RPGs ohne übernatürliche Spielelemente?

Kein übernatürliches Spielelement im Rollenspiel ist meiner Erfahrung nach nicht die große Spaßbremse. Aber wie so oft, kommt es darauf an...

Ein Beispiel: Shady Gulch - Westernrollenspiel (im Gegensatz zu Deadlands ohne übernatürliche Elemente). Man kann hier bestens von "My Name is Nobody"-Western-Komik-Klamauk-Szenarien bis hin zu "Heavens Gate"-Polit-Korruptions-Massenmord-Szenarien spielen. Halt die ganze Spanne an unterschiedlichen "Geschmacksrichtungen", die irgendwie noch in das Genre "Western" paßt.

Und die "Geschmacksrichtungen" sind es doch, die für die einzelnen Spieler das Gefallen oder Nichtgefallen entscheiden. Wenn ich Lust habe eine Kampagne im Stile der Lucky Luke Comics zu spielen, dann würde mich ein harter brutal-nüchterner Stil wie in Blueberry eher wenig begeistern.

Und ich habe hier mit Absicht Western als klassisches Genre (mit Büchern, Filmen, Comics, Computerspielen, usw.) herangezogen, da Western - bis auf wenige Ausnahmen - eben gerade KEIN übernatürliches Element aufweisen. Hier sind es normale oder "übernormale" Leute. Eben die Schnellen und die Toten. Und je nachdem, ob das Spielsystem eher heroisch ausgelegt ist, können die bei Schießereien draufhalten wie im A-Team, oder sie verrecken langsam und schmerzverkrümmt im Staube liegend an einem Bauchschuß.

Bei anderen Genres ist das Übernatürliche fast schon fest vorprogrammiert, da jeweils elementares Versatzstück des Genres. Horror braucht nicht zwingend übernatürliche Auslöser, doch kommen sie in den weitaus meisten Horror-Filmen, -Szenarien vor. Science Fiction könnte komplett ohne jegliches übernatürliches Element auskommen, wenn man eine fortgeschrittene, bzw. extrapolierte Technik nicht als über- sondern als zukünftig natürlich auffaßt. Aber: es gibt auch Sci-Fi OHNE High Tech. Wer kennt noch den Roman von Harry Harryson "Make Room! Make Room!"? Wurde mit Charlton Heston als "Soylent Green" verfilmt. Das ist eine depressive Zukunftsvision, die man als Sci-Fi (gesellschaftlich-orientierte Zukunftsextrapolation von bekannten Fakten) bezeichnen kann. Andererseits ist es auch ein spannender Krimi.

Und dann natürlich Krimis. Wir haben schon in den Achtzigern nach Call of Cthulhu normale Krimiszenarien gespielt. Da verliert man dann nur selten mal Sanity (z.B. wenn eine Leiche eines Spitzels gefunden wurde, die "gecowboyt" wurde). Aber man spielt die spannenden Verwicklungen von Chandler, Hammet, etc. nach. Ich sag nur "Rote Ernte" - ein dermaßen harte Krimi, der seinen Titel wirklich verdient. Gab ein gutes Szenario ab, welches auch entsprechend blutig verlief (da war die unrealistisch-erhöhte Verletzlichkeit eines typischen Cthulhu-Charakters hilfreich für die Bedrohlichkeit der ganzen Lage in der Stadt dort und die Gefahr, in der man ständig schwebte.)

Magie-/PSI-/Ultratech-lose Settings können nicht nur "auch mal" Spaß machen. Wer seinen Spaß an Kriminal-, Western-, Musketier-, Ritter-, Sandalen-Filmen hat, der kann auch genauso Spaß an entsprechenden Settings im Rollenspiel haben (momentan läuft bei uns im Verein gerade eine Runde mit GURPS Imperial Rome - in der "mundanen" Regelvariante).

