Novus (2. Edition) - ein skillbasiertes RPG

BoyScout

Dhampir
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Ich möchte etwas zum settinglosen Fantasy-Rollenspiel Novus (2. Edition) erzählen. Das ist aber kein Review sondern nur ein Ersteindruck.

Einleitung
Novus lässt sich am besten einordnen in dem, was es nicht ist. Es erfindet das Rad nicht neu und wirbt sogar damit. Es ist nicht übermäßig brettspielig und nicht übermäßig realistisch oder kompliziert. Es sitzt genau in der Mitte, in dem alle Heartbreaker sitzen, die aus vielen Systemen das nehmen, was sie wollen, um es neu zusammenzurühren. Und manchmal passt die Mischung zu dem, was man selbst gern mag.

Wodurch es heraussticht ist, dass es im Gegensatz zu Hobbyprojekten professionell gemacht ist (gutes Layout, PDF mit Lesezeichen, Index, Glossar) und seit 10 Jahren gepflegt wird (so kommt es z.B. auch mit einem eigenen Magazin, dem Libram Secundus). Es hat, soweit ich das sehen kann, eine weitestgehend saubere, klare Regelsprache ohne Schwafeleien und ist das, was ich im Großen und Ganzen als "vollständig" ansehe (heißt, man braucht eigentlich kaum weitere Quellen zum Spielen). Es benutzt genügend "moderne" Mechanismen, so dass es nicht ohne weiteres vorhersehbar und berechenbar ist. Dazu gehören z.B. Schicksalspunkte und explodierende (und implodierende!) Würfel.

Das Buch hat 142 Seiten und ist in der 2. Edition Anfang 2022 erschienen. Die 1.Edition stammt meines Wissen von 2013. Mich erinnert das Ganze an eine Mischung aus Arcane Codex, Mythras/Runequest. Unisystem mit homöopathischen Dosen von Savage Worlds (aber von jemandem der ganz klar Erfahrungen mit D&D hat). Also eine sehr wilde Mischung.

Das Spiel erhält man auf Drivethru

Die Verlagsseite

Der Designer Tim Dugger hat vorher meines Wissens HARP geschrieben und mit an Rolemaster gearbeitet (Editor?)


Grundmechanismus
Das Spiel setzt die klassische, strikte Trennung 1 SL + Spieler voraus, wobei alle Charakterhandlungen einzeln abgehandelt werden.
Eine Probe ist einfach 2W10 + Skill + Attribute + Mods. Die Attribute sind meistens nicht fix auf die Skills bezogen, was das Spiel schonmal doppelt so gut macht, wie die meisten anderen skillbasierten RPGs. Die Würfel können jedoch ex- UND implodieren. Eine 10 oder 1 wird nochmal gewürfelt und addiert/abgezogen. Dann gibt es besondere Ergebnisse (1+1, 10+10, aber auch 1+10, diler "novus roll"), mit eigenen Effekten z.B. kriegt man Fate-Points, mit denen man sich bestimmte Vorteile kaufen kann. Diese können sowohl spielmechanisch, als auch abstrakt-storygetrieben sein. Eine Probe lohnt sich also auch, wenn man nicht supergut in einer Fertigkeit ist.

A pro pos Fertigkeit. In Novus werden die Charaktere mit 8 Attributen, 7 abgeleiteten Saves (2 Attribute addiert) und um die 30 Skills beschrieben. Das ist moderat viel aber gerade die vielen Attribute und das Addieren zweier Attribute ist eine gute Sache. Denn Min-Maxing erscheint mir hierdurch sehr schwierig, da alle Werte früher oder später eine Rolle spielen. Die Vielfalt für Charakterkonzepte ist extrem hoch.
Ein Beispiel: Es gibt Waffen für die Attribute Dexterity, Wisdom, Int und Speed. Aber wer überleben will, braucht auch Stärke und Konstitution.

Die Charaktergenerierung berücksichtigt dabei auch Dinge wie kultureller Hintergrund (z.B. Nomad oder Rural) und sogenannte Training Paths (sowas wie Helden-Skill-Pakete). Das macht es insbesondere leicht für Settinganpassungen (ähnlich wie Mythras/RQ mit seinen Kulturpaketen).

