Rollenspieltheorie Schadens-, Verwundungs- und Hitpointsysteme

Hesha

Godfather of Hartwurst
Registriert
5. Juni 2005
Beiträge
9.781
Ich kenne zugegebenermaßen nur eine beschränkte Anzahl an Systemen*, aber in allediesen sind die Systeme um Schaden und Verletzung stark abstrahiert und häufig in Zahlenwerte umgewandelt. Es gibt Systeme mit Hitpoints (D&D, DSA), Systeme mit Wundstufen (oWoD, SR 3), auch Trefferzonen, aber meist nur in Verbindung mit Hitpoints. Dabei entsteht aber meiner Erachtens zum einen eine gewisse Entfremdung von der Realität einer Verletztung ("Ich hab 3 HP verloren" vs. "scheiße, ich blute") und zum anderen können dadurch seltsame Situationen entstehen (10 Axtschläge auf den kleinen Zeh sind tödlich).

Ich baue gerade an einem eigenen Schadenssystem mit Schadensarten, Trefferzonen und Wundstufen, sozusagen "zahlenfrei".

Gibt es sowas schon? Habt Ihr Erfahrungen mit "deutlich anderen" Schadenssystemen?
 
Was ich im Indie kenne: Eine Spielfigur hat im Fallbeispiel 40 LP.
Jede Form unter 10 Punkten netto ist normaler Schaden und nicht weiter zu beachten (notiert werden muss das aber schon). Kleine Schnitte, Quetschungen, Blaue Flecke. Leichte Verbrennungen oder Unterkühlungen... Sowas eben.
Ab 10 Punkte gibt es einen Kritischen Schaden von 1. Da muss dann der Schaden unterteilt werden in stumpf oder scharf.
Stumpf 1 wäre eine starke Prellung. Scharf 1 ein tiefer Schnitt. Da gibt es dann besondere Modi wie Blutung, zusätzlicher Schaden pro Runde...
Die Kritischen Schäden sind dann bis ungefähr maximal 20 Punkte Nettoschaden gestaffelt. Stufe 2, 3, vielleicht sogar noch 4 oder 5. Alles über 2 endet aber meist mit dem Tod oder man behält permanente Schäden. Wäre beim Scharfen Critical 3 auf ein Gliedmaß der ganze Arm ab (dazu eine hohe Wahrscheinlichkeit des vorzeitigen Endes), wäre der Arm bei Stumpfen kritischen Schaden 3 "nur" restlos zertrümmert und könnte wohl trotz ärztlicher Behandlung nie wieder in vollem Umfang genutzt werden.
Je besser die Rüstung, desto mehr schützt sie vor kritischen Schadensstufen. Wenn die vom Meisterschmied gemachte Volldose vielleicht bis Kritischer Schaden 3 schützt, muss danach Magie oder Sonstiges her, um vor Stufe 4 oder mehr noch schützen zu können.

Bekommt nun unser Held mit 40 LP einen kritischen Treffer Stufe 2 mit einem Säbel auf den Hals verprellt und er trägt keine Rüstung, die davor schützt: Byebye!
Bedenke aber, dass - wenn vorhanden - Rüstung vor normalem Schaden schützt. Ein Rumpftreffer mit 11 Netto wäre zwar kritisch, aber wenn die Rüstung generell um 2 (nicht kritischen) Schaden reduziert, ist es kein so böser Treffer mehr. Dann werden einfach nur 9 Schaden abgezogen und der Held steht mit 31 LP noch wie 'ne Eins.
Bekommt er 12 netto Schaden, wäre das wieder Kritisch 1. Schützt seine Rüstung aber auch vor Kritischer Schaden mit mindestens 1, wird der normale Rüstungswert subtrahiert. Bei Rüstung 2 wäre es 10 - immer noch kritisch, aber der Kritische Schutz 1 verhindert das Schlimmste.
 
Bei Deadlands gibt es verschiedene Schadenszonen (Arme, Beine, Kopf, Eingeweide). Jede von denen kann Wunden erhalten. Nach 5 Wunden ist das Körperteil zerstört. Bei Kopf und Eingeweide ist das dann tödlich, bei Armen und Beinen nicht zwangsläufig (man kann aber ohnmächtig werden und dann sterben). Dafür gibt es bei Deadlands die Puste. Hast du die komplett verloren, bis du quasi handlungsunfähig/ohnmächtig. Das kann durch stumpfen Schaden geschehen oder eben durch die Wunden - jeder Treffer kostet Puste. Sprich: Durch fünf Wunden am Fuss stirbst du normal nicht, kannst aber durchaus vom Schmerz ohnmächtig werden. Einen Charakter mit Holzbein haben wir schon in der Runde:D
 