Das Fehlen von Übernatürlichkeiten ist eben KEINE Spaßbremse an sich. - Wenn doch der Spaß ausbleibt, dann eher, weil diese unpopulären und - ja - langweiligen Rollenspiele leider zu unheroisch, zu wenig unterhaltsam sind. Dafür kann aber die Eigenschaft "ohne Übernatürliches" alleine nichts - das liegt an den Spielautoren, daß sie es nicht geschafft haben ein Setting wie z.B. das der Drei Musketiere oder der Mike Hammer Romane adäquat spannend rüberzubringen.
 
Würden eigentlich Larger-than-Life-Elemente als übernatürlich gelten?

Ich denke da an den Fernsehcop der aus dem 3.Stock springen kann ohne sich zu verletzen oder einen McGyver der aus einem Schweizer Taschenmesser und einem Kugelschreiber irgendeine Höllenmaschine bastelt.
 
Weniger, das englische "supernatural" drückts eigentlich besser aus, es handelt sich beim Übernatürlichen immer um etwas das nicht von dieser Welt ist, oder so ;)
 
Würden eigentlich Larger-than-Life-Elemente als übernatürlich gelten?

Nicht wirklich. Ebensowenig Hollywood-Logik oder ein wenig extrapolierte Technologie. McGuyver ist ebenso okay wie das A-Team, oder KITT, die Superkarre.

Nein, es ist mehr diese Inflation von "du bist kein Mensch, du bist...etwas besseres!"-Settings, gepaart mit dem inflationären Einsatz von Magie. Western mit Magie. WK2 mit Magie. Cyberpunk mit Elfen und Zwergen. Krimis mit Untoten. HipHopper mit Magie.

*sigh*

Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als ein normaler Mensch zu sein, der aufregende Abenteuer erlebt. Halt eben "die Schatzinsel" und "20.000 Meilen unter dem Meer", statt Zombiepiraten und ausserirdische Uboote.

-Silver
 
Ich könnte mir ein normales Setting ohne übernatürliche Elemente als durchaus reizvoll vorstellen wenn auch Larger-than-life-Elemente drin sind.
Es gibt da eine ganze Bandbreite an Genres die man damit rüberbringen könnte: Action, Eastern, Krimi, Thriller, Western...

Man könnte da auch gerne crossovern, etwa Miami Vice mit New Jack City, Bruce Lee, Charles Bronson und McGyver. Double Action geht ein wenig in diese Richtung.
 
Silvermane schrieb:
Manchmal wünsche ich mir nichts mehr, als ein normaler Mensch zu sein, der aufregende Abenteuer erlebt.
Das ist eine Motivation für mich gewesen meine Firefly-Kampagne anzufangen. Im Gegensatz zu Babylon 5, wo Außerirdische, Mystizismus, geheimnisvolle Überwesen/Überkräfte eine wesentliche Rolle in einer wahrlich epischen Sci-Fi-Geschichte spielen, ist bei Firefly alles sehr bodenständig (inklusive Rindern an Bord und echten Holztischen in der Bordküche, statt überkandidelter High-Future-Tech-Materialien oder gar etwas so seelenlosem wie einem "Replikator". *brrr*). Firefly stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Ohne Gut oder Böse. So ein Charakter wie Malcolm Reynolds ist nicht gut oder böse. Das ist immer eine Frage des Standpunktes desjenigen, der ihn beurteilt. Und da es davon aber sehr, sehr viele gibt, bleibt am Schluß nur übrig, daß er einfach Malcolm Reynolds ist. - Schon in der ersten Spielsitzung hatte sich da abgezeichnet, daß die Spieler ihre Charaktere von sich aus sehr lebendig und vielschichtig darstellen (wir spielen NICHT die Charaktere der Fernsehserie, sondern nur im Firefly-Universum, aber auch auf einem Tramp-Frachter der Firefly-Klasse). Die Vorkenntnis der Serie half jedem seinen Platz in der Crew zu finden und zu wissen, wie das 'verse so tickt. Das wurde spätestens dann richtig merklich, als am Tisch dauernd chinesisch geflucht wurde. ;)

In der Fernsehserie gibt es ja auch so etwas wie PSI-Fähigkeiten. Diese sind jedoch zum einen reine NSC-Fähigkeiten (River Tam ist ja "mißglückt" und eigentlich mehr Plotelement als SC-geeignet - wir haben so etwas nicht und auch keinen Plan dieses Element von Firefly zu nutzen) und dann sind sie augenscheinlich ja auch noch sehr selten in diesem Setting vorkommend, so daß kaum jemand etwas von den "Hands of Blue" und ihren (technisch verstärkten!) Fähigkeiten weiß.