"Leider" gibt es auch Charakter-Nach/Vorteile. Es sind in Summe ca. 90 Einträge. Man kann die auch komplett ignorieren, aber vrmtl. ist es gut zu haben für die Leute, die sowas wollen.

Unter den vielen gifts/drawbacks und kindred talents (also racial talents) gesellen sich auch viele übernatürliche Fähigkeiten, die man auch aus D&D kennt.


Kampf
Der interessiert natürlich am meisten. Der Kampfablauf ist sauber in Phasen aufgeteilt und beschrieben. Die Initiative wird einmal gewürfelt, dann werden umgekehrt Aktionen angesagt und vom schnellsten an abgearbeitet! Das ist effentiell in das System eingebaut und darf nicht einfach ignoriert werden.
Das Besondere ist, dass jeder pro Runde 5 Aktionspunkte hat und es einen "Katalog" an kaufbaren Aktionen und Kampfmanövern gibt (die meisten davon muss man mit XP freischalten). Es macht Sinn, die Liste in den ersten Abenden als Handout zu benutzen, aber es ist nichts Unintuitives darin. Wer in RPGs keine Probleme mit All-out-Attack und Wuchtschlag hat, der kommt damit klar.
Ich kann also so viele Aktionen kaufen, wie ich sie mir leisten kann. So kosten leichte Waffen z.B. weniger Aktionspunkte pro Runde. Man kann sich das im Endeffekt genauso wie das PC-Spiel Ufo vorstellen. Eigentlich ein sehr naheliegender Ansatz, der viel zu selten genutzt wird.

Schaden wird nicht separat gewürfelt! Alle Waffen haben fixe Schadenswerte+Stärkeattribut und man kann nur mehr Schaden machen, wenn man gute Ergebnisse hat! Hier erhält man die Differenz zum Verteidigungswert als Bonusschaden. Schaden wird von Rüstung abgezogen, die ist aber schwer (da braucht man Konstitution). Auch hier sieht man, dass Minmaxen nicht lohnt.

Zusätzlich zu Hit Points (die schnell regenerieren) gibt es Wunden (3 verschiedene) und Schock (auch 3 verschiedene), insgesamt etwas exzessiv. Gerade der Schock ist absolut tödlich, denn er wirkt sofort und kann mehrere Runden andauern und lässt dann meist keine Attacken mehr zu. Hier lohnt sich also eine gute Initiative, da man ja jede Runde die Aktionen abwarten und reagieren darf, Min-Maxen lohn.. ok ich denke ihr habt's herausgelesen.

Zusätlich geben die Waffenarten dann Ini-Bonus/Malus und kritische Ergebnisse, hier kommen die Schadensarten ins Spiel (Slashing, Bludgeoning..). Schlagwaffen machen eher Stun, Slashing eher schwere Wunden usw. Es ist gerade für mich genug Variation, dass man nicht einfach die Stärkste Waffen nimmt und gut ist.

Oben drauf auf den Haufen gibt es drei Rolemaster-Like Tabellen für sonstige kritische Patzer, allerdings haben die "nur" jeweils ca. 10 Einträge. Ich sehe keinen Zwang, diese unbedingt zu benutzen.


Magie
Zaubern funktioniert genauso, wie man sich ein klassisches RPG vorstellt. Es gibt Magieschulen mit eigenen Zaubern, dafür gibt es jeweils einen Skill. Die Zauber kauft man mit XP, je nach Training Path sind die Schulen unterschiedlich teuer. Sie kosten zum Zaubern die Kampf-Hitpoints (das ist sowas wie Fatigue und keine echten Lebenspunkte).

Es gibt dann noch bestimmte Optionen wie "schmutzig zaubern" (mit Malus, dafür sgünstiger) oder die Kosten mit sogenannten magischen Salzen senken, die man auch in der Natur sammeln kann.

Was es hier besonders macht ist, dass man mit guten Ergebnissen Zauberoptionen kaufen kann, also auch nach dem Würfeln! Die Zauber reichen dann weiter, halten länger usw.
Eine gute Idee empfand ich das Rüstungssystem. Es gibt diverse zusätzliche Rüstungsteile für Arme, Beine etc. - aber keine Trefferzonen! Stattdessen hat jedes Rüstungsteil eine Impedanz, diese erhöht die Zauberkosten. Aber nur die Torsorüstung gibt einen Skill- und AC-Malus! Das heißt also, während sich der Krieger mit weiteren Rüstungsteilen aufrüsten kann (ohne Nachteile), muss sich der Magier entscheiden, wieviel Rüstungswert er gegen Zauberkosten traden will.


