Regen vor dem Fenster

zoombot

Pooka aus Berufung
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30. April 2004
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Hab ich beim Aufräumen der Festplatte gerade gefunden - ist schon ein paar Jahre alt. Vielleicht gefällt es ja.

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Regen vor dem Fenster. Mittags. Aufwachen. Dieser schale Geschmack im Mund. Das Sofa gemütlich. Warten. Wann kommt Sie? Kommt Sie überhaupt? Sie hat sich nicht gemeldet. Eigentlich kommt Sie immer. So schlimm war der Streit gar nicht. Oder doch? Musik hilft auch nichts. Die Leere bleibt.
Sie kommt bestimmt. Aufräumen. Dann Frühstück. Irgendwas geht schon runter. Extra viel Butter. Schmeckt trotzdem trocken. Und deprimierend. Eine Stunde noch. Das wäre Ihre normale Zeit. Das Warten macht verrückt. Zappen? Hmm....warum nicht? Ein Jesusfilm. Ringen. Peter Kraus. Volksmusik. Winzlinge. Auch nicht besser. Weg mit der Fernbedienung.
Joggen? Im Regen? Was wenn Sie früher kommt? Falls Sie überhaupt kommt? Nein. Lieber bleiben. Warten. Da liegt Dreck. Der Staubsauger ist zwei Zimmer weiter. Es regnet immer noch. Blumen gießen? Alte Salzstangen auf dem Couchtisch. Pappig. Anspannung macht sich breit. Die Zeit will nicht vergehen. Die Nervosität schon gar nicht. War ja auch nur eine Kleinigkeit. Nichts worüber man sich wirklich aufregen müsste. Warum hat Sie bloß geweint?
Schwere kriecht in den Raum. Waschmaschine anwerfen? Lieber sitzen. Aus dem Fenster schauen. Regen. Mails abrufen? Der alte Schulkollege. Oma. Die Ex-Freundin. Sie hat einen Neuen. Verlobung. Immer noch Regen. Trommelt jetzt ans Fenster. Ein Rentnerpärchen mit Schirm. Eine Mutter mit Kinderwagen. Die Hübsche von gegenüber. Mit ihrem Freund.
Es klingelt. Sie wird doch nicht? So früh? Ein schneller Blick in den Spiegel. Augenringe. Falten. Rote Augen. Ein hoffnungsvolles Lächeln. Der Postbote. Sie hat anscheinend mal wieder bei diesem Klamottenversand bestellt. Unter meiner Adresse. Sie kann es nachher dann ja auspacken. Wenn sie kommt. Ab in den Flur damit. Zurück aufs Sofa. Draußen prasselts. Es ist kalt. Es ist warm. Es ist irgendwie....nicht auszuhalten.
Lange kann es doch nicht mehr dauern. Duftlampe an. Kerzen. Ein bißchen romantische Stimmung. Ruhige Musik. Wirkt noch deprimierender als vorher. Romantische Stimmung ganz alleine. Naja, die paar Minuten geht das schon. Sie ist ja gleich da. Bestimmt. Oder? War ja nun wirklich nichts weltbewegendes. Irgendwo müssen Ihre alten Briefe doch sein. In der Kammer. Das waren noch Zeiten. Sind bestimmt hundert Stück. Liegen ganz oben. Stauben ein.
Es klingelt. Wieder zur Tür. Vorbei am Spiegel. Meine Güte, seh ich fertig aus. Warum klingelt Sie eigentlich? Hat doch schon Ewigkeiten einen Schlüssel. Macht Sie doch sonst nicht. Der Nachbar will sich Butter leihen. Muß einen Kuchen backen. Hat er seiner Frau versprochen. Tür zu. Übers Paket stolpern. Aufs Sofa. Es tröpfelt nur noch. Ein gutes Zeichen? Lege ein Handtuch bereit. Sie ist bestimmt durchgeregnet. Wenn Sie kommt. Schnell noch duschen? Wenn Sie Ihren Bus verpasst hat, ist Sie eh erst in zwanzig Minuten da. Das heiße Wasser tut gut. Das Kalte auch. Was, wenn Sie anruft? Das Telefon! Triefend nass ins Wohnzimmer. Auf die Handtücher legen. Regen prasselt an das Fenster. Laß mich auch berieseln. Kein Anruf.
Die Couch. Sie liebt Tee. Ich koch einen. Gleich eine ganze Kanne. Sicher ist sicher. Kann ja nicht mehr lange dauern. Der Tee schmeckt nicht. Aber bevor er kalt wird. Regen. Die Duftlampe beginnt zu stinken. Das Wasser ist alle. Nicht auszuhalten. Licht muß rein. Und Luft. Alle Fenster auf. Alle Jalousien hoch. Andere Musik. Aber nur kurz. Soll mich ja nicht so sehen. Es regnet auf den Teppich. Windzug wirft den Gummibaum von der Fensterbank. Fluchen. Ziemlich laut.
Zur Entspannung wieder Fernsehen. Immer noch der Jesusfilm. Eine Teenieserie. Eine Oper. Dressurreiten. Schlaflos in Seattle. Besser als nichts. Paar Kekse dazu. Ganze Packung. Ein bißchen überfällig ist Sie ja schon. Bei dem Wetter auch kein Wunder. Dieser Regen. Will nicht kleinlich sein. Die Stunde. Bin ja großzügig. Was, wenn Sie nicht kommt? Ach Quatsch. Natürlich kommt Sie. Ich kenn Sie doch. Sie ist so...so.....jetzt sinds bald zwei Stunden. Kann jedem mal passieren.
Hab ich eigentlich schon Zähne geputzt? Jetzt aber schnell. Wäre das peinlich gewesen. Glück gehabt. Gut, daß Sie sich verspätet. Jetzt kann Sie kommen. Bin perfekt vorbereitet. Nervöses Warten. Finger trippeln auf der Tischplatte. Wieder ruhigere Musik. Bei schnellerer dreh ich durch. Ein Buch lesen? Irgendwas intellektuelles. Das gefällt Ihr. Wo liegt bloß der Dostojewski? Der Regen tropft laut aufs Pflaster. Dreißig Seiten. Die Augen fallen zu. Doch wieder Fernsehen. Ruhelos. Schon vier Stunden überfällig. Sie war bestimmt noch im Fitnessstudio. Klar. Natürlich. Wieso nicht gleich dran gedacht. Macht Sie doch jeden Sonntag. Heut ist Samstag.
Dieser Regen. Langsam wird es dunkel. Zeit für mehr Kerzen. Und die Blues-CD. Das kommt bei Ihr immer an. War ja auch wirklich nichts. Unbedeutend. Zum Vergessen. Unser Lieblingsfilm auf Video. Sie lacht dabei immer so schön. Bestimmt schon zwanzig Mal gesehen. Rein mit der Kassette. Wußte gar nicht, daß der so tragisch ist. Liegt nur am Kerzenlicht. Die Neonlampe machts erträglicher. Das Gläschen Wein auch. Tagesschau gucken. Immer informiert sein, was vor sich geht.
Das Telefon klingelt. Hinhasten. Glas Wein umwerfen. Fluchen. Der Saufkumpan. Feiern mit den Jungs? Bowling? Frauen Gucken? Hab keine Zeit. Sie kommt mich ja besuchen. Auf ein andermal vertrösten. Natürlich kommt Sie. Blöde Frage. Idiot. Das war nichts. Nichts. NICHTS! Die Flasche ist leer. Auf den Balkon damit. Zu den anderen. Werde nass.
Ein Klopfen an der Haustür. Nanu? Sie will mich wohl überraschen. Das mag ich so an Ihr. Unter anderem. Die Jungs. Nicht doch mitkommen? Nein. Sie kommt. Sie. NEIN! Noch ne Flasche. Ich stell schon mal ein zweites Glas hin. Sie mag Wein. Diesen roten Kalifornier. Zur Abwechslung mal Klassik. Irgendwas verrücktes. Lautes. Wagner. Die alten Hardrockplatten. Natürlich. Tanzen. Naja: Springen. Hüpfen. Umfallen. Couch. Weinen. Sie kommt. Bestimmt. Einschlafen. Regen vor dem Fenster.
 