Im praktischen Spielen hat sich gezeigt, wie erfrischend und erleichternd es gerade auch für mich als Spielleiter dieser Kampagne ist, einen NSC auf einer fremden Welt zu spielen, die nichts anderes als eine kulturelle Collage irdischer Fragmente im Weltraum ist (eben so wie die Charaktere ja auch). Man kann so sehr viel leichter authentische NSCs darstellen (und natürlich auch SCs) als es bei Fremdrassen möglich wäre. Das soll nicht heißen, daß ich die Ikonenhaftigkeit der Fremdrassen von Babylon 5 nicht auch zu schätzen weiß. Aber eben alles zu seiner Zeit. Bei Babylon 5 erspielen wir ganz andere Geschichten als bei Firefly oder Traveller. Und wo mir gerade Traveller wieder einfällt: wir haben bei Traveller jahrelang gespielt und fast AUSSCHLIEßLICH menschliche Charaktere in unseren Gruppen gehabt (einzige Ausnahme: The Traveller Adventure, wo man aus Plot-Gründen einen Vargr in der Crew brauchte - das war übrigens auch die einzige Kampagne, in der - zwangsweise - PSI-Fähigkeiten der SCs ein Thema wurden).

Ohne Aliens, ohne Magie, ohne (SCs mit) PSI-Fähigkeiten sind die Geschichten trotzdem oder gerade deshalb von sich aus glaubwürdiger und erleichtern einem Spieler das Eintauchen in diese (nicht ganz so) fremde Welt, ohne daß gleich Langeweile ausbricht, weil man hier historisch akkurat das Biedermeier wiederauferstehen lassen wollte, oder weil man die öde Besiedelungsgeschichte Grönlands als Kampagne spielen wollte. Auf solche unspannenden Geschichtslektionen kann ich schon in der Glotze verzichten, da braucht es noch nicht einmal den Vorschlag das im Rollenspiel zu spielen.

Für mich muß schon eine Abweichung von dem, was ich als Realität wahrnehme, im Rollenspiel spürbar sein. Also gerne Drei Engel für Charlie, Department S, Mission Impossible (nicht die miesen Filme mit der Scientologen-Niete wohlgemerkt, sondern die gute alte Serie, gerade die Staffeln, wo "Mr. Spock" noch mitspielte), oder auch von mir aus so etwas wie Time Tunnel oder die Thunderbirds. Und natürlich nicht nur den alten Kram, sondern viele neue, eher unrealistische, aber unterhaltsame Settings.

Das Pimp-my-Gun-Rollenspiel wäre wirklich mal ganz witzig, auch wenn es die (Selbst-)Herabwürdigung einer ganzen Bevölkerungsgruppe thematisiert (aber natürlich in gutem Humor versteht sich).
 
Silvermane schrieb:
Halt eben "die Schatzinsel" und "20.000 Meilen unter dem Meer", statt Zombiepiraten und ausserirdische Uboote.
Für alte Midgard-Fans: Die Schatzinsel => Jolly Roger, 20000 Meilen unter dem Meer => Midgard 1880. Beide schon abenteuerlich, aber midgard-typisch eher nüchtern (auch wenn die Option für Übernatürliches gegeben ist, man das aber nicht einsetzen muss).
 
