalisieren erweitert. Die Startattribute sind auch auf lange Sicht überraschend relevant, und allgemein weiß das System mit den Heldengraden zu begeistern, die kein handfester Level-Kram, aber doch ein eindeutiger Power-Boost für die Kampagne sind, der über das Verteilen von Punkten hinausgeht. Dass man sich nicht wirklich verskillen kann, gefällt ebenfalls. Lego wäre schließlich ziemlich uninteressant, wenn man nur mit einer Anleitung etwas Hübsches gebacken kriegen würde, ODER?! *genervter Seitenblick zur Character-Build-Mentalität von d20 & Co*
Die Charaktererschaffung hat zwei Modi: Erstens die Punkteerschaffung („hardcore-komplex“) und zweitens die Modulerschaffung („für-ein-komplexes-System-eigentlich-ganz-zugänglich“, oder auch liebevoll „der Duplo-Modus“). Das ist wirklich sympathisch, speziell weil der Duplo-Modus ein elegantes Mittelding zwischen der praktischen Benutzbarkeit und einer hilfreichen Orientierung für alle Charaktere bietet. Außerdem kann man die beiden so überraschend produktiv miteinander kreuzen wie die Strahlen im Finale von Ghostbusters. Und ja, Duplo und Lego sind kompatibel. Die Metapher hält, look it up.
Danach passiert zwar so einiges, aber freundlicherweise nichts, für das ich in meinem Bildchen rumkritzeln müsste. Die Stärken sind „total normal“ und wirken höchstens in ihrer Wirkung etwas doppelt gemoppelt neben den später auftauchenden Meisterschaften. Die Mondzeichen haben auch was, wobei man sich hier eventuell ein wenig streiten könnte, ob dieser zusätzliche Komplexitätslevel gerade bei der Charaktererschaffung notwendig war; eine mögliche Hausregel wäre, die Zeichen erst nach der ersten Runde einzuführen. Die Splitterpunktökonomie über das Ausspielen der Schwächen ist ein kleiner Handschlag mit der Rollenspielmoderne. Hervorheben will ich allerdings dann doch lieber die Ressourcen. Die World of Darkness (deren Inspiration man abermals vermuten darf) hantiert seit diversen Generationen mehr oder weniger unbeholfen mit der Frage herum, was genau an diesem System denn nun fest reglementiert sein sollte, und was der SL lieber gleich handwedelt. SpliMo dagegen zuckt smug mit den Schultern und wirft ein Konzept in den Raum, dass durch seine gut platzierten Laissez-faire-Elemente fast schon ein wenig fehl am Platz wirkt. Heiß! Sonst ist das Spiel nämlich ziemlich hart durchgeregelt, und oh, da kommen wir auch schon zu den Fertigkeiten. Zeit zum Kritzeln!
BAM! Ich meine nicht mal vorrangig, dass jede einzelne Fertigkeit ihre eigenen Regeln und Würfelergebnisse hat, das konnte man damals schon bei D&D 3e schrecklich finden und wird es selbst heute bei Fate Core noch nicht so richtig aus der Rollenspielsuppe kriegen. Nein, die Ursache der tektonischen Plattenverschiebung auf dem Bild liegt eher bei den Meisterschaften. Im Nachhinein sieht das wieder anders aus, aber wenn man das erste Mal in das Kapitel kommt, wird man umgehend von einem gewaltigen Batzen willkürlich wirkender Charakteroptionen erschlagen und dann tief, tief darunter verbuddelt. Mal gibt es +1, mal +2, mal +3 auf irgendeine Probe, mal kann man 5 statt 4 Meter weit schwimmen und mal kann man plötzlich Gerüchte in der Stadt verbreiten (warum auch immer man dafür eine Meisterschaft braucht). Der Witz ist: Der Wahnsinn hat System. Wenn man ein paar dutzend Meisterschaften gelesen hat, erkennt man langsam das Prinzip dahinter, aber bis dahin muss man definitiv die Zähne zusammenbeißen. Ich kann die Entscheidung verstehen, das Ganze zu den Fertigkeiten zu packen, aber eine glitzernde Warnung in Signalrot („Achtung, SYSTEM MASTERY!“) wäre echt nützlich gewesen.