Schlussworte
Die Spielbalance kann ich am schlechtesten bewerten, da ich es noch nicht gespielt habe und nicht weiß, wie die Zahlen sich ausspielen. Die Target Numbers erscheinen mir alle sehr hoch 15 bis über 20), aber man soll nur würfeln, wenn man unter Stress steht (z.B. im Kampf) oder wenn es "spannend" ist (seufz). Einen Skill zu haben ist sehr wichtig und es liest sich so, als würde man bei sehr sehr vielen Aktionen, die für jemanden ohne Skill fast unmöglich sind, einen Autoerfolg bekommen (z. B. erlaubt das Balancieren auf einem 6 inch großen Weg zu gehen; wenn kein Stress ist, dann auch ohne Probe, mit Reiten 1 kann man halt reiten und muss im Normalfall nicht würfeln). Jedenfalls verstehe ich den Regeltext so.

Der Kampf ist ziemlich bodenständig und - man liest das selten - FAIR, aber nicht wirklich kompliziert. Wer ohne Schild und Rüstung in den Kampf geht, der ist selbst schuld. Wer einen Bogen zur Messerstecherei mitbringt, der wurde gewarnt. Wer in Unterzahl kämpft, ist verloren. Dabei können die Spielfiguren ziemlich viel einstecken, sind bis zur Heilung aber auch massiv beeinträchtigt. Wie schnell die Abwärtsspirale wirkt, kann ich nicht beurteilen, man hat so um die 9 Wunden und zusätzlich um die 9 HP, aber die Heilungsraten legen nahe, dass man aber einer einzigen mittleren Wunde (2. von 3. Kategorien) schon über den Rückzug nachdenken sollte.
Der Kampf ist aber vor allem chaotisch genug, das man den Ausgang vrmtl. nicht sofort sieht. Er ist sehr schwer zu durchschauen, bisweilen verwirrend, weil Angriff, Verteidigung und Rüstung sich ständig gegenseitig beeinflussen und durch explodierende Würfe in beide Richtungen Freak Rolls iheren Teil beitragen. Das kann je nach Spielstil für den einen ein starker Nachteil oder ein große Bonus sein, ich bin da unentschlossen aber grundsätzlich passt sowas zu einem Kampfgetümmel.

Die Magie kommt mir eher schwach vor - was ich gut finde - aber ich habe nicht alle ca. 100 Zauber durchstudiert, um das genau sagen zu können. Mehr als 3-5 Zauber wird man am Tag wohl nicht raushauen können.

Es gibt noch sehr viele Kleinigkeiten, die ich nicht alle auflisten kann. Das Encumbrance-System ist vereinfacht (viele Ausrüstungteile zählen nicht), es gibt Default-Werte, wenn man auf andere Skills ausweicht, Opposed Rolls, unterstützende Würfe etc.pp. ingesamt ist das System in Kombination mit den vielen Charakterwertrn mächtig genug um viele Details aufzulösen und klassisch genug, dass das vrmtl. jeder mit ein bisschen Erfahrung in RPGs einfach so runterleiten kann.

Was man verstehen muss ist, das Novus 2e quasi ein 1-Mann Projekt ist mit einer kleinen Spielerschaft. Erwartet also vereinzelte Rechtschreibfehler und kleinere Fehlerteufelchen in dem RPG. Da ich selbst schon mit dem Designer in Kontakt stand konnte ich viele Regelfragen an 1. Stelle klären und auf Fehler hinweisen, das ist der Vorteil von kleinen Communities. Die wenigen Fehler lassen sich im Ausschlussverfahren aber i. d. R. selbst beantworten. Aber zum Vergleich: Ich habe beim ersten Lesen weniger Fehler gefunden, als beim typischen MongooseProdukt, die sich ihr Korrektorat wohl lieber sparen, solange es die Spieler kaufen.

Wenn ihr Fragen habt, beantworte ich die gerne, soweit möglich.
 
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