ja, sehr schön.

fängt die tragig von von falscher hoffnung durchtränktem warten sehr gut ein. der gegensatz zwischen langatmigen warten, gehetzten kurzen sätzen lässt es sehr plastisch wirken.
jeder, der schonmal auf einen geliebten partner gewartet hat, wird es nachvollziehen können, die zwischen eingestreute witzigkeit macht es unterhaltsam, und motivbiert, es weiter und bis zu ende zu lesen.
alles in allem daumen hoch :) :)

(gruss doomi, der sehnsuchtsvoll die ankunft eines zuges erwartet...... )
 
seufz... es is wirklich gut beschrieben, und wie bereits erwähnt sehr plastisch... allerdings deprimiert mich das ganze jetzt ein bisschen...

ABER wie wir alle wissen... wenn eine story gefühle bei den lesern hervorruft, dann ist sie gut ;)

also thumbs up :)
 
Die ganze Zeit über hat mich ein solch nervöses Gefühl im Atem gehalten, dass ich denken hätte können, es wäre meine Geschichte. Wirklich sehr toll gelungen..

Grüße - Chris.
 
SeelenBlut schrieb:
Das einzigste was mich stört ist die Formatierung, ansonsten gibts Karma *g*

hab die formatierung jetzt ein bißchen geändert....und dank für all das lob - motiviert, vielleicht nochmal eine der alten geschichten von der festplatte zu fischen....irgendwann mal....
:rolleyes:
 
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