Ich kenne zugegebenermaßen nur eine beschränkte Anzahl an Systemen*, aber in allediesen sind die Systeme um Schaden und Verletzung stark abstrahiert und häufig in Zahlenwerte umgewandelt. Es gibt Systeme mit Hitpoints (D&D, DSA), Systeme mit Wundstufen (oWoD, SR 3), auch Trefferzonen, aber meist nur in Verbindung mit Hitpoints. Dabei entsteht aber meiner Erachtens zum einen eine gewisse Entfremdung von der Realität einer Verletztung ("Ich hab 3 HP verloren" vs. "scheiße, ich blute") und zum anderen können dadurch seltsame Situationen entstehen (10 Axtschläge auf den kleinen Zeh sind tödlich).

Ich baue gerade an einem eigenen Schadenssystem mit Schadensarten, Trefferzonen und Wundstufen, sozusagen "zahlenfrei".

Gibt es sowas schon? Habt Ihr Erfahrungen mit "deutlich anderen" Schadenssystemen?
Ja, ich habe ein bißchen (also ein- oder zweimal angespielt, vor Jahren) Erfahrung mit komplexeren Schadenssystemen aus dem "Aliens Adventure Game" von Leading Edge, dem modernen Kampfsimulator "Phoenix Command" vom gleichen Verlag, der sozusagen die fortgeschrittene Version des ersteren darstellt, und dem System aus "Millennium's End". Alle arbeiten mit Trefferlokationen, die bei PC war eine W1000-Tabelle - ja, das ist die richtige Anzahl Nullen - und die bei ME ein Plastik-Overlay, das man über eine grafische Darstellung des Ziels, abhängig vom Schusswinkel, gelegt hat. Dazu kommt dann ein immer noch mit Zahlen (Schadenspunkte bei PC gehen von 1 bis mehrere Millionen pro Treffer) arbeitendes, aber komplexes System, das genau bestimmen soll, welche Auswirkungen auf die Überlebenschancen es hat, wenn man mit wie viel Energie wo getroffen wird.

Meine Meinung: Spiel sowas ein paar Mal und Du entwickelst eine ganz neue Wertschätzung für klassische abstrakte Trefferpunktsysteme.
 
Hârnmaster hat ein System, wo jeder Treffer eine Wunde anrichtet, die einen Punktewert hat. Je nach Punktewert und Schadensart stellt sich die Verwundung dann als irgendwas zwischen "blauer Fleck" und "offener Trümmerbruch" dar. Lebenspunkte gibt es nicht - man muss für schwere Verwundungen irgendwann Todeswürfe machen, sonst verblutet man. Das System ist da sehr graphisch und auch wenn es zunächst nach klassischen Hitpoints aussieht, löst es das ganze deutlich anders.
 
Ja, ich habe ein bißchen (also ein- oder zweimal angespielt, vor Jahren) Erfahrung mit komplexeren Schadenssystemen aus dem "Aliens Adventure Game" von Leading Edge, dem modernen Kampfsimulator "Phoenix Command" vom gleichen Verlag, der sozusagen die fortgeschrittene Version des ersteren darstellt, und dem System aus "Millennium's End". Alle arbeiten mit Trefferlokationen, die bei PC war eine W1000-Tabelle - ja, das ist die richtige Anzahl Nullen - und die bei ME ein Plastik-Overlay, das man über eine grafische Darstellung des Ziels, abhängig vom Schusswinkel, gelegt hat. Dazu kommt dann ein immer noch mit Zahlen (Schadenspunkte bei PC gehen von 1 bis mehrere Millionen pro Treffer) arbeitendes, aber komplexes System, das genau bestimmen soll, welche Auswirkungen auf die Überlebenschancen es hat, wenn man mit wie viel Energie wo getroffen wird.

Meine Meinung: Spiel sowas ein paar Mal und Du entwickelst eine ganz neue Wertschätzung für klassische abstrakte Trefferpunktsysteme.
Das klingt in der Tat ziemlich abschreckend....
Hârnmaster hat ein System, wo jeder Treffer eine Wunde anrichtet, die einen Punktewert hat. Je nach Punktewert und Schadensart stellt sich die Verwundung dann als irgendwas zwischen "blauer Fleck" und "offener Trümmerbruch" dar. Lebenspunkte gibt es nicht - man muss für schwere Verwundungen irgendwann Todeswürfe machen, sonst verblutet man. Das System ist da sehr graphisch und auch wenn es zunächst nach klassischen Hitpoints aussieht, löst es das ganze deutlich anders.
Sowas schwebte mir vor, ja... vielleicht sollte ich mir Hârnmaster mal ansehen. Bisher hatte ich mich nur immer über den Namen amüsiert... taugt es denn auch sonst was oder ist das innovative Schadenssystem eine Ausnahme in einem ansonsten schwer drögen System?
 
