Rezension Rabengeflüster (DSA #82)

Nepharite

Erstgeborener
Registriert
27. August 2004
Beiträge
1.330
Anja Jäcke, Alexander Wichert, Heike Wolf - Rabengeflüster


[User-Rezi] von Nepharite


"Rabengeflüster" knüpft zwar an die Ereignisse an, die in Alexander Wicherts Roman "Sand und Blut" (Heyne 06/6067; ISBN 3-453-21383-1) ihren Anfang nahmen, soll allerdings keine Fortsetzung zum Heyne-Buch sein.

Nachdem er seinen Vater, Irato, ermordete, ist Amato Paligan mittlerweile unter der Protektion seines Onkels, Goldo Paligan, in den erlauchten Kreis der Granden Al´Anfas, der mächtigsten Stadt Süd-Aventuriens, aufgestiegen,

Als ein Mitglied des Rates der Zwölf, welcher die Stadt regiert, stirbt, entbrennt ein intrigantes Spiel um die Neubesetzung des vakanten Postens. Aurelian Bonareth, gefallener Günstling des Patriarchen Amir Honak, der Großexecutor und aktuelle Geliebte des Herrschers, Irschan Perval, sowie die Rebellen vom Visarberg, Bewohner der Elendviertel, die unter Führung Lucio ter Ubrechts den Granden der Stadt einen tödlichen Schlag versetzen wollen, verraten, morden, bestechen und schmeicheln sich in Durchsetzung ihrer Interessen skrupellos durch die Stadt. Zwischen allen Fronten muss Amato -gefangen in seines Onkels Ränkespielen- derweil seinen Einfluss unter den Mächtigen der Stadt festigen und ausbauen, um letztendlich unabhängig von allen Konventionen leben zu können.

Im Gegensatz zum ersten Band, der mich nicht für mehr als 90 Seiten zu fesseln vermochte, zeichnet sich "Rabengeflüster" durch eine dichte Atmosphäre und eine unerwartet detailreiche Schilderung Al´Anfa´scher Verhältnisse auf erfreulich hohem stilistischen Niveau aus.
Die Hauptcharaktere sind für DSA-Verhältnisse sehr differenziert und vielschichtig gezeichnet, sodass es dem Leser im Laufe der Geschichte immer schwerer fällt, Partei zu ergreifen; die Grenzen zwischen gut und böse, schwarz und weiß verschwimmen, wenn Amatos Obsession für Gladiatorenkämpfe, sein opportunistisches Verhalten gegenüber seinem Onkel und ter Ubrechts Pakt mit dem "Teufel", welcher wiederum selbst auch nur Opfer ist, kaum Zweifel daran lassen, dass Integrität im Kreise der Granden und im Spiel um die Macht keinen Platz hat.

Bedauerlicherweise gibt es eine Reihe von Mängeln, die Rabengeflüster aus der Reihe der besseren DSA-Romane ("Drei Nächte in Fasar", "Das zerbrochene Rad", "Westwärts, Geschuppte!" u.a.m.) ins Mittelmaß sinken lassen.

Trotz aller Intrigen, Drohungen, Manipulationen sind die beiden großen Handlungsbögen um das große Spiel der Granden und das kleine der Rebellen in weiten Teilen langatmig und spannungsarm. Zuviel Erklärung bzw. Beschreibung und zuwenig Handlung dominieren die Geschichte bis zum finalen Showdown zwischen Rebellen und Granden, welcher dann an genau gegenteiliger Symptomatik leidet: Action ohne viel Verstand.
Zusätzlich existieren noch zwei Nebenplots um einen edlen Wilden -einen Günstling Amatos- und das alte Ziehmütterchen ter Ubrechts, die zwar passabel zur Charakterisierung der beiden Hauptprotagonisten beitragen, in denen aber die Autoren das rechte Augenmaß verlieren und -"dick auftragend"- in kitschigem Pathos versinken.

Zweitens spielt für meinen Geschmack das Phantastische in diesem als Fantasy-Roman herausgegebenem Buch eine zu geringe Rolle. Hier ein winziger Zauber, da ein Achaz als Gladiator sind einfach zu wenig. Wenn man vom generellen Aventurien-Background absieht, so könnte diese Geschichte zu jeder Zeit, an jedem Ort spielen, sei es im Venedig der Borgias, sei es in einem High-Tech-Unternehmen des Silicon Valleys,

Ein weiteres Negativum, das im übrigen in einigen DSA-Romanen deutlich wird, ist die Instrumentalisierung von Homosexualität zum Erzeugen einer von Dekadenz und Hedonismus geprägten, phantastischen Grundstimmung. Langweilige Heterosexualität ist in Al´ Anfa eher etwas für Fanas, die unteren Schichten; der Grande von Welt steht auf Männer, während es der Grandessa sowie gleich ist, mit wem oder was sie es treibt, wobei Sex zudem grundsätzlich als Instrument der Manipulation beschrieben wird. Selbst wenn man den Autoren unterstellte, sie wollen durch die Schilderungen homoerotischen Treibens für Toleranz werben, so bleibt die vermittelte Erotik dennoch plump, pubertär, aufgesetzt und unpassend.

Schlussendlich ein eher formaler Aspekt: Es mag kleinlich erscheinen, aber das Erste, was unangenehm auffällt, schlägt man das Buch auf, ist die "Dramatis Personae". Diese Aufstellung umfasst sage und schreibe 77 (!) Namen (ohne Gewähr). Dieses lässt den Leser unnötigerweise mit mehr oder weniger starken Ressentiments an die Arbeit gehen, denn dass viele der hier Genannten innerhalb der Story jeweils nur ein- maximal zweimal erwähnt werden, lässt sich anfangs noch nicht erahnen. Zudem tun die Autoren auf den ersten Seiten alles, um den Vorbehalten Nahrung zu geben, indem sie den Leser mit (überflüssigen) Namen erschlagen. Erst im Laufe der Geschichte kristallisiert sich mehr und mehr heraus, welcher Protagonist wichtig ist und welcher lediglich zur Ausstattung gehört.

Fazit: Ein atmosphärisch dichter Roman, der vor einer exotischen Kulisse ein relativ spannungsarme Geschichte erzählt und wenig wahrhaft Fantastisches zu bieten hat. Daher ist er nur DSA-Spielern unter den Fantasy-Fans und -Lesern zu empfehlen. Diese könnten allerdings der Geschichte einige nützliche Anregungen für eigene Spielerunden um und in Al´Anfa abringen.Den Artikel im Blog lesen
 
Zurück
Oben Unten