AW: Profi-Abenteuer
Wenn sich ein Einsteiger-Abenteuer an Einsteiger-SPIELER wendet, dann wendet sich ja - laut Eingangsbeitrag - ein "Profi-Abenteuer" an "Professionelle SPIELER". Die gibt es zwar im Poker, aber nicht im Rollenspiel (man kann ja nicht davon leben!).
Wendet es sich stattdessen an ERFAHRENE Spieler, dann ist das ganz einfach: Dazu braucht es NICHTS im Abenteuer selbst, solange das Abenteuer diesen Titel "Abenteuer" verdient (d.h. solange es keine Railroading-Schmalspurbahn mit festgelegten Haltestationen ist).
Was macht aus JEDEM Abenteuer ein Abenteuer für ERFAHRENE Spieler, eine HERAUSFORDERUNG für Fortgeschrittene?
Die Art, wie man mit dem Abenteuer umgeht.
Man kann aus jedem Abenteuer das, was die dort aufgeführten Gegebenheiten (Lokationen, NSCs, Tiere, Fallen, Magie, Aliens, Technik) zu bieten hat, BIS AUF ANSCHLAG ausnutzen. - Tut dies der Spielleiter und tun dies die Spieler, dann spielen alle "fortgeschritten". - Dann kommt die Regelkenntnis, die Souveränität im kreativen, im out-of-the-box-Einsatz von Grundregeln, die Erfahrung der Spieler einfach eher zum Tragen.
Was zeichnet denn ein Einsteiger-Abenteuer aus?
Es ist GEBREMST. - Es ist in seinen Konsequenzen nicht so hart, wie es sein könnte, wenn man alle Tricks und Regelhärten komplett und bis auf Anschlag ausgenutzt verwenden würde.
Ein Einsteiger-Abenteuer ist gebremst, um den Spieler, der noch nicht so erfahren ist, noch herausfordern zu können (was aber relativ leicht ist, wenn er noch nicht die Souveränität im Regelumgang hat), aber ohne ihm gleich den Charakter durch knallhartes Spielen zu zerlegen. - Man will einen Anfänger nicht frustrieren, sondern MOTIVIEREN. Daher spielt man mit einem Anfänger einfach "netter" als mit den abgehärteten Eisenfressern an narbengesichtigen Rollenspielveteranen, die mit ihren bloßen Fäusten noch den Saft aus einem W20 pressen können.
So gesehen braucht es KEINE Einsteiger-Abenteuer und KEINE "Profi-Abenteuer", sondern man braucht eine SPIELEINSTELLUNG, die auf einen "Einsteiger-Spielabend zur Motivation und Begeisterung von Interessenten für das Hobby Rollenspiele" ausgelegt ist, im Unterschied zu einer Spieleinstellung, die auf einen "Fortgeschrittenen-Spielabend zum Herauskitzeln des letzten Quentchens Überlebens-Findigkeit der Spieler in konsequenzenhärtesten Herausforderungen um Leben und Tod ihrer Charaktere" ausgerichtet ist.
Man bekommt die Fortgeschrittenen-Spieleinstellung auch mit einem "lahmen" Einsteiger-Abenteuer hin, wenn der Spielleiter es ernsthaft versucht nach allen Regeln der Kunst seinen Spielern schwer zu machen. Und dann stehen die jämmerlichen Goblins nicht einfach auf unentschlossene Weise bedrohlich herum um sich abschlachten zu lassen, sondern dann arbeiten sie mit fiesen Tricks, mit mobilem Kampf, versuchen die Gruppe zu teilen, die Schwächsten der SCs unerbittlich zu töten, den Stärksten zu entgehen und diese dorthin zu locken, wo andere Monster lauern, wo der Big Boss des Szenarios schon seine Buffs auf sich gezaubert hat.
Man spielt mit Anfängern anders als mit Leuten, die ein Regelsystem schon voll verinnerlicht haben.
Beispiel Savage Worlds: Dasselbe Szenario habe ich schon öfter auf Cons mit totalen Spielneulingen (zumindest SW-Neulingen - das kommt aber oft auf dasselbe heraus) geleitet. Als ich es das erste Mal in der häuslichen Runde leitete, da konnte ich "endlich" alle Gegner voll ausspielen, sie alle Regelfinessen nutzen lassen, um die SCs meiner Spieler böse auszulöschen. Zumindest habe ich das VERSUCHT! Ernsthaft versucht, denn sonst wäre es keine echte Herausforderung gewesen. - Auf den Cons habe ich jedoch die NSCs keine Wild Attacks, kaum Tricks, kaum Willensduelle, kaum gemeines Ausmanövrieren usw. machen lassen. Das frustet Spieler nur, die gerade versuchen die GRUNDKONZEPTE der Regeln zu begreifen und anzuwenden.
Wenn man DASSELBE Szenario mit unterschiedlichen Spielleitern, in unterschiedlichen Gruppenzusammensetzungen spielen läßt, wird aus demselben Text einfach immer ein ANDERES gespieltes Szenario herauskommen. - Das GRUPPEN-GEFÜGE ist hier der ausschlaggebende Faktor, nicht das, was im Regeltext steht!
Diese obige Aussage ist meine Erfahrung, wenn der Spielleiter bereits erfahren ist.
Bei unerfahrenen Spielleitern gibt es ganz andere Probleme (wie z.B., daß "sklavisch" nach Textangaben gespielt wird, statt das Abenteuer an seine Gruppe und deren "Chemie" anzupassen). Hier kann man auch nicht wirklich Einsteiger- und "Profi"-Abenteuer unterscheiden, sondern das hängt immer von den jeweiligen individuellen Stärken und Schwächen des Spielleiters ab, wie er mit dem gelieferten Text klarkommt.
Meine Erfahrung ist bei Abenteuern, die ich auf Basis des IDENTISCHEN Textes z.T. nach mehreren Jahren nochmals geleitet hatte, daß es auch mit der Zeit bei mir selbst eine ANDERE INTERPRETATION des Textes gibt. - Ich lese andere Dinge aus demselben Text heraus bzw. in ihn hinein! - Man liest ja immer mit bestimmter aktueller Verfassung. Habe ich nun gerade eine Phase, wo ich besonders auf fiese Hinterhalte abfahre, so sehe ich in demselben Abenteuer (Z.B. Keep on the Borderlands, oder Unter den Nebelbergen) sofort ideale Plätze für einen gemeinen Hinterhalt mit Killing Zones und ohne Deckung und Rückzugsmöglichkeit für die SCs. Bin ich aktuell nicht auf Hinterhalte scharf, weil ich genug TPKs hinbekommen habe, daß ich diesbezüglich "gesättigt" bin, dann fällt mir eventuell auf, wie toll ich hier die "Emo-Drüse" der SCs mit den interessanten NSCs in diesem Szenario drücken könnte, so daß sie wirklich mitfühlen, bevor diese NSCs ihnen das Messer in den Rücken rammen.
Es ist somit auch immer eine Frage der "Tagesform" für das, was man aus einem Abenteuer herauszieht.
Am wenigsten hilft es, wenn die Spielwerte von NSCs superhoch sind, um das als "Fortgeschrittenen-Abenteuer" zu deklarieren. Das ist LANGWEILIG (und von findigen Spielern sofort durchschaubar - und dann machen sie die ausgemaxten NSCs auf ihre findige Art zu Gehacktem!).
Profi-Abenteuer gibt es dann, wenn die Gruppe so drauf ist, daß ein Abenteuer zu einem Profi-Abenteuer wird.
Profi-Abenteuer werden GESPIELT, nicht etwa GEMACHT!