Aber wie gesagt, es funktioniert. Oh, und es gibt Höhepunkte. Die gruppierten Fertigkeiten etwa. Hier hat es doch tatsächlich mal ein Spiel geschafft, dass ich Ballet tanzen kann, ohne automatisch ein verdammt guter Trommler zu sein, und dass ich auf der anderen Seite potentiell besser trommeln kann, wenn ich das subtile Taktgefühl einer Prima Ballerina mitbringe. Exquisit! Außerdem sorgen die Meisterschaften für etwas, das ich neudeutsch als „flavourful specialists“ bezeichnen würde; wer sich spezialisiert, hat nicht nur einen hohen Wert, sondern auch ein paar coole kleine Vorteile und ein bisschen Feeling mit im Paket. Manche Effekte wirken zwar etwas hartwurstig-kleinteilig, etwa die verdreifachte Haltbarkeit von Tierprodukten bei der Jagdkunst, aber hey, letztendlich sind genau diese freaky-urdeutschen Meisterschaften einer von zwei Gründen, aus denen Splittermond seine Behauptung halten kann, den Kampf nicht zwangsweise in den Mittelpunkt des Spielkonzepts zu stellen (zum zweiten Argument später mehr). Wer allerdings nur einen mäßig ausgeprägten Regelfetisch mitbringt, wird sich schon des Öfteren fragen, ob halb so viele Meisterschaften mit doppelter Wirkung nicht auch gereicht hätten … ich meine, sogar D&D hat gerade das erste Mal seit der der dritten Edition seine Talente zusammengestaucht und dabei praktisch nichts an Charakterindividualität verloren. Aber das ist dann wohl wieder der Lego-Faktor, mit dem man klarkommen muss.
Hui. BAM? Wir kommen zum Kampf, und das Tick-System überfordert meine wissenschaftlich-objektive Darstellung endgültig. Aktionen wie „Fernwaffe vorbereiten“ mit eigenem Tick-Wert, das Abbrechen der Bewegung präsentiert sich als ganzseitige Regelaberration (Monstergrad 4+) … irgendwie wirkt das erstmal alles wahnsinnig abgefahren. Beim näheren Hinschauen - und langsam bilde ich mir ein, hier ein Muster zu erkennen - macht es dann natürlich irgendwo Sinn. So ein detailliertes Kampfsystem überlebt keinen ernsthaften Playtest, ohne am Ende irgendwie zu funktionieren, und wer nach einem Blick ins Betaforum und nach der Verschiebung des Regelbuchs immer noch an den Playtest-Intentionen des Verlags zweifelt, sollte mal gründlich darüber nachdenken, ob er nicht irgendeine Probe gebotcht hat, beispielsweise auf Lebensfreude. Anekdote: Das Internet hatte so seine Probleme mit einem gewissen Schnellstarter-Zwerg und seiner weniger schnellstarterigen Zeitlupengeschwindigkeit, zurückzuführen auf Rüstungsbehinderung, langsame Waffen und … nun ja, es war immer noch ein Zwerg. Selbst vor drei Wochen sind noch irgendwelche mehr oder minder empörte Kommentare zu dem Thema aufgekommen (inkls. der obligatorischen Todsagung des Systems, so fett auch „Beta-Regeln“ auf dem Heftchen steht). Ich hab mir mal die drei Minuten genommen und das Ding nachgeschlagen. In den aktuellen Regeln ist die Rüstungbehinderung nur noch halb so hoch, und auch die betroffene heavy hitter Waffe dürfte jetzt zwei Ticks schneller arbeiten. Sieh doch mal einer an. Letztendlich bin ich mir selbst ohne Testspiel ziemlich sicher, dass die Ticks in SpliMo erheblich besser funktionieren dürften als etwa in Exalted und Scion; und hey, das ist vielleicht keine Herausforderung, aber doch schon mal ein guter Anfang. Außerdem gibt es abermals so kleine Aha!-Momente, etwa die Koloss-Regeln: Eine Hydra handelt nicht einmal auf der Tick-Leiste, sondern dreimal, und das lässt den Videospieler in mir fröhlich glucksen. Wunderbar gamey.
Okay, wo stehen wir also am Ende der Kurve?
Who fucking cares?
Jetzt mal ernsthaft. Diese ganze mühsame Diskussion zwischen „wäh! schlimmer als DSA!“ und „uh! nicht so schlimm wie Shadowrun!“ verfehlt total den Punkt: SpliMo IST komplex (Surprise!), es IST Hardcore-Lego, und die Regeln sind damit definitiv ein gutes Stück Selbstzweck. Und zwar ein verdammt gut konzipiertes und noch besser umgesetztes Stück Selbstzweck. Tut mir leid, aber viel näher an ein Fazit kommt der Text wohl nicht mehr, obwohl ihr erst ein Drittel hinter euch habt. Die ganzen Detailvergleiche lenken meiner Meinung nach nur von dem Fakt ab, dass man problemlos damit klarkommen wird, wenn man auch an D&D 3e und 4e, an Shadowrun oder DSA seinen Spaß haben konnte, ohne einen epileptischen Anfall zu kriegen, und dass man wahrscheinlich Probleme mit den SpliMo-Regeln bekommen wird, wenn einen schon diese Aufzählung allein zu den Medikamenten greifen lässt. Willkommen im Mainstream, sucker!
… man beachte aber auch den letzten Teil dieses Beitrags, für ein bisschen Relativierung.
So, CUT! Bis hierhin war alles vergleichsweise sortiert. Ich habe natürlich noch mehr geschrieben, weil das Inventar einer Legokiste nun mal nicht auf eine sticky note passt. Aber wenn jemand keinen Bock mehr auf diesen Text hat, wäre jetzt wohl der perfekte Zeitpunkt, um schreiend zu flüchten. Von hier an geht es nur noch bergab.