Man kann anstelle von Schadenswerte Aspekte erhalten, wie das beispielsweise bei Fate der Fall ist.
Das alte cWoD MET System scheint Schadenswerte über Eigenschaften bzw. negative Adjektive zu beschreiben (Das heißt man erhält z.B.: Lahm, Ungeschickt, Verdattert und sowas).
 
Ich baue gerade an einem eigenen Schadenssystem mit Schadensarten, Trefferzonen und Wundstufen, sozusagen "zahlenfrei".
Angeli bietet das schon seit den frühen 90ern. Man hält Schadensart und Trefferbereich fest und muss dann eine Konstitutionsprobe mit einer bestimmten Anzahl von Erfolgen schaffen, um KO bzw. Tod abzuwenden. Dazu gibt es nur eine kurze Liste von Beispielen, aus der der SL frei die Schwierigkeit bestimmt.
Ist in der Praxis ausgesprochen labberig und klappt nicht sehr gut.

Eine besser verregelte Version ist The Riddle of Steel. Der menschliche Körper wird in mehrere Zonen aufgeteilt, die Wunden von Stufe 1 bis 5 nehmen können, mit individuellen Werten für Schock (kurzfristige Wundabzüge), Schmerz (langfristige Wundabzüge), Blutverlust (kumulative Schwierigkeit, den ründlichen Rettungswurf gegen Konstiverlust zu schaffen. Hinzu kommen noch Sondereffekte, die von Extraschmerz (Stufe-1-Wunde an den Eiern bei männlichen SCs) über Gliedmaßenverlust bis zum sofortigen Tod reichen (Stufe-5-Wunde gegen Kopf oder Hals => Rübe ab).
Das kostenlose Quickstart reicht da für einen Einblick.

Was generelle Überblicke angeht, empfehle ich für unsere Kleinkaliberhobbyschützen einen Blick auf Xiangs Schadenssystemvergleich (wobei hier Attributsschaden à Traveller oder PDQ fehlt) und für unsere Großkalibergroßwildsafarifreunde die RPG Design Patterns (mit dem Einträgen für Hit Points, Wound Trait und Trauma Gauge als Schnelleinstieg für gängige Wundsystempatterns).
 
Das klingt in der Tat ziemlich abschreckend....
Ja, aber es war nicht nur so gemeint. :sneaky:

Man kann nämlich durch Betrachtung eines nicht-abstrahierenden Systems sehr gut sehen, wozu Abstraktion gut ist und wie sie funktioniert.
Beim "Aliens Adventure Game" würfelst Du nach Feststellung eines Treffers
1.) erst mit 1W100 aus, an welcher Lokation Du triffst,
2.) und dann mit 1W10 den "Glancing Roll", der bestimmt, wie gut der Treffer in der betroffenen Lokation gesessen hat,
3.) was in Kombination mit dem Waffentyp dann entweder das Ergebnis "sofort tot" oder eine Anzahl von Verwundungspunkten zwischen einem und 80000 ausspuckt.
4.) Diese Verwundungspunkte sagen uns nun, wie groß die Chance ist, dass ein Charakter durch die Wunden kampfunfähig wird, wie lange diese Kampfunfähigkeit ggf. dauert, ob man daran stirbt und wie lange ggf. die Heilung dauert.

Wenn in den 80ern nun der legendäre Superheld Captain Obvious schon aktiv gewesen wäre, hätte er den Designern erklären können, dass man 1.) bis 3.) in "Verwundungspunkte auswürfeln" hätte zusammenfassen und sich somit einen Wurf und eine Tabellenkonsultation sparen können, ohne irgend welche spieltechnischen Informationsdefizite zu erzeugen. Das ist klassisch unnötig komplexes Design.

Um das mal etwas genereller zu fassen: Ein vernünftiges Schadenssystem sollte wie andere Subsysteme auch auf folgenden Überlegungen basieren:
a) Was ist mein Input? Welche Faktoren sollen einfließen? (z.B. Art der Waffe, Stärke, Qualität des Angriffs, Rüstung, Konstitution des Verteidigers)
b) Welchen Output erwarte ich? Das werden oft Antworten auf Fragen nach dem Zustand des Getroffenen sein: Tot? Kampfunfähig und wenn ja, wie lange? Bei weiteren Handlungen beeinträchtigt und wenn ja, wie sehr? Empfindlicher für zukünftige Verwundungen und wenn ja wie sehr?
c) Wenn ich das geklärt habe, entwickle ich das einfachste mögliche System, um in einer für mich plausiblen Weise vom Input zum Output zu gelangen.