Ich will mein Heaven - City of Violence haben :D

Okay zum Thema, prinzipiel is alles möglich was sich vom Leben der Spieler unterscheidet und, was ganz wichtig ist, die Möglichkeit bereit hält flüßig zu spielen. Was ich damit sagen will ist, es muss etwas in dem Setting sein was die Spieler motiviert ihren Charakter zu spielen. Es muss die Möglickeit existieren seinen Charakter zu entwicklen, was nicht durch den Alltag geschieht, auch nicht in einem Setting das z.B. in der Zukunft spielt. Ergo, wir brauchen ein Setting was es erlaubt Charaktere zu erschaffen die nicht nur Alltägliches in ihrer Welt erleben. Wir können also auf ein Übernatürliches Element verzichten, was die Möglichkeit des Alltags fast gänzlich auschliest. Aber eben nicht auf eine Larger-than-life Komponente.

my 2-cent
 
Agroschim schrieb:
Es muss die Möglickeit existieren seinen Charakter zu entwicklen, was nicht durch den Alltag geschieht, auch nicht in einem Setting das z.B. in der Zukunft spielt. Ergo, wir brauchen ein Setting was es erlaubt Charaktere zu erschaffen die nicht nur Alltägliches in ihrer Welt erleben.
Charakterentwicklung passiert NUR im Alltag der Charaktere. Die paar nichtalltäglichen Dinge, wie z.B. daß der coole Anzugträger-Cop mal einen Strafzettel wegen Falschparkens bekommt (und das ist für ein Standard-Cop-Setting SEHR unüblich, also SEHR nicht-alltäglich), werden ihm nicht zur Charakterentwicklung gereichen.

Es ist hier nur die Frage, was man unter Alltag versteht. Ich verstehe darunter den Alltag DES CHARAKTERS, nicht etwa den Alltag von "Standard-NSC-Sachbearbeiter in großer, namenloser Firma". Der Alltag von den drei Charlie's Angels besteht darin, beständig in enge Situationen und enge Klamotten zu geraten und aus beidem wieder mit Erfolg und einem Zahnpasta-Lächeln herauszukommen. Der Alltag von McGyver besteht darin, trotz überall existierender Baumärkte, ständig ohne anständiges Werkzeug und ohne anständige Materialien Bomben, Waffen oder sonstige Höllenmaschinen basteln oder entschärfen zu müssen - der könnte sich von Tool Time eine Menge an "professionellem Heimwerker-Knowhow" abschauen. ;)

Das, was man beständig tut, führt zu einer Entwicklung eines Charakters. Das, was eine einmalige Einwirkung psychischer Natur ist, führt NICHT zur Charakterentwicklung, sondern zu einem Trauma. Das ist ein Unterschied, den manche Rollenspiele auch gut abbilden können (andere wiederum überhaupt nicht).

Und dann schaue man sich so manche Fernsehserie oder Spielfilme an: die Charaktere darin entwickeln sich sehr oft GARNICHT! Null! Die sind in Folge 1 so wie 11 Staffeln später. Knallchargen. Aber genau das wäre z.B. Setting-gerecht, wenn man Knight Rider oder noch besser Babewatch spielen wollte. Da will NIEMAND eine Charakterentwicklung. Das ist was für Weichlinge, die dann als nächstes auch noch Handlung wollen. Oje, wo käme man da hin?

Agroschim schrieb:
Ich würde hier lieber sagen: My 50-Cent ;)
 
Dann hast du mich falsch verstanden, Mc Gyvers Alltag mag anders aus sehen als der eines Baumarkt angestellten, also erlebt Mc Gyver nicht das was der Alltag in seiner Welt ist. Kapische? Übernatürlich wird es wenn die Charaktere nichts mehr erleben was in ihrer Welt alltäglich ist, Charlies Angels wären für mich schon übernatürlich.

Was die Charakterentwicklung in Fernsehserien betrifft, shit on it. Das sind Serien wir spielen Rollenspiele, da kann am Ende des Abenteuers nichts so sein wie vorher. Der Grund warum das im Fernsehen passiert liegt auf der Hand: Neue Zuschauer müssen schnell in die Serie kommen. Es gibt aber auch ausnahmen, Stargate z.B. oder Star Trek, da wachsen Charaktere an dem was sie erleben.
 
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