Der Abschnitt schwirrte noch in meinem Kopf etwas hin und her:
Echte Entscheidungen liegen irgendwo dazwischen, idealerweise ziemlich in der Mitte. (Und wer jetzt sagt "Wieso, bei 50% Abwägbarkeit kann ich ja auch gleich würfeln", sollte nochmal nachdenken.)
Tatsächlich würde ich sagen, dass das Interessante am Entscheidungen treffen nicht das Recht ist sagen zu dürfen "ich möchte die Strategie wählen, die zu 90% klappt und nicht die, die zu 35% klappt", sondern im Abwägen eben dieser Erfolgswahrscheinlichkeiten, sowie der Berücksichtigung möglicher Risiken.
Deswegen mag ich auch Würfelsysteme, die umfassender messen als nur Erfolg oder Nicht-Erfolg und am liebsten Systeme, wo ich bewusst meine Risikobereitschaft in den Wurf einfließen lassen kann.
Letzteres ist mir allerdings nicht bekannt, aber wesentlicher Bestandteil meiner Überlegungen zu einem eigenen RPG-System.
Diese Frage der Abschätzung/Einschätzung der Situation ist für mich auch der eigentlich interessante Aspekt schwieriger Entscheidungssituationen. Wenn ich mich für Freundin oder Bus voller Kinder entscheiden muss, dann MUSS ich mich eben entscheiden. Ich trage keine moralische Verantwortung dafür, dass eine der beiden Parteien nicht überlebt, da das ja bereits vordefiniert und unabänderlich ist. Wenn ich noch dazu unter Zeitdruck agieren muss, dann befreit mich das auch noch von der moralischen Verantwortung möglicherweise zu unbedacht vorgegangen zu sein - ich musste schließlich sofort handeln.
Das ist mMn kein moralisches Dilemma, sondern einfach nur ne Scheißsituation, die sich nicht zufriedenstellend lösen lässt und dem SC lebenslang Albträume beschert, egal was ich mache.
Ob der SC seine Freundin rettet und die Kinder sterben sieht oder einfach nur an nen Stuhl angekettet wird und die Kinder sterben sieht, ist dann nahezu das selbe. Wenn es keine plausible Verankerung im Setting hat oder wenigstens eine schwierige charakterliche Frage aufwirft, dann ist es nichts anderes als ein Schockeffekt und eine Demonstration der Machtlosigkeit der SCs.
Für meine SCs wäre die Situation keine spannende Entscheidung. Der eine würde seine Freundin retten und müsste Kinder sterben sehen. Der andere würde Kinder retten und seine Freundin sterben sehen. Keine Ahnung, was daran spannend sein soll, abgesehen davon, dass der SC im Rahmen seines persönlichen Kobayashi-Maru-Test eine vordefinierte Niederlage ertragen muss, die mMn sogar noch dadurch abgemildert wird, dass man ja wenigstens eine der beiden Parteien retten konnte.
WAS ich aber interessant finde - wesentlich interessanter - ist, wenn die Möglichkeit im Raum steht, beide Parteien zu retten. Wenn ich als Spieler das Gefühl habe, dass es doch irgendwie gehen müsse. Wenn die Lösung auf der Zunge liegt, aber mir einfach nicht einfällt. Wenn ich eine Lösung sehe, diese aber beide Parteien in Gefahr brächte, statt sicheres Überleben für eine. DAS ist dann eine schwierige Entscheidung. Was ist mehr wert: Ein sicher überlebender oder zwei vielleicht überlebende? Wie sicher muss die Freundin sein, bevor man die Kinder rettet? Wie viel ist eine gute Planung wert, dass man Zeit dafür opfert, die man zur Durchführung des Planes braucht?
Ich finde die Möglichkeit theoretisch alles erreichen zu können, viel unbequemer als die Gewissheit halb zu scheitern.
Wenn ich in einem PC-Spiel 9 von 10 Zivilisten gerettet habe, kostet es mich Überwindung nicht nochmal zu laden, um diesmal alle 10 zu retten. Wenn ich jedoch weiß, dass die geskriptete Anfangssequenz mir nur erlaubt einen von zwei zu retten, während der andere mir als Demonstration der Gefahr für die anderen acht Zivilisten effektwirksam stirbt, dann ist das in diesem Spiel eben so. Dann verschwende ich weder meine Zeit damit mir diese Anfangssequenz noch 20mal anzusehen, noch zerbreche ich mir allzulange meinen Kopf darüber, was ich anderes hätte tun können - denn die Antwort ist mir ja bekannt:
Nichts.
Insofern würde ich sogar behaupten, der Spieler aus dem Eingangspost sucht eigentlich nach einer deutlich bequemeren Variante, wenn er klare Entscheidungsoptionen will - denn auch das Leben hat mich gelehrt, dass die unbequemsten Entscheidungen in der Regel eben gerade die unklaren sind.