Und da haben die Designer in dem Beispiel - und in anderen ähnlichen Systemen - einfach versagt, weil sie vollkommen überflüssige Zwischenschritte eingebaut haben. Das passiert, wenn man mit dem Design in der Mitte anfängt, statt auf Ausgangsbasis und Ziel zu schauen.
 
Sowas schwebte mir vor, ja... vielleicht sollte ich mir Hârnmaster mal ansehen. Bisher hatte ich mich nur immer über den Namen amüsiert... taugt es denn auch sonst was oder ist das innovative Schadenssystem eine Ausnahme in einem ansonsten schwer drögen System?


Es ist sehr crunchy, aber besser als sein Ruf. Keine wüste Tabellenschlacht, w% System. Die Charaktererstellung ist SEHR aufwendig - die Rechenarbeit vor einem Kampf auch - aber wenn man alle seine Daten hat geht es schneller als DSA....
 
Um mal ein paar mehr oder minder "deutlich andere," zu meist aus der Indie Ecke zu nennen:

In Mouse Guard (und ich meine auch den weiteren Spielen aus der "Burning Familie") legen die Konfliktpartien vor dem Konflikt ihr Ziel fest. Der Gewinner ereicht sein Ziel, der Verlierer nicht. Je knapper es für den Gewinner war um so höher sind die "Nebenkosten" sprich Zusatzeffekte die er zahlen bzw. in kauf nehmen muss.

Der Stress bei FATE ähnelt auf den ersten Blick einen Wundmonitor. Verlorener Stress regeneriert sich nach jeder Szene. Interessant wird es, wenn man zu viel Stress ansammelt, den kann man in Konsequenzen umwandeln, die langsamer regenerieren, je mehr Stress sie "abbauen" können. Kosequenzen ähneln dabei den Aspekten aus dem gleichen Spiel, sie sind einerseits sehr vielseitig und können frei definiert werden, haben aber auf der anderen Seite schon harte Regelkonsequenzen ;).

Bei John Wicks Orkworld müsste es so gewesen sein,wenn ich mich recht erinnere, daß ein Charakter nur unverletzt, verletzt und tot sein konnte.

Bei Zombie Cinema, gibt es ein Spielbrett auf dem Pöpel für SCs und die Zombies platziert sind, jede Szene wird sich bewegt, erreicht der Zombiepöpel einen SC-Pöpel stirbt der Charakter in dieser Szene. (Das ganze, also auch, ob man seinen Pöpel vorrücken darf, hängt noch mit Szenenweisen erwürfelten Entscheidungsrechten zusammen)

Bei einigen RPGs, wie etwa RISUS und einigen Varianten der One Roll Engine sind Fähikeiten/Attriubute (na jeden Falls die Werte auf bzw. mit denen man würfelt) gleichzeitig, die Hitpoints/Wunden, ihr absinkt erschwert dann natürlich die folgenden Proben.

Bei Don't rest your Head wiederum ist dies ein wenig anders, zwar bricht der Charakter zusammen, wenn seine Erschöpfung über 6 steigt, allerdings wird sie, als ein zentraler Wert, in den Pools mitgewürfelt und lässt sich vor allem freiwillig steigern (udn steigt nicht zwangläufig nach verlorenen Konflikten). Je höher die Erschöpfung, desto mehr rockt der Charakter. Was das manische "Tanz-auf-dem-Vulkan-Gefühl" des Spiels recht gut unterstreicht
 
Wie schlimm findet Ihr Tabellen? Ich dachte nämlich an ein System mit Tabelle, wo es für jede Trefferzone eine Tabelle gibt, wo Schadensart und "Wucht" die Wunde bestimmen. Es wird 6-7 Trefferzonen geben, wobei Arme und Beine natürlich nur jeweils eine Tabelle brauchen...
 
Wie schlimm findet Ihr Tabellen? Ich dachte nämlich an ein System mit Tabelle, wo es für jede Trefferzone eine Tabelle gibt, wo Schadensart und "Wucht" die Wunde bestimmen. Es wird 6-7 Trefferzonen geben, wobei Arme und Beine natürlich nur jeweils eine Tabelle brauchen...


So wie in Hârnmaster :p. Ernsthaft - schau dir das System mal an, ich weiß nicht ob's da einen Quickstart von gibt (beim Free-RPG Day sind sie öfter mal dabei) - das scheint das zu sein was du willst. Die haben diese Tabelle schon.
 
Zurück
Oben Unten